Facebook, Google, Apple… und wie man Widerstand leisten könnte

Cover: „Disrupt!“ (Unrast-Verlag) Filmplakat „Metropolis“, dem Science Fiction-Klassiker von Fritz Lang

Ein Essay mit Buchkritik von Hannes Sies

Wir alle nutzen gern und häufig neue Technologien, z.B. hier und jetzt im Internet. Selten, allzu selten denken wir darüber nach, welche Folgen diese Technik für uns selbst, geschweige denn für Gesellschaft und Politik haben könnte. Kulturelle Reflexion über Technologie findet überwiegend nur im Genre Science Fiction (SF) statt. Dies kann bestenfalls utopische Züge haben, schlimmstenfalls in reaktionäre Auswüchse des „Fantasy“-Genres reichen. Ersteres kann man massenkulturell vielleicht bei Star Trek (deutsch: Raumschiff Enterprise) finden, letzteres bei Star Wars (das von seinen Fans für SF gehalten wird). Für bodenständige Menschen bedeutet das Prädikat „utopisch“ nur ein anderes Wort für „Spinnerei“, ihre Überlegungen bezüglich der Zukunft reichen meist nicht weiter als, sagen wir, ein Bausparvertrag oder der Rentenanteil im nächsten Tarifabschluss.

Zumindest von den Leuten, die Technologien entwickeln, sollte man eigentlich erwarten, dass sie über die Folgen reflektieren. Tatsächlich ist die technische Intelligenzia oder, wie man sie heute nennt, die „Nerds“, eifriger Konsument von Massenkultur à la Star Trek und Star Wars, wie man in der äußerst erfolgreichen Nerd-Satiresoap The Big Bang Theory sehen kann: Zur kritischen Beschäftigung mit dem eigenen Handeln oder mit Technologie führt dies aber kaum, nur zu Eskapismus in eine unpolitische, evtl. noch lasch-sozialliberale Haltung (Schmusenerd Lennard) bzw. sogar zu reaktionär-konservativer Weltsicht (beim Asperger-Syndrom-Nerdkönig Dr.Sheldon Cooper).

Dr.Sheldon Cooper liebt Facebook

Dr. Sheldon Cooper, Chef-Nerd aus The Big Bang Theory (von Fan-Website BBT-Wiki)

Keine Figur dieser auch hierzulande täglich im Fernsehen wiederholten US-Serie macht sich jemals kritische Gedanken über das Handeln ihrer Regierung. Ebenso wenig über die Richtigkeit der Politik, für die sie sich auch gar nicht interessieren und meist auch kaum über die Technologie, die sie entwickeln. -Abgesehen von ein paar Zweifeln, als das Militär als besonderen Gag etwas davon requiriert und für geheim erklärt (Zweifel, die mit Angst vor Repressionen schnell herunter geschluckt werden). Das Erfolgsgeheimnis dieser Soap: Solche Nerds gibt es tatsächlich und sie werden immer mehr. Einige von ihnen versuchen sich sogar etwas ernsthaftere Gedanken zu machen als die Medien-Klischee-Vorbilder aus den USA, z.B. Leena aus dem Umfeld der deutschen Hackerszene:

Ob The Circle, Black Mirror, The Handsmaids Tale oder Star Trek Discovery – Unsere Populärkultur wirft derzeit einen pessimistischen Blick in die Zukunft. Dabei brauchen wir gerade jetzt technologische Utopien.“ Leena

Leena denkt dabei nicht direkt an Politik, aber sie gehört zu jenen, die das Buch DISRUPT! lesen sollten. Als Autor von DISRUPT! zeichnet verantwortlich das „redaktionskollektiv çapulcu“ („çapulcu“ steht türkisch für „Banditen“ und wurde von Erdogan-Gegnern nach selbiger Beschimpfung für sich übernommen). Man sieht Technologie explizit politisch, kritisch und links:

Logo von Capulcu (weil Erdogan während der großen Proteste eine Pinguin-Doku im Fernsehen senden ließ)

DISRUPT! beschreibt die Versuche, das menschliche Dasein den Anforderungen einer reduktionistischen künstlichen Intelligenz zu unterwerfen. Der Anpassungsdruck des Menschen an die Maschine wirkt bereits jetzt – weit vor einer vollständigen Vernetzung aller mit allem. Das redaktionskollektiv çapulcu dechiffriert diese oft unhinterfragte Entwicklung als Angriff auf unsere Autonomie und analysiert seine entsolidarisierende Wirkung. Denn Technologie ist nie neutral, sondern immanent politisch.“

Die Autoren sind keine Maschinenstürmer, aber sie wollen die neuen Technologien kritisch auf ihre Folgen befragen, auf ihre politökonomischen Hintergründe, auf die Motive der Herrschenden bei ihrer Propagierung und Durchsetzung. Das gelingt sehr überzeugend. Der Unterton ist zuweilen etwas düster, doch es überwiegt der gerechte Zorn über unfaire Verhältnisse, die zynischen Lügen und die Repression, mit der iT-Machteliten ihre Gier auf unser aller Kosten befriedigen. Das ist weit mehr als wir bei zeitgenössischen Nerds sonst zu sehen bekommen:

Ob Klimawandel, Totalüberwachung, künstliche Intelligenz oder das Erstarken menschenverachtender Menschenbilder, wir haben viel Grund zum Pessimismus. Gerade in Zeiten, in denen viele der Mut verlässt, wo viele sich eingestehen, dass sie eher mit Zweifeln in die Zukunft sehen, braucht es positive Ideen zum Umgang mit Technik.“ Leena

Big Bang Theory und die Politik der Nerds

Vielleicht denkt auch Leena bei diesen positiven Ideen an die Hackerkultur, deren politische und sogar radikale Aktionen das redaktionskollektiv çapulcu ausführlich begründet und beschreibt: Mit Macht vorangetriebene technologische Schübe wären kaum umkehrbar, sobald sie gesellschaftlich durchgesetzt wären. Denn „der darüber geprägte Zeitgeist“ wirke selbstverstärkend für die notwendige Stabilisierung, wobei dieser Geist,so muss man anmerken, etwas Hilfe von Medienkonzernen bekommt, wenn sie etwa einen Sozialcharakter wie den US-Nerd in nur vermeintlich unpolitischen TV-Serien wie The Big Bang Theory unter Abermillionen jungen Menschen verbreiten.

Capulcu fordert einen Gegenangriff auf Ideologie und Praxis „der totalen Erfassung“ und „die Wiederbelebung einer praktischen Technologiekritik zwischen Verweigerung und widerständiger Aneignung spezifischer Techniken“. Als Gegner werden nicht nur Regierungen und Behörden des klassischen Überwachungsstaates benannt, sondern mehr noch die großen Konzerne und Industrien der digitalen Welt: Apple, Google, Microsoft und Facebook, um nur die bedeutendsten zu nennen. Der Vorwurf lautet auf Ausbeutung, ganz traditionell ihrer Arbeiter, insbesondere im globalen Süden, China etwa. Aber gerade auch ihrer „Kunden“ und der Nutzer ihrer Angebote. Diese würden in ihrer Privatsphäre verletzt, ihre Daten rücksichtslos verwertet und sie selbst als total ausspionierte Kundenprofile verraten und verkauft. Für die Werbewirtschaft ein gefundenes Fressen ist vor allem Facebook: Seine gut zwei Milliarden Nutzer sind der Durchleuchtung und Manipulation recht- und schutzlos ausgeliefert und ahnen es meist nicht mal. Einige, nennen wir sie Leena und Ingo (Namen, wie sie heute typische sozialliberale Mittelschicht-Akademiker ihrem Nachwuchs verpassen) ahnen meist eher unbewusst, dass dabei nicht alles Gold ist, was auf ihrem Bildschirm glänzt, vermögen aber nicht, politisch tiefer gehende Kritik zu entwickeln:

So ein soziales Netzwerk ist eine tolle Sache. Immer und überall lässt sich herausfinden, wie es den Freunden wohl gehen mag, was sie gerade treiben. Andersrum lässt sich natürlich auch mitteilen, wie denn das eigene Befinden so ist, zu welcher Party es als Nächstes geht und wie die letzte denn so war. Ab und an werden die Nerven dann doch strapaziert, wenn der Freundeskreis haufenweise YouTube-Videos zu postet, Bilder von verschiedenen Gruppen zu teilt oder einfach nur blindlings jede offensichtlich virenschleudernde App installiert. Aber an und für sich ist es ganz toll, immer mit den Lieben, nahen und fernen Bekannten und Freunden verbunden zu sein. Insbesondere dann, wenn sie sich nach Schule, Ausbildung und Studium über die ganze Welt verteilt haben. Das erzeugt dann ein gewisses Heimatgefühl.“ Ingo

Ingo kommt am Ende einer weitgehend unpolitischen, über große Zusammenhänge völlig uninformierten, aber immerhin noch rationalen Abwägung, wenigstens zum Ergebnis, persönlich auf Facebook zu verzichten. Sein Weltbild ist vermutlich das Ergebnis eines Medien-Mainstreams, der ein werbefreundliches Umfeld schafft und sich an Vorgaben der Bilderberg- etc. Machteliten hält: Die eigene Regierung wird unkritisch gesehen, ihre z.B. Verletzungen des Völker- und Menschenrechts bei Angriffskriegen (Libyen, Syrien usw.) sind unbekannt und „Oligarchen“ gibt es nur in Moskau, nicht in Washington, London, Paris und Berlin. So kann Ingo auch kaum begreifen, welches Ausmaß die medial-digitale Kontrolle über sein Leben wirklich schon hat und vor allem nicht, von wem und wozu sie ausgeübt wird. Geschweige denn, dass er an Widerstand dagegen denken könnte (der über eine Änderung seines Soziale-Medien-Konsums hinausginge). Würde Ingo bloß dieses Buch lesen:

Denn Capulcu wird da in Disrupt! Schon wesentlich konkreter: „Alles, was man jemals preisgegeben hat – ob freiwillig oder ohne eigenes Wissen und Zutun – bleibt im digitalen Gedächtnis des Internets für immer erhalten. Eine reichhaltige Fundgrube also für Unternehmen und staatliche Repressionsorgane. Facebook beispielsweise wertet permanent die eingegebenen Daten aller Nutzer*innen aus, und Werbefirmen können sich Profile zurechtklicken, um genau den Personen maßgeschneiderte Werbung zu schicken, die sich für ihre Produkte interessieren könnten. Natürlich ist dies nur ein minimaler Teil der Datenquellen im Netz, auf die zugegriffen werden kann. Scheinbar kostenlose Dienste wie die von Facebook oder Google werden mit den eigenen Daten teuer bezahlt – und die Unternehmen machen Milliarden damit. Viele Smartphone-Apps beispielsweise leiten die Daten ihrer Nutzer an Werbenetzwerke weiter, ohne dass diese davon in Kenntnis gesetzt werden oder gar ihre Zustimmung gegeben hätten. Die Werbenetzwerke speichern dann die IMEI (International Mobile Station Equipment Identity, die Seriennummer des benutzten Geräts, das dadurch eindeutig identifizierbar ist) zusammen mit dem Nutzungsverhalten über mehrere Apps hinweg, so dass ein aussagekräftiges Interessenprofil der Nutzer erstellt werden kann. Es werden freiwillige direkte Angaben, aber auch Klicks, Likes und Dislikes, Standorte, soziale Netzwerke und Beziehungen erkannt und ausgewertet, um Profile von Menschen zu erstellen, sie einzuschätzen, zu bewerten, ihr Verhalten vorherzusagen und sie zu manipulieren. Wer glaubt, dass es sich hierbei um scheinbar unkritische, harmlose Daten handelt, liegt leider falsch. Interessant sind neben demografischen Daten gerade solche, die tiefe Einblicke in das Leben von Menschen erlauben. So sind beispielsweise persönliche Stärken, Schwächen, Ängste, Interessen und Einstellungen, aber auch Krankheiten, Beziehungen, Kaufkraft und Kreditwürdigkeit, intime Geheimnisse, Neigungen oder Suchtverhalten von großem Interesse.“

Disziplinierung durch Fitness-Tools und Profiling

Capulcu weist auf drohenden Missbrauch etwa durch Krankenkassen hin, die gierig darauf sind, uns loszuwerden, sobald wir „schlechte Risiken“ werden: Wenn wir krank werden also. In Zukunft wird man versuchen, uns vorher loszuwerden oder gar nicht erst aufzunehmen, wie am Beispiel Generali gezeigt wird. Folge: Jeder spürt den Zwang zur Selbstoptimierung als neoliberales Markt-Subjekt, das im Wettbewerb mit allen anderen steht. Solidarität? Fehlanzeige. Bei der großflächigen Disziplinierung wird die neue Mode der Fitness-Messung angewandt, aber auch die politische Willensbildung sei ins Fadenkreuz gerückt. Firmen wie die berüchtigte Cambridge Analytica etablierten dort gerade Geschäftsmodelle: Das Buch beschreibt den Skandal rund um den Trump-Wahlkampf und die Brexit-Kampagne, die von der Cambridger Firma beraten wurden. Beide hatten Erfolg, womöglich auch weil sie personifizierte Propaganda verwenden konnten. Diese wurde anhand von Facebook-Profilen direkt auf sie zugeschnitten: Digitaler Rechtspopulismus, der von sogar für Facebook-Standards illegal auf Nutzerdaten zurückgriff. Diese Story ist inzwischen auch im Medienmainstream angekommen -aber wäre sie es, wenn nicht die Außenseiter-Positionen Trump und Brexit damit durchgesetzt worden wären? Und wie naiv muss man sein, um zu glauben, dass nicht zahlreiche andere geheime Kampagnen ähnliche Methoden anwenden?

Cambridge Analytica war nur ein extremes Beispiel für die täglich geübte Normierung und Disziplinierung der digitalen Subjekte im Netz, aber auch im realen Leben. Ziel ist die vom Nutzer freudig -und teilweise sogar dafür bezahlend- selbstgewählte Unmündigkeit. Capulcu analysiert die digitale Antiaufklärung über Smartphone, Fitness-Armband und Computer, wie sie weiland Adorno nicht schärfer hätte kritisieren können.

Doch das lieber anonym bleibende Redaktionskollektiv bearbeitet noch viele weitere Bereiche, die Silicon-Valley-Ideologie um Künstliche Intelligenz und Transhumanismus, ihre Nudging-Manipulations-Strategien, Big Data als Basis von Wahlbetrug. Die Kritik bearbeitet auch traditionell linke Themen: Wie Apple seine Arbeiter in China ausbeutet; wie Uber das Taxigewerbe entsolidarisiert und dabei die Selbstausbeutung der vom Neoliberalismus entwurzelten „Selbstunternehmer“ ausnutzt; wie die unpolitisch-zynische IT-Gewinnler-Klasse den Rest der Welt dem hemmungslosen Zugriff des Kapitals preisgibt, etwa in der Gentrification durch AirBNB (eine neoliberal-konzernmäßige Pervertierung des Gedankens der Mitwohnzentralen).

Widerstand gegen Google, Facebook & Co.

Dabei wird der Missbrauch von Technologie nicht nur kritisiert und beklagt, sondern immer Möglichkeiten des Widerstands beschrieben. Schade, dass solche Bücher es wohl nicht zur Schullektüre bringen werden. Abschließend eine Passage über den Kampf gegen Google, dessen „sozialer“ Einsatz für seine gutbezahlten Nerd-Angestellten nicht von allen begrüßt wird:

Straßenszenen in San Francisco: Unrat und Blockaden gegen Google-Luxusbusse, Besetzung des Airbnb-Hauptquartiers, Abwehr von Gerichtsvollzieher*innen bei Wohnungsräumungen. Das sind Formen eines Kampfes gegen Vertreibungsdruck in Silicon Valley, der Welthauptstadt des technologischen Angriff s der IT-Industrien, der die Lebensverhältnisse der umliegenden Städte San Francisco, Oakland etc. umzupflügen sucht. Es ist zugleich ein Schwerpunkt des weltweiten Kampfes, den wir auf allen Kontinenten und in vielen Städten Europas in vielen Facetten und Schattierungen erleben. Überall steigert eine unerbittliche VertreibungsOffensive die gemächlicheren Formen vormaliger ›Gentrifizierung‹ auf neue Höhepunkte. In ihrem Machtkern operieren neue Eliten und Wohlhabende, die auf irgendeine Art und Weise Agent*innen und Nutznießer*innen des technologischen Angriffs sind. (…)

Auf Fotos können wir Aktionen verfolgen, z.B. wie die von Google und anderen Unternehmen für ihre Mitarbeiter*innen eingesetzten Luxusbusse blockiert, mit Schmutz und Unrat beworfen und auf alle erdenklichen Weisen attackiert werden. Mariannes Fotoserie zeigt uns auch die direkten Kämpfe gegen Vertreibung. Sie reichen von Kampagnen gegen die Übernahme von Gebäuden durch Tech-Reiche bis hin zur direkten Blockade. Die ersteren waren zuweilen nicht ohne ›Geschmäckle‹. So beanspruchte ein in den Diensten der IT-Offensive zu Reichtum gekommener Rechtsanwalt ein ganzes 12-Stockwerke-Haus für sich allein. Eine Kampagne fand heraus, in welcher Schwulen-Bar er verkehrte und verbreitete über das Beziehungsanbahnungs-Portal »tinder« die Vertreibungsgelüste des Rechtsanwalts – mit der Folge, dass Teilnehmer des Portals eine Kontaktaufnahme mit ihm verweigerten, weil sie mit Vertreibern nichts zu tun haben wollten. Die Kampagne verfehlte ihre Wirkung also nicht.“

çapulcu redaktionskollektiv: DISRUPT! Widerstand gegen den technologischen Angriff, Unrast Verlag, Münster 2017, 155 S., 12,80-

Gekürzte Version zuerst erschienen bei (Scharf-links)

Siehe dazu auch die Kritik des neoliberalen Buches Disrupt Yourself

 

Massenmanipulation : Großmacht Facebook

Sissy Hanuman

Derzeit ist wieder einmal Facebook im Gespräch: Man will den Megakonzern (und andere Netzgiganten wie Google, Amazon, Apple) tatsächlich fairer besteuern (!). Wahrscheinlich ist leider, dass diese politisch ventilierten Ambitionen den gleichen Weg nehmen wie etwa das nach der Finanzkrise 2008 behauptete Vorhaben die Banken zu (re-) regulieren: In den Orkus der politischen Lügenmärchen. Netzkonzerne und insbesondere Facebook sind einfach zu wichtig, um sie ernsthaft anzugehen. Zu wichtig für zu mächtige Gruppen in den USA und in der EU. Dabei ist die ökonomische Power vielleicht sogar nur zweitrangig neben der Softpower der kulturellen und psychologischen Beeinflussung ganzer Bevölkerungen.

Facebook ist mit 80 Mia. Dollar Börsenwert ein Schwergewicht im Netz, es aber auch als gilt als größte „Nation“ der Netzwelt: Mit ca. 2,2 Milliarden „Bewohnern“ ist es weit größer als China und Indien. Eine solche Herde von Nutzern ist attraktiv für diverse Parteien. Da sind neben Marketingagenturen, Großunternehmen wie Banken, Versicherungen usw. auch diverse staatliche Stellen und Dienste, die gerne auf unsere privaten Daten zugreifen: Spätestens durch die Leaks von Edward Snowden wurde etwa das PRISM-Programm bekannt, mit dem die NSA und andere gezielt Soziale Plattformen abschöpfen. Unklar ist, in welchem Ausmaß die Netzkonzerne bei diesem Abschöpfen aktiv mitmachen oder selber Opfer von Angriffen sind (wie sie gerne ihren Kunden gegenüber behaupten).

Andere staatliche Zugriffe auf private Daten erfolgen weniger heimlich, sollen wohl eher der Einschüchterung und präventiven Erzwingung von Konformität dienen: So verlangen US-Behörden bei der Einreise Zugriff auf Social Media-Accounts -um zu prüfen welche Meinungen der Reisende vertritt? Oder will man wirklich nur Terrornetzwerke aufdecken? Auf jeden Fall ist Facebook zu einem zentralen Bestandteil staatlicher Kontrollen geworden, nachdem es seine Nutzer schon als Geschäftsmodell der Kontrolle durch Werbetreibende anheimstellt. In politischen Kämpfen, vor allem wichtigen Wahlkämpfen, fließen staatliche und privatwirtschaftliche Interessen zusammen: Welche Fraktionen, welche Branchen und Konzerne können ihre Parteien und Kandidaten am besten verkaufen? Also den Wählern am besten vormachen, ihr Kandidat würde Wählerinteressen vertreten?

Fake News und Sockenpuppen: Cambridge Analytica

Spätestens seit der rechtspopulistische Milliardär Donald Trump sich überraschend in der US-Präsidentschaftswahl 2016 durchsetzte, ist eine netzspezifische Manipulationsmethode in der öffentlichen Debatte: gezielte Meinungsmache durch den Einsatz großer Mengen an unechten Usern (Sockenpuppen), von Agenturen oder Diensten mithilfe dieser Sockenpuppen vorgetäuschte Gruppen und von diesen Gruppen oder Sockenpuppen verbreiteten Fake News. Angestrebt wird eine Vorherrschaft in Netzdiskursen, um so den Anschein einer Mehrheitsmeinung zu erwecken. Ziel ist, dass diese Fake News bzw. durch sie eingeimpfte Meinungen dann von realen Usern übernommen werden, was bekanntlich nach dem Prinzip der „Schweigespirale“ anderen Sichtweisen langsam die Luft abwürgt.

Im November 2016 sorgte ein Artikel der Schweizer Zeitschrift Das Magazin, für Aufsehen. In diesem Bericht ging es um die britische Marketingfirma Cambridge Analytica, die eigenen Angaben zufolge mit sogenanntem Microtargeting Donald Trump zum Wahlsieg verholfen hat. Das Konzept hinter dem von ihr betriebenen Politmarketing beruht auf einer Kombination aus persönlichen Facebookdaten und Daten, die mit Hilfe psychometrischer Verfahren gewonnen wurden. Daraus wurden die Persönlichkeitsstrukturen von Millionen Amerikanern ermittelt, ihre Vorlieben und Ängste analysiert und Verhaltensvorhersagen gemacht. Schließlich wurden ihnen gezielt gefilterte politische Nachrichten zugesandt, um so ihr Wahlverhalten zu beeinflussen. Aufgrund ihres Erfolges im Wahlkampf für Trump erhalte Cambridge Analytica nun Anfragen aus aller Welt und sei darüber hinaus auch an der Brexit-Kampagne von leave.eu beteiligt gewesen. Inzwischen hat der Skandal so hohe Wellen geschlagen, dass Cambridge Analytica aufgeben musste und die Polizei aktiv wurde. Man wollte schnell den Mantel des Schweigens über die Tatsache breiten, dass hier nur die Spitze des Eisbergs sichtbar geworden war und auch nur deshalb, weil diesmal ein politischer Außenseiter mit den schmutzigen Methoden Erfolg gehabt hatte. Ist Facebook -neben vielem anderen- auch eine Verschwörung?

Da eine Verschwörung eine Art kognitiver Apparat ist, der gemäß Informationen handelt, die er von seinem Umfeld erhalten hat, führt die Verzerrung und Einschränkung dieser Inputs sehr wahrscheinlich zu unangebrachten Handlungen. Programmierer nennen diesen Effekt garbage in, garbage out. Üblicherweise verläuft dieser Effekt genau anders herum; die Verschwörung ist der Urheber der Täuschung und Informationsbegrenzung. In den USA wird der Aphorismus der Programmierer manchmal auch „Fox News effect“ genannt.“ Julian Assange, Wikileaks-Manifest 2006

Dass Cambridge Analytica für Trump gearbeitet hat, ist belegt. Allerdings nahm das Unternehmen seine Arbeit erst am Ende der Vorwahlen auf und war nicht die einzige Firma, die an den Wahlkampagnen beteiligt war. Laut Firmenchef Alexander Nix wurden aufgrund der kurzen Periode oben genannte psychometrische Verfahren, die aufgrund von Facebook-Likes Persönlichkeitstypen und Einstellungen festlegen, nicht angewandt. Der Artikel auf Das Magazin hat also vermutlich unrecht, wenn man dort den Wahlsieg Trumps nur der Arbeit von Cambridge Analytica zuschreibt. Doch weist er darauf hin, dass an derartigen Methoden und in solchen Feldern gearbeitet wird und sie sich stetig verbessern.

Bislang haben Soziale Plattformen und insbesondere Facebook diese Methode heruntergespielt. Im April 2017 veröffentlichte die Sicherheitsabteilung von Facebook allerdings einen Report über derartige Manipulationen, ihr Ausmaß und die Gegenmaß- nahmen auf Seiten von Facebook. Der gewährte Ein-blick offenbarte durchaus ambitionierte Versuche, sowohl in den US-, als auch in den französischen Präsidentschaftswahlkampf einzugreifen, auch wenn Facebook das klein redet. Manipulationen, die Facebook selbst unternimmt oder für die Facebook bezahlt wird (z.B.Werbung), werden in dem (inzwischen im Netz nicht mehr auffindbaren) Report übrigens mit keiner Silbe erwähnt.

Das Netz vergisst nichts und vergibt nichts

Alles, was man jemals preisgegeben hat –gleichgültig, ob freiwillig oder unwissentlich– bleibt im digitalen Gedächtnis des Internets für immer erhalten. Die Algorithmen von Facebook etwa werten permanent die Daten aller Nutzern aus, jeder stimmt dem durch seine Teilnahme zu. Ziel ist dabei Marketing: Werbefirmen können sich Profile erstellen, um genau jenen Facebook-Nutzern persönlich abgestimmte Werbung zu schicken, die sich für ihre Produkte interessieren sollen. Natürlich gibt es weitere Datenquellen im Netz, auf die von Firmen und Diensten zugegriffen werden kann.

Scheinbar kostenlose Dienste wie die von Facebook oder Google werden mit den eigenen Daten teuer bezahlt: Die Konzerne verdienen Milliarden damit ihre Nutzerherden zu digital zu bewirtschaften. Smartphone-Apps leiten die Daten ihrer Nutzer an Werbenetzwerke weiter, ohne dass diese davon in Kenntnis gesetzt werden oder zugestimmt hätten. Die Werbenetzwerke speichern dabei die IMEI (International Mobile Station Equipment Identity, die Seriennummer des benutzten Geräts, das so immer identifizierbar ist). Mit dem Nutzungsverhalten, das über mehrere Apps hinweg beobachtet wird ergibt sich so ein Nutzungs- und Interessenprofil. Es werden freiwillige direkte Angaben, aber auch Klicks, Likes und Dislikes, Standorte, soziale Netzwerke und Beziehungen erkannt und ausgewertet, um differenzierte Profile von Menschen zu erstellen, sie einzuschätzen, zu bewerten, ihr Verhalten vorherzusagen und sie zu manipulieren.

Wer glaubt, dass es sich hierbei um scheinbar unkritische, harmlose Daten handelt, liegt völlig falsch. Interessant sind neben demografischen Daten gerade solche, die private Einblicke in das Leben von Menschen erlauben. Erfasst werden persönliche Stärken, Schwächen, Ängste, Interessen und Einstellungen, aber auch Krankheiten, Beziehungen, Kaufkraft und Kreditwürdigkeit, intime Geheimnisse, Neigungen oder Suchtverhalten. Neben Smartphones, Posts in Social Media, Online- shopping, Suchmaschinenanfragen und Surfverhalten geben auch Daten aus tragbaren Geräten (sog. Wearables) wie Fitnesstrackern profitablen Aufschluss über eine Person.

Den Wunsch, die politischen Einstellungen und Meinungen der Bevölkerung davon im großen Maßstab zu beeinflussen, gab es freilich lange vor Cambridge Analytica, Facebook oder dem Internet. Man denke nur an die bereits ausgefeilte Propagandatechnik in Nazi-Deutschland oder an das MK-Ultra Programm der CIA. Auf dem Feld der Manipulation und Gedankenkontrolle waren die Grenzen zwischen zivilen und militärischen Akteuren schon immer fließend. Facebook bzw. seine „Kunden“, die wir in Wirtschaft, Politik und Staatsapparaten vermuten dürfen, hatten viele Vorläufer und Anknüpfungspunkte für die Weiterentwicklung entsprechender Methoden der Massenmanipulation… etwa das „Nudging“, das leichte „Anstubsen“ zur psychologischen Manipulation der Motive von Menschen.