Nobelpreis für Snowden!

Gilbert Perry Snowdenund Gerd R. Rueger

Stockholm. NSA-Dissident Edward Snowden bekommt heute Nachmittag den Alternativen Nobelpreis verliehen. Whistleblower Snowden konnte nicht zur Verleihung nach Schweden reisen, weil er eine Auslieferung an die US-Behörden fürchten muss.  An seiner Stelle nimmt Guardian-Chef Alan Rusbridger den Preis entgegen, den viele nicht für eine würdige Wahl halten. Bekam der Zeitungsboss den Preis nur zugeschanzt, damit er seine Medienmacht für PR-Zwecke im Sinne der Juroren ausnutzen kann?

Er war zusammen mit Snowden geehrt worden, obgleich er innerhalb der britischen Zeitung Guardian nicht selbst die letzte Entscheidung zur Publikation der ersten NSA-Papers gegeben hatte: Dies war seine Vertreterin der New Yorker Guardian Ausgabe gewesen.

Sehr überrascht hat daher, dass Snowden den Preis ausgerechnet mit Guardian-Chef Alan Rusbridger teilen muss. Enthüllt hatte den NSA-Skandal Laura Poitras, die nach Snowden wohl am ehesten die Preiswürdigung verdient hat, und später Glenn Greenwald. Nobelpreis-Schnorrer Rusbridger war, als der NSA-Leak am heißesten brannte, abgetaucht und hatte die heikle Entscheidung seiner Stellvertreterin Janine Gibson überlassen. Später ließ Rusbridger sich von seinem Untergebenen Luke Harding zum Helden der Enthüllung hochstilisieren. Weit mehr als er hätten Poitras und Greenwald diesen Preis verdient, dessen Juroren aber wohl auf den Glanz einer von Eitelkeit motivierten Berichterstattung durch die mächtigste Zeitung im englischen Sprachraum erpicht waren. Zur Feier im schwedischen Reichstag werden ferner Snowdens Vater und sein deutscher Anwalt Wolfgang Kaleck erwartet.aac53-yes-we-scan-round-200Der NSA-Enthüller hat in Russland Asyl gesucht und bekam jüngst eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre. Behörden der USA jagen ihn, um ihn aufgrund überholter Geheimschutz-Gesetze aus dem Ersten Weltkrieg anzuklagen. Fox-Media-Kommentare drohten ihm mit Tod und Folter -wie sie der Wikileaks-Whistleblower Bradley Manning erleiden musste. Snowdens Enthüllungen können als der bedeutendste Leak der Geschichte gelten. Er deckte ungeheuerliche Verbrechen der NSA auf, die bis heute weltweit begangen werden. Obama denkt nicht daran diesen so entlarvten globalen Orwell-Apparat zu demokratisieren und wieder -oder erstmals- an Recht und Gesetz zu binden.

Ans Licht gebracht wurden die Snowden-Files durch die USA-kritische Dokumentarfilmerin Laura Poitras, die den USA-kritischen Blogger, Journalisten und u.a. Guardian-Kolumnisten Glenn Greenwald. von Snowdens Wichtigkeit überzeugte. Greenwald zeichnet in seinem Buch „Die globale Überwachung“ den schwierigen Prozess, die Guardian-Leute zur Publikation der Snowden-Files zu bewegen, minutiös nach. Letztlich mussten Snowden, Poitras und Greenwald dem Guardian ein Ultimatum stellen und mit der Veröffentlichung auf einer eigenen Website drohen, um eine Publikation zu erzwingen (Greenwald S.107).

Wer, neben Snowden, hätte den Nobelpreis wirklich verdient? Guardian-Boss Alan Rusbridger war, als der NSA-Skandal am heißesten brannte und kurz vor dem Knall stand, unerreichbar abgetaucht und hatte die heikelste und folgenreichste Entscheidung in der 200jährigen Geschichte des Guardian seiner Stellvertreterin Janine Gibson überlassen. Später, als sich der Pulverdampf verzogen hatte, ließ Nobelpreis-Schnorrer Rusbridger sich von seinem Untergebenen Luke Harding zur pompösen Lichtgestalt bei der Enthüllung aufblasen. Guardian-Journalist Harding erzählt in seinem betulichen Buch „E.Snowden: Geschichte einer Weltaffäre“ die NSA-Story aus seiner Sicht etwa so: „Wie der heroische Guardian unter Leitung unseres geliebten Führers, meines besten Freundes Alan Rusbridger, die Welt rettete“. Die Guardian-Kollegen von der „New York Times“ jubelten Hardings Schmöker zum „cineastischen Thriller“ hoch (Harding druckte das auf seinen Buchdeckel) –die US-Journalisten wollten offenbar von Greenwalds weit besser geschriebenen und informativeren Buch ablenken, denn Greenwald wollte am Snowden-Leak auch die kriecherische Haltung der westlichen Presse demonstrieren. Greenwald kritisiert die (Washington-) „Post“ und (New York-) „Times“ scharf:

„Ebendieser ängstliche, servile Journalismus war es, der die „Times“, die „Post“ und viele andere Medien veranlasste, in ihren Berichten über die Verhörmethoden der US-Regierung von George W. Bush das Wort ‚Folter‘ tunlichst zu vermeiden, obwohl sie nicht das geringste Problem damit hatten, wenn die Regierung irgendeines anderen Staates auf der Welt exakt die gleichen Methoden einsetzte. (…) Ich war von Anfang an überzeugt, dass die Dokumente eine gute Gelegenheit sein könnten, nicht nur die geheimen NSA-Spionagepraktiken zu beleuchten, sondern auch die zerstörerische Dynamik des etablierten Journalismus.“ Glenn Greenwald, S.87/100

Wenn schon jemand vom Guardian, dann hätte am ehesten Janine Gibson, die britische Chefredakteurin der US-Ausgabe des Guardian, den halben Nobelpreis verdient. Sie fällte letztlich die einsame Entscheidung für eine Publikation des NSA-Skandals ganz auf eigene Verantwortung, während ihr Chef Rusbridger sich noch alle Optionen offen gehalten hatte. Rusbridger saß zu diesem Zeitpunkt am 5.Juni 2013 telefonisch und elektronisch nicht erreichbar im Flugzeug von London nach New York, wie Greenwald schreibt (S.106).

Guardian fiel Wikileaks in den Rücken

Wie schnell das Guardian-Duo Harding/Rusbridger den Schwarzen Peter weiter schiebt, wenn es wirklich gefährlich wird, musste 2010 Wikileaks-Gründer Julian Assange erleben. Die Guardian-Leute ließen ihren Star-Informanten fallen wie eine heiße Kartoffel als die USA ernst machten und ihn mutmaßlich nach einem schmutzigen Geheimdienst-Manöver zum Sexualverbrecher abstempeln und von Interpol zur Fahndung ausschreiben ließen. Schon vorher hatte der Guardian den von den USA gehetzten und bedrohten Assange weniger unterstützt als viel mehr bedrängt und unter Druck gesetzt als dieser seine Informationen auch an andere Medien weitergab.

Die Gier nach noch mehr Geld und Ruhm durch exklusiven Besitz an den Leak-Inhalten machte die Guardian-Führung fast unzurechnungsfähig. Harding plapperte im Exklusiv-Publikationswahn sogar in seinem Buch „Inside Wikileaks“ das Passwort aus, mit dem das Datenpaket geschützt war, das zur Sicherheit überall im Internet kursierte. Später mühten sie sich, die Schuld für das eigene Versagen ihrem Informanten Assange anzuhängen und beteiligten sich an dessen Verfolgung und Dämonisierung im Propaganda-Streifen „Wikileaks: Lügen und Geheimnisse“. Der Guardian war natürlich nicht alleine eingeknickt, fast alle großen Westmedien taten es gleich und schlimmer.

„Als Wikileaks die ersten als geheim eingestuften Dokumente über den Irak- und den Afghanistankrieg, vor allem diplomatische Depeschen, veröffentlichte, schrieen amerikanischen Journalisten ganz besonders laut nach strafrechtlichen Konsequenzen für Wikileaks.“ Glenn Greenwald S.120

Snowden, Poitras und Greenwald profitierten drei Jahre später vom Schicksal Julian Assange’s (und dessen Informanten Bradley Mannings): Sie wussten nun was sie von US-Geheimdiensten auf der einen und den Medien auf der anderen Seite zu erwarten hatten. Und der Guardian seinerseits hatte sich von der bis dato bei Medien üblichen Sicht verabschiedet, einen Whistleblower bzw. die von ihm auf dem Silbertablett überreichten brisanten Informationen als exklusiven Besitz zu betrachten. Greenwald und andere publizieren heute aus dem Fundus der Snowden-Files auf ihrer Website The Intercept auch ohne Konzernmedien.

Quellen

Greenwald, Glenn: Die globale Überwachung: Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen, München 2014

Harding , Lukes: E. Snowden – Geschichte einer Weltaffäre, Guardian-Books 2014

Ferguson: Den Himmel erschüttern

Amy Goodman (Übersetzung: Daniela Lobmueh)AmyGoodman

„Solange die Justiz parteiisch ist, stehen wir weiterhin am Rande dunkler Nächte der sozialen Zerstörung.“

Martin Luther King Jr., Rede am 14. März 1968, drei Wochen vor seiner Ermordung

Michael Browns Ermordung im August sendet weiterhin Schockwellen durch Ferguson, Missouri, und darüber hinaus. Letzte Montagnacht entfesselte der Staatsanwalt von Saint Louis County, Robert McCulloch, eine Nacht der sozialen Zerstörung, als er verkündete, dass keine Anklage gegen Darren Wilson erhoben wird, gegen den Polizisten, der Brown tötete. McCulloch verzögerte aus mysteriösen Gründen die Veröffentlichung der Grand Jury-Entscheidung bis in die Nacht. Die Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft beleidigte viele damit, wie ausgiebig die Tat von Darren Wilson verteidigt, aber der Charakter des Opfers Michael Brown attackiert wurde.

Bald nach McCullochs Ankündigung explodierte Ferguson. Gebäude wurden in Flammen gesetzt und niedergebrannt. Autos wurden vom Feuer verschlungen. Aggressive Bereitschaftspolizei ignorierte die viel beschworenen „Rules Of Engagement“-Abkommen mit den Protest-Organisatoren, feuerte Tränengasgranaten auf die empörten Einwohner. Schüsse hallten immer wieder durch die Nacht.

Schwarze Leben spielen keine Rolle

„Schwarze Leben spielen keine Rolle“, sagte ein junger Mann am Montagabend, der in der eisigen Kälte Ferguson2014Fergusons protestierte. Tränengas mischte sich mit dem giftigen Rauch wütender Brände in der Nähe. Eine weitere Demonstrantin, Katrina Redmon, erklärte ihre Frustration mit dem Scheitern, Darren Wilson anzuklagen: „Er tötete einen unbewaffneten schwarzen Jugendlichen. Es gibt keine Entschuldigung dafür. Ein Mann wurde getötet und jemand ging… wir wollen Antworten. Wie es scheint, ist der einzige Weg mit Mord davon zu kommen, wenn Sie eine Polizeimarke haben.“

Ich interviewte die Demonstranten vor der Polizeistation Ferguson die von der Bereitschaftspolizei umringt war. Wir waren nicht weit von der Stelle, wo Michael Brown getötet wurde, mindestens sechsmal von Kugeln des Darren Wilson getroffen, wo seine Leiche auf der Straße lag, blutend, das Gesicht nach unten, mehr als vier Stunden lang in der heißen Augustsonne unter den entsetzten Blicken von Freunden und Nachbarn. Nachdem die Proteste, die Browns Tötung folgten, anwuchsen, marschierten staatliche und lokale Strafverfolgungsbehörden mit einer schockierenden Phalanx von militärischer Ausrüstung und Waffen auf. Sie halfen damit, uns offenzulegen, wie das Pentagon seelenruhig seine überschüssigen Kriegsgeräte aus Irak und Afghanistan zu Tausenden bei Städten und Gemeinden im Land abgeladen hat. Seit 9/11 wurde Militärmaterial im Wert von mehr als fünf Milliarden Dollar derart umgewidmet. Die USA haben jetzt selber eine militärische Besatzungsmacht: Ihre örtliche Polizei.

Haben die Behörden Ferguson brennen lassen?

Sondereinheiten der Polizei und Nationalgarde schwärmten durch die weißen Viertel von Ferguson, während die schwarze Seite der Stadt, entlang der Avenue und West Florissant, verlassen war. Es gab fast keine Cops dort. Der Gouverneur von Missouri, Jay Nixon, erklärte den Ausnahmezustand, eine Woche bevor die Grand Jury-Entscheidung kam. Doch die Nationalgarde, die Truppen, die er eingesetzt hatte, waren nirgends zu sehen in diesem Teil der Stadt. Etwa ein Dutzend Unternehmen ging in Flammen auf. Warum wurde die West Florissant Avenue unbewacht gelassen? Haben die Behörden Ferguson brennen lassen?

In seiner Rede von 1968, „The Other America“, behandelt Dr. King die Angst vor einem bevorstehenden Sommer der Aufstände wie die, die Newark, New Jersey, Detroit und andere schwarze Innenstädte 1967 erschütterten. Martin Luther King sagte:

„Es genügt mir nicht, heute Abend vor euch zu stehen und die Unruhen zu verurteilen. Es wäre 220px-Martin_Luther_King_1964moralisch unverantwortlich für mich, dies zu tun ohne gleichzeitig das Ausmaß der unerträglichen Bedingungen zu verurteilen, die in unserer Gesellschaft herrschen. Diese Bedingungen sind es, die dazu führen Menschen das Gefühl zu geben, dass sie keinen anderen Ausweg als brutale Rebellionen haben, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Und ich muss heute Abend sagen, dass ein Aufruhr die Sprache derer ist, die nicht gehört werden.“

Diese nicht Wahrgenommenen, die Bürger von Ferguson, die über 100 Tage auf der Straße waren, haben keine Brände gelegt. Sie forderten Gerechtigkeit. Solidaritätsproteste, an denen Tausende im Land und in der ganzen Welt beteiligt sind, bestärken ihre Forderungen, vernetzen ihre Kämpfe beim Aufbau einer Massenbewegung.

„Wir werden den Himmel erschüttern,“ sagte mir ein junger Mann angesichts der drohend aufmarschierten Bereitschaftspolizei. Sein Atem war sichtbar in der eisigen Nachtluft. Er zitterte in der Kälte, aber er harrte aus. Es ist dieses Feuer, diese unbeugsame Pflichterfüllung, nicht die brennende Glut der Gebäude, die diejenigen, die vom Unrecht profitieren, am meisten fürchten sollten.

Denis Moynihan trug mit Recherchen zu diesem Text bei. Amy Goodman ist Modratorin von Democracy Now!, einer täglichen internationalen TV/Radio Nachrichtensendung, die auf mehr als 1.200 Stationen in Nordamerika läuft (und in einigen deutschen Kabelnetzen, leider ohne Übersetzung oder Untertitel). Sie ist Co-Autorin von “The Silenced Majority”, einem New York Times Bestseller. Der Text wurde von Daniela Lobmueh aus dem Englischen übersetzt, Original: Shaking the Heavens in Ferguson, Missouri (TruthDig)