Offener Brief an Presidente Rafael Correa

US-Prominente erbitten für Julian Assange Asyl in Ecuador

(Übersetzung Gerd R. Rueger)

25. Juni 2012,  Just Foreign Policy

Sehr geehrter Herr Präsident Correa,

Wir schreiben Ihnen mit der dringenden Bitte, Julian Assange politisches Asyl zu gewähren.

Wie Sie wissen, lehnten britische Gerichte vor kurzem den von Herrn Assange erhobenen Einspruch gegen seine Auslieferung nach Schweden ab. Der schwedische Auslieferungsantrag basiert  nicht auf einer strafrechtlichen Anklage, sondern lediglich auf einer Vorladung zur Vernehmung. Mr. Assange hat wiederholt klargestellt, dass er bereit sei, Fragen in Bezug auf die Vorwürfe gegen ihn zu beantworten, allerdings nur in Großbritannien. Die schwedischen Behörden beharren jedoch darauf, dass er zum Verhör nach Schweden gebracht werden soll. Dies allein ist, wie der schwedische Rechtsexperte und ehemalige Bezirksgeneralstaatsanwalt für Stockholm Sven-Erik Alhem bezeugt, sowohl „unvernünftig und unprofessionell, wie auch ungerecht und unverhältnismäßig.“

Wir glauben, dass Mr. Assange gute Gründe hat, im Fall einer Auslieferung an Schweden zu befürchten, mit hoher Wahrscheinlichkeit erst inhaftiert und dann wahrscheinlich an die USA ausgeliefert zu werden.

Wie der U.S.-Rechtsexperte und Kommentator Glenn Greenwald vor kurzem bemerkte, würde Assange in Schweden der Prozess gemacht werden, würde er eher unter „harten Bedingungen in Isolationshaft“ arrestiert als auf Kaution freigelassen zu werden. Anhörungen finden in einem solchen Fall von Untersuchungshaft in Schweden im Geheimen statt; Medien und breite Öffentlichkeit könnten, wie Greenwald anmerkt, dem Verfahren gegen Mr. Assange nicht folgen und die gegen ihn vorgelegten Informationen keiner öffentlichen Kontrolle unterziehen.

Die Washington Post berichtete, dass US-Justizministerium und Pentagon eine strafrechtliche Untersuchung führen, „ob WikiLeaks-Gründer Julian Assange wegen der Massen-Publikation von US-Regierungsdokumenten einer Strafverfolgung nach dem Espionage Act unterliegt.“

Basierend auf Wikileaks-Dokumenten befürchten viele, die US-Regierung könnte bereits eine Anklage vorbereitet haben, um nun auf die Gelegenheit zu warten, die Auslieferung von Assange aus Schweden zu beantragen.

Das US-Justizministerium hat andere Mitglieder von Wikileaks gezwungen, vor einer Grand Jury auszusagen, um zu ermitteln welche Vorwürfe gegen Mr. Assange erhoben werden können. Die US-Regierung hat ihre offene Feindseligkeit gegenüber Wikileaks damit klargestellt, dass hochrangige Beamte Mr. Assange als „High-Tech-Terroristen“ bezeichneten, und damit, dass sie sich aufgrund der Beziehung der isländischen Abgeordneten Birgitta Jónsdóttir zu Wikileaks Zugang zu ihrem Twitter-Account verschafften.

Würde Assange unter dem Espionage Act angeklagt und für schuldig befunden werden, würde ihm die Todesstrafe drohen.

Der Fall von Pfc. Bradley Manning, jenem U.S. Soldaten, der wegen der Bereitstellung von U.S. Regierungsdokumente für Wikileaks angeklagt ist, illustrierte im Vorfeld, welche Behandlung Assange in Haft erwarten könnte. Manning wurde wiederholt verlängerter Einzelhaft unter Belästigung durch die Wärter ausgesetzt, ebenso demütigender Behandlung, z. B. wurde er gezwungen, sich zu entkleiden und dabei dauernder Überwachung unterworfen. Dies alles sind zusätzliche Gründe für Ihre Regierung, Mr. Assange politisches Asyl zu gewähren.

Darüber hinaus fordern wir Sie auf, Mr. Assange politisches Asyl zu gewähren, weil das von ihm begangene „Verbrechen“ nur ist, als Journalist gearbeitet zu haben. Er brachte ans Licht, dass die US-Regierung schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat; dies vor allem durch die Publikation von Videomaterial aus einem Apache-Hubschrauber, das einen Vorfall von 2007 dokumentiert, bei dem das US-Militär, wie es scheint absichtlich, Zivilisten getötet hat, darunter zwei Reuters-Mitarbeiter. Wikileaks Publikation von Tausenden von US-Depeschen enthüllte wichtige Fälle von US-Offiziellen, deren Handlungen Demokratie und Menschenrechte auf der ganzen Welt untergruben.

Da dies ist ein klarer Fall von einem Angriff auf die Pressefreiheit sowie auf das Recht der Öffentlichkeit, relevante Wahrheiten über US-Außenpolitik zu erfahren ist, bitten wir Sie, Herrn Assange politisches Asyl zu gewähren, auch im Hinblick auf seine ernste Bedrohung an Leib und Leben.

Vielen Dank für Ihre Beachtung unserer Anfrage.

Michael Moore, Film Director
Danny Glover, Film Director
Oliver Stone, Film Director
Bill Maher, Comedian, Television Host, Political Commentator, Author
Naomi Wolf, Author
Daniel Ellsberg, Vietnam War Whistleblower
Glenn Greenwald, Constitutional lawyer and columnist, Salon.com
Noam Chomsky
Patch Adams, MD
Chris Hedges, Journalist
Tariq Ali, Historian and Filmmaker (UK)
Jemima Khan, Writer and Campaigner (UK)
Coleen Rowley, retired FBI agent & former Minneapolis Division Legal Counsel, one of three “whistleblowers” named Time Magazine’s “Persons of the Year” in 2002
Ann Wright, US Army Colonel (Retired) and former US diplomat
Ray McGovern, Former U.S. Army officer and longtime senior CIA analyst (ret.)
Thomas Drake, NSA Whistleblower, Bill of Rights Activist
Sibel Edmonds, Founder & Director- National Security Whistleblowers Coalitio
Linda Lewis, Board Member, Whistleblower Support Fund
Kent Spriggs, Guantanamo habeas counsel
Jesselyn Radack, National Security & Human Rights Director, Government Accountability Project
Jacob Appelbaum, Developer, The Tor Project
Mark Weisbrot, Co-Director, Center for Economic and Policy Research
Medea Benjamin, Cofounder, Global Exchange
Kathy Kelly, Co-coordinator, Voices for Creative Nonviolence
Kevin Martin, Executive Director, Peace Action
Mark Johnson, Executive Director, Fellowship of Reconciliation
Annie Bird, co director, Rights Action
Denis J. Halliday, UN Assistant Secretary-General 1994-98. National of Ireland
Leslie Cagan, co-founder, United for Peace and Justice
Bill Fletcher, Jr., Co-author, „Solidarity Divided: The Crisis in Organized Labor and A New Path Toward Social Justice“
Kevin Gosztola, writer for Firedoglake, co-author, Truth & Consequences: The US vs. Bradley Manning
Russ Wellen, Foreign Policy in Focus
James Early, Board Member, Institute for Policy Studies
Jim Naureckas, Fairness & Accuracy in Reporting
Sam Husseini, Director, Washington Office of the Institute for Public Accuracy
Robert Naiman, Policy Director, Just Foreign Policy
Jane Hirschmann, Jews Say No! New York, organizer, U.S. Boat to Gaza
Richard Levy, lawyer, passenger, U.S. Boat to Gaza
Kit Kittredge, Passenger, US Boat to Gaza
Erin Deramus, passenger, U.S. Boat to Gaza
Nic Abramson, passenger, U.S. Boat to Gaza
Helaine Meisler, Orton-Gillingham Learning Specialist, Helaine Meisler Learning Center, Woodstock, New York
Laurie Arbeiter, Artist/Activist, WE WILL NOT BE SILENT
Johnny Barber, Photographer/Activist
Gail Miller, Social Worker/Activist, Women of a Certain Age
Carol Murry, Doctor of Public Health, Hawaii
Libor Von Schönau, OccupyWallStreet Legal, New York
Charlotte Wiktorsson, Doctor, Sweden
David K. Schermerhorn, Deer Harbor, WA, passenger, U.S. Boat to Gaza
Hedy Epstein, St. Louis, passenger, U.S. Boat to Gaza
Paki Wieland, MA, passenger, U.S. Boat to Gaza
Felice Gelman, Wespac, New York
Linda Durham, Founder, The Wonder Institute
Winston Weeks, Policy Analyst, Citizens Education Project, Salt Lake City, UT
Ellen Barfield, Veterans For Peace
Gar W. Lipow, journalist, member of Olympia Movement for Justice and Peace, author of Solving the Climate Crisis through Social Change
Stephen Sander, Lawyer, Sydney, Australia

Mayo C. Toruño, Professor and Chair, Economics Department, California State University, San Bernardino
Julio Huato, Associate Professor of Economics, St. Francis College
Michael Brun, Visiting Assistant Professor, Department of Economics, Illinois State University
James G. Devine, Professor of Economics, Loyola Marymount University

Michael A Lebowitz, Professor Emeritus, Economics (Canada)
Marta Harnecker, writer (Chile)
Dana Frank, Professor, Department of History, University of California, Santa Cruz
Adrienne Pine, Assistant Professor of Anthropology, American University
Miguel Tinker Salas, Professor, Latin American History, Pomona College
Steve Ellner, Professor of Political Science, Johns Hopkins University/Universidad de Oriente, Venezuela
Marc Becker, Professor of Latin American History, Truman State University
Dr Francisco Dominguez, Head of Centre for Brazilian and Latin American Studies, Middlesex University, London, UK
Peter Hallward, Professor of Philosophy, Kingston University London
Doug Hertzler, Associate Professor of Anthropology, Eastern Mennonite University
Arturo Escobar, Dept. of Anthropology, University of North Carolina, Chapel Hill
Carolyn Eisenberg, Professor of US Foreign Policy, Hofstra University
Vijay Prashad, Professor of International Studies, Trinity College, USA
T.M. Scruggs, Professor Emeritus, University of Iowa
Ellen Schrecker, Professor of History, Yeshiva University
Antonia Darder, Leavey Endowed Chair of Ethics and Moral Leadership, Loyola Marymount University, Los Angeles
Demetra Evangelou, Professor, Purdue University
Gilbert G. Gonzalez, Professor Emeritus, University of California, Irvine
Renate Bridenthal, Professor (retired), City University of New York
A. Belden Fields, Professor Emeritus, Political Science, University of Illinois
C. G. Estabrook, Visiting Professor (retired), University of Illinois

(Übersetzung von Gerd R. Rueger, 27.Juni 2012)

Julian Assange: Politisches Asyl in Ecuador?

Gerd R. Rueger   23. Juni 2012

Ecuadorflag

ECUADOR

Am Dienstag dieser Woche suchte WikiLeaks-Gründer Julian Assange in der Botschaft Ecuadors in London Zuflucht und stellte einen Antrag auf politisches Asyl. Ecuador ist eine taktisch kluge Wahl, da das Land mit seiner sozialistisch geführten Regierung von den USA unter Druck gesetzt wird und sich dem lateinamerikanischen Staatenverbund ALBA (Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América) angeschlossen hat, das 2004 von Kuba und Venezuela begründet wurde. Den sozialistischen Kernländern folgten Bolivien, Dominica, Nicaragua, Honduras, Ecuador, Antigua & Barbuda, St. Vincent und die Grenadinen. Die 2004 als Gegenprojekt zur us-dominierten Freihandelszone (ALCA) gestartete Initiative zielt auf ein eigenes wirtschaftliches Bündnis „jenseits des Neoliberalismus“. Westliche, us-freundliche bzw. -hörige Regierungen und Medien neigen zu einer übermäßig kritischen Sicht auf diese Initiative.

Ecuador hat zudem die unter rechtsgerichteten Regierungen geschlossenen Verträge für eine US-Militärbasis gekündigt, die US-Truppen des Landes verwiesen und verhandelt über eine ökologische Lösung für den Verzicht auf Ausbeutung seiner Erdölreserven –alles Faktoren, die Quito in Washington nicht beliebter gemacht haben. Amnesty International hat ein sehr argwöhnisches Auge auf das sozialistische Ecuador, wobei nicht immer klar ist, ob Menschenrechtsverletzungen nicht eher auf Verbrechen von Anhängern der abgesetzten rechtsgerichteten Regierung zurück gehen. Deutsche Mainstreammedien wie die Frankfurter Rundschau (FR) kennen keine Gnade mit den neuen Linksregierungen in Lateinamerika, die sich gegen eine stramm rechtsgerichtete Presse im eigenen Landnur schwer etablieren können. Die dortige Presse ist von Diktaturen und us-gesteuerten Marionetten-Präsidenten aufgebaut worden und betreibt deren Rückkehr, was zuweilen übertriebene Gegenreaktionen provoziert, die mit der Pressefreiheit kollidieren. Dies ohne Blick auf den historischen Hintergrund zu kritisieren, ist jedoch eine vereinfachte, bequeme Sichtweise -und auch vollmundige Forderungen der FR, Assange möge sich doch stellen, machen es sich zu leicht. Vom warmen Redaktionssessel aus, ohne den herrschenden Machteliten im eigenen Land je ernsthaft in die Quere zu kommen, hat man leicht reden. Andere Medien, die wie etwa Telepolis von Assange enttäuscht heute über den „einstigen WikiLeaks-Helden“, dem nichts mehr gelingen wolle,  ironisieren, sei ein gelegentlicher Blick in Leak-Erfolge allein in Deutschland empfohlen. Allein um Aufdeckung der FDP-Strategie gegen die Piratenpartei hat WikiLeaks sich um unser Land schon genug verdient gemacht.

Assange: Asyl dank Kreml-TV?

Nun hat Ecuador seine Botschafterin Ana Alban aus London zurückgerufen und zu Konsultationen in Quito einbestellt. Der ecuadorianische Präsident Rafael Correa dürfte dem Antrag auf politisches Asyl wohlgesonnen gegenüber stehen, da er kürzlich als Interviewgast in der TV-Talkshow von Assange im russischen Auslandssender Russia Today (RT) freundlich aufgenommen wurde -Putins Russland, als geostrategischer Kontrahent der USA, hat in Assange dem US-Kritiker Nr.1 nicht ohne Grund medialen Raum gewährt. Am Ende des per Videoschaltung geführten Interviews für RT verabschiedete Correa sich mit den Worten „Willkommen im Club der Verfolgten“. Assange: „Passen Sie auf sich auf und lassen Sie sich nicht umbringen.“

Dem australischen Sender ABC sagte Assange am Freitag, in den USA seien bereits Strafverfahren im Gange, die zu einer Auslieferung führen könnten –nur aus taktischen Gründen hätten die US-Behörden demnach bislang keine Auslieferungsanträge gestellt. Um auf dieses Komplott aufmerksam zu machen, habe er sich in Ecuadors Botschaft geflüchtet. Von Australien fühle er sich im Stich gelassen, habe keine konsularische Hilfe erhalten.

Correa wird wie andere Sozialisten in Lateinamerika durch westliche Medien stereotyp als „Linkspopulist“ verunglimpft. Alle Hilfen für die unter rechtsextremen kapitalistischen Regierungen bzw. Diktatoren verelendeten Völker Lateinamerikas werden damit als „populistisch“ hingestellt. Correa konnte im Cablegate-Leak aus geheimen US-Depeschen Intrigen der US-Botschaft in Quito aufdecken:

Ecuador hatte die US-Botschafterin ausgewiesen, da US-Diplomaten Polizei und Justiz des Landes als korrupt denunziert hatten. Im Assange-Interview begründet Correa die Ausweisung mit der extrem rechtslastigen Einstellung und Politik der noch von George W. Bush eingesetzten Botschafterin. Die Korruptionsvorwürfe gegen die von Correa eingesetzten Beamten erscheinen als lachhaft insbesondere vor dem Hintergrund der extrem korruptiven Verstrickungen der Bush-Administration mit der Finanzmafia (vgl. den Enron-Skandal) und Rüstungs- und Ölindustrie (vgl. Halliburton). Als Strafmaßnahme gegen die Ausweisung ihrer Botschafterin schickten auch die USA den ecuadorianischen Botschafter nach Hause, aber inzwischen sind beide Posten wieder besetzt.

Schmutzige Sex-Kampagne

Assange droht eine Auslieferung an Schweden, wo die Staatsanwaltschaft ihn im Zusammenhang mit sogenannten Vergewaltigungsvorwürfen in einem „minderschweren Fall“ befragen will. Als „minderschwerer Fall“ gelten im extremen Sexualstrafrecht Schwedens sexuelle Handlungen, die ein deutscher Richter kaum als Straftat in Betracht ziehen würde.

In den Medien wurde das zweifelhafte Anklageverfahren aber immer wieder tatsachenwidrig als „Vergewaltigungs“-Anklage kolportiert, bis Assange rechtlich gegen diese Verleumdungen in der britischen Presse vorging. Auch deutsche Medien verzerren die Wahrheit, um Assange mit Dreck zu bewerfen. Der Bertelsmann-Sender Ntv verlautbarte z.B. jüngst:

„Schwedens Justiz wirft Assange vor, eine 31 Jahre alte Frau, die ihn beherbergte, im Schlaf überrascht und ohne Kondom mit ihr geschlafen zu haben.“ Ntv (Bertelsmann)

Das ist zwar nur halb gelogen, denn zweifellos „beherbergte“ die Frau Assange; zur Lüge durch Weglassung wird die Darstellung aber, weil verschwiegen wird, dass diese Frau Assange nicht nur in ihre Wohnung ließ, sondern in ihr Bett und dort einvernehmlichen Sex mit ihm hatte; soweit bekannt, kam es erst danach im Laufe der gemeinsam zusammen schlafend verbrachten Nacht zu den weiteren, Assange vorgeworfenen Handlungen ohne Condom. Der Bertelsmann-Sender stellt es aber so dar, dass seine arglosen Leser glauben müssen -oder zumindest glauben können- Assange wäre in einem Gästezimmer beherbergt worden. Demnach hätte er sich nachts heimtückisch zu seiner Gastgeberin geschlichen, um sie zu vergewaltigen. Ein derartiger Straftatbestand steht jedoch nicht zur Debatte und wäre nach schwedischem Recht sicherlich kein „minderschwerer“ Fall. Offiziell angeklagt ist Assange in Schweden bislang nicht, fürchtet aber von Schweden an die USA ausgeliefert zu werden, wo ihm mit langjähriger Haft wegen Geheimnisverrats und sogar mit der Todesstrafe gedroht wurde.

Fluchtwege nach Ecuador

Problematisch bleibt jedoch, wie Assange nach Ecuador entkommen kann. Die britische Polizei will ihn festnehmen, sobald er die Botschaft verlässt. Selbst wenn ihm die ecuadorianische Regierung Diplomatenstatus einräumen sollte, müsste London dies erst anerkennen.

Ecuadors Botschafterin Ana Alban gab immerhin am Freitag bekannt, Assange könne in der Vertretung bleiben, solange dies erforderlich sei. Die Bearbeitung seines Asylantrages wird einige Zeit in Anspruch nehmen: Nach der 1954 von Ecuador unterzeichneten Konvention von Caracas steht Asyl lediglich politisch Verfolgten zu. Durch die mutmaßliche schwedisch-amerikanische Sex-Intrige werden die politischen Motive der Verfolgung jedoch hinter einer schmutzigen Kampagne gegen Assange versteckt, die ihm die Asylsuche erschwert. Der ecuadorianische Ex-Außenminister Francisco Carrión sprach sich daher dafür aus, dem Australier Asyl zu gewähren, auch weil ihm im Falle einer Auslieferung in die USA dort die Todesstrafe wegen Spionage drohe. Die prominenten Assange-Unterstützer müssten sich in diesem Fall wohl von ihren 280.000 Euro Kaution verabschieden.

SPIEGEL schändet Nationalheiligtum der Griechen

„Akropolis adieu!“ Bertelsmann droht Athen mit Militärputsch

Gerd R. Rueger 20.Juni 2012

SPIEGEL oder „BILD am Montag“?

Die Wahlen vom 17.Juni in Athen retteten noch einmal knapp die alten, korrupten Mächte  -obwohl Jugend und Arbeiterschaft sich trotz Medien-Kampagnen der Syriza zuwandten und das Land wohl endgültig von einer Zweiparteien-Demokratur zu einer Vielparteien-Demokratie übergehen wird. Deutsche Medien trugen ihren Teil zum Erfolg der Plutokratie bei -über die griechische Diaspora, die touristisch bedingte Einwirkung in Griechenland selbst und die wachsende deutsche Dominanz in Europa.

Die deutsche Medienkampagne gegen Griechenland und vor allem die Syriza-Linke zog sich neben BILD nicht nur durch Funk und Fernsehen, sondern auch durch den SPIEGEL („BILD am Montag“), das Flaggschiff der Printflotte des Mediengiganten Bertelsmann (Stern, Random House, RTL, Arvato u.a.), was links gern übersehen wurde. Obwohl immer noch vom Ruf des linksliberalen Qualitäts-Journalismus zehrend, ist der SPIEGEL seit den 90ern zum Zentralorgan eines „rheinischen Neoliberalismus“ verkommen. Dies geschah analog zum Machtzuwachs der milliardenschweren Bertelsmann-Stiftung, Haupteignerin des Konzerns und als neoliberaler think tank Leitwolf im Berliner Lobbyisten-Rudel.

Zum korruptiven Berliner Dauerkonzert steuert Bertelsmann –neben den heimlich verbreiteten Librettos seiner Stiftung– gern mediale Paukenschläge bei. Das unterstreicht die Dominanz bei der Bestimmung der Marschrichtung und meist tönt Bertelsmann noch etwas teutonischer als andere Medien: Globalisierung in der Tonart der Deutschland AG. Deutsche Bank, Allianz, Altana, BMW, Mercedes, Siemens usw. danken es aus ihren Milliarden-Werbeetats mit fetten Anzeigen im Magazin. Die angeblichen „Edelfedern“ des weltberühmten Magazins waren sich da für etwas Mittun am Griechen-Bashing nicht zu schade.

BILD hetzte am radikalsten gegen Athen, dichtete den in über 200 Artikeln notorisch als „Pleite-Griechen“ verhetzten Hellenen stereotyp Genusssucht, Faulheit und Luxus-Frührenten an. Dies prügelten Schlagzeilen in die deutschen Köpfe, obwohl Statistiker belegten, dass Griechen im Schnitt nicht jünger in den Ruhestand gehen als Deutsche, aber viel weniger Rente erhalten.  Dennoch erhielt BILD 2012 überraschend den Henry-Nannen-Preis (benannt nach dem berühmtesten Bertelsmann-Journalisten), dem Bertelsmann-Medien gern das Prädikat „renommiert“ zuschreiben. Manche schockierte das, denn im Bertelsmann-Dunstkreis beweihräuchert sich sonst die Edel-Journaille um Nannen-Blatt STERN und SPIEGEL am liebsten gegenseitig. Aber man honorierte 2012 die BILD-Hetzjagd auf Schnäppchen-Präsi Wulff: Endlich mal ein CDU-Promi im Visier von BILD! Auch was Athen angeht, stehen BILD und SPIEGEL, den manche „BILD am Montag“ nennen, heute Seit an Seit. Mit einer Serie von Griechen-Bashing-Artikeln prügelte der SPIEGEL auf das Land ein, insbesondere auf das Linksbündnis Syriza, dessen Wahlerfolge die Finanzinteressen der Deutschland AG in Gefahr brachten.

SPIEGEL-Hetztitel: „Akropolis adieu!“

In einem alarmistischen Krisentitel „Akropolis adieu! Warum Griechenland jetzt den Euro verlassen muss“ (Nr.20, 14.05.2012) verband der SPIEGEL die drohende Euro-Apokalypse mit einer digitalen Schändung des Nationalheiligtums der Hellenen (Auflage: 297.432 Stück). Das Titelblatt erregte großes Aufsehen bis nach Athen und wurde dort als Affront, als Erpressung mit einem Rauswurf aus Europa verstanden. So war es wohl auch gemeint und in den Formulierungen mehr als angedeutet. Das nächste Heft (Nr.21, 21.5.2012, S.146) warf  in der Rubrik „Rückspiegel“ einen befriedigten Blick auf Reaktionen der griechischen Presse, die Tageszeitung Ta Nea habe dazu geschrieben: „Nach den chaotischen Wahlergebnissen will uns jetzt auch der SPIEGEL, das große deutsche Nachrichtenmagazin, aus dem Euro werfen.“

Das griechische Blatt To Ethnos schreibe zum selben Thema: „Der SPIEGEL zerlegt die Akropolis, das ist anmaßend“ und das Netzmagazin Tsantiri: „Der Terrorismus der Geldgeber geht weiter, der SPIEGEL verabschiedet Griechenland aus der Euro-Zone. Dafür zertrümmert er die Akropolis…“.

Im SPIEGEL Nr.21/2012 dreschen noch zwei weitere Artikel auf Athen ein, speziell auf den Linken-Chef Tsipras: „Griechenland: Kranke Verhältnisse“ und „Zweifelhafte Nothilfe“ (für Athens „Zombiebanken“); im SPIEGEL Nr.22 wird dann Tsipras selbst einem Interview bzw. Verhör unterzogen, SPIEGEL Nr.23 lässt den konservativen „Vom Unglück ein Grieche zu sein“-Bestsellerautor Dimou über die kranke Seele der Hellenen schwadronieren, und wie er sich vom Akropolis-Schändungs-Titel des SPIEGEL aus Europa rausgeworfen fühlte. Ein SPIEGEL sagt mehr als tausend BILD-Hetzparolen. Auch das letzte Heft vor der Athener Wahl am 17.6.2012, SPIEGEL Nr.24, trat im Stil von BILD noch einmal kräftig nach –wenn auch nur mit den rosa Pumps der Feuilletonistin: Unter der Überschrift „Das Blut der Erde“ erfahren SPIEGEL-Leser, Deutsche „verachten griechischen Wein. Sein Ruf ist wie der des Landes.“ (S.48) Doch was stand im „Akropolis-Adieu“-SPIEGEL? Kann man wirklich sagen, das renommierteste deutsche Printmedium hat einen Hetzartikel gegen Griechenland gebracht?

SPIEGEL droht Tsipras mit Militärputsch

Im „Akropolis adieu!“-Leitartikel, der sich in SPIEGEL Nr.20/2012 von S.22-31 endlos langweilig hinzog, wurde das ganze neoliberale Hetzprogramm der Medienkampagne gegen Athen noch einmal durchgekaut. Diesmal im leicht gehobenen Stil –verglichen mit BILD; die Latte liegt niedrig für heutigen „Qualitäts-Journalismus“. Der Artikel begann mit der Hass- und Angstfigur der westlichen Finanzindustrie, Alexis Tsipras, und seiner unabhängigen Linken, die sich zwischen den Kommunisten und den korrupten Sozialdemokraten der Pasok als zweitstärkste Kraft etablieren konnten: „Es gibt vieles, was Alexis Tsipras an Deutschland gefällt,“ weiß der SPIEGEL, sein BMW-Motorad, preußische Perfektion und „der deutsche Oberlinke Oskar Lafontaine“. Nur die deutschen Vorgaben zu einer „brutalen Sparpolitik“ (vom SPIEGEL in Anführungszeichen gesetzt) liebt Tsipras nicht, ausgerechnet das also, was den Neoliberalen so wichtig ist.

„Tsipras ist der neue Star in Athen“, ärgert sich der SPIEGEL, „mit seiner wilden Sammlungsbewegung aus Trotzkisten, Anarchos und Linkssozialisten“. Die Pasok, die im Parteienspektrum etwa der neoliberalen Schröder-SPD entspricht, mag der Artikel aber auch nicht so recht –weil sie offenbar unfähig oder unwillig ist, eine neoliberale Sparpolitik nach Berliner Gusto brutal genug durchzusetzen. „Angela Merkel wird in griechischen Magazinen gern in Nazi-Uniformen dargestellt,“ wundert sich der SPIEGEL und kontert kalt: „Im Berliner Kanzleramt fühlen sich Merkels Berater inzwischen an Weimarer Verhältnisse erinnert.“ Sicher ist das Blatt gut informiert, denn die Bertelsmann-Stiftung ist Politik-Berater Nr.1 in Berlin.  In Athen herrschen also Chaos und Anarchie:

„Und wie in den 20er Jahren in Deutschland profitieren davon rechte und linke Randparteien. Das politische System des Landes löst sich auf, und manche Beobachter befürchten sogar, dass die zugespitzte Lage am Ende in einen Militärputsch münden könnte.“ (SPIEGEL Nr.20/2012, S.24)

Der SPIEGEL zitiert die ominösen Beobachter nur, er sagt nicht, ob er den Militärputsch ebenfalls „befürchtet“ oder vielleicht doch eher mit hämischer Schadenfreude herbeisehnt –oder am Ende selber damit droht? Jedenfalls lässt er kein gutes Haar an Griechenland, zitiert „die Experten des IWF“ mit ihrem „vernichtenden Urteil“ von „strukturellen Verkrustungen“ und einer „zu großen Rolle des öffentlichen Sektors“. Athen soll raus aus dem Euro, „wieder konkurrenzfähig“ werden, aber der „Populist Tsipras“ versuche „Europa“ zu erpressen, tobt der SPIEGEL, spuckt Gift und Galle gegen Griechenland, das „komplett heruntergewirtschaftet“ und dessen Pleite zu fürchten sei wie die „Schwarze Pest“.

SPIEGEL: Sozialabbau, Deregulieren & Privatisieren!

Und worin sehen die Schreiber von Bertelsmann-Blatt SPIEGEL die neoliberale Endlösung des Griechen-Problems? Die Edelfedern eines Konzerns, dessen Stiftung als neoliberaler think tank unentwegt für Sozialabbau, Deregulierung und Privatisierung trommelt, eines Konzerns, der unter dem Label Bertelsmann-Arvato Dienstleistungen für selbige Privatisierung feilhält, propagieren drei Lösungsansätze: Sozialabbau, Deregulierung und Privatisierung. Empört stellen die Bertelsmann-Edelfedern fest: „Auf nahezu keiner Reformbaustelle kann die Regierung Erfolge vorweisen. Die Privatisierung von Staatsunternehmen, die mithelfen sollte, die leere Staatskasse zu sanieren, hat noch gar nicht richtig begonnen.“

Athen habe total versagt, seiner „verriegelten Wirtschaft“ mehr „Wettbewerb“  zu verordnen, so lägen „weiterhin große Teile der Staatsverwaltung in Agonie“. Eigentlich wäre Athen ein toller Kunde für „Arvato Government  Services“ von Bertelsmann, wenn endlich mehr privatisiert würde –das sagt der SPIEGEL freilich nicht und wettert vielmehr weiter: Nur wenige „bescheidene Fortschritte“ könnten die Griechen vorweisen: Mehrwertsteuer von 19 auf 23 % erhöht, Beamtengehälter um 30% und Pensionen um 15% gekürzt, „das ist beachtlich“. Aber leider gehöre es „zu den Merkwürdigkeiten des griechischen Staates, dass es zwar 32 Gesetze zur Deregulierung gibt, aber keine Deregulierung“, denn der „Reformwille der meisten Politiker sei sehr begrenzt“.

In Sachen Sozialabbau ist der SPIEGEL ebenfalls noch unzufrieden: Arbeitslosengeld und Mindestlohn wurden zwar gekürzt, aber trotzdem lägen laut IWF, „die griechischen Verdienste teilweise deutlich über den Löhnen“ in „benachbarten Balkanstaaten wie Bulgarien und Rumänien“. So drohen den Griechen „Rezession“, „zu wenig Investoren“, „Abwärtsspirale“, „Teufelskreis“ (S.26f.). Vorbildlich sei Schäubles Berliner „Taskforce Griechenland“, die sich „eine besonders trickreiche Lösung ausgedacht“ habe: Hilfspakete für Athen sollen nur noch in Schuldendienste z.B. an deutsche Banken fließen, aber nicht in Beamtengehälter oder Renten (S.29) –Sozialabbau für Banker-Boni. Nur die „Rückkehr zur Drachme“ könne Athen erfolgreich aus der Misere bringen, wie „Argentinien nach Ende des Dollar-Regimes 2001“ (SPIEGEL Nr.20/2012, S.30).

Vorbild Argentinien 2001

Argentinien gilt als Musterbeispiel für das Scheitern einer neoliberalen Politik von Sozialabbau, Deregulierung und Privatisierung, in dem ein wohlhabendes Volk von ausländischen Großkonzernen und Finanzmafioso ausgeplündert und im Elend zurück gelassen wurde. Das argentinische „Chicago School“-Experiment endete damit, dass in der Nacht des Staatsbankrotts unbekannte Lkw vor der Zentralbank vorfuhren. Die Gold- und Devisenreserven Argentiniens wurden eingeladen und mit unbekanntem Ziel ins Ausland verfrachteten. Niemand rief die Polizei. Der Raub entsprach den im Land herrschenden Gesetzen, die völlig im Einklang mit den „Gesetzen des Marktes“ waren, wie sie die neoliberalen Chicago Boys in Buenos Aires umgesetzt hatten.

Der SPIEGEL verschweigt, dass der Argentinier bis heute mit weniger als der Hälfte des Einkommens von vor dem Crash 2001 auskommen muss. Der SPIEGEL verschweigt, dass die glimpflichen Verwüstungen durch den Crash 2008/2009 dem zähen Widerstand der Argentinier gegen die vom IWF auch in Buenos Aires geforderten Deregulierungen des Finanzwesens zu verdanken sind. Dieselben Deregulierungen wurden hierzulande auch vom SPIEGEL unentwegt gepredigt und unter medialem Druck von rotgrünen, rotschwarzen und schwarzgelben Regierungen umgesetzt. Der SPIEGEL dreht weiterhin die ideologische Gebetsmühle des Neoliberalismus, wonach Deregulierung, Privatisierung und Wettbewerb als Allheilmittel angepriesen werden.

AK Vorrat leakt Bundestags-Innenausschuss

Sind Grünen doch insgeheim für Vorratsdatenspeicherung?

Gerd R. Rueger 11.Juni 2012

Entlarvte ein geleaktes Sitzungsprotokoll des Bundestags-Innenausschusses die nach außen dargestellte Position der Grünen zur Vorratsdatenspeicherung?

Der BT-Ausschuss hatte am 02.Mai 2012 Besuch von Dr. Reinhard Priebe, EU-Kommissionsdirektor für Innere Sicherheit, der über das Vertragsverletzungsverfahren zur Vorratsdatenspeicherung (d.h. zur anlasslosen Überwachung des Datenverkehrs) sprach: EU klagt gegen Deutschland.

Ein Wortprotokoll dieser Anhörung wurde vom AK Vorrat (Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung) auf seiner Website publiziert. EU-Kommissar Priebe beklagt dort die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie, das Urteil aus Karlsruhe ändere nichts an der Verpflichtung zur EU-konformen Datenschnüffelei. SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz gibt dann zu, dass der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder und dessen grüner Vize Joschka Fischer die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit betrieben hätten. Wolfgang Wieland, der Innenpolit-Sprecher der Grünen, schiebt dagegen die Schuld auf den Ex-Grünen und SPD-Ex-Bundesinnenminister Otto Schily in der rotschwarzen Regierung. Ansonsten ärgert sich der Grüne Wieland, dass die FDP nun auf Bürgerrechte macht und den Grünen dabei den Rang abläuft. Piraten waren leider nicht im Ausschuss, die hätten Grünen wie Gelben wohl eine lange Nase dazu gemacht. Ob und wenn ja wie halbherzig sich der Grüne von der Schnüffel-Richtlinie distanzierte? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Hier die beiden Redebeiträge lt. AK Vorrat:

Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Die Richtlinie ist Europarecht und das zu bagatellisieren, macht mich vor dem Hintergrund der Qualitäten unseres Verfassungsstaates Deutschland betroffen. (…) Recht und Gesetz ist die Grundlage unserer Zivilisation und auch die Grundlage europäischen Denkens. Dass das hier bagatellisiert wird als eine Petitesse, das finde ich hochpeinlich. Strafverschärfend kommt hinzu, dass diese Richtlinie unter dem maßgeblichen Einfluss Deutschlands entstanden ist. Das ist nichts anders als die Wahrheit. Die rot-grüne Bundesregierung, Herr Schröder und Herr Fischer, hat vor Jahren diesen Prozess mit betrieben.  (…)

Abg. Wolfgang Wieland (Grüne): Die Kollegin Gisela Piltz wies darauf hin, an der Stelle war es nicht ganz richtig, dass Gerhard Schröder und Joschka Fischer es gemacht hätten. Das war eine starke Ära und sie hat überall Spuren hinterlassen, bei allen. Aber 2005 war diese Ära zu Ende. Die Richtlinie ist von 2006, die wurde sicherlich von Dr. Schily im ganzen Prozess vorbereitet. Solange wir mit regierten, gab es aber dafür keine Mehrheit. Das zur Zeitschiene. Ich habe nie gesagt, dass wir uns als kleiner Partner gegen die SPD immer durchgesetzt hätten. So war es nicht, deswegen kennen wir die Probleme der FDP sehr genau. Nun kommt ein großes „Aber“. Europäisches Recht ist umzusetzen, da kann es keinen vernünftigen Zweifel geben. Wir sehen keine Umsetzung, das ist die Kritik. Was wir sehen, ist eine Bundesjustizministerin, die sich feiern lässt als Jeanne d´Arc der Bürgerrechte auf FDP-Parteitagen für die Aussage: ‚Ich mache das nicht.‘ (…) Damit sind wir nicht zufrieden und nicht einverstanden mit dieser Art des Aussitzens, die Sie hier an den Tag legen.“

 Das Online-Magazin Telepolis meinte dazu, Wielands „Wir“ deute darauf hin, dass der Politiker hier zumindest für seine Bundestagsfraktion gesprochen habe. Deshalb könne es gut sein, dass von den Grünen trotz entgegengesetzter Wahlkampfaussagen kein Widerstand gegen eine Komplettüberwachung des Kommunikationsverhaltens aller Bundesbürger zu erwarten sei (wenn SPD und Grüne 2013 eine Mehrheit auf Bundesebene erhalten sollte). Insofern würde, so Telepolis, Rot-Grün keinen Unterschied zu einer Großen Koalition machen.

Nun ja, vielleicht –auch wenn das so nicht vom Grünen gesagt wurde. Unwahrscheinlicher wurde dies rotgrüne Regierungs-Szenario nicht, als die Bilderberger jüngst den Obergrünen Jürgen Trittin einluden, der sich auf seiner Website recht naiv und belanglos dazu äußerte.

Ob Kanzlerin Krafft (SPD) und ein Vizekanzler Trittin die EU-Datenschnüffel-Diktatur durchsetzen würden? Der AK-Vorrat sieht dazu keine rechtliche Verpflichtung: Es sei Deutschland vielmehr nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz) verboten, ein Umsetzungsgesetz zur anlasslosen Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten zu verabschieden. Die in der EU-Richtlinie 2006/24/EG vorgesehene Vorratsdatenspeicherung sei unverhältnismäßig und würde deshalb vom EU-Gerichtshof höchstwahrscheinlich bald für nichtig erklärt. Deutschland sollte lieber in der Zwischenzeit beantragen, wegen wichtiger Erfordernisse des Grundrechtsschutzes als Teil unserer öffentlichen Ordnung von der Umsetzungspflicht befreit zu werden. Zum dauernd als Schreckgespenst von Medien und Politik aufgebauschten Drohung mit EU-Strafzahlungen meint der AK-Vorrat:

 „Strafzahlungen wären nur im Fall einer Verurteilung durch den EuGH zu leisten. Es ist aber zu erwarten, dass die Richtlinie 2006/24/EG bis zum Zeitpunkt des EuGH-Urteils – dieses ist frühestens für Ende 2013abzusehen – bereits für nichtig erklärt und deshalb keine Zahlung festgesetzt wird (s.o.). Im Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich erging das Urteil mehr als 13 Monate nach Klageerhebung. Der Höhe nach steht im Falle einer tatsächlichen Verurteilung eine Zahlung von ca. 65 Mio. Euro pro Jahr im Raum. Dieser Betrag von 82 Cent pro Bürger und Jahr ist weit geringer als das, was eine Vorratsspeicherung Wirtschaft und Verbraucher kosten würde. Der Betrag beläuft sich auf nicht einmal 1% dessen, was Deutschland ohnehin jährlich an die EU zahlt.“

Und dies empfiehlt der AK Vorrat  statt Ausschuss-Palavern und Polit-Theater als Reaktion auf das EU-Vertragsverletzungsverfahren:

1. Deutschland sollte von einer Umsetzung der EU-Richtlinie absehen und die absehbare Nichtigerklärung der Richtlinie durch den EuGH abwarten.

2. Deutschland sollte Freistellung von der Umsetzungspflicht beantragen (siehe Punkt 1) und erforderlichenfalls einklagen.

3. Deutschland sollte in der Zwischenzeit keinesfalls eine Vorratsdatenspeicherung einführen, weil ein solches Gesetz auch bei Nichtigerklärung der EU-Richtlinie fortbestünde. Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums befristet die darin vorgesehene anlasslose und flächendeckende Vorratsspeicherung aller Internet-Verbindungsdaten (IP-Adressen, § 113a TKG-E) nicht einmal auf den Tag, an dem die europarechtliche Speicherpflicht außer Kraft tritt.

4. Während die im Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums vorgesehene anlassbezogene Datensicherung (§ 100j StPO-E) im Grundsatz hinnehmbar ist, gilt dies nicht für die gleichfalls vorgesehene anlasslose und flächendeckende Vorratsspeicherung aller Internet-Verbindungsdaten (§ 113a TKG-E). Diese muss aus dem Gesetzentwurf gestrichen werden!

5. Die Identifizierung von Internetnutzern (§ 100k StPO-E) muss außerdem wenigstens den Voraussetzungen für die Verwendung sonstiger Verkehrsdaten (§ 100g StPO) unterworfen werden.“

So weit die Stimme der Vernunft, die von den Medien leider kaum gehört wird. Zu laut tönen Lobbyisten, Parteien, Unternehmen. Es droht uns also eine Verschleppung der Schnüffel-Debatte, bis sie z.B. im medialen Windschatten der Fußball-EM doch noch durchgemogelt wird und Transparenz der kleinen Leute gegen die Intransparenz der großen Machteliten setzt. Dabei hatte das BVerfG am 27. 02.2008 die Persönlichkeitsrechte noch mit der Schaffung eines neuen Grundrechtes digital gestärkt: Es gilt jetzt das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.

Zu befürchten sind verheerende Schäden an der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Datennetzen und der Unversehrtheit unserer Privatsphäre. So treiben (diesmal grüne und gelbe) Polit-Profilneurotiker ihre banalen Spielchen, während unsere Grundrechte den Bach runter gehen. Den Piraten sei angeraten, dieses leider arg komplexe Thema in verständlicher Form den Wählern zu erklären –und sich inzwischen nicht kaufen oder unterwandern zu lassen.