Machtwechsel in Tunis

Gerd R. Rueger tunisia-flag-svg

Tunis. Ministerpräsident Ali Larayedh ist nun doch zum Rücktritt bereit, noch bevor die neue Verfassung verabschiedet ist. Der steinige Weg zu einer neuen Verfassung könnte damit trotz Terror gegen die linksliberale Opposition und Störmanövern von außen geebnet werden.

Nur unter dem Druck der linksliberalen Opposition hat Ministerpräsident Ali Larayedh just seinen Rücktritt erklärt. Sein Rücktrittsgesuch liegt bei Präsident Moncef Marzouki und der bisherige Ministerpräsident wird gemäß einem Zeitplan für Neuwahlen die Macht an den parteilosen bisherigen Industrieminister Mehdi Jomaâ abgeben. Dieser soll an der Spitze einer „Expertenregierung“ die Wahl vorbereiten, was einer Technokratisierung des Mittelmeerraumes entspricht, wie sie bereits in Griechenland und Italien erprobt wurde.

Larayedh hatte zuvor angekündigt, die Macht erst nach der Verabschiedung der Verfassung, dem Beschluss eines Wahlgesetzes und der Bildung einer Wahlkommission abzugeben. Die neue Verfassung soll bis zum 14. Januar verabschiedet werden. Die Verabschiedung der Verfassung schreitet dank der Vermittlung der einflussreichen Gewerkschaft UGT und seit der Rückkehr der Opposition, welche die Nationalversammlung seit Juli über Monate hinweg boykottiert hatte, rasch voran. Am Mittwochabend wurde auch eine Wahlkommission eingesetzt: Eine wichtige Bedingung für die Vorbereitung der Parlamentswahl. Allerdings wurden diese Fortschritte überschattet von Ausschreitungen in mehreren Städten –angeblich aus Protest gegen eine neue Fahrzeugsteuer.

Tunesien: Selbstmordattentat auf den Tourismus

Außer dem Attentäter wurde niemand getötet oder verletzt. Der Mann mit Sprenggürtel hatte vergeblich versucht in ein tunisia-flag-svgHotel einzudringen –wer hat ein Interesse an der Destabilisierung Tunesiens? Gerade begann sich der Tourismus in Tunesien wieder etwas zu erholen. Doch dies gefiel offenbar bestimmten Machtgruppen nicht -ob wirklich nur „Islamisten“ als die üblichen Schurken dahinter stecken, wird von vielen Tunesiern bezweifelt.

Vor einem Hotel in der tunesischen Küstenstadt Sousse, einem beliebten Touristenzentrum an der Nordostküste, hat sich jetzt ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Verletzte über den Attetäter hinaus hat es zwar nicht gegeben, doch soll es zu einer Panik gekommen sein –keine gute Werbung für die instabile Demokratie nach der Jasminrevolution.

Tunesiens Tourismusindustrie ist gerade dabei, sich wieder zu erholen. 2011, im Jahr des Sturzes des Diktators Zine el-Abidine Ben Ali, ging die Besucherzahl von 6,7 Millionen (2010) auf 4,6 Millionen zurück. 2012 kamen schon wieder 5,9 Millionen Besucher. Für dieses Jahr zeichnete sich ab, wieder den Stand von 2010 zu erreichen –auch dank des Sozialgipfels. Rund sieben Prozent des tunesischen BIP und ca. 20 Prozent der Deviseneinnahmen kommen aus dem Tourismus. Das Hotelgewerbe bietet Besuchern Tunesiens über 240.000 Betten, 400.000 Tunesier arbeiten dort. Die Regierung will die Branche weiter auszubauen und künftig auch das Landesinnere dafür erschließen.

Doch Extremisten haben scheinbar andere Pläne –wer auch immer hinter ihnen steckt. Viele vermuten Dollars vom CIA bzw. US-Marionetten-Regierungen der Ölstaaten. Auch in Monastir, ganz in der Nähe von Sousse,  gab es einen Zwischenfall: Dort nahm die Polizei einen Mann fest, der sich angeblich am Grab Bourguibas in die Luft sprengen wollte. Habib Bourguiba war der erste Präsident des Landes nach der Unabhängigkeit von Frankreich und der Ausrufung der Republik im Jahr 1957. Bombenattentate in Tunesien bislang zum Glück selten. Seit dem NATO-Angriff auf  das Nachbarland Libyen sind jedoch militante Islamistengruppen eingesickert. Die Extremisten machten sich vermutlich das vom „humanitären“ Gemetzel der westlichen Bombardierungen hinterlassene Chaos in Libyen zunutze, um sich Waffen zu besorgen.

Dabei hat gerade der Nationale Dialog zwischen Regierung und Opposition begonnen, der das Land aus der politischen Krise führen soll. Ministerpräsident Ali Larayedh von der islamistischen Ennahda hatte versprochen, gemäß einem Zeitplan für den Nationalen Dialog zurückzutreten. Am Freitag übergab er nach Angaben der Ennahda eine entsprechende schriftliche Erklärung. Mit dieser Zusicherung erfüllte er eine Forderung der Opposition, die sich ohne schriftliche Erklärung einer Teilnahme verweigert hatte. Der von dem Vermittlerquartett ausgearbeitete Zeitplan sieht vor, dass Ali Larayedh drei Wochen nach Beginn des Nationalen Dialogs zurücktritt, also Mitte November. Larayedh hat inzwischen zwar seine Bereitschaft zum Rücktritt bekräftigt, aber zum keinen konkreten Zeitpunkt genannt. Tunesiens Parteien ist es bislang nicht gelungen, sich über eine Übergangsregierung zu einigen. Im Verlauf der Debatten, die seit dem 25. Oktober im Gange sind, sind die Ennahda und die Opposition übereingekommen, dass sich mit der Auswahl des künftigen Premiers eine Kommission beschäftigen soll. Weiterer Terror würde den Einigungsprozess torpedieren, ohne einer Seite Vorteile zu bringen.

Tunis: Neuer starker Mann in Sicht?

Gerd R. Rueger 23.02.2013 tunisia-flag-svg

Tunesien befindet sich weiterhin in einer schweren politischen Krise. Anfang Februar war der linke Oppositionspolitiker Chokri Belaid ermordet worden, was landesweite Proteste und Generalstreik gegen die herrschende Ennahda-Partei auslöste. Von Belaids Umfeld wurden die Islamisten für dessen Tod verantwortlich gemacht.

Tunesiens bisheriger Innenminister Ali Larajedh (Foto: AFP)

Innenminister Ali Larayedh, Ennahda

Das höchste Gremium der Ennahda entschied sich jetzt für die Nominierung des 58-jährigen Innenministers Ali Larayedh, Mitglied der islamistischen Ennahda-Partei, für das Amt des Ministerpräsidenten und Staatspräsident Moncef Marzouki stimmte dem Vorschlag zu.

Sein just zurückgetretener Vorgänger Jebali war mit seinem Plan zur Bildung einer „Experten“- soll heißen Technokratenregierung an seiner eigenen Partei gescheitert. Larayedh war in der Zeit des Diktators Ben Ali, der Anfang 2011 durch die zweite Jasminrevolution gestürzt wurde, im Widerstand. Er war 15 Jahre lang inhaftiert, davon 10 Jahre in Isolationshaft, und gefoltert worden -was damals kein westliches Medium weiter interessierte.  Larajedh gilt sowohl als Pragmatiker wie auch als Hardliner. Er lehnt verständlicherweise jegliche politische Beteiligung von Parteien ab, die schon unter  Ben Ali mitmischten -also seinen ehemaligen Folterknechten nahestanden.

Ali Larayedh gelobte am Freitag in seiner ersten Rede nach der Nominierung wenig originell eine neue Regierung „für alle Tunesier und Tunesierinnen“. Sein Kabinett wolle alle Bürger vertreten, denn „Männer und Frauen haben die gleichen Rechte und Pflichten“, sagte Larayedh und gab sich damit versöhnlich in der umstrittenen Genderfrage. Denn in der Verfassunggebenden Versammlung hatte die Ennahda versucht, in das neue tunesische Grundgesetz anstelle der „Gleichheit“ von Mann und Frau deren gegenseitige „Ergänzung“ zu schreiben, was aber durch Proteste und Unruhen verhindert werden konnte.

Larayedh hat zwei Wochen Zeit, um eine neue Regierung zu konstituieren, dann muss noch die Nationalversammlung zustimmen. Die Ennahda wird mit ihren 89 Abgeordneten auf die nötige Stimmenzahl kommen, versprach jedoch, eine grösstmögliche Koalition zu bilden, um durch Kompromissbereitschaft einen Ausweg aus der politischen Krise Tunesiens zu suchen -was nach der brutalen Ermordung von Chokri Belaid die einzige Lösung sein dürfte.