Clemens Knobloch und Theodor Marloth
Wie haben sich doch alle aufgeregt über Sarrazins „Kopftuchmädchen“ in den deutschen Medien. Das nicht enden wollende „Skandal“-Geschrei der Journaille trieb Sarrazins öden Text in alle Bestseller-Listen. Der Autor verdiente sich dumm und dämlich mit seinem Buch, in dem eigentlich nichts Originelles zu finden war. Nun schiebt Sarrazin einen Bestseller nach: Er regt sich auf über das „Skandal“-Geschrei, das ihn reich machte, aber ihn irgendwie doch „moralisch“ getroffen hat. Wie genau, das versteht Sarrazin auch nicht, aber für eine neue künstliche Empörung über den „Tugend-Terror“ reicht es allemal.
Sarrazins „Kopftuchmädchen“ hatten dem deutschen Stammtisch so richtig aus der Seele gesprochen: Gegen die Türken, gegen die Moslems und zugleich gegen die Weiber gewettert! Sind doch selbst schuld, wenn sie arm sind und hungern überall auf dem Globus, sollen sie eben weniger Kinder in die Welt setzen. Und schon gar nicht bei uns hier, das schadet unserer Wirtschaft! –Mit solchen anspruchslosen Argumenten verdient man im deutschen Buchmarkt Millionen. Sarrazin hat den Rassismus salonfähig gemacht, gehypt vor allem vom Mediengiganten Bertelsmann („Stern“, „Spiegel“, RTL) rannte er gegen die in unserem Land mühsam aufgebaute Ethik an. Ziel: Ein ideologischer Rechtsruck, der den Neoliberalismus „anschlussfähig“ macht an alte rassistische Ressentiments, die noch aus der Nazi-Zeit stammen.
Sein neues Werk passt dazu „Der neue Tugend-Terror: Über die Grenzen der Meinungsfreiheit“, wärmt aber nur den kalten Kaffee des wohlfeilen „Gutmenschen“-Bashing wieder auf. Wie glaubwürdig ist Sarrazins Geschrei über die Tugend? Wieso will ausgerechnet er uns den Umgang mit Tugend erklären? Das sind ebenso rätselhafte Fragen, wie die nach seinem Protest gegen die angeblich der deutschen Wirtschaft schadenden faulen Ausländer und dummen „Kopftuchmädchen“. Sarrazin selbst und seine Banker-Gang haben sich selbst nicht mit Ruhm bekleckert, was unsere Wirtschaft angeht –Stichwort Finanzkrise.
Als Bundesbanker war Sarrazin einer der Hauptverantwortlichen für das große Finanzkrisen-Desaster 2008, als die Wallstreet-Bankster unter Führung von Goldman Sachs ihren deutschen Globalplayer-Kollegen die Hosen auszogen. Bis zur letzten Sekunde vor der großen Lehman-Pleite hatten deutsche Bankster unter Führung von Sarrazins Bundesbank unsere schönen Euro-Milliarden über den Atlantik geschaufelt, in die gierig ausgestreckten Hände der angelsächsischen Konkursritter.
Sarrazin steht für eine Politik, die all die verjuxten Milliarden, nicht bloß bei Pleitekönig Commerzbank, flugs in Landesbanken und Badbanks verschob, wo die deutsche Bevölkerung bis heute dafür büßen kann –mit Schuldenfrondienst für Jahrzehnte. Leere Staatskassen, aber sprudelnde Boni-Milliarden für Bankster sind das Programm, hungernde Hartz-IV-Kinder für die Absahner Ackermann & Co. Einige nennen das Prinzip Finanz-Faschismus, weil es wie der Faschismus den demokratischen Staat entmachtet, zugunsten einer kapitalnahen Politmafia im übermächtigen Finanzwesen. Rechtsstaat, Demokratie, Menschenrechte –all das kehrt die Bankster genauso wenig wie einst die klassischen Rassisten-Faschisten. Und Thilo Sarrazin prügelt verbal nicht nur gern auf Hartz IV-Empfänger ein, er schlägt in seiner Person auch eine Brücke zwischen der muffigen Tradition der Braunen Brüder und den neoliberalen Finanz-Faschisten.
Für das von Bankern wie ihm angerichtete Desaster will Sarrazin nun einen Sündenbock suchen –und die Juden kommen diesmal nicht mehr in Frage. Also sind die „Kopftuchmädchen“ schuld, wenn die deutsche Bevölkerung immer mehr unter ökonomischen Druck gerät -der dumpf-deutsche Weg zum Neorassismus, wie man ihn aus Orbans Ungarn kennt. Nicht die Banker mit ihrem Versagen, dessen Folgen sie mit Hilfe korrupter Politiker auf die Menschen abwälzen konnten, sind schuld, sondern die Ausländer. Aber wehe, wehe, wenn das jemand rassistisch findet und sich über Sarrazins dumpfe Ideologie lustig macht: Das ist dann „Tugend-Terror“. Armer Sarrazin, hat er nicht mitbekommen, dass die neorechte Empörungswelle über die angeblich übertriebene „Political Correctness“, „Multikulti“ usw. sich schon vor zehn Jahren durch Dauer-Wiederholung totgesabbert hatte? Im Kapitel „Wie ich mit der Meinungsherrschaft in Konflikt kam“ jammert er ausgiebig darüber, dass sein Salon-Rassismus skandalisiert (und damit für das auf rechts gebürstete Mainstream-Publikum natürlich erst recht gehypt) wurde.
Doch Sarrazins Leser werden auch diesen dritten Aufguss von ödem Schund noch zum Bestseller machen. Mit etwas Hilfe von der Mainstream-Journaille: Im neorassimus-freundlichen Deutschlandfunk durfte am 24.2.2014 zur besten Frühstücksradio-Sendezeit Thilo Sarrazin sein Epos „Der neue Tugend-Terror: Über die Grenzen der Meinungsfreiheit“ in aller Breite vorstellen. Obwohl selbst der stramm-teutsche DLF-Moderator kaum etwas Neues am „neuen“ Tugend-Terror finden konnte, eine tolle Werbung für Sarrazins Buch auf einem Sender, der gern gegen Links schießt. Eine Werbemöglichkeit, auf die all jene Autoren ihr Leben lang vergeblich warten, die keine rassistischen Stammtisch-Parolen, sondern politische Kritik produzieren.