Wieder mal Verwirrspiel um Snowden

Gerd R. Rueger  25.07.2013 Snowden

Mal wieder Verwirrung in Moskau: Russische Medien hatten berichtet, US-Informant Snowden habe nun Dokumente, mit denen er den Flughafen Scheremetjewo verlassen könne. Sein Anwalt dementiert nun doch. Auch Washington ist zunehmend verwirrt. Die USA hatten beim Versuch, Druck auf Moskau auszuüben eine Blamage erlitten: Sie hatten 1700 von ihnen abgeschobene Russen als „Ausgelieferte“ deklariert, um im Gegenzug Snowden zu fordern.

NSA-Enthüller Snowden war aus den USA nach Hongkong geflohen und am 23. Juni nach Moskau gekommen. Snowden halt sich seit dem 23. Juni im Transitbereich des Flughafens Scheremetjewo auf und beantragte in der letzten Woche in Russland vorläufiges Asyl. Derzeit darf Snowden die Transitzone nicht verlassen, da die US-Behörden seinen Personalausweis annulliert haben. Der Föderale Migrationsdienst Russlands hat Snowdens Antrag auf temporäres Asyl erhalten und will ihn in den vom Gesetz festgesetzten Fristen prüfen.

Washington verwechselt Abschieben mit Ausliefern

Moskau zeigte sich jüngst verwundert über die Äußerung eines Vertreters der US-Regierung, wonach es rechtliche Grundlagen zur Auslieferung des ehemaligen US-Geheimdienstlers Edward Snowden an die USA gebe, verlautete am Mittwoch aus russischen Diplomatenkreisen.

„Der US-Außenminister hatte behauptet, die USA hätten zwischen 2007 und 2012 insgesamt 1754 Personen an uns ausgeliefert und seien bereit, weitere 101 Rechtsverletzer zu übergeben“, so die Quelle von RIANovosti. „Als wir uns allerdings an das Außenministerium sowie andere US-Ämter mit der Bitte wandten, uns die Namenlisten zur Verfügung zu stellen, zeigten sich diese ratlos.“
Im Fall Snowden verwechsle Washington zwei Begriffe, nämlich die Auslieferung und eine routinemäßige Ausweisung von Ausländern, die gegen das US-Gesetz verstoßen hätten, hieß es.

Amnesty International hatte die Machenschaften der US-Behörden,  Edward Snowden die Suche aac53-yes-we-scan-round-200nach Asyl zu sabotieren, kritisiert: Sie seien eine grobe Verletzung seiner Menschenrechte. Snowden soll jetzt in Venezuela Asyl suchen, Caracas signalisiert Offenheit. Merkel sahnt derweil Aufmerksamkeit für den PRISM-Leak ab, geriert sich als große Datenschützerin. Ihre Asyl-Verweigerung für Snowden beweist jedoch die große Heuchelei in Berlin, bei der auch die FDP sich nicht mit Ruhm für Freiheitsrechte bekleckert.

Tunis: Oppositionsführer ermordet

Gerd R. Rueger 25.07.2013 

Tunis. In Tunesien haben Unbekannte den linken Oppositionsführer Mohammed Brahmi ermordet. Säkulare Gruppen machen die islamistisch geführte Regierung für das Attentat verantwortlich, Tausende zogen vor das Innenministerium. In der Stadt Sidi Bouzid, dem Anfangspunkt der Jasminrevolution, zündete die Menge des Büro der Regierungspartei Ennahda an.

Tunesien wird vom zweiten politischen Mord innerhalb weniger Monate erschüttert. Unbekannte haben heute den Oppositionspolitiker Mohammed Brahmi vor seinem Haus in einem Vorort von Tunis erschossen. Die Attentäter feuerten vor den Augen seiner Frau und Tochter elf Kugeln auf ihr Opfer ab, bevor sie auf dem Motorrad flohen, so die Polizei. Brahmis Ehefrau bezeichnete ihren getöteten Mann als „Märtyrer, der für seine Meinung gestorben ist“. Die Oppositionelle Najla Bouriel bezeichnete das Attentat als „die größte Katastrophe, die Tunesien widerfahren konnte“.

Alle Bemühungen um ein friedliches Miteinander wurden von den Gewalttätern zunichte gemacht. Brahmi war Gründer und Vorsitzender der links-säkularen Volkspartei und galt als einer der einflussreichsten Politiker Tunesiens. Brahmi war auch Mitglied der verfassunggebenden Versammlung, die derzeit die neue tunesische Verfassung ausarbeiten soll. Säkulare Gruppen werfen der regierenden islamistischen Nahda-Partei vor, nicht genug gegen Gewalttaten von Salafisten zu tun, Belaïds Anhänger machten die Regierung direkt für seine Ermordung verantwortlich, obgleich sich Nahda-Chef Rachid Ghannouchi in einer Erklärung bestürzt über den Mord an Brahmi zeigte: „Wir verurteilen dieses feige und abscheuliche Verbrechen.“ Ghannouchis Regierung erklärte den Freitag zu einem nationalen Trauertag für den Ermordeten.

Verfassungsprozess empfindlich gestört

Die demokratisch orientierten Tunesier sind über die erneute blutige Obstruktion der Entwicklung einer neuen Verfassung empört. Nach Bekanntwerden der Ermordung versammelten sich Tausende Protestierende vor dem Innenministerium in Tunis. Sicherheitskräfte setzten Tränengas gegen die Demonstranten ein. In der Provinzstadt Sidi Bouzid, wo Ende 2010 der Aufstand gegen Diktator Ben Ali begonnen hatte, griffen aufgebrachte Demonstranten das Büro der Regierungspartei an und setzten es in Brand. Laut Augenzeugen forderten Tausende den Sturz der Regierung von Premierminister Ali Larayedh. Das grausame Attentat ereignete sich am 56. Jahrestag der tunesischen Republikgründung 1957 -einer Republik, die radikale Islamisten und Salafisten zerstören wollen.

Erst Anfang Februar hatten Salafisten den Oppositionspolitiker Chokri Belaïd erschossen. Belaïd und Brahmi waren engagierte Kritiker der Islamisierung Tunesiens, die von Regierung und salafistischen Gruppierungen vorangetrieben wird. Vier Parteien der linksliberalen Allianz “Front Populaire” verließen damals aus Protest gegen den Mord an einem ihrer Anführer die verfassungsgebende Versammlung. Der ohnehin äußerst umstrittene Kompromiss über eine neue Festlegung der Verfassung konnte nur schwer wieder in Gang gebracht werden. Vielleicht glauben einige Salafisten, dies wäre besser, denn ohne Verfassung bleibt weiter unklar, welche Rolle am Ende der Islam in Tunesien spielen wird.

Technokraten gescheitert

Wie schon die Regierungen in Rom und Athen, wollte auch Ministerpräsident Dschebali ein Kabinett von Technokraten  aufstellen und kündigte die Bildung einer “Regierung der nationalen Kompetenz” an. Allein der Regierungschef steht schon fest: Hamdi Dschebali. Die Ersetzung von parlamentarisch verantwortlichen Regierungen durch Technokraten, die angeblich nur Sachzwänge exekutieren, ist eine Methode des Neoliberalismus. Das heißt, es ist das Ziel der im Dunkeln operierenden Mächte von Finanz- und Geheimdienstkonglomeraten. Vielleicht ist es noch zu früh, sich bei der Suche nach den Mördern von Belaid allein auf die Islamisten festzulegen (obwohl diese sicher leicht für ein solches Attentat zu instrumentalisieren gewesen wären). Der Mittelmeerraum ist seit der Finanzkrise von 2008 vermehrt ins Visier von Machtspielen der westlichen Finanz-Oligarchen geraten.