Bertelsmann-Kritik: Unternehmerisch gefesselte Hochschule

 Bertelsmann-Medien (RTL, n-tv, STERN, SPIEGEL) konsumieren die meisten von uns ein paar Stunden täglich. Aber Bertelsmann dirigiert über seine  Konzernstiftung auch die Politik, z.B. den „Bologna-Prozess“ an EU-Universitäten. Unternehmen bekamen so Zugriff auf das öffentliche Gut Forschung und Bildung -ganz besonders in Deutschland.  Bachelor/Master-Studiengänge ersetzten freie Bildung und Entfaltung der Persönlichkeit durch hektische, verschulte Ausbildung nach Vorgaben der Industrie.

Angeblich gemeinnützig, verfolgt die Bertelsmann-Stiftung hauptsächlich unternehmer-freundliche Projekte im Sinne des Neoliberalismus: Deregulieren, Kommerzialisieren, Privatisieren. Bedenklich ist vor allem, dass Bertelsmann stark im Bildungssektor interveniert und sich so doppelten Zugriff auf Menschen und Gesellschaft sichert: Den Alltag beherrschen seine Medien, die Sozialisation seine Eingriffe in Schule und Universitäten. Wir setzen die Reihe der Bertelsmann-Kritik heute mit einem Text von Michael Krämer fort, der im Anti-Bertelsmann-Netzwerk aktiv ist. Kritik kommt von Studentengruppen im Kampf gegen die Privatisierung der Bildung (z.B. durch Studiengebühren) und zuweilen von Piraten- und Linkspartei.

Weniger Kritik an Bertelsmann kam bislang von Netzpolitik und Datenschützern, obwohl die Bertelsmann-Firma Arvato im Netz durch exessives Datensammeln und Marketing-Profiling seiner Kunden auffiel. Bei Arvato arbeitet inzwischen  der größte Teil der 100.000 Bertelsmann-Beschäftigten. Nur wenige Autoren und Bücher befassen sich bislang kritisch mit  dem globalen Medienimperium aus Gütersloh. Wir dokumentieren hier als Hintergrund einen uns überlassenen Beitrag des Bertelsmann-Kritikers Michael Krämer gegen Bologna-Prozess und Bertelsmann-Lobbyismus an den Hochschulen (Zwischenüberschriften von uns ergänzt).

Von der freien Universität zur Unternehmerisch gefesselten Hochschule

Michael Krämer

So könnnte man die Entwicklung seit Beginn des Bologna-Prozesses überschreiben. Die Umwandlung des demokratischen, sozialen Rechtsstaates des Grundgesetzes in einen sogenannten „neoliberalen bürgergesellschaftlichen modernen Staat“ hat sich nicht nur im Hochschulbereich inzwischen durchgesetzt. In einem neoliberalen Staat tritt der Markt als Regelungsmechanismus an die Stelle demokratisch erlassener Gesetze. Nicht mehr die Gesetzesbindung der Verwaltung steht im Vordergrund staatlichen Handelns und die parlamentarische Kontrolle der Regierung, sondern die Privatisierung klassischer öffentlicher Kernaufgaben durch die Politik und die Funktionseliten wird durch die Regierenden und deren Funktionseliten (Berater/Lobbyisten) realisiert.
Diese Umwandlung unseres Staates, die besonders nach der Wiedervereinigung im Jahre 1990 an Durchsetzungskraft gewann, hat sich nicht nur im Hochschulbereich seit Gründung des CHE 1994 und der Propagierung der „entfesselten Hochschule“ im Jahr 2000 (Rotary-Magazin Nr. 8/2007, S. 40-43) durch Prof. Dr. Müller-Bölling vom CHE durch den Bologna-Prozess realisiert. Die Verwirklichung des Bologna-Prozesses mit der Einführung des Bachelor- und Master-Abschlusses sowie die Ersetzung der Rechts- und Fachaufsicht über die Universitäten der Kultusministerien durch private Akkreditierungsagenturen haben tatsächlich zur Beseitigung des humboldschen Bildungsideals an den öffentlich-rechtlichen Universitäten in Deutschland geführt. Das Verwaltungsgericht in Arnsberg hat deshalb die im Nordrhein-Westfälischen Hochschulgesetz unzureichende gesetzliche Regelung der Akkreditierung von Studiengängen durch sogenannte private Akkreditierungsagenturen für verfassungswidrig gehalten. (Vorlagebeschluss des VG Arnsberg vom 16.04.2010, Az: 12 K 2689/08)

Mutwillige Unterfinanzierung der Hochschulen

Hervorgerufen durch eine von Politik und Wirtschaft gewollte staatliche Unterfinanzierung, die Einführung der Studiengebühren, die Einführung des Rankings zwischen den Universitäten, die Etablierung der Hochschulräte und die zunehmende Bedeutung der Einwerbung von Drittmitteln für die Universitäten ist es der Bertelsmann-Stiftung und dem von dieser finanzierten Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und der Deutschen Rektorenkonferenz gelungen, die in Forschung und Lehre die Freiheit der Wissenschaft genießende öffentlich rechtliche Hochschule in Deutschland abzuschaffen und durch eine wirtschaftsabhängige sogenannte „unternehmerische Hochschule“ zu ersetzen. Und dies alles wurde ohne einen wirklichen dauerhaften heftigen Widerstand der Professorenschaft, des wissenschaftlichen Mittelbaus und der Studenten durch die Bertelsmann-Stiftung und das CHE als Leitakteure realisiert.
Dass mit der zunehmenden Ökonomisierung und Privatisierung öffentlicher Aufgaben letztlich auch das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes abgeschafft werden wird, dürfte jedem nachdenkenden Bürger in diesem Staat inzwischen mehr und mehr deutlich geworden sein. Gleichheit vor dem Gesetz und politische Teilhabe gerade auch an Bildung werden für die Mehrheit der Bevölkerung nicht durch die Einführung ökonomischer oder betriebswirtschaftlicher Prinzipien und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche, sondern durch Rechtsstaatlichkeit und Demokratie garantiert.
Und was noch viel schlimmer ist: Die freie Gesellschaft in diesem Land wird durch diese Entwicklung und diese völlig einseitige ökonomische Betrachtung aller Dinge auf Dauer ihre Innovationskraft verlieren und damit den Ast absägen auf dem sie sitzt.

Finanzkrise entlarvte falsche Propheten des Neoliberalismus

Die jüngsten Fehlentwicklungen auf den Finanzmärkten haben gezeigt, nicht Ratingagenturen und der freie Markt allein regeln alles besser, sondern rechtsstaatliche und demokratische Staaten sind es, die den Kollaps des Bankenwesens und der Wirtschaft und damit vielleicht noch Schlimmeres verhindert haben.
Der Leitakteur –neben anderen wirtschaftsnahen Institutionen- der oben beschriebenen Privatisierungsbestrebungen im öffentlichen Bereich der Bildung im Schul- und Hochschulbereich ist seit Jahrzehnten die Bertelsmann-Stiftung und die durch diese propagierte Ökonomisierungs-Philosophie ihres inzwischen verstorbenen Gründers Reinhard Mohn.
Die hinter der Bertelsmann-Stiftung stehende Familie Mohn und die Bertelsmann AG mit ihren Tochtergesellschaften sind durch ihre Medienmacht, ihre finanzielle Stärke und die Steuervermeidungsstrategien der zu Unrecht als gemeinnützig anerkannten Stiftung sowie ihres unmittelbaren Zugangs zu allen Politikbereichen (Kommunen, Bundesländer, Bund und Europäische Union) in der Lage die gesellschaftliche Agenda in der Bundesrepublik grundlegend zu verändern, und sie haben es bereits getan.
Die mediale Begleitung dieses von der Bertelsmann-Stiftung, dem CHE und anderen wirtschaftsnahen Akteuren beabsichtigten Umwandlungsprozesses erfolgt dabei durch die Bertelsmann-Stiftung selbst, die Medien des Bertelsmann-Konzerns und durch Zeitschriften, wie z.B. Spiegel, Stern, Financial Times Deutschland DIE ZEIT und andere.
Für mich ist es absolut unverständlich, dass es mit Ausnahme der Anti-Bertelsmann-Akteure, der GEW und Wolfgang Lieb der die Nachdenkseiten als alternative Informationsquelle gemeinsam mit Albrecht Müller betreibt, keinen wirklich breiten Widerstand an den Universitäten und Hochschulen gegen diese, meines Erachtens gravierenden Fehlentwicklungen -maßgeblich umgesetzt durch die Politik und deren Funktionseliten (Berater, Think Tanks, Lobbyisten etc.)- in Deutschland gibt. (Anti-Bertelsmann-Netzwerk 2010)

PRISM-Leak: USA-Hacker in China

Gerd R. Rueger 14.06.2013 Snowden

Punkt für Snowden: Mit der Enthüllung von illegalen US-Hacks in China hat er seine Chancen, nicht ausgeliefert zu werden, sicher verbessert. Whistleblower Snowden erklärte in Hongkong, dass die USA zehntausende Hackangriffe auf chinesische Institutionen gestartet haben. Gewöhnt sind wir Beschuldigungen von Washington, dass Peking US-Geheimnisse hackt: Alles Heuchelei und „Haltet-den-Dieb“-Geschrei, legt Snowden jetzt nahe. Snowden erweitert seinen PRISM-Leak  damit vom anfänglichen Kampf  „Bürger gegen Überwachungsstaat“ um ein Ringen der beiden konkurrierenden Großmächte China und USA.

Manche sehen den NSA-Dissidenten Edward Snowden, der mit PRISM (Planning Tool for Resource Integration, Synchronization and Management)  die USA als globalen Datenschnüffler entlarvte, schon auf einer chinesischen Sympathiewelle in die Freiheit surfen (standard). Im Internet würden die Wellen antiamerikanischer Kritik aus 140.000 chinesischen Mikroblogs hoch schlagen. Chinas Patrioten würden den Whistleblower als „Helden“ feiern und ihre Regierung auffordern, ihn vor einer Auslieferung zu schützen. Selbst Dissidenten und Kritiker des Überwachungsstaates China, darunter Ai Weiwei, äußerten sich geschockt: Die Enthüllungen über die US-Staatsschnüffelei hätten sie vor den Kopf gestoßen. Chinesische Medien erwarten nun eine Verschärfung der Spannungen zwischen Peking und Washington: Dies werde  „zweifellos das Image Washingtons im Ausland beschädigen“ und die US-chinesischen Beziehungen belasten, so die staatliche Zeitung „China Daily“.

USA: blaming China, hacking self

Im Streit um Cyberangriffe hat Washington in den vergangenen Monaten Peking immer wieder des Hackens beschuldigt.  Chinesen hätten sich Zugang zu militärischen, technologischen und wirtschaftspolitischen Geheimnissen in den USA mithilfe staatlicher Hacker verschafft. „Chinesischer Hackerangriff in den USA -Die klauen, was ihnen unterkommt“, ereiferte sich noch vor zwei Wochen die deutsche Tante Tagesschau: Das Problem sei alt, jetzt erhalte es aber neue Brisanz, denn in den USA herrsche Empörung über einen Angriff auf die nationale Sicherheit, weil chinesische Hacker sich Zugang zu Bauplänen für US-Waffensysteme verschafft hätten, so die ARD im Dienste Washingtons.

Edward Snowden erklärte jetzt jedoch in einem Exklusiv-Interview mit der _hkg13_36360021.jpgSouth China Morning Post (SCMP), dass US-Behörden ihre Spionage-Angriffe in großem Stil auch gegen Chinas Universitäten und Institutionen führten:

„In a frank hour-long interview, the 29-year-old, who US authorities have confirmed is now the subject of a criminal case, said he was neither a hero nor a traitor and that:

  • US National Security Agency’s controversial Prism programme extends to people and institutions in Hong Kong and mainland China;
  • The US is exerting “bullying’’ diplomatic pressure on Hong Kong to extradite him;
  • Hong Kong’s rule of law will protect him from the US;
  • He is in constant fear for his own safety and that of his family.“

Es sei „Heuchelei“, wenn die US-Regierung behaupte, für ihre Informations-Beschaffung „keine Ziele ziviler In­frastruktur“ ins Visier zu nehmen. Dienststellen der US-Regierung und IT-Spezialisten wären seit Jahren heimlich in Computersysteme in Hongkong und China eingedrungen.  Die NSA hätte mindestens 61.000 Hacker-Angriffe durchgeführt, darunter auf hunderte Ziele in Hongkong und China: „Wir hackten die zentralen Netzwerke wie große Internet-Router, die uns Zugang zu hunderttausenden Computern erlaubten, ohne in jeden einzelnen eindringen zu müssen.“

Das Verhältnis der USA und Chinas beim Thema IT-Sicherheit ist seit langem angespannt. Beide Großmächte werfen sich immer wieder gegenseitig Hackerangriffe und IT-Spionage vor. Dies war auch Thema bei einem Treffen von US-Präsident Barack Obama mit  seinem chinesischen Kollegen Xi Jinping letzte Woche in Kalifornien, wo sich eine gewisse Entspannung abzuzeichnen schien. Tage später deckte Snowden PRISM auf, über das die NSA im Dienste Washingtons Netznutzer weltweit überwacht. Die chinesischen Medien haben jetzt gut Lachen: „Es stellt sich heraus, dass die größte Bedrohung für individuelle Freiheit und Privatsphäre in den USA die ungezügelte Macht der Regierung ist„, sagte Li Haidong, der außenpolitische Experte von  „China Daily“. Snowdens Hackingvorwürfe beherrschten auch in zahlreichen anderen chinesischen Medien die Schlagzeilen. Die chinesische Regierung selbst hält sich dagegen noch bedeckt.

Edward  Snowden wird inzwischen in den USA von Kongressmitgliedern als „Verräter“ gebrandmarkt, der ausgeliefert und vor ein US-Gericht gestellt werden müsse. Im Interview drehte er den Spieß um: „Viele meinen, dass ich einen Fehler machte, nach Hongkong zu kommen. Sie missverstehen meine Absichten. Ich bin nicht hier, um mich vor der Justiz zu verstecken. Ich bin hier, um kriminelle Aktivitäten zu entlarven.“ Er sei weder ein „Held noch ein Verräter, sondern ein Amerikaner“ und stolz darauf, ein US-Bürger zu sein, der an die „Freiheit der Rede“ glaubt. Aber er werde sich gegen alle Auslieferungsversuche der USA zur Wehr setzen. Es scheint so als hätte EdwardJAssangeBobby Snowden seine Flucht nach Hongkong vorher auch politisch gut geplant -auch wenn Julian Assange nach seinen ernüchternden Erfahrungen mit dem Britischen Rechtssystem ihm ein Asyl in Lateinamerika empfahl.