Elmar Altvater (Teil 1/4)
Im August 2016 hat die Internationale Geologische Vereinigung das Ende der seit etwa 12.000 Jahren andauernden Warmzeit des Holozän und den Eintritt der Menschheit in ein neues Erdzeitalter festgestellt, das sie das Anthropozän, das vom Menschen gestaltete Erdzeitalter nannte. Aber herrscht wirklich Anthropos? (Paul Crutzen glaubt dies, wie wir im 4. Teil zu Geoengineering kritisch hinterfragen werden.)
Oder ist es die bestimmte gesellschaftliche Form, die kapitalistische Produktionsweise, die ihm die Macht dazu verleiht? Wenn es so ist, erfordert es dann nicht die wissenschaftliche Redlichkeit, das neue Erdzeitalter nicht Anthropozän, sondern eher das Kapitalozän zu nennen? (Zum Streit um die Begriffe vgl. die Beiträge in Moore 2016 und in Ecologia Política 53, Juni 2017)
Das Anthropozän entsteht in Tausenden von Jahren
Die Unterwerfung der Erde unter menschliche Gewalt geschah nicht von heute auf morgen, sie hat sich über »Tausende von Jahrhunderten« (Marx 1867, 535) während des gesamten Holozäns hingezogen. In grober Einteilung kann man vier Etappen unterscheiden:
Die erste Etappe beginnt, als sich die Erde erwärmte und sich die Eisdecke in Richtung der Pole zurückzog. Nun konnten die Jäger und Sammler zu sesshaften Bäuer*innen werden und lernen, ihre Lebensmittel unter Nutzung der Sonnenenergie und des Feuers selbst zu produzieren.
Das war eine Revolution von Produktions- und Lebensweise, die später als neolithische bezeichnet worden ist. Das Land und dessen Bearbeitung ist die Grundlage der menschlichen Existenz. Die vertiefte Arbeitsteilung resultierte in produktivitätssteigernden ›Produktionsumwegen‹, auf denen der Überschuss gesteigert werden konnte. Dafür war ein Preis zu zahlen: neue Krankheiten wegen der dichteren Siedlung und infolge des Zusammenlebens von Mensch und domestizierten Tieren sowie Konflikte um Land. Es zeigt sich nun auch, dass die Arbeitsteilung immer auch Herrschaftsteilung war und ist. Diese entwickelte sich in vielfältigen Dimensionen, als die von Männern über Frauen, der geistigen über die körperliche Arbeit, der Stadt über das Land, als die des Menschen über die Natur.
Eine zweite Etappe beginnt, als die Arbeits- und Herrschaftsteilung in den großen Religionen und Zivilisationen Sinn erhalten und Dauer beanspruchen. Dies materialisiert sich in den großen Reichen der Menschheitsgeschichte. Einige hatten mehrere Hundert Jahre Bestand, sind dann aber untergegangen.
Die dritte Etappe folgte als Projekt der Welteroberung, das von Westeuropa seinen Ausgang nahm und dabei die christliche Religion als missionarisches Versprechen der ökonomischen und politischen Kolonialisierung nutzte. Die modernen Welteroberer stammen alle aus dem europäischen Kulturkreis, sie folgen der von Max Weber so genannten »europäischen Rationalität der Weltbeherrschung« . Die Erde wird seit dem 10. Jahrhundert unserer Zeitrechnung als Globus abgebildet (Muris/Saarmann 1961). Das unbeholfene Ebenbild der Erde wird erst 1968 von den Fotos verdrängt, die Astronauten im Weltraum vom »blauen Planeten« machen.
In der vierten Etappe wird die Welteroberung mit derselben Rationalität wie zuvor fortgesetzt, allerdings mit mächtigeren Mitteln. Diese seit dem 18. Jahrhundert systematisch genutzten Mittel sind die fossilen Energieträger. Die mithilfe geeigneter Maschinen in Arbeitsenergie umgewandelte Primärenergie stammt nicht mehr von der Sonne, sondern aus terrestrischen ›Bordmitteln‹, die aus der Erdkruste extrahiert werden müssen. Kohle und später Öl und Gas ermöglichen die Vervielfachung der Kräfte infolge des hohen Rückflusses investierter Energie (energy return on energy invested – EROEI) fossiler Energieträger. Quelle RLS (to be continued)
Crutzen, Paul, 2002: Geology of mankind, in: Nature 415, 3.1.2002.
www.nature.com/articles/415023a
Elmar Altvater ist Politologe und war bis zu seiner Emeritierung Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU-Berlin. Er gilt als renommierter Kritiker der politischen Ökonomie und ist Autor zahlreicher wachstums- und kapitalismuskritischer Schriften, (Auswahl):