Athen in Agonie: Sparwut der Troika scheint kaum durchsetzbar

Gerd R. Rueger 3.10.2012

In Athen gehen die Verhandlungen mit den Chefunterhändlern der Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission weiter, die sich bislang nicht mit Samaras einigen konnte. Offen ist immer noch ein Sparpaket in Höhe von 2 Milliarden Euro eines insgesamt 13,5 Milliarden Euro umfassenden Sparprogramms. Das Treffen der Troika mit Samaras brachte am Montagabend nicht den erhofften Durchbruch, zu groß ist der Widerstand der Griechen gegen ihre Regierung. Premierminister Antonis Samaras könnte erleben, dass die maßlosen Forderungen der Troika seinen Sturz bewirken. Sein Finanzminister Yiannis Stournaras drohte schon offen mit Rücktritt: Er könne keine neuen Sparmaßnahmen tragen. Opposition und Gewerkschaften kündigen weiteren Widerstand an.

Tauziehen um die Leidensfähigkeit der Griechen

Die Troika-Prüfer waren schon einmal ergebnislos abgereist. Die griechische Zeitung Gazetta meldete, dass IWF-Vertreter Poul Thomsen sehr schroff und arrogant aufgetreten sei. Der Parteivorsitzende der sozialdemokratischen PASOK, Evangelos Venizelos,  warnte, dass die ständigen Verzögerungen der Wirtschaft Schaden zufüge, kritisierte aber ebenfalls die Troika

Die Troika dementierte ihrerseits vor ihrer Abreise noch, dass ihr Bericht zugunsten des Wahlkampfs von US-Präsident Barack Obama aufgeschoben würde –zu erwarten ist der Troika-Report, der den Weg zur nächsten Kredit-Tranche ebnen wird, erst im November. Die Mittel aus dem zweiten Hilfspaket für Athen werden wie der erste Milliardenkredit in Tranchen ausgezahlt. In der aktuell strittigen 31-Milliarden-Tranche stecken auch nicht ausgezahlte Gelder des ersten Rettungspakets, denn die in Medienberichten genannten Summen von 110 Milliarden Euro aus dem ersten und 130 Milliarden Euro aus dem zweiten Hilfspaket waren lediglich Kreditzusagen. Sie wurden folglich nie vollständig ausgezahlt, sondern von einem zehn Milliarden Euro Sparpaket abhängig gemacht.

Der Sturz von Papdemos

Über diese Sparpläne war die Regierung Papademos (siehe Goldman Sachs) gestürzt. Die Koalition war sich im Klaren, dass die geforderten Lohnkürzungen aller Einkommen bei gleich bleibenden Lebenshaltungskosten das Land in die Rezession treiben würden. Neuwahlen wurden nötig, weil im Mai unter den Parteien kein Konsens über den Sparkurs möglich war, somit keine neue Regierung zu Stande kam –sogar Alexis Tsipras SYRIZA durfte sich nach Athener Sitte einmal mit der Suche nach Koalitionspartnern um die Regierung bewerben, was deutsche Medien in helle Aufregung versetzte. Auf Betreiben aus Europa kam die jetzige, aus drei Parteien bestehende Regierung zustande. Sie schlug vor, die Einsparungen ohne drastische Lohnkürzungen umzusetzen und stattdessen den Zeitraum der Sparmaßnahmen um zwei Jahre zu strecken.

„Haarschnitt“ für die arbeitende Bevölkerung

Durch den so genannten Haircut verloren Staatsobligationen über knapp 200 Milliarden Euro die Hälfte des Wertes –die griechischen Banken, Sozialversicherer, die Industrie und Kleinanleger waren mit 86 Milliarden Euro dabei. Ausländische Banken hatten zum Zeitpunkt des Schuldenschnitts nur noch Papiere im Wert von 35 Milliarden Euro in ihrem Besitz. Der Schuldenschnitt entzog jedoch der griechischen Wirtschaft dringend benötigte Liquidität, so dass es ohne die nächste Tranche von 31 Milliarden im Juli zahlungsunfähig werden sollte.

Die Auswirkungen der leeren Staatskasse dürften sich stetig weiter verschärfen: Apotheker, Ärzte, Polizisten, Pflegepersonal, Lehrer und weitere öffentliche Berufssparten erhalten nur noch Teilbeträge ihres Gehalts, Lieferanten gehen oft leer aus. Im Privatsektor sind für viele Angestellte die Lohnzahlungen ausgesetzt, weil die Unternehmen keine weiteren Kredite erhalten, Kunden ihre Rechnungen nicht mehr begleichen.

Das Linksbündnis Syriza drängte auf eine Umschuldung von für Investoren hochprofitable Staatsanleihen auf den Märkten (zu 4%) zu EZB-Bonds unter einem Prozent –alles andere ist ökonomischer Blödsinn, denn letztlich muss die EZB ohnehin zahlen, nur kassieren bislang die Banken vorher viele Milliarden an Zinslast von Athen. Berlin war bislang Haupthinderungsgrund für diesen Weg der Vernunft und die Finanzeliten verdanken der Regierung Merkel/Westerwelle einen unerhörten Geldregen bei vergleichsweise geringem Risiko.

Auch heute wenig Einigungschancen mit der Troika

Inzwischen droht erneut ein Abbruch der Gespräche zwischen Troika und Regierung in Athen. Offenbar sucht die griechische Regierung nun eine politischen Lösung, da sowohl die soziale Misere als auch die EU-Sparvorgaben Unheil verheißen. Die Troika war nach einer einwöchigen Unterbrechung erneut in Athen und nun schien der Auszahlung der seit Juni dringend erwarteten Tranche nichts mehr im Wege zu stehen. Am 8. Oktober sollte ein mündlicher Bericht der Troika vorliegen und die Weichen für eine neue Wirtschaftspolitik gestellt werden.

Dafür hatten sich die Parteichefs der Koalitionsparteien, Antonis Samaras für Nea Dimokratia, Evangelos Venizelos für PASOK und Fotis Kouvelis für DIMAR auf ein ausgeweitetes Sparpaket verständigt. Statt 11,5 Milliarden sollten nun 13,5 Milliarden Euro gespart werden.

Geplant sind neben der schon erhobenen Immobiliensonderabgabe für Wohneigentumsbesitzer eine fiktive Eigenmietsteuer, für alle Eigentümer von Immobilien, inklusive Äckern, unabhängig vom tatsächlichen Einkommen. Hintergrund: Viele Griechen haben seit Jahrzehnten ihre Spareinlagen in Immobilien investiert, aber auf den meisten davon lasten Hypothekenkredite, deren Abbezahlung schon jetzt kaum noch möglich ist: Kreditausfälle der Banken sind damit vorprogrammiert.  Gehaltskürzungen, die schon bislang mit mehr als sechs Milliarden den Löwenanteil ausmachten, sollen auf 10 Milliarden Euro anwachsen. Das lässt kaum erwarten, dass sich mit dem neuen Sparplan für die Bevölkerung etwas verbessern wird.

Auch juristischer Widerstand könnte die unsoziale Sparorgie der konservativ geführten Regierung stoppen: Samaras Vorgänger Panagiotis Pikrammenos, der kurz Ministerpräsident der Übergangsregierung war, forderte den Staatsrat auf, die Verfassungskonformität der Sparpläne zu prüfen. Der Staatsrat ist das höchste Verwaltungsgericht Griechenlands und wird kaum umhin können, dem Vorschlag seines ehemaligen Präsidenten zu folgen: Pikrammenos vertritt die Ansicht, dass es nicht zulässig sei, die steuerlichen Lasten nur auf einen Teil der Bürger abzuwälzen, wie im zweiten Spar- und Reformpaket vorgesehen.

Widerstand leisten die beiden mächtigsten Gewerkschaften Adedy und GSEE mit Kundgebungen vor dem Parlament. Besonders wirksam könnten die Angestellten des staatlichen Stromanbieters DIE in den kampf eingreifen, deren Vorsitzender mit einem unbefristeten Streik drohte, falls das Sparpaket vom Parlament verabschiedet wird. Die Gewerkschaft der kommunalen Angestellten will bei koordinierten Protestkundgebungen und Besetzungen öffentlicher Gebäude mitmischen.

Austeritäts-Irrsinn ist nicht zukunftsfähig

Der Etatentwurf für 2013 weist ein Defizit von 4,2 Prozent aus, einen weiteren Anstieg der Schuldenrate auf 182,5 Prozent und eine Rezession von 3,8 Prozent. Für 2012 wird ein Defizit von erheblich mehr als sechs Prozent erwartet. Die seit fünf Jahren anhaltende Rezession fällt auch in diesem Jahr mit 6,5 Prozent deutlich höher aus, als ursprünglich erwartet. Und auch 2013 geht die soziale Talfahrt weiter: Die Arbeitslosenrate wird dann voraussichtlich bei knapp 25 Prozent liegen.

Das BIP Griechenlands könnte auf 193 Milliarden Euro für 2012 sinken, was einen Rückgang um 47 Milliarden Euro innerhalb von nur fünf Jahren bedeuten würde –es ist heller Wahnsinn diesen Weg einer rigiden Sparpolitik fortzusetzen. Klug wäre eine schnelle Deckung mit Euro-Bonds und eine Verabschiedung von der irren Idee, Hellas könnte jemals ein hochproduktives Industrieland nach Vorstellungen Berlins werden.

Athen kam in die Euro-Zone, weil es das kulturelle Herz Europas ist und weil seine Strände und Inseln Touristen viel Erholungsraum bieten –ohne zeitraubende Wechselei im Urlaub. Dafür ist ein wenig Umverteilung vom Exportweltmeister zum Betreiber seines Ferienparadieses nötig. Was jetzt geschieht ist eine gigantische Umverteilung von uns allen zu einigen wenigen reichen Schmarotzern der Finanzelite, bei gleichzeitiger Zerstörung Griechenlands und der Euro-Finanzen.