Facebook, Google, Apple… und wie man Widerstand leisten könnte

Cover: „Disrupt!“ (Unrast-Verlag) Filmplakat „Metropolis“, dem Science Fiction-Klassiker von Fritz Lang

Ein Essay mit Buchkritik von Hannes Sies

Wir alle nutzen gern und häufig neue Technologien, z.B. hier und jetzt im Internet. Selten, allzu selten denken wir darüber nach, welche Folgen diese Technik für uns selbst, geschweige denn für Gesellschaft und Politik haben könnte. Kulturelle Reflexion über Technologie findet überwiegend nur im Genre Science Fiction (SF) statt. Dies kann bestenfalls utopische Züge haben, schlimmstenfalls in reaktionäre Auswüchse des „Fantasy“-Genres reichen. Ersteres kann man massenkulturell vielleicht bei Star Trek (deutsch: Raumschiff Enterprise) finden, letzteres bei Star Wars (das von seinen Fans für SF gehalten wird). Für bodenständige Menschen bedeutet das Prädikat „utopisch“ nur ein anderes Wort für „Spinnerei“, ihre Überlegungen bezüglich der Zukunft reichen meist nicht weiter als, sagen wir, ein Bausparvertrag oder der Rentenanteil im nächsten Tarifabschluss.

Zumindest von den Leuten, die Technologien entwickeln, sollte man eigentlich erwarten, dass sie über die Folgen reflektieren. Tatsächlich ist die technische Intelligenzia oder, wie man sie heute nennt, die „Nerds“, eifriger Konsument von Massenkultur à la Star Trek und Star Wars, wie man in der äußerst erfolgreichen Nerd-Satiresoap The Big Bang Theory sehen kann: Zur kritischen Beschäftigung mit dem eigenen Handeln oder mit Technologie führt dies aber kaum, nur zu Eskapismus in eine unpolitische, evtl. noch lasch-sozialliberale Haltung (Schmusenerd Lennard) bzw. sogar zu reaktionär-konservativer Weltsicht (beim Asperger-Syndrom-Nerdkönig Dr.Sheldon Cooper).

Dr.Sheldon Cooper liebt Facebook

Dr. Sheldon Cooper, Chef-Nerd aus The Big Bang Theory (von Fan-Website BBT-Wiki)

Keine Figur dieser auch hierzulande täglich im Fernsehen wiederholten US-Serie macht sich jemals kritische Gedanken über das Handeln ihrer Regierung. Ebenso wenig über die Richtigkeit der Politik, für die sie sich auch gar nicht interessieren und meist auch kaum über die Technologie, die sie entwickeln. -Abgesehen von ein paar Zweifeln, als das Militär als besonderen Gag etwas davon requiriert und für geheim erklärt (Zweifel, die mit Angst vor Repressionen schnell herunter geschluckt werden). Das Erfolgsgeheimnis dieser Soap: Solche Nerds gibt es tatsächlich und sie werden immer mehr. Einige von ihnen versuchen sich sogar etwas ernsthaftere Gedanken zu machen als die Medien-Klischee-Vorbilder aus den USA, z.B. Leena aus dem Umfeld der deutschen Hackerszene:

Ob The Circle, Black Mirror, The Handsmaids Tale oder Star Trek Discovery – Unsere Populärkultur wirft derzeit einen pessimistischen Blick in die Zukunft. Dabei brauchen wir gerade jetzt technologische Utopien.“ Leena

Leena denkt dabei nicht direkt an Politik, aber sie gehört zu jenen, die das Buch DISRUPT! lesen sollten. Als Autor von DISRUPT! zeichnet verantwortlich das „redaktionskollektiv çapulcu“ („çapulcu“ steht türkisch für „Banditen“ und wurde von Erdogan-Gegnern nach selbiger Beschimpfung für sich übernommen). Man sieht Technologie explizit politisch, kritisch und links:

Logo von Capulcu (weil Erdogan während der großen Proteste eine Pinguin-Doku im Fernsehen senden ließ)

DISRUPT! beschreibt die Versuche, das menschliche Dasein den Anforderungen einer reduktionistischen künstlichen Intelligenz zu unterwerfen. Der Anpassungsdruck des Menschen an die Maschine wirkt bereits jetzt – weit vor einer vollständigen Vernetzung aller mit allem. Das redaktionskollektiv çapulcu dechiffriert diese oft unhinterfragte Entwicklung als Angriff auf unsere Autonomie und analysiert seine entsolidarisierende Wirkung. Denn Technologie ist nie neutral, sondern immanent politisch.“

Die Autoren sind keine Maschinenstürmer, aber sie wollen die neuen Technologien kritisch auf ihre Folgen befragen, auf ihre politökonomischen Hintergründe, auf die Motive der Herrschenden bei ihrer Propagierung und Durchsetzung. Das gelingt sehr überzeugend. Der Unterton ist zuweilen etwas düster, doch es überwiegt der gerechte Zorn über unfaire Verhältnisse, die zynischen Lügen und die Repression, mit der iT-Machteliten ihre Gier auf unser aller Kosten befriedigen. Das ist weit mehr als wir bei zeitgenössischen Nerds sonst zu sehen bekommen:

Ob Klimawandel, Totalüberwachung, künstliche Intelligenz oder das Erstarken menschenverachtender Menschenbilder, wir haben viel Grund zum Pessimismus. Gerade in Zeiten, in denen viele der Mut verlässt, wo viele sich eingestehen, dass sie eher mit Zweifeln in die Zukunft sehen, braucht es positive Ideen zum Umgang mit Technik.“ Leena

Big Bang Theory und die Politik der Nerds

Vielleicht denkt auch Leena bei diesen positiven Ideen an die Hackerkultur, deren politische und sogar radikale Aktionen das redaktionskollektiv çapulcu ausführlich begründet und beschreibt: Mit Macht vorangetriebene technologische Schübe wären kaum umkehrbar, sobald sie gesellschaftlich durchgesetzt wären. Denn „der darüber geprägte Zeitgeist“ wirke selbstverstärkend für die notwendige Stabilisierung, wobei dieser Geist,so muss man anmerken, etwas Hilfe von Medienkonzernen bekommt, wenn sie etwa einen Sozialcharakter wie den US-Nerd in nur vermeintlich unpolitischen TV-Serien wie The Big Bang Theory unter Abermillionen jungen Menschen verbreiten.

Capulcu fordert einen Gegenangriff auf Ideologie und Praxis „der totalen Erfassung“ und „die Wiederbelebung einer praktischen Technologiekritik zwischen Verweigerung und widerständiger Aneignung spezifischer Techniken“. Als Gegner werden nicht nur Regierungen und Behörden des klassischen Überwachungsstaates benannt, sondern mehr noch die großen Konzerne und Industrien der digitalen Welt: Apple, Google, Microsoft und Facebook, um nur die bedeutendsten zu nennen. Der Vorwurf lautet auf Ausbeutung, ganz traditionell ihrer Arbeiter, insbesondere im globalen Süden, China etwa. Aber gerade auch ihrer „Kunden“ und der Nutzer ihrer Angebote. Diese würden in ihrer Privatsphäre verletzt, ihre Daten rücksichtslos verwertet und sie selbst als total ausspionierte Kundenprofile verraten und verkauft. Für die Werbewirtschaft ein gefundenes Fressen ist vor allem Facebook: Seine gut zwei Milliarden Nutzer sind der Durchleuchtung und Manipulation recht- und schutzlos ausgeliefert und ahnen es meist nicht mal. Einige, nennen wir sie Leena und Ingo (Namen, wie sie heute typische sozialliberale Mittelschicht-Akademiker ihrem Nachwuchs verpassen) ahnen meist eher unbewusst, dass dabei nicht alles Gold ist, was auf ihrem Bildschirm glänzt, vermögen aber nicht, politisch tiefer gehende Kritik zu entwickeln:

So ein soziales Netzwerk ist eine tolle Sache. Immer und überall lässt sich herausfinden, wie es den Freunden wohl gehen mag, was sie gerade treiben. Andersrum lässt sich natürlich auch mitteilen, wie denn das eigene Befinden so ist, zu welcher Party es als Nächstes geht und wie die letzte denn so war. Ab und an werden die Nerven dann doch strapaziert, wenn der Freundeskreis haufenweise YouTube-Videos zu postet, Bilder von verschiedenen Gruppen zu teilt oder einfach nur blindlings jede offensichtlich virenschleudernde App installiert. Aber an und für sich ist es ganz toll, immer mit den Lieben, nahen und fernen Bekannten und Freunden verbunden zu sein. Insbesondere dann, wenn sie sich nach Schule, Ausbildung und Studium über die ganze Welt verteilt haben. Das erzeugt dann ein gewisses Heimatgefühl.“ Ingo

Ingo kommt am Ende einer weitgehend unpolitischen, über große Zusammenhänge völlig uninformierten, aber immerhin noch rationalen Abwägung, wenigstens zum Ergebnis, persönlich auf Facebook zu verzichten. Sein Weltbild ist vermutlich das Ergebnis eines Medien-Mainstreams, der ein werbefreundliches Umfeld schafft und sich an Vorgaben der Bilderberg- etc. Machteliten hält: Die eigene Regierung wird unkritisch gesehen, ihre z.B. Verletzungen des Völker- und Menschenrechts bei Angriffskriegen (Libyen, Syrien usw.) sind unbekannt und „Oligarchen“ gibt es nur in Moskau, nicht in Washington, London, Paris und Berlin. So kann Ingo auch kaum begreifen, welches Ausmaß die medial-digitale Kontrolle über sein Leben wirklich schon hat und vor allem nicht, von wem und wozu sie ausgeübt wird. Geschweige denn, dass er an Widerstand dagegen denken könnte (der über eine Änderung seines Soziale-Medien-Konsums hinausginge). Würde Ingo bloß dieses Buch lesen:

Denn Capulcu wird da in Disrupt! Schon wesentlich konkreter: „Alles, was man jemals preisgegeben hat – ob freiwillig oder ohne eigenes Wissen und Zutun – bleibt im digitalen Gedächtnis des Internets für immer erhalten. Eine reichhaltige Fundgrube also für Unternehmen und staatliche Repressionsorgane. Facebook beispielsweise wertet permanent die eingegebenen Daten aller Nutzer*innen aus, und Werbefirmen können sich Profile zurechtklicken, um genau den Personen maßgeschneiderte Werbung zu schicken, die sich für ihre Produkte interessieren könnten. Natürlich ist dies nur ein minimaler Teil der Datenquellen im Netz, auf die zugegriffen werden kann. Scheinbar kostenlose Dienste wie die von Facebook oder Google werden mit den eigenen Daten teuer bezahlt – und die Unternehmen machen Milliarden damit. Viele Smartphone-Apps beispielsweise leiten die Daten ihrer Nutzer an Werbenetzwerke weiter, ohne dass diese davon in Kenntnis gesetzt werden oder gar ihre Zustimmung gegeben hätten. Die Werbenetzwerke speichern dann die IMEI (International Mobile Station Equipment Identity, die Seriennummer des benutzten Geräts, das dadurch eindeutig identifizierbar ist) zusammen mit dem Nutzungsverhalten über mehrere Apps hinweg, so dass ein aussagekräftiges Interessenprofil der Nutzer erstellt werden kann. Es werden freiwillige direkte Angaben, aber auch Klicks, Likes und Dislikes, Standorte, soziale Netzwerke und Beziehungen erkannt und ausgewertet, um Profile von Menschen zu erstellen, sie einzuschätzen, zu bewerten, ihr Verhalten vorherzusagen und sie zu manipulieren. Wer glaubt, dass es sich hierbei um scheinbar unkritische, harmlose Daten handelt, liegt leider falsch. Interessant sind neben demografischen Daten gerade solche, die tiefe Einblicke in das Leben von Menschen erlauben. So sind beispielsweise persönliche Stärken, Schwächen, Ängste, Interessen und Einstellungen, aber auch Krankheiten, Beziehungen, Kaufkraft und Kreditwürdigkeit, intime Geheimnisse, Neigungen oder Suchtverhalten von großem Interesse.“

Disziplinierung durch Fitness-Tools und Profiling

Capulcu weist auf drohenden Missbrauch etwa durch Krankenkassen hin, die gierig darauf sind, uns loszuwerden, sobald wir „schlechte Risiken“ werden: Wenn wir krank werden also. In Zukunft wird man versuchen, uns vorher loszuwerden oder gar nicht erst aufzunehmen, wie am Beispiel Generali gezeigt wird. Folge: Jeder spürt den Zwang zur Selbstoptimierung als neoliberales Markt-Subjekt, das im Wettbewerb mit allen anderen steht. Solidarität? Fehlanzeige. Bei der großflächigen Disziplinierung wird die neue Mode der Fitness-Messung angewandt, aber auch die politische Willensbildung sei ins Fadenkreuz gerückt. Firmen wie die berüchtigte Cambridge Analytica etablierten dort gerade Geschäftsmodelle: Das Buch beschreibt den Skandal rund um den Trump-Wahlkampf und die Brexit-Kampagne, die von der Cambridger Firma beraten wurden. Beide hatten Erfolg, womöglich auch weil sie personifizierte Propaganda verwenden konnten. Diese wurde anhand von Facebook-Profilen direkt auf sie zugeschnitten: Digitaler Rechtspopulismus, der von sogar für Facebook-Standards illegal auf Nutzerdaten zurückgriff. Diese Story ist inzwischen auch im Medienmainstream angekommen -aber wäre sie es, wenn nicht die Außenseiter-Positionen Trump und Brexit damit durchgesetzt worden wären? Und wie naiv muss man sein, um zu glauben, dass nicht zahlreiche andere geheime Kampagnen ähnliche Methoden anwenden?

Cambridge Analytica war nur ein extremes Beispiel für die täglich geübte Normierung und Disziplinierung der digitalen Subjekte im Netz, aber auch im realen Leben. Ziel ist die vom Nutzer freudig -und teilweise sogar dafür bezahlend- selbstgewählte Unmündigkeit. Capulcu analysiert die digitale Antiaufklärung über Smartphone, Fitness-Armband und Computer, wie sie weiland Adorno nicht schärfer hätte kritisieren können.

Doch das lieber anonym bleibende Redaktionskollektiv bearbeitet noch viele weitere Bereiche, die Silicon-Valley-Ideologie um Künstliche Intelligenz und Transhumanismus, ihre Nudging-Manipulations-Strategien, Big Data als Basis von Wahlbetrug. Die Kritik bearbeitet auch traditionell linke Themen: Wie Apple seine Arbeiter in China ausbeutet; wie Uber das Taxigewerbe entsolidarisiert und dabei die Selbstausbeutung der vom Neoliberalismus entwurzelten „Selbstunternehmer“ ausnutzt; wie die unpolitisch-zynische IT-Gewinnler-Klasse den Rest der Welt dem hemmungslosen Zugriff des Kapitals preisgibt, etwa in der Gentrification durch AirBNB (eine neoliberal-konzernmäßige Pervertierung des Gedankens der Mitwohnzentralen).

Widerstand gegen Google, Facebook & Co.

Dabei wird der Missbrauch von Technologie nicht nur kritisiert und beklagt, sondern immer Möglichkeiten des Widerstands beschrieben. Schade, dass solche Bücher es wohl nicht zur Schullektüre bringen werden. Abschließend eine Passage über den Kampf gegen Google, dessen „sozialer“ Einsatz für seine gutbezahlten Nerd-Angestellten nicht von allen begrüßt wird:

Straßenszenen in San Francisco: Unrat und Blockaden gegen Google-Luxusbusse, Besetzung des Airbnb-Hauptquartiers, Abwehr von Gerichtsvollzieher*innen bei Wohnungsräumungen. Das sind Formen eines Kampfes gegen Vertreibungsdruck in Silicon Valley, der Welthauptstadt des technologischen Angriff s der IT-Industrien, der die Lebensverhältnisse der umliegenden Städte San Francisco, Oakland etc. umzupflügen sucht. Es ist zugleich ein Schwerpunkt des weltweiten Kampfes, den wir auf allen Kontinenten und in vielen Städten Europas in vielen Facetten und Schattierungen erleben. Überall steigert eine unerbittliche VertreibungsOffensive die gemächlicheren Formen vormaliger ›Gentrifizierung‹ auf neue Höhepunkte. In ihrem Machtkern operieren neue Eliten und Wohlhabende, die auf irgendeine Art und Weise Agent*innen und Nutznießer*innen des technologischen Angriffs sind. (…)

Auf Fotos können wir Aktionen verfolgen, z.B. wie die von Google und anderen Unternehmen für ihre Mitarbeiter*innen eingesetzten Luxusbusse blockiert, mit Schmutz und Unrat beworfen und auf alle erdenklichen Weisen attackiert werden. Mariannes Fotoserie zeigt uns auch die direkten Kämpfe gegen Vertreibung. Sie reichen von Kampagnen gegen die Übernahme von Gebäuden durch Tech-Reiche bis hin zur direkten Blockade. Die ersteren waren zuweilen nicht ohne ›Geschmäckle‹. So beanspruchte ein in den Diensten der IT-Offensive zu Reichtum gekommener Rechtsanwalt ein ganzes 12-Stockwerke-Haus für sich allein. Eine Kampagne fand heraus, in welcher Schwulen-Bar er verkehrte und verbreitete über das Beziehungsanbahnungs-Portal »tinder« die Vertreibungsgelüste des Rechtsanwalts – mit der Folge, dass Teilnehmer des Portals eine Kontaktaufnahme mit ihm verweigerten, weil sie mit Vertreibern nichts zu tun haben wollten. Die Kampagne verfehlte ihre Wirkung also nicht.“

çapulcu redaktionskollektiv: DISRUPT! Widerstand gegen den technologischen Angriff, Unrast Verlag, Münster 2017, 155 S., 12,80-

Gekürzte Version zuerst erschienen bei (Scharf-links)

Siehe dazu auch die Kritik des neoliberalen Buches Disrupt Yourself

 

Facebook, Liebe, Sex: Die Ausbeutung von menschlichen Beziehungen

Bild: LoboStudioHamburg / CC0 Creative Commons

Zuckerbergs Netz-Multi Facebook ist ein Datenschutz-Alptraum, gegen den Orwells „1984“ wie ein idyllischer Heimatfilm wirkt. Gesichtserkennung zur Identifikation steht ja praktisch schon im Firmennamen. Dazu kommt  NSA-Spy-Hightech, die kein volles Gesicht mehr braucht: Haare, Kleidung, Umfeld genügen. Der mit einer rosa Wolke aus Likes benebelte Nutzer und sein Freundeskreis werden via Partyfoto, Selfie usw. ausgespäht -er wird politisch manipuliert,  seine intimsten Beziehungen werden „narrativ“ durchleuchtet und schamlos ausgebeutet.

Capulcus

„Wir sind alle Facebooks Laborratten“, titelte Leonid Bershidsky in einer Tech-Kolumne bei Bloomberg. Ein zentrales Labor gilt der Untersuchung von Facebooks Möglichkeiten zum Management von Beziehungs- und Gefühlskapital. Hier leistet sich Facebook eine eigene Forschungsabteilung unter dem Sozialwissenschaftler Cameron Marlow. Facebooks Bedeutung als Avantgarde-Unternehmen liegt darin begründet, dass es mit dem weltweit größten Aufkommen an Nutzern auch das größte Laboratorium beherrscht. Natürlich stehen die Profite durch Werbung immer im Hintergrund, geschenkt. Aber die setzen die Qualität und Tiefe des sozialen Felds voraus, das es zu bewirtschaften gilt.

Facebook: Gierig auf dein „bonding-capital“

Facebook reichen die bloßen Kontakte ihrer Usern nicht aus, sie sind zu unsicher und flüchtig. Da es den Usern um Inhalte geht, setzt ein nachhaltiger Zugriff die Einbeziehung der Inhalte voraus. Im Bereich nichtgeschäftlicher persönlicher Kontakte, der Hauptgegenstand der Begierde, ist dies schwierig. „Like“-Buttons waren der erste Schritt, um Neigungsprofile zu erstellen. Das reicht aber kaum für die Erschließung des weiten Feldes persönlicher Beziehungen. Das zu bewirtschaftende Beziehungskapital (manchmal auch Sozialkapital genannt) wird unterschieden in „Bindungskapital“ zwischen Personen durch Freundschaft , Liebe und Familie („bonding-capital“) und „Brückenkapital“ („bridging-capital“), durch das jenseits, aus und über diesen Kreis hinaus Brücken nach außen hergestellt werden. „Soziales Kapital ist gutes Zeug (…) Diejenigen von uns mit einem hohen Sozialkapital-Reichtum sind tendenziell glücklicher, gesünder und widerstands- fähiger“, sagt Facebook-Forscherin Jennifer Cobb.

Facebook weiß, es kommt an die Herstellung von engen Beziehungen nicht heran und erst recht nicht hinein. Denn: sein Ort und die Art und Weise seines Zustandekommens sind der Mechanik seiner Algorithmen verschlossen. Das ist das Reich der Kontakte von Angesicht zu Angesicht („face to face“). Sprache mit seinen unendlichen Tonschwingungen, und -färbungen, Mimik, Körpersprache etc. verbinden sich kontextabhängig zu einer komplexen Wirklichkeit, an der Analysealgorithmen nicht einmal kratzen. Noch immer holen sich ihre Analytiker allein bei der Erkennung und Deutung von Sarkasmus und Ironie blutige Nasen. „Was bist Du für ein starker Held“, sagt die Frau, „du kannst mir bestimmt das Gepäck vom Bahnhof abholen“. Dieses Heldentum ist für den Algorithmus nicht zu knacken und damit auch nicht die Anbahnung von neuem Bindungskapital. Er erkennt schon an der Stimme, woran er ist, es gehört zum Reservoir von Spielen, die sie spielen.

Der Einstieg von Facebook läuft über die Bearbeitung, die„Pflege“ dieses „Kapitals“, über das, was Facebook „maintenance“ nennt. Und hier spielen Geschichten und Photos eine zentrale Rolle. Der Hintergrund: man geht davon aus, dass es für Menschen praktisch keine losgelösten, erzählungsfreien „Fakten“ gibt. Fakten gewinnen ihre Bedeutung in Erzählungen. Die Entdeckung der Spiegelneuronen hat die neurophysiologische Grundlage geliefert. Der italienische Neurologe Giacomo Rizolatti hatte zufällig bei der Untersuchung eines nussaufknackenden und -essen- den Affen und eines Affen, der ihn dabei beobachtete, folgendes festgestellt: bei dem beobachtenden Affen entstanden identische Hirnmuster, so, als ob er selber knackte und äße. In den Hirnen wurden parallel „erzählerische“ Gesamtheiten aktiviert. Erzählung ist also eine Grundtatsache. Dementsprechend bilden und verändern Menschen ihre Identität ständig dadurch, dass sie sich ihre eigene Geschichte ständig neu erzählen.

Wie funktioniert Manipulation durch Framing?

„Narration“ (Erzählung) ist heute der Ansatzpunkt für Beeinflussung, Manipulation von Facebook_LogoWahrnehmung, Entscheidung und Verhalten. Vor allem im sogenannten „Framing“, der narrativen, erzählerischen Definition eines Bezugsrahmens für Verhalten, über das die Definitionsmacht ausgeübt werden soll. Facebook hat „Timeline“ als Programm erfunden, um Nutzer zur Selbsterzählung mit Photos (Instagram) einzuladen. Google hat mit „Stories“ nachgezogen. Sie nutzen es als Trojanisches Pferd, als Einfallstor in die Beziehungswelt. „Enger zusammenwachsen auf Facebook“ („growing closer on Facebook“) heißt das Motto. Dafür steht eine rührende Zeichnung. „Sie“ gießt auf ihrem Balkon ein Blümchen, dessen Zweig zu „seinem“ Blümchen auf dem Nachbarbalkon rüberwächst, das noch schüchtern ein Blättlein ausstreckt (durchaus pc im Sinne der aktuellen Genderpropaganda).

„Wir haben Facebook aufgebaut, um dich mit den Menschen zu verbinden, die du liebst. Beste Freunde, Familienmitglieder, High-School-Klassenkameraden und alte Bekanntschaften interagieren täglich Milliarden Mal, wenn sie wechselseitig ihre Geschichten lesen, Botschaften schicken, Photos austauschen“, schreiben Facebook-Wissenschaftlerin Moira Burke und Human-Computer-Interaction-Spezialist Robert Kraut. Und weiter: „Vor kurzem haben Robert Kraut und ich eine Studie betrieben, um auseinanderzufieseln, wie verschiedene Arten der Nutzung Änderungen sozialer Beziehungen vorhersehbar machen.“ „Soziale Netzwerke wie Facebook ändern die Ökonomie von Einleitung und Verfall (…). Kollegen stellen fest, dass Kommunikation auf Facebook Beziehungen durch Signale gegenseitiger Zuneigung aufrechterhält. Sie nennen diesen Austausch ‚Verhalten zum Unterhalt von Beziehungen’, was Aufmerksamkeit und Investition in eine Freundschaft signalisiert. Das Schreiben auf der „Wand“ von Freunden oder kommentieren von Photos stellt eine Form der sozialen Pflege zur Erhaltung der Beziehung dar.“ Facebook stellt Nachrichten zu einem Strom zusammen, bekannt als „Newsfeed“ („Nachrichtenfütterung“), der neue Fotos, Status-Updates und Mitteilungen über Aktivitäten enthält, wie z.B. neue Freundschaften oder Posts auf den Wänden anderer Freunde. „Diese Aktivität muss man mit „small-talk“ vergleichen, schnelle Informationsausbrüche über den Alltag der Freunde. Ein großer Teil dieser sozialen Ströme besteht aus „ich-jetzt“-gerichtetem Inhalt. Aber auch diese alltäglichen Details werden allgemein als die Bauteile enger Beziehungen gewertet.“

Beziehungen beobachten, bewirtschaften -ausbeuten

„Facebook makes the heart grow fonder“ heißt es in einer anderen Studie: Facebook dient als Zuneigungsverstärker. Kostengünstig und effizient übrigens, wie betont wird. Kurz: wir haben hier den Beginn einer Bewirtschaftung von Beziehungen. Sie beobachtet und kontrolliert nicht nur das Kontinuum alltäglicher Beziehungen. Sie „füttert“ auch die Bausteine ein und hilft damit Routinen zu schaffen, die Verhalten erst vorhersehbar machen. Diese Hybridform von Verhaltensbeforschung, -kontrolle und –design bzw. Einschleifung steht in Analogie zu Bestrebungen in der „Verhaltensökonomie“. Facebook kann kein „bonding“ schaffen, aber es kann sich über diese Einfallstore zu den Beziehungskernen vorfressen und einschleichen.

Es liegt auf der Hand, dass die darüber hinausgehen- den kommunikativen Beziehungen („Brückenkapital“) viel offener für ihre strategischen Strategien der Besetzung und Aneignung sind. In den Studien hierzu ist viel von Investition und Kosteneffizienz die Rede. Das ist nicht unwichtig. Denn der Rationalisierungsaspekt hat etwas mit der Ökonomie sozialer Beziehungen zu tun und Effizienzgesichtspunkte sind von Bedeutung dafür, wie und wie viele in diese neuen Formen der Bewirtschaftung von Sozialkapital eingesogen und handhabbar gemacht werden. Von etwas anrüchigem haut-gout sind die neuesten IT-Vorstöße in den sexuellen Bereich. Gut, es gab und gibt seit längerem den Peep-Voyeurismus per Video. Aber der neuerliche Vorstoß hat doch eine völlig neue Qualität, auf die die bürgerliche Presse mit etwas miefiger Frivolität gleich anspringt.

„Wenn Mutti immer saugen kann, die Porno-Industrie kreiert gerade die virtuelle Zukunft der Sexualität“, titelt Springers Welt am Sonntag vom 02.02.2015 mit Loriots Bonmot für ihre feiertäglichen Leser.

„Es geht um Erfindungen, die den direkten Körperkontakt zwischen Mann und Frau wahlweise anderen Sexualpartnern- letztlich überflüssig machen. Mit Hilfe der neuesten technischen Produkte, die jüngst auf einer Pornomesse vorgestellt wurden, lassen sich selbst über Kontinente hinweg, Gefühle, Erregungszustände und physische Sensationen austauschen.“

Avatare: Von Elektro-Porno bis Shades of Grey

Virtuelle Realitäten sind das Material des informationstechnischen Arrangements mit „Oculus-Rift “ Fuck_Facebookals ihrem zentralen Bestandteil. Headset aufsetzen und man ist voll drin in der virtuellen Wirklichkeit. Noch operieren erste Ansätze mit täuschend echten Avataren, an die die User von allen Seiten und manipulativ ganz nah herangehen können (25 Mio registrierte Nutzer). Bald sollen reale Personen hinter den Avataren stehen, manipuliert vom User. Die mittelfristige Perspektive zielt schon weiter. Sie will die ein- oder wechselseitige Manipulation und die Produktion bzw. Übertragung von Erregungszuständen über Ganzkörperanzüge und Vibratoren/ Masturbatoren in ein sexuelles Gesamtgeschehen integrieren.

E-Health, E-Learning, E-Sex werden bei den Anwendungsoptionen von virtual reality nicht die einzigen bleiben. Wie wär’s mit E-Folter? Etwas zynisch, aber wer weiß. Dass Pornografie das Einfallstor für den Zugriff von Virtueller Realität auf Sex bilden würde, konnte man erwarten. Es wird auch noch weiter gehen, lange nach- dem wir aufgehört haben, uns zu wundern. Aber wir wissen: Die Wirklichkeit von Liebe und Sexualität ist dadurch nicht zu erreichen. Face-to-Face, Begegnungen, Sprache, Mimik fügen sich zum ganzheitlichen Erleben von Wirklichkeit. Und das ist existenziell. „Jedoch wenn er aus ihrer Hand den leichten Becher nehmen sollte, so war es beiden allzu schwer und beide bebten sie so sehr, dass keine Hand die andere fand und dunkler Wein am Boden rollte“, heißt es im Gedicht „Die Beiden“ von Hofmannsthal. Hört sich alt an, ist es auch. Die Gewänder haben gewechselt.

Die Verarbeitung der sexuellen Beziehungen zur Ware mag sehr weit gediehen sein, sie wird von Hollywood in „Shades of Grey“ gerade in den SM-Bereich begleitet. Indes, unter anderen Formen ist das Beben der ersten Berührung, so leicht es immer geworden ist, erhalten geblieben und wird nach historischen Erfahrungen wieder zunehmen. Ein Beben, das bei Facebook zum „bonding“ verkommt und in der VR sexuell enteignet wird. Die Forschung zu biochemischen und elektrochemischen Vorgängen mag ja vorangekommen sein. Aber nicht einmal sie sind informatisch zu parallelisieren. Die Elektrisierung der „Beiden“ integriert Sinnebenen, von denen nur die Poesie uns eine Ahnung geben kann. Noch immer. Doch sind wir damit gefeit gegen die Enteignung durch virtuelle Realität? Ganze Abteilungen der Universität Stanford arbeiten daran. „Spannende“ Vorstöße in Richtung des Films „Matrix“…? Und da müsste auch unsere Diskussion einsetzen.

Anmerkung: Dies ist ein Text, leicht bearbeitet aus der Welt der „Capulcus“. JasminR hat soweit möglich Capulcus-typisches Soziologen-Chinesisch („Sozialität“ etc.) in Umgangssprache übersetzt und den modischen Ach-wie-bin-ich-gender-Sternchen*innen-Blödsinn entfernt, um die Lesbarkeit zu erhöhen. Leider verfügt die Capulcus-Gruppe bislang nicht über besondere Medienkompetenz hinsichtlich einer Kritik am Medienmainstream: „Spiegel„, „Die Zeit“ u.a. Bertelsmann-G+J- „Qualitäts-“Medien sowie die eigentlich schon zur Genüge als solche entlarvte Transatlantiker-Postille „Süddeutsche“ (SZ), und sogar US-Medien wie „New York Times“, „Bloomberg“ etc. werden kritiklos herbeizitiert. Daher besteht die Gefahr, Wichtiges zu übersehen, und auf durch solche Kanäle ausgelegte Köder hereinzufallen: Etwa die YPG-Rajava-Kurden-Story, scheint wie speziell für deutsche Linke designt, obwohl die YPG-Waffenhilfe seitens der USA, die verquere Haltung der Westmedien zu Rojava und ihre strategische Bedeutung im Erdogan-Nato-Konflikt misstrauisch machen müssten (nichts gegen die Rojava-Leute selbst, deren gelebte Sozialutopie leider zum Spielball geopolitischer Westinteressen gemacht wurde). Richtige Dinge in falsche Kontexte gerückt und so verzerrt darzustellen, dass sie letztlich vor den Karren der Machteliten gespannt werden, das ist deren tägliche Manipulationsarbeit. Beispiel NYT: Richtige Kritik an politischer Manipulation durch Facebook, aber an falschem Beispiel (Nazi-AfD-Pogrome in Chemnitz) stümperhaft analysiert: Das schafft kurze Hype, mobilisiert Hassgefühle gegen Rechts, die aber nicht auf echten Erkenntnissen basieren und damit letztlich nur Verwirrung erzeugen -gemäß der alten CIA-Weisheit im Psycho-Krieg: Wenn du sie noch nicht besiegen kannst, verwirr sie! (z.B. mit Pseudo-NGOs) Die alte CIA-Operation CCF (die politische Linke zu unterwandern und manipulieren) wurde niemals wirklich eingestellt und bleibt ein offenes Geheimnis, besonders bei den sogenannten „Antideutschen“.

Hintergrund Capulcus

Capulcus Logo: Pinguin mit Gasmaske

Aus deren Selbstdarstellung: Capulcus bedeutet „Wegelagerer“ oder „Nichtsnutze“. Der türkische (Minister-)Präsident Erdogan versuchte so die Regierungsgegner*innen der breiten Revolte im Jahr 2013 zu diffamieren. Statt über die Gezi-Proteste in Istanbul zu Beginn des Aufstands zu berichten, ließ Erdogan eine Pinguin-Dokumentation im Staatsfernsehen zeigen. Der Widerstand machte daraufhin den Pinguin mit einer Gasmaske gegen das Tränengas zu seinem Symbol. Diejenigen, die revoltieren, nennen sich fortan Capulcus.

Capulcus zum „technologischen Angriff“ (so ihre Kritik an Digital- und Netzmedien):

Seit Jahren brechen Wellen eines technologischen Angriffs über uns herein: Digitale Medientechnologie von Microsoft, Google, Apple, Facebook & Co. überschwemmt unsere Welt mit Überwachung, Steuerung, Manipulation. Wir verkennen diesen Angriff als vermeintlich neutrale „technologische Entwicklung“ und spielen bereitwillig mit: Wir zahlen freudig für unser iPhone, weil die uns bespitzelnde Wanze uns „mit der Welt verbindet“ -uns aber in Wahrheit mit der Weltherrschaft gierigere Machteliten gleichschaltet: Abgehört und vollgedudelt wird unser Zombie-Leben nach vorgestanzten Backformen abgenudelt. Dümmlich grinsen die Leute in ihre „Smart“-Phones, wie hypnotisiert von herausschwallenden SMS, Katzenvideos, Pornos und manipulierten Nachrichten -speziell zugeschnitten auf den jeweiligen „Nutzer“. (leicht bearbeitet von JasTeam)

Es ist Zeit für eine fundiertere Analyse, es ist Zeit für eine Verschwörung gegen die dramatisch wachsende Fremdbestimmung. Diese Broschüre ist unsere erste Sammlung an Diskussionen und Ideen dazu. Unser Ziel ist die Zurückweisung des „smarten“ Griffs nach unseren Freundschaften, die durch Facebook-“Friends“ ersetzt werden, unserer Kreativität, die in digitale Schubladen gelenkt und versenkt wird, unser Autonomie, die zu vorgegauckelter Wahlmöglichkeit von falschen Alternativen (die immer nur den Machthabern nützen) pervertiert wird – unserem Leben, das zur jederzeit überwachten Humanressource für ausbeuterische Konzerne gemacht werden soll. Wir suchen nach Wegen der Selbstbehauptung. (Naja, das klingt etwas pathetisch, um nicht zu sagen bombastisch, aber eigentlich auch ganz vernünftig, Capulcus!, meint Jasminteam)

Gegen wen Aufstehen? Lafontaine: Nicht nur in Russland gibt es Oligarchen

„Aufstehen“, das neue Linksbündnis. Steht unter Beschuss von Rechts. Merkel und ihre Vasallen in Union und SPD fürchten um ihre Pfründe, die Grünen zittern vor ihrer Enttarnung als korrupte Pseudo-Ökos und die von den Medien hofierte FDP will nicht als gelblackierte AfD entlarvt werden. Unsere Medien kritisieren gern die korrupten, machtgierigen „russischen Oligarchen“. Aber von den viel zahlreicheren und weit mächtigeren West-Oligarchen schwärmen West-Journalisten dagegen als „Finanz-Genies“ (Soros), weise Firmenpatriarchen (Mohn/Bertelsmann) oder hippe Jungunternehmer (Zuckerberg/Facebook), von Google-Wochen-Meetings mit Obama haben sie nie gehört. Wer gegen Parteispender, Anzeigenkunden, Medienbosse oder Schmiergeldgeber aufstehen will, wird von korrupten Politikern und Journalisten als „Kommunist, Utopist, Verschwörungstheoretiker“ beschimpft. ARD, Bertelsmann, Capital… bis ZDF agieren wie immer: Alle hauen Oskar. Doch der weiß sich zu wehren und hat einfach die besseren Argumente und Mitstreiterinnen.

Aufstehen! Sahra Wagenknecht

Lafontaine: Die Mehrheit der Deutschen will höhere Löhne und Renten, bessere soziale Leistungen. Sie will eine Europapolitik der guten Nachbarschaft und keine Kriegsbeteiligung der Bundeswehr, keine Waffenlieferungen in Spannungsgebiete. Die jüngste Hitzewelle erinnert uns daran, dass die Zerstörung der Umwelt so nicht weitergehen kann. Die Zahl der Entrechteten mit Leiharbeit, befristeter Beschäftigung, Scheinselbstständigkeit und Minijobs wird immer größer. 40 Prozent der Bevölkerung verfügen heute über ein kleineres Realeinkommen als in den 90er-Jahren. Es ist schon zynisch, wenn Angela Merkel auch denen sagt: Deutschland geht es gut.

Wähler wollen keine kriegsbesessenen Grünen mehr

Wir wollen eine andere Politik, die den oben genannten Zielen Rechnung trägt. Eine soziale Marktwirtschaft, die alle am gemeinsam erarbeiteten Wohlstand
beteiligt. Wir müssen die Einwände der restlichen Welt gegen unseren Exportnationalismus ernst nehmen, indem wir mehr investieren und die Binnennachfrage stärken. Dazu brauchen wir eine andere Mehrheit im Bundestag. Es geht nicht nur um die Anhänger der Linken. Wir hatten schon in den ersten drei Tagen 50.000 Anmeldungen. Viele Anhänger der SPD wollen, dass die Partei die Agendapolitik aufgibt, und ökologisch orientierte Wählerinnen und Wähler wollen keine Grünen, die zerstörerische Kriege und Waffenlieferungen befürworten. Viele Menschen engagieren sich eher in einer Sammlungsbewegung, als dass sie in eine Partei eintreten.

Die Bewegung richtet sich nicht primär gegen die, die meinen, sie seien an der Macht, in Wirklichkeit aber nur an der Regierung sind, wie ein Spötter einmal bemerkte. Sie richtet sich vor allem gegen die, die in den Oligarchien oder Plutokratien an den Hebeln der Macht sitzen. Und um die wirklichen Machtstrukturen hinter der Fassadendemokratie aufzudecken, muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Oskar Lafontaine

Wir wollen uns stärker an den Interessen der Arbeiter und Arbeitslosen orientieren, die DIE Linke nicht mehr wählen. Zudem werden wir stärker thematisieren, dass die Grünen sich und ihren Wählerinnen und Wählern etwas vormachen, weil es – wie Naomi Klein richtig sagt – keinen grünen Kapitalismus geben kann. Die Nachkriegszeit zeichnete sich dadurch aus, dass gesellschaftliche
Kompromisse geschlossen wurden, die fair waren. Diese Fähigkeit ist mehr und mehr verloren gegangen.

Google, Apple, Facebook: Nicht nur in Russland gibt es Oligarchen

Heute führt unser neoliberales Wirtschaftssystem zu Kriegen und Umweltzerstörung. Außerdem unterhöhlt es durch die immer weiter ansteigende Vermögenskonzentration die Demokratie. Das Parlament bildet den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung nicht mehr ab. Nicht nur in Russland gibt es, wie viele glauben, Oligarchen. Jimmy Carter hat schon vor Jahren gesagt, die USA seien „eine Oligarchie mit unbeschränkter politischer Bestechung“. Wir müssen zurück zur Erkenntnis der Ordoliberalen nach dem Kriege, dass wirtschaftliche Macht nicht die Demokratie beherrschen darf. Offenbar leben wir in zwei verschiedenen Ländern.

„So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig“: Das ist eine gute Formel. Auch in einer Zeit, in der unser Privatleben durch Internetgiganten wie Google, Apple, Facebook und so weiter enteignet wird.
Wir brauchen für diese Dienste eine öffentlich-rechtliche Plattform, die sicherstellt, dass die sozialen Medien die Demokratie nicht beerdigen. Quelle (Reihenfolge der Statements leicht geändert)

Reaktionäre der FAZ prügeln auf Sahra ein

Ausgerechnet der FAZ-Kommentator Jasper von Altenbockum hat die auch von Sahra Wagenknecht und ihrem Team  begonnene Initiative „Aufstehen“ in einem Kommentar als „einen Angriff auf den Liberalismus“ beschimpft (und nebenbei auf die SPD eingeprügelt, die seiner geliebten Mutti Merkel wie ein Kotz am Bein hängt). Weiß ihre Lordschaft Baron (oder was immer) von Altenbockum etwa nicht, für welches Blatt er schreibt? Ein Hort des liberalen Denkens ist die FAZ wohl weniger als als eine Sammelbrühe alter Kommunistenfresser, untergetauchter Nazi-Verbrecher, nebst Kindern und Kindeskindern, neoliberaler Korruptionäre usw. Sollten ausgerechnet solche Leute ihr Maul aufreißen und sich für den Liberalismus in die Brust werfen? Wir erinnern uns dagegen an den besten FAZ-Text des letzten Jahrhunderts: die Entschuldigung bei der polnischen Regierung, nach deren Protesten gegen die Formulierung in einem FAZ-Artikel „Hitlers beispielhafter Angriff auf Polen 1939“; die Ausrede der Kalten FAZ-Krieger damals: Sie hätten „beispiellos“ schreiben wollen, angeblich nur ein kleiner Tippfehler. Oder Wunschdenken und Schwelgen in Nazi-Siegen über das kleine Nachbarland?

Ausbeutung der Ärmsten muss beendet werden (Artikel von Sahra Wagenknecht, erschienen in der Frankfurter Rundschau am 27.07.2018) Die deutsche Wirtschaft wächst und auch die Gewerkschaften erkämpfen höhere Löhne – trotzdem werden Millionen Menschen in diesem Jahr nicht mehr, sondern weniger Geld im Portemonnaie haben. Denn nur noch jeder zweite Beschäftigte arbeitet unter dem Schutz eines Tarifvertrags.

Die DAX-Chefs verdienen so viel wie nie, während die Reallöhne stagnieren und fast jeder zweite Rentner mit weniger als 800 Euro im Monat abgespeist wird. Diese perverse Entwicklung gefährdet den sozialen Frieden und muss endlich gestoppt werden. Ein Vorstandsmitglied sollte nicht mehr als das 20-fache dessen verdienen, was ein Arbeiter in der untersten Gehaltsgruppe im selben Unternehmen bekommt. Würde man eine solche Regel zum Gesetz machen, wäre schnell Schluss mit Lohndumping in Konzernen.

Argumente der „Aufstehen“-Gegner halten nicht

Die Sammlungsbewegung Aufstehen hat weiter Zulauf und die Gegner formieren sich. Ihre Argumente überzeugen aber nicht, wie Lafontaines Gegenrede auf den NDS belegt:

  1. Gegenargument: Die Bewegung habe noch kein Programm: Diejenigen, die sich uns anschließen, sind für bessere Löhne durch Änderung der Hartz-Gesetze, für eine Rentengesetzgebung nach dem Beispiel Österreichs und für eine Wiederherstellung der sozialen Sicherungssysteme. Sie sind für bezahlbare Mieten, für mehr Sozialwohnungen, für zusätzliches Personal in der Pflege. Sie wollen, dass sich die Bundeswehr nicht an Rohstoff-Kriegen beteiligt, keine Waffen in Spannungsgebiete geliefert werden und dass die Konfrontations- und Aggressionspolitik gegenüber Russland beendet wird. Zudem wollen sie eine Europapolitik der guten Nachbarschaft und eine Umweltpolitik, die die Kumpanei mit den Konzernen beendet. Mit Naomi Klein sagen viele: Es gibt keinen grünen Kapitalismus. Würde nur ein Teil dieser Forderungen verwirklicht werden, dann hätten wir eine gerechtere Gesellschaft und eine friedlichere Welt. Die programmatische Blindheit scheint mittlerweile so groß zu sein, dass viele vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen.
  2. Gegenargument: Aus den jetzigen Führungsetagen der Sozialdemokraten oder Grünen habe sich noch keiner der Bewegung angeschlossen. Vielleicht können unsere Kritiker einen Sozialdemokraten oder Grünen aus den Führungsetagen benennen, der nicht für Sozialabbau, Auslandseinsätze der Bundeswehr oder Kungelei mit den Konzernen, wenn es um Umweltschutz gehen müsste, steht.
  3. Einschlägig bekannte Politiker der Berliner Linken monieren, die Bewegung käme nicht von unten: Nachdem sich schon in den ersten Tagen über 60.000 dieser Bewegung angeschlossen haben – und die Zahlen wachsen täglich weiter – ist es reichlich anmaßend, zu behaupten, diese Bewegung käme nicht von unten. Und zur Kritik, dass sich führende Politiker beteiligen, kann man nur sagen: Die Bewegungen von Bernie Sanders, Jeremy Corbyn, Jean-Luc Mélanchon und Pablo Iglesias kamen selbstverständlich alle ohne bekannte Politiker aus (Achtung, Ironie). Den Vogel schoss wieder einmal die rechte Hand Bodo Ramelows, der Chef der Thüringer Staatskanzlei Benjamin-Immanuel Hoff ab, der meinte, die Bewegung richte sich gegen die da oben und sei damit anti-aufklärerisch. Er selbst muss noch aufgeklärt werden: Die Bewegung richtet sich nicht primär gegen die, die meinen, sie seien an der Macht, in Wirklichkeit aber nur an der Regierung sind, wie ein Spötter einmal bemerkte. Sie richtet sich vor allem gegen die, die in den Oligarchien oder Plutokratien an den Hebeln der Macht sitzen. Und um die wirklichen Machtstrukturen hinter der Fassadendemokratie aufzudecken, muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden.
  4. Führende Politiker der LINKEN haben erklärt, die Bewegung sei kein Projekt der Partei DIE LINKE. Ihnen sind wir zu Dank verpflichtet, weil sie bestätigt haben, dass wir eine überparteiliche Bewegung sind und darauf hinarbeiten wollen, dass es im Bundestag wieder eine Mehrheit gibt, die wenigstens einen Teil der oben genannten Forderungen in Regierungspolitik münden lässt.
  5. Bleiben noch die selbsternannten “Antikapitalisten“, die sich ein Leben lang damit beschäftigen, anderen vorzuwerfen, sie seien nicht links genug. Sie begnügen sich damit, schöne Papiere zu verfassen, die keinerlei Wirkung haben. Trotz der Schwierigkeiten, die wir kennen, suchen wir im parlamentarischen System einen Weg, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.

Luxleaks: Stahl Juncker uns 10 Billionen?

Juncker2014

Jean-Claude Juncker

Prometheus

Luxleaks: Ein Netz von legalem Steuerbetrug wurde von Luxemburg aus organisiert und ruinierte die öffentlichen Haushalte ganz Europas. Juncker saß wie eine Spinne im Zentrum und spann seine Intrigen. Über die Gladio-Affäre gestürzt, lobte er sich selbst weg nach Brüssel. Die reichsten Konzerne zahlten nur ein Prozent Steuern: In Junckers Amtszeit entschwanden über 10 Billionen Euro! Ganz vorne mit dabei: Deutsche Bank, E.on, Fresenius und US-Multis wie Amazon, Apple und Google.

Jean-Claude Juncker, der amtierende EU- Kommissionspräsident, trägt Verantwortung für legalisierte Steuerkriminalität wie kein anderer. Ein EU-weites Netz von legalem Steuerbetrug wurde von Luxemburg aus organisiert und ruinierte die öffentlichen Haushalte ganz Europas. Juncker saß wie eine Spinne im Zentrum und spann seine Intrigen gegen die Völker der EU, erst als Finanzminister der „Steueroase“ der Zehntausend Briefkastenfirmen, dann auch noch als ihr Dauer-Staatschef. Über die Gladio-Affäre gestürzt, lobte er sich selbst weg nach Brüssel. Die reichsten Konzerne zahlten dank dieser „Finanzstrukturen“, die manche nur Mafia nennen, weniger als ein Prozent Steuern und sackten so Abermilliarden ein. Jährlich sollen auch dank Junckers geheimer Machenschaften insgesamt etwa Eintausend Milliarden Euro an Steuereinnahmen von den Firmen „gespart“ worden sein: In seiner Amtszeit über 10 Billionen Euro! Ganz vorne mit dabei beim großen Schlachtfest waren Dax-Schwergewichte wie die Deutsche Bank, E.on, Fresenius und US-Multis wie Amazon, Apple und Google.

Pricewaterhouse Coopers (PwC) organisierte Luxemburgs Big Deal
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Steueroase Großherzogtum Luxembourg, Wappen

Im Herbst 2014 war Luxleaks-Zeit: Die Luxemburgische Regierung hatte jahrelang Steuerdumping zugunsten internationaler Großkonzerne betrieben. Ein Medienverbund, darunter NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung, Tages-Anzeiger (Schweiz), hatte im November 2014 Ergebnisse aus 28.000 Seiten umfassenden Dokumenten publiziert. Der Whistleblower war ein Ex-Mitarbeiter des „Wirtschaftsprüfer“-Megakonzerns Pricewaterhouse Coopers (PwC). Antoine Deltour hatte die Luxemburger Dokumente zunächst im Internet veröffentlicht. PwC entwarf Steuerdumpingmodelle für Großkonzerne. Zwischen 2002 und 2010 sicherte es ihnen zu, dass die Modelle von den Luxemburger Behörden abgesegnet gewesen seien. Jean-Claude Juncker war zwischen 1989 und 2009 war Luxemburgs Finanzminister, von 1995 bis 2013 sogar Ministerpräsident des von fingiertem Gladio-Terror geschüttelten Landes, den ARD-„Journalisten“ von Tagesschau & Co. angestrengt verschwiegen. Das „Steuerspar“-Modell von PwC sah im Kern vor, dass Unternehmen ihre Gewinne, die sie in anderen Ländern erzielt hatten, in Luxemburg versteuern konnten – und zwar in der Regel zu Sätzen unter einem Prozent, so die Junge Welt. Beteiligt waren u. a. Google, Apple, Amazon, Fedex, Ikea, Pepsico, Heinz, Procter&Gamble, Deutsche Bank, E.on und Fresenius Medical Care. Durch Steuerdumping würden die Bürger in der EU jährlich um eine Billion Euro geprellt, fasst der EU-Abgeordnete Fabio De Masi (Die Linke) zusammen:

„Die Vorschläge der EU-Kommission sind Nebelkerzen. Die EU bleibt ein weitgehend rechtsfreier Raum für den Steuerdiebstahl von Konzernen. Die organisierte Kriminalität im Bereich der Steuerpolitik verhöhnt die Mehrheit der EU-Bürger, die um über eine Billion Euro jährlich durch Steuerhinterziehung und –vermeidung gebracht werden, während Europas Wirtschaft mit Kürzungspaketen in der Depression verharrt.“

Die Linke dulde keine organisierte Kriminalität auf den Regierungsbänken, deshalb habe sie gegen Juncker als Kommissionspräsidenten votiert und einen Untersuchungsausschuss gefordert. Bekommen habe sie einen Sonderausschuss. Der ist mit weniger Rechtsansprüchen ausgestattet, darf keine geheimen Dokumente der Mitgliedsstaaten einsehen und keine Zeugen vorladen. Die schlimmste Drohung der Eurokraten an die Konzernbosse: Aufklären, sonst dürften die Lobbyisten beim nächsten mal ihre Profitinteressen nicht mehr in neue Gesetzgebungsverfahren einbringen. Am Donnerstag werden die Euro-Finanzminister im Sonderausschuss erwartet. Der Abschlussbericht des Sonderausschusses soll am 16. Juli vorliegen. De Masi kommentierte die schleppende Umsetzung gegen Widerstand vieler korrupter Eurokraten:

„Der Austausch von Steuerbescheiden zwischen Mitgliedstaaten ist schon seit 1977 Pflicht, wird aber von den Steuerhehlern auf den Regierungsbänken zahlreicher EU-Mitgliedsstaaten nicht praktiziert. Die EU Kommission hat als Hüterin der EU-Verträge seit fast 40 Jahren zugesehen und somit ebenso ihre Pflichten verletzt. Nun soll der Austausch automatisiert werden, aber nur vier mal im Jahr und ohne Einsicht der Öffentlichkeit. Dabei waren es kritische Journalisten und Aktivisten für Steuergerechtigkeit, die Skandale wie SwissLeaks und LuxLeaks aufgedeckt haben. Zudem hat sich die Mehrheit der Finanzminister als Schläfer erwiesen. So hat etwa die Bundesregierung selbst ihr zugespielte Daten mit konkreten Hinweisen auf Steuerkriminalität ignoriert. Es gibt somit noch weniger Hoffnung, dass Regierungen sich gegenseitig bei Steuerpraktiken kontrollieren. Denn der ruinöse Steuerwettbewerb ist im Sinne der großen Konzerne gewollt.“

Apple und Bertelsmann bei e-Book-Kartell erwischt

Gerd R. Rueger  11.07.2013 USAflag

US-Gericht entschied: Apple ist illegaler Preisabsprachen für e-Book-Preise schuldig befunden worden und sieht nun Schadensersatzklagen entgegen. Apple habe eine „zentrale Rolle“ in einer Verschwörung mit fünf großen Verlagen, der größte darunter Penguin (Bertelsmann), gespielt. E-Mails von Apple-Gründer Steve Jobs an Murdoch (News Corp) lagen als Beweise vor. Hintergrund ist zunehmende Macht der Medienindustrie durch Lobbyismus bei den Handelsabkommen zwischen USA und EU: TAFT und TTIP.
Die Entscheidung von U.S. Districts-Richterin Denise Cote in Manhattan sei ein Sieg für das US-Justizministerium und 33 US-Bundesstaaten, die das Kartellverfahren angestrengt hatten, so reuters.  Judge Cote gab in ihrer 159-Seiten starken Urteilsbegründung bekannt, die Kläger hätten „zwingende Beweise“ erbracht, dass Apple Antitrust-Gesetze verletzt habe, meldet techdirt. Die Firma mit dem Apfel habe eine „zentrale Rolle“ in einer Verschwörung mit fünf großen Verlagen gespielt, um den Preiswettbewerb im Einzelhandel zu beseitigen und die e-Book-Preise zu erhöhen. Apple, wegen Privacy-Sünden in Verruf gekommen, hatte in Deutschland 2013 wieder den Negativpreis Big-Brother-Award erhalten. Einer der Verlage war Penguin, just übernommen von Europas Mediengigant Bertelsmann, mit Hauptsitz in Gütersloh (NRW). Unter dem Beweismaterial in der Verhandlung waren auch  emails von Apple’s verstorbenen Mitgründer, Steve Jobs, an den News Corp Chef James Murdoch, die Jobs‘ Wunsch dokumentierten, den Preis für e-Books zu erhöhen und „create a real mainstream e-books market at $12.99 and $14.99.“
Das Urteil ist eine herbe Schlappe für Apple, so MacTechNews. Es ging um den Vorwurf, Apple, Penguin, Hachette SA, HarperCollins, Macmillan und Simon & Schuster hätten beim Markteintritt Apples im e-Book-Sektor 2011 zum Nachteil der Verbraucher überhöhte Preise für digitale Bücher durchgesetzt, um die Billigpreise von e-Books für Amazons Kindle zu torpedieren. Apple wollte sich vermutlich für seine iPads (nebst begleitender iBookstores) Wettbewerbsvorteile gegenüber dem Hauptkonkurrenten Amazon verschaffen. Apple will gegen das Urteil juristisch vorgehen, wie der Unternehmenssprecher Tom Neumayr Macworld sagte:
„Als wir den iBookstore im Jahr 2010 vorstellten, gaben wir den Kunden mehr Wahlfreiheit, brachten dringend benötigte Innovationen und wollten Amazons dominante Position der Publishing-Branche gegenüber schwächen. Wir haben nichts Falsches getan und werden Berufung einlegen.“
Bertelsmann fusionierte  jüngst seine Buchsparte Random House mit Penguin (bislang Pearson) zum weltgrößten Megaverlag, so SZ. Die künftigen Medienmärkte stehen in ihrer Entwicklung unter starkem Lobby-Druck von Medienkonzernen, die überhaupt nicht einsehen wollen, dass sie dort unentwegt in Freiheitsrechte eingreifen. Die Informationsfreiheit wird von Bertelsmann & Co. ebenso bedroht wie unsere Privatheit und auch die Demokratie selbst, wenn Lobbyisten die Politik manipulieren.
Macht der Verwerter-Industrie ungebrochen

Die EU hat trotz Prism Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA aufgenommen: TTIP. Mit der geplanten Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership) soll die weltweit größte Freihandelszone mit gut 800 Millionen Einwohnern geschaffen werden. Damit verbunden sind zwei weitere Abkommen, die gerade verhandelt werden: Das Canada EU Trade Agreement (CETA) und die Trans-Atlantic Free Trade Association (TAFTA). Urheber-, Patent- und Markenrecht sind bei laufenden Freihandelsabkommen Gegenstand heftiger Diskussionen, so bei CETA oder bei den Verhandlungen zwischen der EU und Indien. Die Lobbymacht der Rechteinhaberindustrie hat die Politik oft im korruptiven Würgegriff.

Experten warnen davor, übertrieben scharfe Schutzmaßnahmen mittels internationaler Verträge einzuführen, weil das die dringend nötige Reform des Urheberrechts erschwere. Wegen Einfluss von Hollywood & Co wird dabei US-Unterhändlern nachgesagt, dass sie stets für Maximalforderungen im Urheberrecht eintreten -Raubkoopierer werden vielleichts demnächst nicht mehr nur als „Verbrecher“ diffamiert, sondern womöglich bald als „Terroristen“ beschimpft, auf die Obamas „war on terror“ dann ausgedehnt werden kann.

Firefox goes Foxconn -Mozillas Sündenfall?

Gerd R. Rueger 01.06.2013 

Montag werden Mozilla und Foxconn ein neues Smartphone bzw. Tablet präsentieren, das mit  dem Firefox OS laufen soll. Ob Mozilla dabei eine gute Wahl getroffen hat, ist angesichts des zweifelhaften Rufs von Auftragsfertiger Foxconn  fraglich. Die Firma machte in der Vergangenheit Schlagzeilen mit der Verletzung von Arbeits- und Menschenrechten: 4000 Arbeiter im Foxconn-Werk Zhengzhou (Zentralchina) streikten letzten Herbst gegen Ausbeutung für Apples neues iPhone 5.

Hon Hai Precision Industry Co., die Muttergesellschaft von Foxconn und einer der weltgrößten Hersteller von Computerhardware, will am Montag den 03. Juni zusammen mit der Firefox-Firma Mozilla ein tragbares Tool mit einem Firefox OS vorstellen. Vermutlich handelt es sich dabei um einen Tablet oder ein Smartphone, welches als eigene Marke firmieren soll.

Foxconn, bisher vor allem als Hersteller von Apple-Geräten bekannt, will damit den Rückgang der Marktanteile von Apple-Toys kompensieren, die eigene Produktivität steigern und vielleicht mit dem noblen Namen Mozilla sein wenig erfreuliches Image aufpolieren. Apple rückte just von Foxconn ab, um sich dem Foxconn-Konkurrenten Pegatron zuzuwenden. Die taiwanesische  Firma Pegatron wird Haupthersteller beim Bau des neuen Billig-iPhones, das Ende des Jahres auf den Markt kommen soll. Seit 2011 produziert Pegatron bereits iPhones in bislang geringen Mengen, 2012 hat die Firma auch mit dem Bau des Tablet-Computers iPad Mini begonnen.

Mozilla beißt Apple

Auf dem Mobile World Congress im Februar 2013 gab Mozilla Partnerschaften mit Sprint, SingTel, der Deutschen Telekom, LG und Huawei bekannt. Ziel: Ein innovatives Mobilgerät auf Basis des eigenen Firefox OS, mit dem iPad und  iPhone Konkurrenz bekommen sollen. In Kooperation mit der spanischen Firma GeeksPhone präsentierte die Mozilla-Corporation Ende April  immerhin schon mal zwei Vorabversionen eines Smartphones. Die Unternehmensleitung von Hon Hai aus Taiwan soll an den künftigen Marktchancen für Apple-Produkte zweifeln -aber vielleicht war es ja eher umgekehrt?

Aber Hon Hai hat mit seinen rüden Methoden nicht nur Apple verschreckt, die Firma sucht auch nach Alternativen zu Hewlett-Packard Co. und Nokia Corp., weil sich auch deren Produkte immer schlechter verkaufen. Durch den Vertrieb eigener Produkte erhofft man sich auch höhere Gewinnspannen  als mit der Auftrags-Produktion. Die Methoden Foxconns zur Profitmaximierung haben bislang wenig überzeugen können -hemmungslose Ausbeutung bis aufs Blut. Foxconn kündigte jüngst den Aufbau von zwei Entwicklungszentren für Displays und Touchscreens in Japan an, wo in den kommenden zwei Jahren 333 Millionen US-Dollar investiert werden sollen. Lockt billiges Bauland bei Fukushima?

Foxconn: Streiks und Selbstmorde

Rückblende: Einem Bericht der NGO  China Labour Watch (New York) zufolge streikten bis zu 4000 Arbeiter in Zhengzhou wegen schikanöser Kontrollen und weil sie die Urlaubswoche in China durcharbeiten mussten. Es wurde berichtet, dass die Foxconn-Fabrikleitung und Apple trotz einiger Designmängel die strengen Anforderungen an die Arbeitnehmer erhöht hätten.  Im September 2012 kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Schließung der Apple-Fabrik, was das saubere Image von Apple und seiner hippen User-Gemeinde angekratzt hat. Neben Protesten und Streiks kam es zu  Selbstmorden mehrerer Angestellter. Apple und Foxconn sicherten damals zu, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Die Fair Labor Association (zu deren Mitgliedern unter anderem Firmen wie Adidas, Puma, H&M, Nestlé und natürlich Apple zählen) attestierte Foxconn zwar Fortschritte, aber selbst diese industrienahe (Pseudo-) NGO mahnte weitere Anstrengungen bei Apple an. Die Arbeitsbedingungen in den Foxconn-Fabriken haben sich in der Zwischenzeit offenbar nicht geändert, in April und im Mai 2013 sind laut gulli weitere Selbstmorde bekannt geworden.

Ob Mozilla bei Foxconn die Ablösung von Apple ausgleichen kann, darf bezweifelt werden. Für die Netzkultur war Apple schon immer von enormer Wichtigkeit, weil der erste Kleincomputer-Hersteller der Welt nicht nur avancierte Technologie und Design, sondern auch eine Lebensphilosophie verkörperte -den Traum der “Digerati”: “Computer for the people”.Wikileaks geriet einst in Misskredit, weil ein angeblicher Aids-Test der Apple-Ikone Steve Jobs voreilig geleakt wurde; ein zweifelhafter Eingriff in die Privatsphäre, selbst eines weltberühmten Mannes. Freunden von Apple und Fans von Steve Jobs bleibt sein Andenken in der inzwischen erfolgreichsten Firma der Welt, den Apple-Produkten –hoffentlich mit einer höheren Firmenethik als der von Foxconn.

Apple ist Big Brother der Arbeitswelt

Gerd R. Rueger 13.04.2013

Apple geriet in Verruf wegen seiner miesen Arbeitsbedingungen bei Zulieferer Foxconn in China, aber auch in Deutschland hat sich die Firma mit dem Apfel nicht mit Ruhm bekleckert. Überwachung heißt in Bielefeld bei den Big Brother Awards diesmal der Vorwurf gegen Apple. Die Apple Retail Germany GmbH hat rechtswidrige Videoüberwachung ihrer Arbeitskräfte betrieben ohne sich groß um Datenschutz, Privatsphäre oder Arbeitsrecht und Betriebsverfassungsgesetz zu kümmern. Da sagen Datenschützer zu Recht: Pfui! Aus! Sitz! Ob die Apple-Bosse mit der Zentrale im Big-Brother-Eldorado Großbritannien ihren Knochen bzw. die ihrer Malocher nun loslassen werden, bleibt dem politischen Bewusstseinsstand ihrer Fangemeinde überlassen. Wenn die Appleianer genug Protest auf die Websites des Megakonzerns tragen, könnte es klappen.

Hier die Doku der Preisverleihung an Apple

Der BigBrotherAward 2013 in der Kategorie Arbeitswelt geht an die Apple Retail Germany GmbH in München für die umfassende Videoüberwachung von Beschäftigten. Das Unternehmen betreibt die Apple Stores in Deutschland. In diesen sollen nicht nur Verkaufs- und Lagerräume flächendeckend und dauerhaft per Kamera überwacht worden sein, sondern auch Pausenräume. Diese Form der Totalkontrolle von Beschäftigten wäre in Deutschland rechtswidrig. Dabei zeigt sich die Firma uneinsichtig: Zum Beispiel wurden erst nach zähen Verhandlungen von Datenschutzbeauftragten die Hinweisschilder auf Videoüberwachung im Kundenbereich von Dackelaugenhöhe auf Hüfthöhe korrigiert.

Der BigBrotherAward 2013 in der Kategorie „Arbeitswelt“ geht an

die Apple Retail Germany GmbH in München.

BBA-Kategorie-Arbeitswelt-Laudator war Peter Wedde

Apple-Malocher in China

„Apple Retail“ betreibt die Apple Stores in Deutschland und ist damit der zentrale Kontakt- und Anlaufpunkt des Apple-Konzerns zu den Kunden. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Apple GmbH in München, die vor zwei Jahren einen BigBrotherAward bekommen hat für die Geiselnahme ihrer Kunden durch teure Hardware, die man nur richtig nutzen kann, wenn man sich den quasi monopolistischen Nutzungsbedingungen unterwirft. Nein, der diesjährige Preisträger, die Apple Retail Germany GmbH, erhält den Preis in der Kategorie „Arbeitswelt“ für eine ideologisch verbrämte, besonders dreiste Form von Videoüberwachung.

Die Apple Retail Germany GmbH hat nach Insider-Berichten ihre modernen Apple Stores mit zahlreichen Videokameras ausgestattet, nicht nur in den Verkaufsräumen, sondern auch „im Büro des Managers, in dem Lagerraum sowie in dem ‚genius room‘, in dem die Techniker tätig sind“. Überall dort wird das Verhalten von Beschäftigten „durchgängig durch Videokameras (‚CCTV‘) gefilmt und auf einer Festplatte aufgezeichnet“. So steht es in der hauseigenen „Datenschutzrechtlichen Einwilligung zur Videoüberwachung“.

Anschließend wird in dieser Einwilligung darauf hingewiesen, dass in anderen Räumen keine Videoüberwachung stattfindet und dass die Kontrollen nicht der Überwachung des Arbeitsverhaltens von Mitarbeitern dienen.

Demgegenüber berichtet allerdings der Spiegel im November 2012 darüber, dass bei einem Besuch der Gewerbeaufsicht im Münchener Apple Store Überwachungskameras entdeckt wurden, die nicht das Lager, sondern das Personal filmten. Und in der online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 25. Januar 2013 war nachzulesen, dass ein anonymer Blog Apple vorwirft, es „seien in einigen deutschen Apple Stores Kameras in den Pausenräumen und vor den Toiletten installiert, um zu sehen, welche Mitarbeiter wie oft aufs Klo gehen. Auch Tonaufnahmen würden in einigen Läden durchgeführt“. Weiter heißt es dort „In England sitzt die Sicherheitszentrale für die europäischen Apple Stores, hier laufen die Bilder der über das Internet übertragenen Überwachungskameras zusammen“.

Die Videoüberwachung ist in der beschriebenen Form in Deutschland unzulässig. Geltendes Datenschutzrecht in Deutschland lässt Videoüberwachung allenfalls in Verkaufsräumen zu, nicht aber eine permanente Videokontrolle von Beschäftigten in allen Betriebsräumen. Arbeitsrechtlich unzulässig wäre auch die beschriebene Auswertung der Videodaten in England. Das ließe sich auch nicht nachträglich durch eine Einwilligungserklärung legalisieren. Zumal wir die rechtliche Wirksamkeit einer solchen Erklärung in Frage stellen: Wird sie zusammen mit einem Arbeitsvertrag zur Unterschrift vorgelegt, spricht dies immer gegen die notwendige Freiwilligkeit.

Vor diesem Hintergrund ist es schon fast zynisch, wenn in der Einwilligungserklärung später auch noch steht  „Ich bin mir darüber bewusst, dass keine Verpflichtung besteht, diese Einwilligung zu erteilen. Eine Verweigerung der Einwilligung würde keine Konsequenzen nach sich ziehen.“ Vielleicht wird der Arbeitsvertrag dann trotzdem noch abgeschlossen, aber es bleibt völlig unklar, wie in den Apple Stores dann praktisch sichergestellt werden soll, dass bestimmte Beschäftigte im Fall der Verweigerung nicht mehr gefilmt werden. Verfügt der Apple-Konzern etwa über eine geheimnisvolle Software, die Verweigerer unsichtbar macht? Bis eine solche Zauber-Software vorliegt, sind dauerhafte Videoaufnahmen ohne Einwilligung unzulässig.

Wird die Einwilligungserklärung unterschrieben, leitet die Apple Retail Germany GmbH für sich hieraus das Recht ab, die Aufzeichnungen durchzusehen, „wenn der Verdacht besteht, dass ein Diebstahl, eine Unterschlagung oder eine ähnliche Straftat in dem Apple Store“ verübt wurde. Das ist eine Generalvollmacht, die Arbeitgebern in den Apple Stores eine unbegrenzte Auswertung der Videoaufzeichnungen ermöglicht. Eine solche weitgehende Befugnis steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der anlasslose Totalkontrollen von Beschäftigten am Arbeitsplatz unzulässig sind. Mit Blick auf die Rechtsprechung sind Zweifel daran erlaubt, ob Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber derart weitgehende Rechte überhaupt „freiwillig“ einräumen können. Auch eine Erlaubnis für die Speicherung für 30 Tage, wie in der Einwilligungserklärung angegeben, ist nicht verhältnismäßig und damit datenschutzrechtlich unzulässig. Immerhin: Faktisch, so der hessische Datenschutzbeauftragte, würden die Aufnahmen zumindest in Frankfurt nur 14 Tage lang gespeichert.

Auch mit dem Kundendatenschutz  nimmt man es in den Apple Stores nicht so genau. Die Hinweisschilder auf Videoüberwachung im Kundenbereich waren lange Zeit auf Dackelaugenhöhe angebracht. Erst nachdem Datenschutzbeauftragte einschritten, sind die Schilder inzwischen auf Hüfthöhe gewandert, handtellergroß und transparent auf riesigen Glastüren. Besser sichtbare Schilder verweigerte die Apple Retail Germany GmbH, weil sie mit den Apple-Design-Vorschriften nicht vereinbar seien.

Mit unverhältnismäßiger Videoüberwachung stehen die Apple Stores in Deutschland nicht alleine. Der Jury lagen weitere Beispiele anderer Unternehmen vor.

Die gute Nachricht in diesem Zusammenhang ist, dass der von der aktuellen Regierungskoalition angekündigte und im vergangenen Jahr von der BigBrotherAward-Jury deutlich kritisierte Entwurf eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes nicht realisiert worden ist. Videokontrollen wie in den Apple Stores wären damit nämlich weitgehend legalisiert worden.

Vor dem Hintergrund der Skandale der letzten Jahre um unzulässige heimliche Kameraüberwachungen von Mitarbeiterinnen bei Lidl und anderen Firmen überrascht es uns, dass die Apple Retail Germany GmbH daraus nichts gelernt hat. Will doch der damit verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten und von Kunden so gar nicht zum Verkaufsmotto des Unternehmens passen, „Das Leben schöner machen“ zu wollen. Das Online-Stellenportal von Apple Retail erklärt den Bewerberinnen und Bewerbern ausdrücklich, dass sie „für das Gute“ arbeiten: Die Mitarbeiter/innen „dürfen“ den Kunden zeigen, wie sie mit zu verkaufenden Produkten „ihr Leben bereichern“ können. Alles nach dem Motto „Denn ganz egal, was Du bei uns machst, du bist Teil von etwas Großem“. Wer sich der Herausforderung einer solchen Arbeit stellt, der wird „inspiriert werden“ und „stolz sein“. Dass der Preis für den versprochenen Weg zu mehr Inspiration und Stolz auch darin besteht, als Arbeitnehmer permanent vom Großen Bruder beobachtet zu werden, wird in der Firmenprosa dezent verschwiegen. Hinweise zu umfassenden Videokontrollen von Beschäftigten und Kunden passen natürlich nicht ins Bild eines modernen Lifestyle-Konzerns.

Wir erinnern uns an den Namensgeber der BigBrotherAwards, George Orwell. Der im Buch „1984“ allgegenwärtige „Televisor“ beschreibt exakt die Videoüberwachung, wie sie heute immer selbstverständlicher und dreister verwendet wird:

„Jedes von Winston (der Hauptpersonen des Romans) verursachte Geräusch, das über ein ganz leises Flüstern hinausging, wurde von ihm (dem Televisor) registriert. Außerdem konnte Winston (…) gesehen werden. Es bestand (…) keine Möglichkeit, festzustellen, ob man in einem gegebenen Augenblick gerade überwacht wurde. Wie oft und nach welchem System die Gedankenpolizei sich in einem Privatapparat einschaltete, blieb der Mutmaßung überlassen. Es war sogar möglich, dass jeder einzelne ständig überwacht wurde.“¹

Ein wenig in Vergessenheit geraten ist der deprimierende Schluss des Romans. Nach Verhaftung und durchlaufener „Gehirnwäsche“ stellt Winston Smith für sich in den letzten beiden Sätzen fest:

„Er hatte den Sieg über sich selbst errungen. Er liebte den Großen Bruder.“²

Und hier ist die Verbindung zur Apple-Welt und anderen modernen Konzernen: Es gibt Unternehmen, die von Mitarbeitern ebenfalls wie der Große Bruder aus Orwells Roman die Unterwerfung unter die eigene Firmenphilosophie erwarten. Einschließlich der Unterschrift unter eine Einwilligungserklärung zur potenziellen Totalüberwachung.

Wenn die Arbeitgeber in den Apple Stores auch für ihre Beschäftigten „Das Leben schöner machen“ wollten, sollten sie die kritisierten Kameras einfach abbauen.

Herzlichen Glückwunsch zum BigBrotherAward, Apple Retail Germany GmbH.

¹ vgl. George Orwell, 1984, Taschenbuchfassung Frankfurt/Berlin/Wien 1976, Seite 6.

² vgl. a.a.O., Seite 273.

Weitere Preise gingen an Google, die deutsche Bundespolizei nebst Ministerpräsidenten und die Deutsche Post AG

Globales Datensammeln: Google Inc.

In der Kategorie „Globales Datensammeln“ geht der BigBrotherAward an Google Inc., Mountain View, USA. Unter dem Deckmantel einer Suchmaschine und anderen Gratis-Diensten wie Maps, Docs und YouTube sammelt der Werbekonzern Google auf Schritt und Tritt Echtzeit-Daten über alles und jeden und kategorisiert Menschen für seinen Werbeprofit. Google missachtet europäisches Recht und nutzt seine marktbeherrschende Stellung, um die technokratische Ideologie eines allwissenden Supercomputers voranzutreiben, der besser weiß, was Menschen wollen als sie selbst. Mehr

Wirtschaft: Deutsche Post Adress GmbH und Co KG

Der BigBrotherAward 2013 in der Kategorie Wirtschaft geht an die Deutsche Post Adress GmbH und Co KG. In tausenden Postfilialen und im Internet geben jährlich Millionen Menschen in Deutschland Ihre Adress- und Umzugsdaten an. Diese bilden den Grundstock für die ständige Aktualität des Adressdatenbestands der Deutschen Post Adress GmbH. Und die verkauft ihre landesweite Ortskenntnis an zahlende Kunden weiter. Wer keinen Nachsendeantrag stellt, dem ist die Adressenrecherche der Preisträgerin trotzdem auf den Fersen, wenn es der werbenden Wirtschaft oder dem Forderungseinzug dient, notfalls sogar bis ans eigene Telefon. Mehr

Behörden & Verwaltung: Bundespolizei

Der BigBrotherAward 2013 in der Kategorie Behörden & Verwaltung geht an die Bundespolizei, vertreten durch ihren Präsidenten Dieter Romann, für Polizeikontrollen, bei denen Personen aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes (Hautfarbe oder andere biologische Merkmale, ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, Religion, Sprache) gezielt aus einer Menschenmenge herausgegriffen werden, um ihre Personalien festzustellen und sie zu überprüfen. Diese verbreitete Praxis rassistischer Rasterungen nennt man „Racial“ oder „Ethnic Profiling“; auf verdächtiges Verhalten oder objektive Indizien als Verdachtsmomente kommt es bei dieser Kontrollpraxis nicht an.Mehr

Politik: Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer

Der BigBrotherAward in der Kategorie Politik geht an die Ministerpräsidenten der 16 deutschen Bundesländer für die Einrichtung des Gemeinsamen Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio als Nachfolger der GEZ. Seit Anfang Januar sind Rundfunkbeiträge nicht mehr für Geräte, sondern pro Wohnung zu entrichten. Dabei haben die Autoren des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages die Chance verpasst, eindeutige, personenunabhängige Regelungen zu entwickeln. In der mehrjährigen Übergangsphase verarbeitet der neue Beitragsservice sogar viel mehr Daten als zuvor die GEZ. Die rechtliche Grundlage der Datenverarbeitung ist für Juristen zumindest zweifelhaft. Mehr

Tadelnde Erwähnungen… Facebook

Einige „glückliche Verlierer“ haben es nicht zu einer vollen Laudatio gebracht, sie sollen aber nicht unerwähnt bleiben. Außerdem betrachten wir den aktuellen Stand bei einem Preisträger des Jahres 2011, Facebook. Mehr

China: Blick auf drohende Yen-, Dollar- und Euro-Fluten

Prometheus 23.02.2013 Flagge der Volksrepublik China

Shanghai. (Xinhuanet) Die Finanzminister und Zentralbanker der G20 Mitgliedsländer versuchten sich das Risiko eines Währungskrieges in einer Besprechung Anfang dieses Monats klein zu reden. Aber möglicherweise sind die großen Volkswirtschaften der Welt nicht in der Lage, größere Turbulenzen zu vermeiden.
Die G20-Mitglieder gelobten, sie selbst würden keinen Währungskrieg anfangen, aber es scheint nicht, dass sie von geldpolitischen Lockerungen ablassen, die eine Flut von Bargeld in die globalen Märkte pumpt. Die westlichen Länder fürchten, dass ihre Volkswirtschaften in eine weitere Rezession stürzen könnten.
Seit der japanische Premierminister Shinzo Abe sein Amt übernahm, ist etwa der Yen  durch drastische Abwertung um rund 20 Prozent gefallen. „Da Abes Konjunkturprogramme noch nicht vollständig umgesetzt wurden,  können wir abschätzen, dass der Yen mittelfristig weiterhin schwächeln wird“, sagte Chen Hanhua, Analyst der Bank of China.
Entscheidungsträger in Nachbarländern, vor allem in der Republik Korea und Taiwan sind bereits sehr besorgt über einen schwächelnden Yen. Eine Reihe von asiatischen Währungen wurden in jüngster Zeit aus Angst vor einem neuen Währungskrieg nacheinander abgewertet.
Die Zentralbanken in einigen entwickelten Ländern stellten überdies weitere geldpolitischen Lockerung in Aussicht – in dem Bemühen, ihre wirtschaftliche Erholung zu beschleunigen. In China gibt es also Verständnis für die Nöte der krisengeschüttelten Euro-Länder, die USA und Japan.
Der Gouverneur der Bank of England Mervyn King sagte,    dass der britischen Zentralbank monetärer Spielraum zur Verfügung steht. Der Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi versprach, einen anziehenden Euro zu beobachten -und  vermutlich weiter Geld zu drucken, falls die Eurozone dies brauchen sollte. Sogar die Reserve Bank of Australia hat eine Zinssenkung offengelassen.
Trotz der drohenden Gefahr eines Währungkrieges, hat bislang eine Debatte über den chinesischen Yuan gefehlt. Ursache dafür ist ein Konsens, den Yuan-Wechselkurs im Gleichgewicht zu halten, wie der Vizegouverneur von Chinas Zentralbank, Yi Gang, Ende Januar mitgeteilt hatte. Eine deutliche Abwertung des Yuan, so die Sorge, könnte massive Kapitalflucht auslösen. Wenn der  Yuan fällt, könnten steigende chinesische Exporte zu weiteren Zollschranken führen. Ein dramatischer Anstieg der Liquidität hat bereits Energie- und Rohstoffpreise aufgeblasen, weshalb China auch eine relativ starke Währung für seine Importe braucht.
Huang Yiping, Chefökonom bei  Barclays China, schätzt,  dass der Yuan um 2 Prozent nur mäßig gegenüber dem US-Dollar im Jahr 2013 aufgewertet werden dürfte. Für die ausgebeuteten Arbeiter etwa der Firma mit dem Apple und die Umwelt im von Smog-Verpestung betroffenen China dürfte damit noch keine Lösung in Sicht sein.
Die chinesische Führung wird hoffentlich einen steigenden Teil der mit Exporten erzielten Gewinne der Bevölkerung zugute kommen lassen und sich an besseren Umweltstandards orientieren, ehe die Zahl der Lungenkrebstoten drastisch ansteigt. Selbst Deutschland, die Nation der Auto-Verrückten, die keine Geschwindigkeits-Limits auf ihren Autobahnen kennt, verbietet  das Autofahren im Fall von Smog, wie er jetzt in China herrscht.

Apple iPhon5: Erneut Probleme in China

Neue Unruhen bei Foxconn?
Gerd R. Rueger 07.10.2012

Die Konsumwut der Apple-Gemeinde wurde in unseren Medien viel beachtet: Die tagesschau zeigte Warteschlangen vor Applestores und interviewte konsumselige Käufer mit ihrem neuen iPhon5. Doch die Arbeiter in Apples Fabriken mussten  dafür noch mehr schuften als gewöhnlich. Der Auftragsfertiger Foxconn  für Apples neues iPhone 5 hatte jetzt scheinbar erneut Probleme: Der immense Produktionsdruck hat möglicherweise wieder zu Unruhen geführt. Ca. 4000 Arbeiter im Foxconn-Werk Zhengzhou (Zentralchina) sollen gestreikt haben. Foxconns Pressestelle dementiert, es wäre nur  zu „zwei isolierten Vorfällen“ gekommen und die Produktion lief planmäßig weiter“.

Einem Bericht der NGO  China Labour Watch (New York) zufolge streikten jedoch letzte Woche bis zu 4000 Arbeiter in Zhengzhou wegen schikanöser Kontrollen und weil sie die Urlaubswoche in China durcharbeiten mussten. Es wurde berichtet, dass die Foxconn-Fabrikleitung und Apple trotz einiger Designmängel die strengen Anforderungen an die Arbeitnehmer erhöht hätten. Apples wichtigster Zulieferer Foxconn (Hauptsitz in Taiwan) ist der weltgrößte Auftragsfertiger von Elektroteilen und war  schon mehrfach wegen mieser Arbeitsbedingungen in den Schlagzeilen. Im September kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Schließung der Apple-Fabrik, was das saubere Image von Apple und seiner hippen User-Gemeinde angekratzt hat. Neben Protesten und Streiks kam es zu  Selbstmorden mehrerer Angestellter.

Apple und Foxconn sicherten zu, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Fair Labor Association (zu deren Mitgliedern unter anderem Firmen wie Adidas, Puma, H&M, Nestlé und natürlich Apple zählen) attestierte Foxconn zwar zuletzt Fortschritte, aber selbst diese industrienahe NGO mahnte weitere Anstrengungen bei Apple an.
Die im Jahr 2000 gegründete NGO China Labor Watch ist nach eigenen Angaben eine unabhängige Non-Profit-Organisation und überwacht Arbeitsbedingungen von Fabriken in China, die Spielzeug, Fahrräder, Schuhe, Möbel, Kleidung und Elektronik für einige der größten Unternehmen produzieren. Das New Yorker Büro erstellt Berichte zu diesen Untersuchungen und übt Druck auf die Unternehmen aus, um  zur Verbesserung der Situation der Arbeitnehmer beizutragen. Apple dürfte die bedeutendste Firma sein, die ins Blickfeld der China Labor Watch geraten ist, nicht nur ökonomisch. Für die Netzkultur war Apple von enormer Wichtigkeit, weil der erste Kleincomputer-Hersteller der Welt nicht nur avancierte Technologie und Design, sondern auch eine Lebensphilosophie verkörperte -den Traum der „Digerati“: „Computer for the people“.
Wikileaks geriet einst in Misskredit, weil ein angeblicher Aids-Test der Apple-Ikone Steve Jobs voreilig geleakt wurde; ein zweifelhafter Eingriff in die Privatsphäre, selbst eines weltberühmten Mannes. Freunden von Apple und Fans von Steve Jobs bleibt sein Andenken in der inzwischen erfolgreichsten Firma der Welt, den Apple-Produkten -hoffentlich mit einer hohen Firmenethik, an die wohl die Applianer die Firmenleitung gelegentlich erinnern müssen- und einem Auftritt von Steve Jobs im Wachsfigurenkabinett von Mme.Tussod.
Die Bertelsmann-Postille „SPIEGEL“ (sonst bekannt für ihr notorisches Griechen-Bashing) berichtete übrigens ebenfalls über die Vorfälle, dank einer Reporterin vor Ort sogar ganz authentisch, aber leider völlig nichtssagend -nur ein Teaser online, um zum Kauf des Papierheftes zu verlocken, wer den Fehler machte, die 4,20 Euro dafür hinzulegen wurde enttäuscht: Die Ausarbeitung der Reportage von Sandra Schulz, vorgenommen offenbar durch einen Redakteur des klangvollen Namens Wieland Wagner, überzeugt weder inhaltlich noch sprachlich.
Auf die Idee, die Hintergründe der „Fair Labor Association“ zu recherchieren, ist beim weltberühmten Wochenblatt scheinbar keiner gekommen: dass Apple selbst in dieser unternehmernahen NGO sitzt verraten dem investigativen Analysten ja auch nur geheimste Internetquellen (Wikipedia), die natürlich nicht jeder kennen kann (oder will, wenn sein Käseblatt Millionen an Anzeigen von Apple verdient).
Ansonsten brilliert das papierschriftliche Machwerk durch einen ellenlangen Bericht über Hörensagen eines angeblich Dabeigewesenen, der aber auch nicht viel mehr wusste und als gutbezahlter Vorarbeiter eigentlich auf der Seite von Foxconn steht sowie durch sprachliche Highlights wie: „Für dieselbe Arbeit müssten die Chinesen auch künftig härter und länger arbeiten als Beschäftigte in entwickelten Industrieländern.“ (SPIEGEL 40/2012, S.87)
Neoliberale Kapriolen turnen ideologisch durch das Bertelsmann-Redakteursgehirn, da lacht die Industrie, mehr und härter arbeiten, nicht nur für weniger Geld -nein für dieselbe Arbeit… Aber wie kann das gehen? Das erklärt der Textschmied am Ende des Sermons: „Wie gut, dass Foxconn-Boss Berry Gou schon vor einem Jahr angekündigt hat, bis 2012 in seinen Fabriken eine Million Roboter einsetzen zu wollen.“ (ebd.)
Die Bertelsmann-Botschaft nicht nur an chinesische Arbeiter und Unternehmer: Ausbeuten, ausbeuten, ausbeuten! Und ihr Malocher sollt das Maul halten, sonst holt euch der Roboter, ach was, eine Million Roboter! Und wenn ein Big Boss das sagt, dann müssen wir es auch drucken, wo wir doch schon seitenweise gedruckt haben, was sein williger Vorarbeiter über die aufrührerische Jugend in China zu meckern hat…
Für 4,20 Euro am Kiosk oder wenn Ihnen das zu teuer ist, eine Woche später in Ihrem nächsten Altpapiercontainer (Nachtrag, eine Woche später, GRR;)

WikiLeaks: Angeblicher Aidstest von Steve Jobs

Gerd R. Rueger  15.August 2009 (überarbeitet 2011/2012)

Am 15.01.2009 tauchte ein angebliches Dokument über einen Aidstest von Apple-Gründerfigur Steve Jobs bei Wikileaks auf, der auf ein positives Ergebnis deutet. Steve Jobs ist inzwischen verstorben, an Krebs, wie es hieß. Doch die Echtheit des HIV-Testergebnis war damals höchst umstritten, ebenso die fahrlässige Publikation: Von pietätloser Verletzung der Intimsphäre bis hin zu möglicherweise intendierten Börsenmanipulationen des Kurswertes von Apple.

Der Leak betraf nicht irgendwen, nicht mal irgendeinen prominenten Firmenboss oder Digerati. Der seit Jahren –unbestritten kränkelnde– Applegründer Steve Jobs genoss höchstes Ansehen bei vielen Computerfans, weit über den aktuellen iPod- und iPad-Kult hinaus. Sein Tod löste eine Welle von Sympathie- und Trauerbekundungen bei Kunden und Fans von Apple aus, einer Marke, die neben Technik auch „Identität“ verkauft –was vor allem auch Jobs Verdienst ist. Unter seiner Ägide entstandene Apple-Produkte gelten als technisch und stylisch wegweisend.

Jobs hatte zudem Charakter und arbeitet z.B. für ein symbolisches Jahresgehalt von einem Dollar für seine Firma, wie es heißt. Das Durchschnittseinkommen der nicht gerade für Fairness und Bescheidenheit bekannten US-Topmanager betrug 2010 neun Millionen Dollar jährlich und die meisten sind nicht annähernd so kompetent wie der Apple-Gründer. Manche sehen ihn als Vertreter einer neuen Ethik im Business, andere spotteten. Später kam Apple u.a. wegen seiner Produktionspraktiken in China in Verruf, was den Ruhm trotz neuer Firmenethik abblättern ließ. Der Niedergang von Apple nachdem Jobs die Firma verließ, ihr neuer Aufstieg mit iPod und iPhone nach seiner Rückkehr sind legendär. In den 80ern war Apple der kleine David der den Goliaths von erst IBM und dann Microsoft die Stirn bot.

Ausgerechnet hier betrat WikiLeaks das Gebiet privater medizinischer Daten mit einem Dokument, welches heikler kaum sein könnte: Einem positiven Aidstest der Apple-Ikone Steve Jobs. Aufnahmen der Firma SxCheck zeigen angeblich Ergebnisse von drei Testreihen eines Steven Paul Jobs, zweimal „negativ“, aber einmal „positiv“, Testdatum 01.09.2004. Dazu kommt ein angebliches Faksimile der Überweisung an das „California Pacific Medical Center“ durch Dr.W.F. Owen jr. an Assad A. Hassoun wegen einer Nierenkrebsbehandlung. WikiLeaks spekulierte über die verzeichnete Sozialversicherungsnummer, die aus Kalifornien stammen könnte und über Nierenkrebs als HIV-Folgeerkrankung.

Aber das alles hätte z.B. ein Fälscher, der Apples Aktienkurs manipulieren will, auch recherchieren können. Wenigstens weist WikiLeaks auf die zweifelhafte Echtheit hin. Doch ob das genügt, angesichts der intimen Natur des Dokuments? Ein derart drastischer Eingriff in die Privatsphäre kann nur schwerlich damit gerechtfertigt werden, Jobs sei eine öffentliche Person. Aber was ist andererseits mit dem kulturellen Hintergrund der betroffenen Person? Die US-Kultur der Digerati tritt zuweilen übertrieben radikal für die Publikation privater Daten ein, Zuckermanns Firma Facebook ist nur ein Auswuchs dieses Denkens. Aber hier geht es um ihre Ikone Steve Jobs. Um den auch aus Digeratikreisen aufflackernden Protest gegen WikiLeaks in dieser Frage zu verstehen, muss man sich Apple genauer ansehen.

Teil der Apple-Unternehmenskultur war auch die vielen Hackern eigene Arroganz, der visionäre Glauben an das eigene Genie und die Unbesiegbarkeit seiner Erfindungen, nebst der Paranoia, diese Erfindungen könnten geklaut werden. Genie und Paranoia -diese beiden Züge führten zu Fehlentscheidungen in der Unternehmensstrategie. Apple tat sich schwer, anderen Firmen Lizenzen zu erteilen und verlor so letztlich trotz technologischen Vorsprungs. Apple setzte etwa als erster auf die Maus-Steuerung, verlor aber dennoch später den PC-Massenmarkt an Microsoft.

Später produzierte Bill Gates mit seinem Windows-System ein, wie viele meinen, ziemlich dreistes Plagiat der Apple-Oberfläche und wurde damit zum reichsten Mann der Welt. Ein jahrelanger Urheberrechtsstreit endete mit dem Sieg für  Gates. Eine zeitgenössische Karikatur zeigte zwei Hacker, die Windows starten:

„Mein Gott, Icons wie bei Apple! Menü wie bei Apple! Speicher und Ablage wie bei Apple! Die komplette Apple-Benutzeroberfläche –wie wollen die damit jemals durchkommen?“

„Sieh auf die Rückseite der Schachtel.“

„Da steht: Dieses Produkt wird hergestellt unter Mitwirkung von 3000 Rechtsanwälten.“

Apple hatte vergeblich auf einen Streitwert von 4,5 Milliarden Dollar geklagt… Man kann in der Firma Apple einen Brennpunkt jener Weltanschauung zu sehen, die später als „kalifornische Ideologie“ diskutierte wurde. Quasi als „linker Flügel“ des neoliberalen Mainstreams entstand in den USA eine Sub- und Gegenkultur zwischen Woodstock, Internet und Börsengang, deren sozialpolitische Defizite von einem unbändigen geistigen Freiheitsdrang konterkariert werden, die Digerati. Punktueller Digerati-Widerstand schlägt gerade auf dem Gebiet der Medien- und Informationsfreiheit aus ihren Netzwerken heraus einem dominierenden Neoliberalismus entgegen, der als technisch hochfrisierter Manchester-Kapitalismus mit sozialdarwinistischen Fangzähnen auf Beutezug geht. Vor allem, wenn die Neoliberalen auf Überwachung, Abschaffung von Freiheitsrechten und Techno-Totalitarismus setzen, protestiert z.B. die 1990 gegründete EFF, „Electronic Frontier Foundation„: Freie Netze für freie Bürger.

Es geht bei Apple auch um die Geschichte von Ideen und kulturellen Bewegungen, weniger um pure Technik oder Ökonomie. Apples geradezu weltanschaulicher Kampf gegen die großen Konkurrenten, erst IBM (Big Blue) dann Microsoft, mit Bill Gates als seinerzeit amtierender Hassfigur der „Applegemeinde“, die noch aus vielen Hackern und Möchtegern-Hackern bestand –und wenig mit den iPod- und iPhone-Konsumenten von heute gemein hatte.  Es ging um einen Kampf, der als kleines Widerstandsnest mit der Devise „Computer für das Volk“ begann, dessen Konzept der grafischen Benutzeroberfläche die Macht der technologischen Priesterkaste brechen sollte.

Wie die spätere Hacker-Ethik wollte Apple das Wissen der Menschheit auf ein neues Niveau der Zugänglichkeit bringen, sah sich am Ende aber als Akteur auf gleicher Ebene in strategischen Allianzen und Konsortien. Dort wurde der Kampf geführt –und verloren: Microsoft hätte Apple komplett geschluckt, wenn nicht einige Reste von Anti-Kartellgesetzgebung in den USA das verhindert hätten.

In Sachen Stil, Image und Design waren die Digerati von Apple ihrem eher kaufmännischen Management zumeist voraus. Doch bald schmolz Apples technischer Vorsprung dahin und mit ihm die Gewinne, Missmanagement tat ein Übriges. Steve Jobs hatte Apple 1985 verlassen. Die immer konservativer agierende Firma, die nun der Pepsi-Cola-Manager John Sculley führte, stand ohne ihr größtes Genie da.

Der Applegründer Jobs versuchte, in seiner eigenen neugegründeten Firma NeXT weiter avantgardistische Computer zu entwickeln –auch diese wurden Kult unter Hackern, blieben aber eine Orchideentechnik. Apple tanzte nun glücklos im Reigen von Joint Ventures und strategischen Allianzen mit IBM, Chiphersteller Motorola und Microsoft, Apples Börsenkurs fiel 1993 auf die Hälfte. 1997 kaufte Apple in einer verzweifelten Krise NeXT und Steve Jobs kehrte als strahlender Held zurück. Er hatte ein Betriebssystem nebst Ideen für ein neues Produktkonzept im Gepäck. Ab 1998 ging es mit Apple und dem G3-Prozessor, dem iMac und dem iBook-Laptop wieder aufwärts, der Durchbruch kam mit dem Musiktoy iPod und ließ Apples Börenwert zeitweilig sogar an Microsoft vorbeiziehen. Jobs konnte auf Vorarbeiten aufbauen, aber als Symbolfigur ist seine überragende Wirkung unbestritten. Die Firma mit dem Apfel widmet sich seither wieder ihrer eigentlichen Aufgabe, der permanenten digitalen Revolution -aber auf einem eher kommerziellen als revolutionären Gebiet.

Vor diesem Hintergrund grenzte der Leak des HIV-Tests von Steve Jobs an Blasphemie gegenüber einer Ikone der Computer-Revolution, insbesondere was die US-Hackerkultur der Digerati angeht. Vielleicht hat den Australier Assange gerade dies daran gereizt: Der kleinste Kontinent hat als ehemalige Gefängniskolonie des Empire die Unabhängigkeit von der britischen Krone erst viel später hingekriegt und hegt womöglich Minderwertigkeitskomplexe gegenüber den reichen Angelsachsenbrüdern jenseits des Pazifik –Mad Max gegen Rambo?

Hierzulande blieb der HIV-Apple-Skandal weniger beachtet, Jobs ist nicht so bekannt und beliebt wie in den USA. Der Chaos Computer Club entfaltete seine europäische Variante der Computer- und Netzkultur ohne besonderen Bezug zu Apple. Die deutsche Applefiliale gab sich allzu bieder und blieb deshalb in den 80ern weitgehend auf kleine Nutzergemeinden im graphischen Gewerbe beschränkt –heute, als Musiktoy-Firma, feiert Apple größere Erfolge beim Massenpublikum.

Die deutschen Digerati sind eine Minderheit, finden sich am ehesten vielleicht noch im Softwareriesen SAP. Ihnen stehen hierzulande Daten-Piraten und Hacker mit mehr Tiefgang in Sachen Datenschutz und Blick auch auf andere politische Fragen gegenüber. Die HIV-Test-Schlappe von WikiLeaks wurde in Deutschland kaum wahrgenommen, aber die Website gewann auch gerade erst ein paar Augenblicke im globalen Medienrauschen für sich.

Freunden und Fans von Steve Jobs bleibt sein Andenken in der inzwischen erfolgreichsten Firma der Welt, den Apple-Produkten -hoffentlich mit einer hohen Firmenethik, an die wohl die Applianer die Firmenleitung gelegentlich erinnern müssen- und einem Auftritt von Steve Jobs im Wachsfigurenkabinett von Mme.Tussod.