Facebook, Liebe, Sex: Die Ausbeutung von menschlichen Beziehungen

Bild: LoboStudioHamburg / CC0 Creative Commons

Zuckerbergs Netz-Multi Facebook ist ein Datenschutz-Alptraum, gegen den Orwells „1984“ wie ein idyllischer Heimatfilm wirkt. Gesichtserkennung zur Identifikation steht ja praktisch schon im Firmennamen. Dazu kommt  NSA-Spy-Hightech, die kein volles Gesicht mehr braucht: Haare, Kleidung, Umfeld genügen. Der mit einer rosa Wolke aus Likes benebelte Nutzer und sein Freundeskreis werden via Partyfoto, Selfie usw. ausgespäht -er wird politisch manipuliert,  seine intimsten Beziehungen werden „narrativ“ durchleuchtet und schamlos ausgebeutet.

Capulcus

„Wir sind alle Facebooks Laborratten“, titelte Leonid Bershidsky in einer Tech-Kolumne bei Bloomberg. Ein zentrales Labor gilt der Untersuchung von Facebooks Möglichkeiten zum Management von Beziehungs- und Gefühlskapital. Hier leistet sich Facebook eine eigene Forschungsabteilung unter dem Sozialwissenschaftler Cameron Marlow. Facebooks Bedeutung als Avantgarde-Unternehmen liegt darin begründet, dass es mit dem weltweit größten Aufkommen an Nutzern auch das größte Laboratorium beherrscht. Natürlich stehen die Profite durch Werbung immer im Hintergrund, geschenkt. Aber die setzen die Qualität und Tiefe des sozialen Felds voraus, das es zu bewirtschaften gilt.

Facebook: Gierig auf dein „bonding-capital“

Facebook reichen die bloßen Kontakte ihrer Usern nicht aus, sie sind zu unsicher und flüchtig. Da es den Usern um Inhalte geht, setzt ein nachhaltiger Zugriff die Einbeziehung der Inhalte voraus. Im Bereich nichtgeschäftlicher persönlicher Kontakte, der Hauptgegenstand der Begierde, ist dies schwierig. „Like“-Buttons waren der erste Schritt, um Neigungsprofile zu erstellen. Das reicht aber kaum für die Erschließung des weiten Feldes persönlicher Beziehungen. Das zu bewirtschaftende Beziehungskapital (manchmal auch Sozialkapital genannt) wird unterschieden in „Bindungskapital“ zwischen Personen durch Freundschaft , Liebe und Familie („bonding-capital“) und „Brückenkapital“ („bridging-capital“), durch das jenseits, aus und über diesen Kreis hinaus Brücken nach außen hergestellt werden. „Soziales Kapital ist gutes Zeug (…) Diejenigen von uns mit einem hohen Sozialkapital-Reichtum sind tendenziell glücklicher, gesünder und widerstands- fähiger“, sagt Facebook-Forscherin Jennifer Cobb.

Facebook weiß, es kommt an die Herstellung von engen Beziehungen nicht heran und erst recht nicht hinein. Denn: sein Ort und die Art und Weise seines Zustandekommens sind der Mechanik seiner Algorithmen verschlossen. Das ist das Reich der Kontakte von Angesicht zu Angesicht („face to face“). Sprache mit seinen unendlichen Tonschwingungen, und -färbungen, Mimik, Körpersprache etc. verbinden sich kontextabhängig zu einer komplexen Wirklichkeit, an der Analysealgorithmen nicht einmal kratzen. Noch immer holen sich ihre Analytiker allein bei der Erkennung und Deutung von Sarkasmus und Ironie blutige Nasen. „Was bist Du für ein starker Held“, sagt die Frau, „du kannst mir bestimmt das Gepäck vom Bahnhof abholen“. Dieses Heldentum ist für den Algorithmus nicht zu knacken und damit auch nicht die Anbahnung von neuem Bindungskapital. Er erkennt schon an der Stimme, woran er ist, es gehört zum Reservoir von Spielen, die sie spielen.

Der Einstieg von Facebook läuft über die Bearbeitung, die„Pflege“ dieses „Kapitals“, über das, was Facebook „maintenance“ nennt. Und hier spielen Geschichten und Photos eine zentrale Rolle. Der Hintergrund: man geht davon aus, dass es für Menschen praktisch keine losgelösten, erzählungsfreien „Fakten“ gibt. Fakten gewinnen ihre Bedeutung in Erzählungen. Die Entdeckung der Spiegelneuronen hat die neurophysiologische Grundlage geliefert. Der italienische Neurologe Giacomo Rizolatti hatte zufällig bei der Untersuchung eines nussaufknackenden und -essen- den Affen und eines Affen, der ihn dabei beobachtete, folgendes festgestellt: bei dem beobachtenden Affen entstanden identische Hirnmuster, so, als ob er selber knackte und äße. In den Hirnen wurden parallel „erzählerische“ Gesamtheiten aktiviert. Erzählung ist also eine Grundtatsache. Dementsprechend bilden und verändern Menschen ihre Identität ständig dadurch, dass sie sich ihre eigene Geschichte ständig neu erzählen.

Wie funktioniert Manipulation durch Framing?

„Narration“ (Erzählung) ist heute der Ansatzpunkt für Beeinflussung, Manipulation von Facebook_LogoWahrnehmung, Entscheidung und Verhalten. Vor allem im sogenannten „Framing“, der narrativen, erzählerischen Definition eines Bezugsrahmens für Verhalten, über das die Definitionsmacht ausgeübt werden soll. Facebook hat „Timeline“ als Programm erfunden, um Nutzer zur Selbsterzählung mit Photos (Instagram) einzuladen. Google hat mit „Stories“ nachgezogen. Sie nutzen es als Trojanisches Pferd, als Einfallstor in die Beziehungswelt. „Enger zusammenwachsen auf Facebook“ („growing closer on Facebook“) heißt das Motto. Dafür steht eine rührende Zeichnung. „Sie“ gießt auf ihrem Balkon ein Blümchen, dessen Zweig zu „seinem“ Blümchen auf dem Nachbarbalkon rüberwächst, das noch schüchtern ein Blättlein ausstreckt (durchaus pc im Sinne der aktuellen Genderpropaganda).

„Wir haben Facebook aufgebaut, um dich mit den Menschen zu verbinden, die du liebst. Beste Freunde, Familienmitglieder, High-School-Klassenkameraden und alte Bekanntschaften interagieren täglich Milliarden Mal, wenn sie wechselseitig ihre Geschichten lesen, Botschaften schicken, Photos austauschen“, schreiben Facebook-Wissenschaftlerin Moira Burke und Human-Computer-Interaction-Spezialist Robert Kraut. Und weiter: „Vor kurzem haben Robert Kraut und ich eine Studie betrieben, um auseinanderzufieseln, wie verschiedene Arten der Nutzung Änderungen sozialer Beziehungen vorhersehbar machen.“ „Soziale Netzwerke wie Facebook ändern die Ökonomie von Einleitung und Verfall (…). Kollegen stellen fest, dass Kommunikation auf Facebook Beziehungen durch Signale gegenseitiger Zuneigung aufrechterhält. Sie nennen diesen Austausch ‚Verhalten zum Unterhalt von Beziehungen’, was Aufmerksamkeit und Investition in eine Freundschaft signalisiert. Das Schreiben auf der „Wand“ von Freunden oder kommentieren von Photos stellt eine Form der sozialen Pflege zur Erhaltung der Beziehung dar.“ Facebook stellt Nachrichten zu einem Strom zusammen, bekannt als „Newsfeed“ („Nachrichtenfütterung“), der neue Fotos, Status-Updates und Mitteilungen über Aktivitäten enthält, wie z.B. neue Freundschaften oder Posts auf den Wänden anderer Freunde. „Diese Aktivität muss man mit „small-talk“ vergleichen, schnelle Informationsausbrüche über den Alltag der Freunde. Ein großer Teil dieser sozialen Ströme besteht aus „ich-jetzt“-gerichtetem Inhalt. Aber auch diese alltäglichen Details werden allgemein als die Bauteile enger Beziehungen gewertet.“

Beziehungen beobachten, bewirtschaften -ausbeuten

„Facebook makes the heart grow fonder“ heißt es in einer anderen Studie: Facebook dient als Zuneigungsverstärker. Kostengünstig und effizient übrigens, wie betont wird. Kurz: wir haben hier den Beginn einer Bewirtschaftung von Beziehungen. Sie beobachtet und kontrolliert nicht nur das Kontinuum alltäglicher Beziehungen. Sie „füttert“ auch die Bausteine ein und hilft damit Routinen zu schaffen, die Verhalten erst vorhersehbar machen. Diese Hybridform von Verhaltensbeforschung, -kontrolle und –design bzw. Einschleifung steht in Analogie zu Bestrebungen in der „Verhaltensökonomie“. Facebook kann kein „bonding“ schaffen, aber es kann sich über diese Einfallstore zu den Beziehungskernen vorfressen und einschleichen.

Es liegt auf der Hand, dass die darüber hinausgehen- den kommunikativen Beziehungen („Brückenkapital“) viel offener für ihre strategischen Strategien der Besetzung und Aneignung sind. In den Studien hierzu ist viel von Investition und Kosteneffizienz die Rede. Das ist nicht unwichtig. Denn der Rationalisierungsaspekt hat etwas mit der Ökonomie sozialer Beziehungen zu tun und Effizienzgesichtspunkte sind von Bedeutung dafür, wie und wie viele in diese neuen Formen der Bewirtschaftung von Sozialkapital eingesogen und handhabbar gemacht werden. Von etwas anrüchigem haut-gout sind die neuesten IT-Vorstöße in den sexuellen Bereich. Gut, es gab und gibt seit längerem den Peep-Voyeurismus per Video. Aber der neuerliche Vorstoß hat doch eine völlig neue Qualität, auf die die bürgerliche Presse mit etwas miefiger Frivolität gleich anspringt.

„Wenn Mutti immer saugen kann, die Porno-Industrie kreiert gerade die virtuelle Zukunft der Sexualität“, titelt Springers Welt am Sonntag vom 02.02.2015 mit Loriots Bonmot für ihre feiertäglichen Leser.

„Es geht um Erfindungen, die den direkten Körperkontakt zwischen Mann und Frau wahlweise anderen Sexualpartnern- letztlich überflüssig machen. Mit Hilfe der neuesten technischen Produkte, die jüngst auf einer Pornomesse vorgestellt wurden, lassen sich selbst über Kontinente hinweg, Gefühle, Erregungszustände und physische Sensationen austauschen.“

Avatare: Von Elektro-Porno bis Shades of Grey

Virtuelle Realitäten sind das Material des informationstechnischen Arrangements mit „Oculus-Rift “ Fuck_Facebookals ihrem zentralen Bestandteil. Headset aufsetzen und man ist voll drin in der virtuellen Wirklichkeit. Noch operieren erste Ansätze mit täuschend echten Avataren, an die die User von allen Seiten und manipulativ ganz nah herangehen können (25 Mio registrierte Nutzer). Bald sollen reale Personen hinter den Avataren stehen, manipuliert vom User. Die mittelfristige Perspektive zielt schon weiter. Sie will die ein- oder wechselseitige Manipulation und die Produktion bzw. Übertragung von Erregungszuständen über Ganzkörperanzüge und Vibratoren/ Masturbatoren in ein sexuelles Gesamtgeschehen integrieren.

E-Health, E-Learning, E-Sex werden bei den Anwendungsoptionen von virtual reality nicht die einzigen bleiben. Wie wär’s mit E-Folter? Etwas zynisch, aber wer weiß. Dass Pornografie das Einfallstor für den Zugriff von Virtueller Realität auf Sex bilden würde, konnte man erwarten. Es wird auch noch weiter gehen, lange nach- dem wir aufgehört haben, uns zu wundern. Aber wir wissen: Die Wirklichkeit von Liebe und Sexualität ist dadurch nicht zu erreichen. Face-to-Face, Begegnungen, Sprache, Mimik fügen sich zum ganzheitlichen Erleben von Wirklichkeit. Und das ist existenziell. „Jedoch wenn er aus ihrer Hand den leichten Becher nehmen sollte, so war es beiden allzu schwer und beide bebten sie so sehr, dass keine Hand die andere fand und dunkler Wein am Boden rollte“, heißt es im Gedicht „Die Beiden“ von Hofmannsthal. Hört sich alt an, ist es auch. Die Gewänder haben gewechselt.

Die Verarbeitung der sexuellen Beziehungen zur Ware mag sehr weit gediehen sein, sie wird von Hollywood in „Shades of Grey“ gerade in den SM-Bereich begleitet. Indes, unter anderen Formen ist das Beben der ersten Berührung, so leicht es immer geworden ist, erhalten geblieben und wird nach historischen Erfahrungen wieder zunehmen. Ein Beben, das bei Facebook zum „bonding“ verkommt und in der VR sexuell enteignet wird. Die Forschung zu biochemischen und elektrochemischen Vorgängen mag ja vorangekommen sein. Aber nicht einmal sie sind informatisch zu parallelisieren. Die Elektrisierung der „Beiden“ integriert Sinnebenen, von denen nur die Poesie uns eine Ahnung geben kann. Noch immer. Doch sind wir damit gefeit gegen die Enteignung durch virtuelle Realität? Ganze Abteilungen der Universität Stanford arbeiten daran. „Spannende“ Vorstöße in Richtung des Films „Matrix“…? Und da müsste auch unsere Diskussion einsetzen.

Anmerkung: Dies ist ein Text, leicht bearbeitet aus der Welt der „Capulcus“. JasminR hat soweit möglich Capulcus-typisches Soziologen-Chinesisch („Sozialität“ etc.) in Umgangssprache übersetzt und den modischen Ach-wie-bin-ich-gender-Sternchen*innen-Blödsinn entfernt, um die Lesbarkeit zu erhöhen. Leider verfügt die Capulcus-Gruppe bislang nicht über besondere Medienkompetenz hinsichtlich einer Kritik am Medienmainstream: „Spiegel„, „Die Zeit“ u.a. Bertelsmann-G+J- „Qualitäts-“Medien sowie die eigentlich schon zur Genüge als solche entlarvte Transatlantiker-Postille „Süddeutsche“ (SZ), und sogar US-Medien wie „New York Times“, „Bloomberg“ etc. werden kritiklos herbeizitiert. Daher besteht die Gefahr, Wichtiges zu übersehen, und auf durch solche Kanäle ausgelegte Köder hereinzufallen: Etwa die YPG-Rajava-Kurden-Story, scheint wie speziell für deutsche Linke designt, obwohl die YPG-Waffenhilfe seitens der USA, die verquere Haltung der Westmedien zu Rojava und ihre strategische Bedeutung im Erdogan-Nato-Konflikt misstrauisch machen müssten (nichts gegen die Rojava-Leute selbst, deren gelebte Sozialutopie leider zum Spielball geopolitischer Westinteressen gemacht wurde). Richtige Dinge in falsche Kontexte gerückt und so verzerrt darzustellen, dass sie letztlich vor den Karren der Machteliten gespannt werden, das ist deren tägliche Manipulationsarbeit. Beispiel NYT: Richtige Kritik an politischer Manipulation durch Facebook, aber an falschem Beispiel (Nazi-AfD-Pogrome in Chemnitz) stümperhaft analysiert: Das schafft kurze Hype, mobilisiert Hassgefühle gegen Rechts, die aber nicht auf echten Erkenntnissen basieren und damit letztlich nur Verwirrung erzeugen -gemäß der alten CIA-Weisheit im Psycho-Krieg: Wenn du sie noch nicht besiegen kannst, verwirr sie! (z.B. mit Pseudo-NGOs) Die alte CIA-Operation CCF (die politische Linke zu unterwandern und manipulieren) wurde niemals wirklich eingestellt und bleibt ein offenes Geheimnis, besonders bei den sogenannten „Antideutschen“.

Hintergrund Capulcus

Capulcus Logo: Pinguin mit Gasmaske

Aus deren Selbstdarstellung: Capulcus bedeutet „Wegelagerer“ oder „Nichtsnutze“. Der türkische (Minister-)Präsident Erdogan versuchte so die Regierungsgegner*innen der breiten Revolte im Jahr 2013 zu diffamieren. Statt über die Gezi-Proteste in Istanbul zu Beginn des Aufstands zu berichten, ließ Erdogan eine Pinguin-Dokumentation im Staatsfernsehen zeigen. Der Widerstand machte daraufhin den Pinguin mit einer Gasmaske gegen das Tränengas zu seinem Symbol. Diejenigen, die revoltieren, nennen sich fortan Capulcus.

Capulcus zum „technologischen Angriff“ (so ihre Kritik an Digital- und Netzmedien):

Seit Jahren brechen Wellen eines technologischen Angriffs über uns herein: Digitale Medientechnologie von Microsoft, Google, Apple, Facebook & Co. überschwemmt unsere Welt mit Überwachung, Steuerung, Manipulation. Wir verkennen diesen Angriff als vermeintlich neutrale „technologische Entwicklung“ und spielen bereitwillig mit: Wir zahlen freudig für unser iPhone, weil die uns bespitzelnde Wanze uns „mit der Welt verbindet“ -uns aber in Wahrheit mit der Weltherrschaft gierigere Machteliten gleichschaltet: Abgehört und vollgedudelt wird unser Zombie-Leben nach vorgestanzten Backformen abgenudelt. Dümmlich grinsen die Leute in ihre „Smart“-Phones, wie hypnotisiert von herausschwallenden SMS, Katzenvideos, Pornos und manipulierten Nachrichten -speziell zugeschnitten auf den jeweiligen „Nutzer“. (leicht bearbeitet von JasTeam)

Es ist Zeit für eine fundiertere Analyse, es ist Zeit für eine Verschwörung gegen die dramatisch wachsende Fremdbestimmung. Diese Broschüre ist unsere erste Sammlung an Diskussionen und Ideen dazu. Unser Ziel ist die Zurückweisung des „smarten“ Griffs nach unseren Freundschaften, die durch Facebook-“Friends“ ersetzt werden, unserer Kreativität, die in digitale Schubladen gelenkt und versenkt wird, unser Autonomie, die zu vorgegauckelter Wahlmöglichkeit von falschen Alternativen (die immer nur den Machthabern nützen) pervertiert wird – unserem Leben, das zur jederzeit überwachten Humanressource für ausbeuterische Konzerne gemacht werden soll. Wir suchen nach Wegen der Selbstbehauptung. (Naja, das klingt etwas pathetisch, um nicht zu sagen bombastisch, aber eigentlich auch ganz vernünftig, Capulcus!, meint Jasminteam)

CIA im Kulturkampf: CCF, der Congress for Cultural Freedom

Nobelpreisträger Heinrich Böll profitierte ohne sein Wissen von CIA-Geldern des CCF

Nora Drenalin

Parapolitik: Kulturelle Freiheit und Kalter Krieg hieß eine bis Januar im Haus der Kulturen der Welt (Berlin) gezeigten Ausstellung. Dezent wurde dort der 1967 aufgedeckte Skandal um die Finanzierung von Westkünstlern durch den CIA aufgerollt. Die Westmedien hatten den heute vergessenen, aber bis heute wirksamen CIA-Skandal schnell wieder verdrängt: Namhafte Köpfe des Westens, stramme Antikommunisten sowieso, aber auch gemäßigte oder antisowjetische Linke waren mit harten CIA-Dollars gefördert worden, selbst Nobelpreisträger wie Heinrich Böll. Ziel war ein finanzieller Kulturkampf auch gegen Künstler, welche im Westen die damalige Unterdrückung der Schwarzen in den USA anprangerten.

CCF -„Nudging“ im Kulturkampf

Die Ausstellung widmet sich einer langjährigen Operation der CIA, dem Congress for Cultural Freedom. Der CCF war 1950 in Westberlin durch antisowjetische Intellektuelle wie dem deutschen Schriftsteller Frank Borkenau sowie den russischen Dissidenten Michael Josselson und Nicolas Nabokov gegründet worden, die sich angesichts von Stalins Gulag-System vom Kommunismus abgewendet hatten. Berlins Bürgermeister, erst Ernst Reuter, später Willy Brandt, unterstützten das Vorhaben der CIA vermutlich ohne die wahren Hintermänner und Geldgeber zu kennen.

Dass der CCF vom CIA gesponsert war, war natürlich streng geheim und nur dem engeren Kreis der Gründer bekannt. Erst 17 Jahre später, 1967, wurde die Finanzierung durch die CIA vom US-Magazin „Saturday Evening Post“ aufgedeckt, was (angeblich) zur Beendigung des CCF-Programms führte. Nach einem kurzen obligatorischen Aufschrei der Westmedien gelang es, die Erinnerung an die enthüllte CIA-Operation CCF wieder nahezu vollständig aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit zu löschen.

Im CCF-Programm hatte man mit Stipendien, Einladungen in mondäne Villen, Ausstellungen, Preisverleihungen usw. die CIA-genehmen Schreiber, Maler ect. zu Stars gemacht. Andere Intellektuelle, die die USA kritisierten, blieben im immer marktförmiger werdenden Kulturbetrieb des Westens auf der Strecke. Man hatte mit Stalins totalitärer Kulturpolitik gleichgezogen, sie überrundet, und ganz ohne direkte Zensur. Allein durch finanzielles Austrocknen unliebsamer Künstler bzw. finanzielles „Nudging“ -wie man heute sagen würde- der regimetreuen Köpfe.

Rassentrennung und KKK-Terror

CCF-Literat Arthur Koestler

Grund war eine kulturpolitische Praxis der Sowjets, die ihrerseits Künstler förderten, die sich kritisch mit den USA befassten. Besonders die Rassentrennung in den US-Südstaaten, die sklaverei-ähnliche Ausbeutung der nur widerwillig freigelassenen ehemaligen Sklaven waren Thema der USA-Kritik. Die brutalen Verbrechen des rassistischen KKK an Tausenden Schwarzen, die Massenmorde und -vergewaltigungen, das Vorenthalten einfachster Bürger- und Menschenrechte, wurde einem weißen Publikum in westlichen Ländern durch solche Künstler vorgeführt und brüskierte die USA. Politische Morde an zahlreichen schwarzen Bürgerrechtlern, bis hin zum Nobelpreisträger Dr. Martin Luther King, ließen Washington schlecht aussehen. Im Kulturkampf war es also dringend geboten, den Blick der westlichen Öffentlichkeit auf die Verbrechen der Sowjets zu lenken, auf Stalins Gulag-System der politischen Repression.

Dies war die zentrale Aufgabe der CCF-Künstler, die das Leid der von Sowjets unterdrückten Opposition thematisierten, wie der CCF-Mann der der ersten Stunde, Arthur Koestler mit seinem Roman „Sonnenfinsternis“. Koestler konnte als Ex-Kommunist eine Vom-Saulus-zum-Paulus-Biographie vorweisen und wusste, wovon er sprach. Die Enttäuschung des idealistischen Kommunisten an der kränkenden Realität des Stalin-Regimes ließ ihn jede Kritik am Kapitalismus vergessen. Viele erst sowjet-orientierte Linke wurden von seinen Werken animiert, dem Weg Koestlers zu folgen und eingeschworene Anti-Sowjets, wenn nicht sogar Antikommunisten zu werden.

Abstrakte Kunst lenkt ab von konkreter Ausbeutung

Doch man ging beim CCF weiter: Eine subtile Steuerung des westlichen Kulturbetriebes sollte die Sowjetkunst grundsätzlich desavouieren, indem getreu der Totalitarismus-Kampagne Ähnlichkeiten der Nazi-Kunst mit der Sowjetkunst herausgearbeitet werden sollten. Dabei kam der „sowjetische Realismus“ den CIA-Kulturstrategen gerade recht: Hatten die Nazi den arischen Menschen verherrlicht, verherrlichten die Sowjets den Arbeiter. Von der Intention her hatte beides nichts gemein, aber die muskulösen Körper beider Kunstrichtungen sahen sich schon ähnlich. Da förderte die CIA-Operation CCF als Kontrastprogramm abstrakte Kunst als Ideal der individualistischen Freiheit von Malern und Bildhauern. Zudem lenkt Abstraktes wohltuend von konkreten (Ausbeutungs-)Verhältnissen ab.

Akteure des CCF waren der in der Sowjetunion eingesetzte US-Diplomat George Kennan und der Direktor des berühmten Museums of Modern Art (MoMA) teil, Alfred Barr. Kennan gestaltete nicht nur die Politik des Kalten Krieges wesentlich mit, er war auch Mitglied des 1953 gegründeten International Council des MoMA. In der Nachkriegsära knüpfte Barr raffiniert an die abstrakte Kunst während des Nationalsozialismus an, indem er die moderne und vor allem die abstrakte Kunst mit dem Ausdruck individueller Freiheit gleichsetzte und gegenüber dem figurativen Realismus positionierte, der zum Instrument der stalinistischen Propaganda würde.

Im Kampf gegen kommunistische Propaganda sah er Künstler wie Jackson Pollock an vorderster Stelle, der wie Barr Mitglied des CCF war. Zwar zeigt sich im Foyer, dass der CCF zugleich weniger als Organ der bildenden Kunst zu verstehen war. Vielmehr trat er als Akteur eines sich um den Globus erstreckenden Netzwerks in Erscheinung, das in mehr als dreißig Ländern und in Kontinenten wie Lateinamerika, Afrika und Südostasien präsent war und das auf dem Gedanken der „kulturellen Freiheit“ gründete, der in Zeitschriften, Konferenzen und Ausstellungen verhandelt wurde. Als Promoter einer „universellen“ Sprache der Moderne in Literatur, Kunst und Musik bildete eine zentrale Referenz wenngleich die abstrakte Formensprache der Bildenden Kunst und die Zusammenarbeit mit Institutionen wie MoMA oder Documenta.

Kulturkampf heute: Putin-Trolle statt Ukraine-Nazis

Die Ausstellung „Parapolitik“ hat eine Fülle an Archivmaterial zu Tage gefördert, um den lange verdrängten CIA-Skandal in einer kritischen Phase der Beziehungen des Westblocks zu Russland und seinen Verbündeten neu aufzurollen. Heute wird der Kulturkampf vom Westen mit den Schlagworten Fakenews, Putin-Trolle oder Hatespeech im Internet geführt. Man will erneut eine moralische Überlegenheit des Westens vorführen und als Heiligenschein über weniger ehrenhafte Verwicklungen westlicher Politik legen -etwa die Drahtzieherschaft im Ukrainekrieg, die prowestlichen Neonazis in der Kiewer Regierung oder im Bürgerkrieg um die Ostukraine.

Bei der Ausstellung sollte es also nicht um eine nachträgliche Denunziation von Künstlern und Intellektuellen gehen, die meist ohne es zu ahnen zu Instrumenten der CIA gemacht wurden. Das Multi-Millionen-Dollar-Sponsering des US-Dienstes beglückte ohnehin nach dem Gießkannen-Prinzip nahezu alle Kulturschaffenden des Westens, die sich nur irgendwie antisowjetisch äußerten oder betätigten. Natürlich merkten dies auch die entsprechenden Künstler, wenn auch nur unbewusst als „Stimmung“ in der Kunstszene. Sogar linke und sogar kommunistische Intellektuelle kamen so endlich einmal in den Genuss solcher geheimen staatlichen „Fördergelder“, die sich zuvor auf stramme Antikommunisten konzentriert hatten.

Und gerade die finanziellen Schmiermittel für nicht Moskau-orientierte Linke erwiesen sich als besonders wirksam im Kulturkampf gegen die Sowjets, „bewiesen“ sie doch die liberale Freiheit der Kunst im Westen, die freilich massive finanzielle Stubser bekam. Das heute von Cass Sunstein als große Erfindung in sozialpsychologischer Massenmanipulation propagierte „Nudging“ (Anstubsen) war jahrzehntelange Praxis der CIA und es gibt wenig Gründe anzunehmen, dass es nicht im Geheimen bis heute weiter betrieben wird.

Der Kampf der Systeme nach dem Zweiten Weltkrieg verwickelte auch Kunst und Kultur in ein symbolisches Wettrüsten. Dafür steht beispielhaft der Kongress für kulturelle Freiheit (Congress for Cultural Freedom, CCF), von einer Gruppe Schriftsteller*innen im Juni 1950 in West-Berlin gegründet zur Stärkung eines „antitotalitären“ Bündnisses Intellektueller. Ausgehend vom Pariser Hauptquartier unterstützte der CCF zahlreiche Kulturprogramme in Lateinamerika, Afrika und Südostasien und spann ein Netzwerk von Zeitschriften, Konferenzen und Ausstellungen, um die „universelle“ Sprache der Moderne in Literatur, Kunst und Musik zu fördern. 1967 stellte sich heraus, dass der CCF im Verborgenen von der CIA finanziert worden war… Ausstellung „Parapolitik“

CIA-Mann Melvin Lasky gründete „Monat“

Unter dem Dach des CCF wurden in erster Linie Zeitschriften gesponsert, darunter der in Berlin von Melvin Lasky gegründete „Monat“. Die im Foyer ausgestellten Publikationen geben die immense Bandbreite und beeindruckende intellektuelle Vielfalt der politischen Debatten wieder, wobei sich die anti-kommunistischen Positionen zwischen den gemäßigtem Linken und einem extremen Konservatismus bewegen. Gerade in der Arbeit des CCF, der sich auf die Förderung der Kultur konzentrierte, trat die Macht westlicher Systeme in Erscheinung, worauf auch der Titel der Ausstellung anspielt. Auch heute wurde die CIA-Operation CCF von den Westmedien kaum aufgenommen. Man gedenkt allem Möglichen, aber enthüllte Machenschaften der CIA werden mit dem Label „Verschwörungstheorie“ abgewiegelt oder totgeschwiegen, sogar bei Telepolis leitet in diesem Zusammenhang das böse VT-Wort den Artikel ein.

Die US-amerikanischen Kritikerin Catherine Gunther Kodat hat immerhin 2014 das weitgehend unbeachtete Buch „Don’t Act, Just Dance: The Metapolitics of Cold War Culture“ veröffentlicht, um den den Kulturkampf zwischen West und Ost im Kalten Krieg aufzuarbeiten. Wie die Ausstellung „Parapolitik“ vertritt Catherine Gunther Kodat die Sichtweise, dass auch auf der Seite des Westens autoritäre Strukturen gewirkt haben, dort allerdings unter dem Deckmantel des Begriffs der „Freiheit“, so die Berliner Gazette. Diese Freiheit ist jedoch eng ans Geld gebunden und ihre Ausübung wird mittels Geld von plutokratischen Kräften gesteuert und drangsaliert.