Kaupthing-Banki: WikiLeaks in Island

Der Kaupthing-Leak Island Karte

Gerd R. Rueger 08.08.2010

Die Finanzkrise in Folge der Lehman-Pleite Anfang Oktober 2008 (Lehman hatte am 10. September 2008 verlauten lassen, dass sie Verluste in Höhe von 3,9 Milliarden US-Dollar für das dritte Quartal 2008 erwartet) ließ auch Island, das sich zum Finanzparadies entwickelt hatte, nicht ungeschoren. Schon am 9. Oktober 2008 erklärte sich das größte Finanzinstitut Islands, die Kaupthing Bank plötzlich für bankrott. Island war empört, die Banker rafften zusammen, was sie kriegen konnten und wollten damit untertauchen –doch WikiLeaks machte zumindest einigen von ihnen einen Strich durch die Rechnung und enthüllte damit die kriminelle Seite der Finanzkrise. Nach dem Schweizer Bankhaus Julius Baer wurde WikiLeaks zum zweiten Mal maßgeblich gegen finanzkriminelle Machenschaften aktiv.

Die Kaupthing Banki Hlutafelag (Aktiengesellschaft) war die größte isländische Bank, was nicht verwundert, aber sie war auch die sechstgrößte in den nordischen Ländern, die alle etwa 20 bis 40 mal mehr Einwohner haben als der vulkanische Zwergstaat. 1982 gegründet verfügte Kaupthing über Filialen in Schweden, Dänemark, Finnland, Großbritannien, den Niederlanden, Luxemburg, der Schweiz, Deutschland, Österreich sowie in den USA und im Nahen Osten. Ganz beachtlich für ein Finanzinstitut mit der isländischen Krone als Zahlungsmittel, der kleinsten eigenständigen Währung der Welt. Die Bank hatte ihren Stammsitz in Reykjavik  und beschäftigte mit 3200 Mitarbeitern etwa ein Prozent der isländischen Bevölkerung.

 Man warb weltweit um Kunden, um mit deren Geld im Subprime-Geschäft mit zu mischen, also in den USA Kredite für Hauskäufe auszureichen, die mit Fantasiewerten der Häuser besichert waren. In der Finanzblase stiegen die Werte selbst  wackeliger Bruchbuden ins unermessliche und gaben den Schuldnern das irrige Gefühl, jederzeit durch Hausverkauf ihre Hypothek zurückzahlen zu können. Rating-Agenturen wie Fitch  und Moody’s gaben ihren Segen und die Banker damit anscheinend alle Verantwortung ab (Köhler, 67). Dann brachen die Immobilienpreise ein und es wurde klar, dass auch Kaupthing seinen Einlegern nicht die Guthaben, geschweige denn die versprochenen Fantasiezinsen, würde auszahlen können.

Die Kaupthing-Pleite

Am 9. Oktober 2008 stellte die Kaupthing Bank alle Auszahlungen an ihre Kunden sowie die Liquiditätsversorgung für ihre Niederlassungen im Ausland ein und wurde auf der Grundlage des wenige Tage zuvor erlassenen Notstandsgesetzes unter staatliche Kontrolle gestellt. Kaupthing war zusammen mit den beiden anderen führenden Banken Glitnir und Landsbanki zahlungsunfähig. Alle konnten nur durch Verstaatlichung vor dem Zusammenbruch gerettet werden, die aufgelaufenen Schulden betrugen das Zehnfache der jährlichen Wirtschaftsleistung Islands. Noch im selben Monat stellte die isländische Finanzaufsicht die Zahlungsunfähigkeit der Kaupthing Bank fest und somit den Entschädigungsfall. Eine New Kaupthing wurde gegründet, behielt die inländischen Kunden und heißt heute Arion Bank, das Auslandsgeschäft wurde in die Old-Kaupthing ausgelagert, einer Bad-Bank in staatlicher Aufsicht. Wie wir es von der deutschen IKB kennen, sollte also der Steuerzahler blechen, nur dass in Island kein Millionenvolk, sondern eines in der Größenordnung der Stadtbevölkerung von Mannheim betroffen war.  Die meisten der ausländischen Kaupthing-Vertretungen gingen in die Insolvenz, die Kaupthing Edge Deutschland stand zunächst unter einem Moratorium und wurde am 19.11.2009 endgültig geschlossen –deutsche Anleger verloren ihr Geld.

Die Isländer waren schlimmer dran, ihre Wirtschaft brach ein, die Arbeitslosigkeit schnellte hoch und viele standen vor den Trümmern ihrer Existenz. Während empörte Demonstranten die Regierung in Reykjavik davonjagten, machten sich einige Banker mit fetter Beute aus dem Staub. Sie waren auf die schlaue Idee gekommen, sich von ihrer untergehenden Bank schnell selbst noch ein paar fette Kredite geben zu lassen. Auf die paar Milliönchen, dachten sie wohl insgeheim, kommt es bei der Megapleite, die wir euch hier hinterlassen, nun auch nicht mehr an.

WikiLeaks enthüllt Bankräuber der besonderen Art

Doch dann war eine Liste im Internet aufgetaucht, die sämtliche Schuldner der Bank zum Zeitpunkt ihres Konkurses enthielt. „Im Internet“ hieß natürlich: bei WikiLeaks. Kaupthing ließ Islands Medien die Berichterstattung mithilfe einer Verfügung verbieten –eine unerhörte Zensurmaßnahme für die freiheitsliebenden Wikinger. Doch das Fernsehen zeigte einfach die URL „www.wikileaks.org“ (Monroy auf Telepolis). Ganz Island kannte plötzlich eine Whistleblower-Website. Keiner Nation der Welt war so etwas bis dahin passiert, die Deutschen wissen meist nicht einmal, was das Wort Whistleblower bedeutet und assoziieren es mit Petzen, Verrat und Denunziantentum –von durchtriebenen Journalisten, teils im Dienste korrupter Dunkelmänner, permanent dazu angeleitet– statt mit Enthüllung von Korruption. Island warf einen Blick auf seine korrupten Dunkelmänner und entwickelte ein inniges Verhältnis zu WikiLeaks. Julian Assange und Daniel Domscheit-Berg sollten sich dort später sehr wohl fühlen und sogar bekannte Persönlichkeiten werden, bevor der deutsche Medienkonsument auch nur von WikiLeaks flüstern hörte. Worum ging es auf der geheimnisvollen Liste?

Die Namen, die auf der Liste genannt wurden, ließen den gerechten Zorn der Isländer hochkochen. Die größten Schuldner der Bank waren gleichzeitig Aktionäre, also die Eigentümer der Bank, etwa die Investmentgesellschaft Exista, mit 23 Prozent größter Kaupthing-Aktionär –die sich von der Bank gleichzeitig 1,4 Milliarden Euro geliehen hatte. Einen Großteil der Kredite soll Kaupthing ohne jegliche Sicherheit vergeben haben. Mit den Darlehen hätten die Großaktionäre teilweise noch mehr Aktien gekauft, um so den Kurs künstlich nach oben zu treiben, und damit die Bank also als Selbstbedienungsladen genutzt, so der Politikwissenschaftler Audunn  Arnorsson (Eigentümer sollen Krisenbank Kaupthing geplündert haben).

Deregulierer Gordon Brown zetert

Die Bürger sollten mit dem Schlammassel nun alleine klar kommen und in aller Welt zeterten die geprellten Kaupthing-Kunden, oft die am lautesten, die dem Finanzdesaster am freudigsten entgegen gestürmt waren. Zum Beispiel der britische Premierminister Gordon Brown, ein strammer Deregulierer der Finanzindustrie, hatte die isländische Regierung im Zusammenhang mit dem Bankenkollaps noch scharf kritisiert. Ihr Verhalten sei „nicht hinnehmbar“ sagte Brown der BBC, denn immer mehr britische Gemeinden fürchten um ihre Spareinlagen bei den isländischen Banken. Etwa 100 Gemeinden in England, Schottland und Wales waren betroffen, die insgesamt etwa 720 Millionen Pfund investiert haben, also rund 2.000 Pfund pro Kopf der Isländer –man fragt sich angesichts maroder britischer Schulen und Krankenhäuser: Sind Gemeinden nicht eigentlich dazu da, in ihre soziale Infrastruktur zu investieren statt in windige Spekulationsgeschäfte? Sollte man angesichts der Finanzkriminalität die Polizei rufen? Aber selbst Scotland Yard und weitere Polizeibehörden legten rund 100 Millionen Pfund in Island an, die Londoner Verkehrsbetriebe immerhin noch 40 Millionen –und alle wollen ihr Geld zurück vom armen Isländer (Kaupthing unter Aufsicht).

Ca. 15-20 Milliarden Euro sollte das kleine Land schultern –Zinsknechtschaft für Generationen von Wikingern. Im Mai 2010 nahm die isländische Justiz erstmals Verantwortliche für den Kollaps der Banken des Inselstaates fest. Dem Ex-Chef der früheren Kaupthing-Bank, Hreidar Mar Sigurdsson, wurden Unterschlagung und Verstöße gegen das Aktiengesetz vorgeworfen. Ebenfalls festgenommen wurde der frühere Leiter der Luxemburger Kaupthing-Niederlassung, Magnus Gudmundsson (Chef der Luxemburger Kaupthing-Bank festgenommen). Losgetreten hat die Lawine der Gerechtigkeit, die endlich einmal die Banker traf, WikiLeaks.

Köhler, Wolfgang, Wall Street Panik: Banken außer Kontrolle. Wie Kredithaie die Weltkonjunktur ins Wanken bringen, Mankau 2008

Monroy, Matthias, Icelandic Modern Media Initiative, Telepolis 12.04.2010, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32428/1.html

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