Tsipras Syriza reizt ARD zur Raserei:
Tagesschau geifert gegen Griechen „Gebaren als linksradikaler Erz-Flegel“
Die Tagesschau geiferte am 15.5.2012 ungewohnt polemisch gegen Griechenlands zweitstärkste Parlamentsfraktion, das Links-Bündnis Syriza, unterstellte Syriza-Chef Tsipras ein „Gebaren als linksradikaler Erz-Flegel“. Die Tagessschau, die Objektivität reklamierende, unterkühlte Dominanz ausstrahlende Säule des Mainstream-Journalismus, deren versteinerte Gesichtszüge sich nur selten hinreißen lassen, mit einem norddeutsch-gefrorenen Lächeln „Das Wetter“ zu präsentieren, war für ihre Verhältnisse außer Rand und Band geraten. Welcher „linksradikalen Erz-Flegelei“ hatte sich der ebenso elegante wie eloquente Grieche schuldig gemacht? Tsipras wollte nicht einsehen, dass griechische Arme, Alte und Kranke noch mehr geknechtet und ausgepresst werden sollen –zum Nutzen und Frommen der Finanzmafia.
Griechische Kinder wollen nicht hungern für Ackermanns Millionen-Boni? Da kann einem ARD-Korrespondenten schon mal der Kragen platzen. Dabei ist die Deutsche Bank nicht einmal allererster Nutznießer der Finanzbrutalitäten, denn das scheint Goldmann Sachs zu werden. Also jene Bank, die z.B. Athens korrupte Regierung beriet, wie man Bilanzen zu frisieren hätte, um den Euro zu bekommen. Loukas Papadimos, der sein Banker-Handwerk bei der US-Fed erlernte, hatte sich als Boss der Zentralbank in Athen dafür den Goldmann Sachs-Banker Christodoulou geholt.
Dann versenkte das korrupte Athen Milliarden harter Euros in dubiosen Aufrüstungsgeschäften, Goldmann Sachs verdiente kräftig mit. Aber davon erfährt der ARD-Zuschauer nichts. Tenor der Tagessschau-Berichte: Selber schuld, ihr korrupten Griechen, hättet ihr eben andere Politiker gewählt! Nun haben die Griechen aber tatsächlich zumindest ein paar andere Politiker gewählt, doch oh Graus, die zeigen nun ein „Gebaren als linksradikale Erz-Flegel“ (statt so korrupt weiter zu wursteln wie bisher). Am nächsten Morgen legte Phoenix empört nach: „Radikale in Europa“ seien das Problem, Tsipras Syriza wurde neben Jobbik-Faschisten aus Ungarn gestellt.
Wie immer, wenn rechte Trommler mit ihrem Propaganda-Latein am Ende sind, ziehen sie ihren letzten Trumpf aus dem Ärmel, die ultimative Keule gegen alle linken Bewegungen: Die politische Kreistheorie, wonach den seriösen Gemäßigten die Radikalen gegenüberstehen, die, ob links oder rechts, alle einander ähnlich seien. Mit der philosophischen Unterfütterung dieser Propagandafigur sicherte sich einst Hannah Arendt ihr akademisches Überleben in den USA zur Zeit der antikommunistischen Hexenjagd der McCarthy-Ära. CSU-Stahlhelmer und NS-Kraftfahrer Franz Josef Strauß formulierte knapper, dass der „Nationalsozialismus auch nur eine Variante des Sozialismus“ gewesen sei und traf damit vermutlich einen tieferen Sinn der Benennung des deutschen Faschismus: Weltkrieg und rassistischen Völkermord wenigstens dem Namen nach einem „Sozialismus“ in die Schuhe zu schieben.
Dass im Rahmen des Griechen-Bashing fürs gehobene TV-Publikum auch Phoenix, der deutsche Doku-Channel Nr.1, in diese Kiste griff, zeigt die Panik der Mainstream-Journaille. Nach dem Ausfall der ARD am 15.5. schob Phoenix am Vormittag des 16.5.2012 einen Schwerpunkt nach: „Radikale in Europa“. Dort stellte man die griechische Syriza unverfroren in eine Reihe mit Ungarns Jobbik-Faschisten, NL-Rassismus a la Wilders, Brit-Neonazis, (die spanischen 15-M-Occupy-Aktivisten bekamen dort ebenfalls ihren Platz an der Seite der Faschisten).
Die einzelnen Reportagen waren durchaus annehmbar, doch die Kunst der subtilen Propaganda lag in der Anordnung. Offenbar soll auch in solche Köpfe Ressentiment gesät werden, die auf billig Hetze bei BILD und plakative Bilder bei Anne Will nicht so leicht anspringen. Die Interessen des großen Finanzkapitals sollen verbissen gegen alle linken Alternativen zur Lösung der Krise verteidigt werden, mit platten Beleidigungen als „Erz-Flegel“ oder Vermengung von Faschisten und Linken. Angebliche „Qualitäts-Journalisten“ entblöden sich nicht, statt nach Ursachen der Krise zu fragen, denen nach dem Munde zu reden, die weiter machen wollen wie bisher, unter Führung der gleichen Leute, mit den gleichen Methoden plus etwas verlogenem Transparenz-Gefasel. Le Monde Diplomatique beschrieb das Gebaren der Parteien, die von der ARD nicht als „Erz-Flegel“ tituliert wurden so:
„Vergebens verdammten sie im Wahlkampf das alte System, als wäre es nicht der Speck gewesen, in dem sie wie die Maden gediehen waren. Im Ton höchster Empörung rechneten Pasok und ND einander die Anzahl der Staatsbediensteten vor, die sie als Regierungspartei eingestellt haben. Die Wähler rieben sich die Augen: Die alten Klientelparteien prügeln sich um die Siegerpalme im Kampf gegen den Klientelismus.“
Aber Phoenix prügelt mit den Mitteln des seriösen Qualitätsjournalismus auf Syiza ein –warum auch nicht? Die Tagesschau tut es doch auch: Problem der Radikalen sei ihre Neigung zu „Verschwörungstheorien“, so lautet das Fazit von Phoenix. Worin diese „Theorien“ bestehen? Das hat das gehobene TV-Publikum des Qualitäts-Kanals nicht zu interessieren. Wer braucht schon Tansparenz, wenn wir doch „Transparency International“ haben, die Korruptionsforscher von Big Business Gnaden? Wenn Qualitätssender Arte auf Griechenland wie auch auf echte Transparenz durch die Arbeit von Julian Assange und Wikileaks eindrischt, dann haut Phoenix hier in dieselbe Kerbe: Bloß nichts über Hintermänner aus den Macht- und Geldeliten berichten.
Griechenland ist Opfer der Finanzkrise: Wen interessiert in diesem Zusammenhang schon, dass US-Finanzminister Hank Paulson unter George W. Bush, ebenso wie sein Vorgänger unter Bill Clinton, Robert Rubin, aus dem Team von Goldman Sachs kamen? Barack Obamas Finanzminister Timothy Geithner konnte sich ebenso der Unterstützung von Goldman sicher sein, während in der EZB der Italiener Mario Dragi, der Chef der Italienischen Notenbank, das Banner von Goldman Sachs hochhielt, und auch der Weltbank-Präsident, Robert Zoellick, war einst Direktor bei Goldman Sachs, einer staatstragenden US-Bank, die auch zu den wichtigsten Spendern von Obama zählte.
Nun haben US-Ratingagenturen Griechenland tiefer in die Schuldenkrise hinein getrieben, die ebenfalls mit US-Banken und Hedgefonds verstrickt sind. Aber was zählen diese Zusammenhänge schon gegen die Erz-Flegeleien eines Linksradikalen im Athener Parlament: Alles nur Verschwörungstheorie. Man muss schon tief in die Bloggossphäre eintauchen um vernünftige Kommentare wie diesen auf Le Bohemien zu finden:
„In Frankreich und Griechenland haben die Wähler nicht nur jene Regierungen abgestraft, die bisher den Vorgaben der Troika zum Sparen und Kürzen auf nationaler Ebene gefolgt sind, sondern indirekt auch ein deutliches Votum für eine andere europäische Wirtschaftspolitik gegeben. Das ist weder überraschend, noch hat sich dies erst seit der Finanz- und Wirtschaftskrise abgezeichnet. Dass die Bürger Europas mehrheitlich gegen eine neoliberale Interpretation des europäischen Gedankens sind, wurde bereits mit den Volksentscheiden gegen den EU-Verfassungsvertrag von 2005 deutlich.“
Gerd R. Rueger ist Autor des Buches