Lüge der Woche: Arme Deutsche

Galindo Gaznate 20.4.2013

Erneut machten viele Mainstream-Medien mit dieser Falschmeldung auf, die auf einer absichtlich falsch gedeuteten Statistik der EZB beruht. Die Lüge: „Die Deutschen“ sind ärmer als andere Europäer. Der Trick: Bei der Messung des Reichtums wurde die exotische statistische Größe “Median” ausgewählt. Der Median sagt aber nichts über den (sonst gemeinten) durchschnittlichen Reichtum aller Deutschen aus. Alles Gerede über Hausbesitz und Renten, die angeblich dafür wichtig seien, ist dabei relativ belanglos.

Europas Presse debattiert aufgeregt über die EZB-Vermögensstudie: Titelbild„Unglaublich, die Deutschen sind die Ärmsten in Europa“, staunt „JDD“ aus Frankreich, „Keineswegs“, kontert der Wiener „Standard“ und falls doch, dann sind die deutschen „Übeltäter“ selbst dran Schuld, heißt es im „Guardian“ -der „Spiegel“ machte gar seine Titelstory daraus und fabulierte und schwadronierte kräftig mit –„Vermögen in Griechenland größer als in Deutschland“ machte SpiegelOnline (SpiOn) auf unterstellte den vom deutschen Banken gebeutelten Südeuropäern, ihr „Vermögen zu verstecken“ (als ob deutsche Reiche alle brav damit beim Finanzamt ankämen), mit diesen Hasstiraden setzt SpiOn  seine heimtückische Griechen-Hetze vom letzten Jahr nahtlos fort.

Erneut machten viele Mainstream-Medien also mit dieser Falschmeldung auf, die auf einer absichtlich falsch gedeuteten Statistik der EZB beruht (die auch von der Bundesbank vor vier Wochen vermutlich ebenso absichtlich in missverständlicher Form lanciert wurde). Die Lüge: Deutsche sind ärmer als andere Europäer. Der Trick: Bei der Messung des Reichtums wurde statt des üblichen Durchschnitt als „Mittelwert“ die exotische statistische Größe „Median“ ausgewählt.

Der Median ist der Wert jenes Deutschen, der in der Mitte steht, wenn man alle Deutschen nach anwachsendem Reichtum hintereinander aufstellen würde. Dessen Vermögen entspricht aber nicht dem durchschnittlichen Reichtum aller Deutschen, denn das meiste davon horten die oberen zehn Prozent -davon das meiste wieder die obersten ein Prozent, die ca. 50 Prozent des Geldvermögens besitzen. Fazit: der Median-Mittelwert zeigt nur, dass es in Deutschland mehr Arme gibt als etwa in Spanien. Er verschweigt aber, dass es in Deutschland auch viel, viel mehr Reiche gibt. Deutsche Journalisten verstehen den Median offensichtlich aber nicht und denken an den alltagssprachlichen „Durchschnitt“ (genauer: das arithmetische Mittel, d.h.man zählt alle Personen, summiert ihre Vermögen und teilt die Summe durch die Anzahl der Personen -genau so funktioniert der Median aber nicht!).

Sogar die Junge Welt fiel herein

Leider gilt das sogar für die Junge Welt (jW), sonst ein Lichtblick in unserer weitgehend neoliberalisierten Presselandschaft. Deren Finanzjournalist Lucas Zeise folgte am13.April in der jW der Mainstreamer-Fehldeutung des Median, verteidigte aber dennoch tapfer eine soziale Sichtweise der Thematik:

„Das mag alles richtig sein. Wichtiger wäre der Hinweis, daß die Vermögensstatistik jedes Landes von der schmalen Spitze bestimmt wird. Die Vermögenssumme der fünf oder besser des einen Prozents Superreicher jedes Landes bestimmt, was am Schluß bei Durchschnitt und Median herauskommt.“

Das ist jedoch falsch, wie ich gleich belegen werde: Der Median lässt gerade die Superreichen unter den Tisch fallen. In der Online-Version von Lucas Zeises Artikel „Arme Deutsche“ hat die jW immerhin schon den „Median“ aus diesem Satz getilgt, aber den Hintergrund nicht weiter klargestellt; vielleicht hat die jW unsere Kritik hier mitbekommen, aber nicht ganz verstanden? Keine Angst, weiter unten wird gleich der mysteriöse Median nochmal ganz langsam erklärt: Auch jW-Finanzexperten sollten ab und zu in dieses Blog schauen 😉

Was wollen die EZB-Bankster?

Offensichtlich wollen die EZB-Bankster, wie schon vor drei Wochen die obersten deutschen Bankster und ihre Helfer in den Redaktionen von Presse und TV, zur aktuellen Zypernkrise Nebelkerzen werfen und den deutschen Michel einmal mehr zum Neid auf Südeuropäer aufhetzen. Basis ist die “versehentliche” Verwechslung von Median und Durchschnittswert, die beide als “Mittel” umschrieben werden können, jedoch ganz Unterschiedliches bedeuten.

Propaganda durch Verzerrung und Weglassung

BILD behauptete etwa, das Vermögen deutscher Privathaushalte sei “angeblich um einiges kleiner als das in vermeintlich viel ärmeren Euro-Krisenländern wie Italien oder Spanien”, das gehe aus einer aktuellen “Studie der Bundesbank” hervor.

BILD.de: “Deutsche haben demnach im Mittel ein Vermögen von 51 400 Euro – in Frankreich liegt dagegen das mittlere Vermögen bei 113 500 Euro, in Spanien bei 178 300 und in Italien bei 163 900 Euro. Grund für den vergleichsweise geringen Wert in Deutschland ist die sehr niedrige Eigenheim-Quote hierzulande. Während nur 44,2 Prozent der Deutschen ein Haus oder eine Wohnung ihr Eigen nennen, sind es etwa in Frankreich 57,9 Prozent, in Italien 68,4 Prozent und in Spanien sogar 82,7 Prozent.”

Das ist natürlich falsch -aber die Mainstreamer brachten diese verlogene Verzerrung der Wahrheit durch die Bank, von Bertelsmanns Sender n-tv bis zu den Edelfedern der FAZ. Die Trick ging so: Statt des Durchschnittswertes der Vermögen wurde von der Bundesbank der MEDIAN angegeben, ein seltsamer statistischer Wert, dessen Eigenheiten nur Fachleuten bekannt sind. Der Median führt in diesem Fall zu einer starken Unterschätzung der hohen Einkommen, die sich an der Spitze der Pyramide in Deutschland angesammelt haben. Die wahre Bedeutung ist also nicht: Deutsche sind ärmer als Spanier usw., sondern bei den Deutschen ist der viel größere Reichtum auch noch viel ungleicher verteilt, d.h. die untere Hälfte der Einkommenspyramide ist viel ärmer als in Spanien -dafür ist die obere Hälfte, besonders das obere Zehntel der reichen Deutschen viel reicher. Es geht den Medien aber darum, bei den von ihren Reichen ausgeplünderten armen Deutschen Neid auf Spanier, Griechen usw. zu schüren, statt daheim auf gerechtere Verteilung zu drängen.

Die Bundesbank schrieb:

“Auch im Vergleich mit anderen Ländern der Eurozone ist der Median in Deutschland niedrig: In Frankreich hat der mittlere Haushalt ein Nettovermögen von 113.500 Euro, in Italien von 163.900 Euro und in Spanien sogar von 178.300 Euro. Ein Grund dafür könnte die ungleiche Neigung zum Immobilienbesitz sein…”

Vorher erklärte die Bundesbank zwar kurz den Median, aber die Mainstream-Journalisten waren damit überfordert oder stellten sich zumindest dumm -und außerdem boten die Bundesbanker ja gleich eine Pseudoerklärung dazu: Den Immobilienbesitz. Das ist jedoch Blödsinn -denn wer kaum was auf der Bank hat, kann sich natürlich auch kein Eigenheim leisten. Erklärungswert also gleich Null!

Wikipedia erklärt uns die Statistik des Median:

Der Median oder Zentralwert ist ein Mittelwert für Verteilungen in der Statistik. Der Median einer Anzahl von Werten ist die Zahl, welche an der mittleren Stelle steht, wenn man die Werte nach Größe sortiert…  Im Vergleich zum arithmetischen Mittel, oft Durchschnitt genannt, ist der Median robuster gegenüber Ausreißern (extrem abweichenden Werten).

Konkretes Zahlenbeispiel: Von den spanischen Werten 1, 1, 1, 2, 3, 4, 7 ist der Median 2 (Summe der Vermögen ist nur 19);

Von den deutschen Werten 1, 1, 1, 1, 1, 4, 90, 900, 9000 ist der Median nur 1 (Summe der Vermögen ist aber 9999 -bei doppeltem Median war oben die Vermögenssumme 500mal kleiner: darum können „die Deutschen“ reicher sein bei kleinerem Median!) vgl. auch Statistika-Lexikon.

Unsere Superreichen Multimillionäre und  -milliardäre sind solche statistischen “Ausreißer” und dass der MEDIAN gegen sie “robuster” ist, bedeutet schlicht, dass sie unter den Tisch fallen, statistisch weggelogen werden. Kurzum, wer diese mathematischen Hintergründe nicht kennt und an den Durchschnitt denkt, wenn er Median hört (was alle tun werden, außer Fachleuten), wird de facto belogen. Was wohl Sinn und Zweck der Übung gewesen sein dürfte.

Tatsächlich sind nicht Spanier, Franzosen oder gar Griechen „reicher als Deutsche”, sondern es gibt in Deutschland viel mehr Arme als in Spanien usw., weil den deutschen Armen von den deutschen Reichen viel mehr Geld abgenommen wurde. Aber aus dem gleichen Grund gibt es auch viel mehr Reiche in Deutschland als in Spanien und damit viel mehr Reichtum. Hätten die offiziellen Statistikfälscher bei Bundesbank und EZB nicht Armut, sondern Reichtum in ihrer Statistik und zwar ehrlich gemessen, wäre sicher ein weit größerer deutscher Wert zu verzeichnen gewesen. Traurig: Vor drei Wochen konnte dieser Artikel schon einmal erscheinen, damals gegen eine Medienwalze der Lügen, die die Bundesbank losgetreten hatte -jetzt kam alles noch einmal, nur mit verdrehten Statistiken der EZB. Wenn sie mit einer Lüge gut durchkommen, erfolgt gleich der zweite Aufguss davon mit noch größerem Getöse, wie wir sehen. Aber sage kein Journalist diesmal, er hätte es nicht wissen können -jeder hätte es hier vor drei Wochen schon nachlesen können und viele wurden hoffentlich von ihren Lesern mit der Nase auf Jasminrevolution gestoßen.

Nachtrag:

Auf der Website der London School of Economics and Politics

erschien am 10.04.2013 der Artikel “Selective truths and Spanish riches: The Bundesbank’s study on household wealth” von Stefan Bauchowitz und José Javier Olivas, deren ersterer in der Debatte unter dem Artikel u.a. das Folgende schrieb:

Stefan Bauchowitz says (April 10, 2013)

“…The reporting on the Bundesbank’s PHF and the ECB HFCN focuses on the median values, presumably because the median values is where the differences are starkest. Using the median makes sense if one wants to make within-country assessments (and in fact a large chunk of the PHF focuses on the inequality within Germany), it’s probably less useful for a cross-country assessment and even less so when it comes to debating bail-outs (which is not the stated goal of either study)…”

Was eine -wenn auch entpolitisierte und weniger deutlich ausformulierte-  Soft&Short-Version meiner Argumentation darstellt. qed Galindo Gaznate