Unsere Lügen kommen aus den Medien und der Neoliberalismus macht krank vor Lügen. Denn er ist Ideologie, die vor allem korrupten Machteliten dabei nützt, sich ihre Beute unter den Nagel zu reißen und sich dabei auch noch enorm tüchtig vorzukommen. So ein „fairer Wettbewerb“ macht dann erst richtig Spaß, wenn man schon oben auf dem Siegertreppchen geboren wurde. Es ist eine Ideologie, die weite Teile der US-Bevölkerung darauf dressiert hat, im Namen der „Freiheit“ z.B. eine allgemein zugängliche Gesundheitsversorgung mit dem „Sozialismus“ gleichzusetzen (und Sozialismus mit dem Satan). Es ist die Freiheit des Millionärs wie des Bettlers, unter einer Brücke nicht nur zu schlafen, sondern dort elend zu krepieren.
Wobei der Millionär dann doch lieber die Luxusklinik bevorzugt, in die all das Geld gesteckt wird, das dem US-Gesundheitswesen fehlt, die Bettler des reichsten Landes der Welt zu behandeln. Gedankt sei dem Mediengenie eines Michael Moore, der in „Sicko“ ein paar kranke Bettler filmte und sie dann sogar nach Kuba brachte, in den verteufelten Sozialismus, zur Behandlung in einem zwar etwas ärmlichen, aber dafür kostenlosen und trotzdem funktionierenden Gesundheitssystem. Dem Bertelsmann-Medienkonzern wäre so eine Filmidee nie gekommen: Dort in der Konzernstiftung macht man sich eher dafür stark, unser deutsches Gesundheitswesen auf Niveau der USA herunter zu wirtschaften -durch Privatisierungen etwa.
Die deutsche ARD zeigte den oskarnominierten Film „Sicko“ bei Erstaustrahlung weit nach Mitternacht und vorsichtshalber um eine Stunde verschoben, wohl damit programmierte Recorder wenigstens das furiose Finale verpassen. Deutsche Medien unter Führung von Bertelsmann propagieren auch die neoliberalen Einschnitte im Gesundheitswesen: Schuld sei eine angebliche „Kostenexplosion“, dabei liegt der Anteil der Gesundheit seit Jahrzehnten bei konstant ca. 6% des BIP, nur wird das BIP immer unfairer verteilt: Immer weniger für die Menschenrechte („Soziallasten“), immer mehr für die korrupte Geldelite („Leistungsträger“). Beim Gesundheitssektor halten die Medien besonders hartnäckig an Lügen fest, denn dort wird der Zynismus dieser Ausbeutungstaktik besonders deutlich: Es sterben Menschen, weil ihnen Behandlung vorenthalten wird, sprich: ihre Menschenrechte werden der Umverteilung geopfert.
Ausgerechnet beim Thema ‚Sicko‘ sind denn auch die Mainstream-Medien, unter ihnen der britische Guardian, Fehlinformationen aus den Depeschen aufgesessen oder haben zumindest so getan, um ihre Propaganda gegen Michael Moore mit offiziellem Segen zu versehen. Mehrere Blätter berichteten, dass der Dokumentarfilm Sicko des US-amerikanischen Filmemachers Michael Moore in Kuba zensiert würde, obwohl der Film die Vorzüge des staatlichen kubanischen Gesundheitssystems mit den US-Kliniken kontrastiert. Doch Moores polemische Darstellung sei den kubanischen Behörden zu viel gewesen, heißt es in einer ausführlichen US-Depesche aus der Botschaft in Havanna, der Film sei als „subversiv“ eingestuft und zensiert worden. Eine dreiste Lüge: Als der mehrseitige Bericht vom US-Chef in Havanna, Michael Parmly, am 31.01.2008 nach Washington geschickt wurde, war Moores ‚Sicko‘ schon in den Kinos der kubanischen Hauptstadt angelaufen –sogar nahe an Parmlys Büro in den Kinos „La Rampa“ und „Yara“. „Und die gesamte kubanische Nation sah den Film im nationalen Fernsehen am 25. April 2008“, so das Moore-Blog, dem zufolge der Filmemacher sein Werk persönlich an das kubanischen Kinoinstitut geschickt hatte –zusätzlich fügte er seinem Blogeintrag einige Internetübersetzungen von spanischsprachigen Meldungen über die Ausstrahlung seines Films in Kuba an. Dessen ungeachtet zitierten der Guardian und US-Medien munter und ungeprüft aus der verlogenen US-Depesche: Kubanische Ärzte, denen der Film vorab gezeigt worden wäre, seien verärgert aus dem Raum gelaufen. ‚Sicko‘ sei daraufhin in Kuba verboten worden, weil den Behörden dieses Landes klar gewesen sei, dass er Mythen verbreite, heißt es weiter. Der Britische Guardian titelte sogar: „Kuba verbot ‚Sicko‘ wegen Darstellung eines ‚mythischen‘ Gesundheitssystems“. Vor allem die rechtsgerichtete US-Presse habe sich auf die Story gestürzt „und eine Lüge verbreitet“, so Michael Moore (Moore 20.12.2010).
Die Creme de la Creme des kritischen Journalismus sitzt also einer Propagandalüge auf, wie sie platter nicht sein könnte, und ist mit ihren Heerscharen von gut bezahlten Reportern zu blöd, ein paar Kinoprogramme in Havanna zu recherchieren? Whistleblower wie Michael Moore sind im eigenen Land unbeliebt, aber warum beim Guardian? In ‚Sicko‘ kommt das staatliche britische Gesundheitswesen doch ganz gut weg, aber wenn man Kuba verteufeln und neoliberal nach Privatisierungen schreien möchte, passt dies wohl nicht ins Weltbild selbst eines britischen Edelblattes. Warum genügt es nicht, an Kuba mangelnde Pressefreiheit und politische Gefangene zu kritisieren? Vielleicht, weil es damit nicht nur in Havanna schlecht bestellt ist, sondern auch in den USA? Nein, es muss auch die in ‚Sicko‘ dokumentierte Qualität des Gesundheitssystems als „mythisch“ miesgemacht werden, noch dazu mit einer hanebüchenen Geschichte, welche die Beschimpfung kubanischen Ärzten in den Mund legt.
Nachtrag 2011(Publikation von WL-Büchern aus dem Umfeld von SPIEGEL und ZEIT)
Klar, dass diese WikiLeaks-Moore-Sicko-Story in den WikiLeaks-Büchern aus dem Dunstkreis der Mainstream-Medien verschwiegen wird. Sie kratzt an deren Image und sie entlarvt ihren ideologischen Auftrag im Dienste von Neoliberalismus, Marktglauben und Privatisierungswahn. Und Moores komödiantisches Genie, das ihre Heuchelei eins um andere Mal zu entlarven weiß, ist diesen Leuten verhasst wie die Pest, wird als Häme und Nestbeschmutzung diffamiert. Pech für diese Profis: Moore kann sich auf dem Unterhaltungsmarkt gegen ihre Millionenetats ganz gut behaupten, ohne im Niveau-Limbo seine Ansprüche aufzugeben –auch wenn manch blasierter Intellektueller über seinen deftigen Humor die Nase rümpft und die feinen Nuancen vermisst.
Moore, Michael, Querschüsse: Downsize this, München 2003.
Moore, Michael, Moore kritisiert Umgang mit WikiLeaks-Akten /Sicko in Cuba, HeiseOnline 20.12.2010, (13.3.2011).