Bradley Manning: Unterstützung von der re:publica 13 aus Berlin

Gerd R. Rueger 06.05.2013

Auch in Berlin gibt es Solidarität mit dem Wikileaks-Whistleblower Bradley Manning. Seit drei Jahren inhaftiert, teilweise unter unmenschlichen Bedingungen, macht die US-Justiz ihm derzeit einen Schauprozess. Auf der Netzkonferenz re:publica 13 begann man mit einem „Ich bin Bradley Manning“-Protest: Birgitta Jónsdóttir, neugewählte Piraten-Kapitänin in Islands Parlament, hält das „A“ in der unteren Reihe; vom Chaos Computer Club entsandt: Andy Müller-Maguhn hält das „Y“ in der oberen Reihe.

Am 1.Juni Bradley-Manning-Demo in Berlin

Free Bradley Manning.pngDirekt von der Internetkonferenz re:publica meldet sich Detlef Borchers für HeiseNews zur Solidaritäts-Erklärung mit dem Whistleblower Bradley Manning. Mitgetragen wurde die Veranstaltung von der Berliner Sektion des „Free Bradley Manning“-Networks, das am 1. Juni im Rahmen des internationalen FreeBradley-Day zu einer Demonstration auch in der deutschen Hauptstadt aufruft. Das Hauptverfahren im Schauprozess gegen Manning wird am 3. Juni eröffnet, begleitet von andauernden Protesten, die in den auf Femen-Oben-ohne-Aktionen etc. fixierten Mainstream-Medien eher nicht vorkommen.

Bradley Manning ist jetzt über Tausend Tage in US-Haft, teilweise eingekerkert unter Bedingungen, die der “Folter nahe kommen”, so Menschenrechts-Organisationen (wir würden einfach sagen: In Folterhaft). Die eines zivilisierten Rechtsstaates unwürdige Behandlung des politischen Dissidenten Manning durch die USA ist ein seit Jahren in unseren Medien totgeschwiegener Skandal. Journalisten, die sich vor Mitgefühl schier überschlagen, wenn es um Dissidenten anderer Machtblöcke geht -etwa PussyRiot-, lässt das Schicksal des mutmaßlichen Whistleblowers kalt. Die von Anons und anderen organisierten Demos litten unter Aufmerksamkeits-Entzug  für Netzkultur-Themen durch die Medien, die auch dem Privacy-Day und der Piraten-Partei in der Vergangenheit zu schaffen machten.

Bradley’s attorney David Coombs

„I am Bradley Manning“ -so protestierten Bürgerrechtler jüngst auch vor dem Büro der SF-Pride-Parade, unter ihnen Daniel Ellsberg, der Whistleblower der Pentagon-Papers. Die Pride-Organisatoren hatten Manning wieder ausgeladen, (symoblisch) die Ehrenposition eines Marshalls inne zu haben. Wollen Kaliforniens Schwule, Lesben und Transsexuelle nichts mit einem Menschen zu tun haben, der im Militärdienst wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert wurde?

Auch die ehemalige Wikileaks-Aktivistin Birgitta Jónsdóttir gehört zu den Menschen, die fest zu Bradley Manning stehen. Auf der re:publica-Vorabveranstaltung ließ sie einen Trailer abspielen, der für Judith Ehrlichs Film Outlaws and Pioneers of the Electronic Frontier wirbt, so Detlef Borchers. In Berlin erklärte sie, wie sie gegen den „media blackout“ kämpft, wie sie ihrem eigenen iPhone und ihrem Computer nicht mehr über den Weg traue: Sensitive Inhalte hätten auf ihnen nichts zu suchen. Das sei schwierig, denn Birgitta Jónsdóttir arbeite an einer Anthologie namens „1001 Nights“, gemeint sind die 1001 Tage, die Bradley Manning schon jetzt in Haft ist. Der NDR-Journalist John Goetz, der als Wikileaks-Unterstützer bei der Nachbearbeitung des Collateral-Murder-Videos beteiligt war, erinnerte sich auf der re:publica, dass damals niemand wusste, dass Bradley der Whistleblower war, so Borchers. Im deutschen Wikipedia findet sich Collateral Murder übrigens nicht unter dem weltweit bekannten Titel des Videos, sondern unter „Luftangriffe in Bagdad vom 12. Juli 2007„; Wikipedia folgt anfangs der Darstellung der US-Militärs und überschreitet tendenziell die Grenze zwischen „neutraler Darstellung“ und Verharmlosung.

Birgitta Jónsdóttir, member of parliament for the Pirate Party

Der Besuch von Piraten-Kapitänin Birgitta Jónsdóttir ist eine besondere Ehre: Eigentlich hätte sie in ihrer Heimat Island derzeit genug zu tun, wo nach einem Rechtsrutsch bei den Wahlen gerade Verhandlungen um eine Regierungsbildung laufen. Dort wollen sich die just erstmals ins Parlament in Reykjavik eingezogenen Piraten  einer Zusammenarbeit mit den Altparteien verweigern: Ihre Partei wolle nicht in die Regierung, so Birgitta. Auch auf der Wikingerinsel scheint die Kluft zu groß zu den alten Mächten, die keine grundlegende Änderung des derzeitigen Systems zwischen Plutokratie, Finanzdiktatur und Medienherrschaft wollen.

US-Schauprozess: Bradley Manning plea of guilty

Gerd R. Rueger 01.03.2013 Judge Denise Lind. Sketch by Clark Stoeckley, Bradley Manning Support Network.

Der Wikileaks-Whistleblower Bradley Manning hat sich gestern schuldig bekannt, US-Geheimdokumente geleakt zu haben. Dies geschah, um die Öffentlichkeit über Kriegsverbrechen der US-Truppen aufzuklären. Manning verwahrte sich gegen den Hauptanklagepunkt einer „Unterstützung des Feindes“, der extrem hohe Strafe nach sich ziehen würde. Ihm wird vom Militärgericht in Fort Mead/Maryland damit unterstellt, er wollte als Spion von Al Qaida die gegen US-Truppen kämpfenden Terroristen mit kriegswichtigen Informationen versorgen. Richterin Colonel Denise Lind hatte schon eingestanden, dass Mannings Folterhaft im Militärgefängnis Quantico rechtswidrig war und ihm daher von einer verhängten Haftstrafe 112 Tage zu erlassen seien. Da die Anklage aber von ihren Dutzenden von Anklagepunkten nicht ablassen will, droht droht Bradley Manning jedoch weiterhin Lebenslänglich, was diese richterlich zugestandene Abmilderung schwierig machen dürfte.

Manning gestand ein, Dateien zu folgenden Leaks an WikiLeaks weitergegeben zu haben: Zum Video eines Helikopter-Angriffs im Irak (Collateral Murder); zum Bericht des Armee-Geheimdienstes (den ebenfalls auf WikiLeaks veröffentlichten Bericht des US-Verteidigungsministeriums über das Gefährdungspotential von WikiLeaks); Auszüge aus einer Datenbank von Berichten über den Irak-Krieg (Iraq War Logs); Auszüge aus einer Datenbank von Berichten über den Afghanistan-Krieg (Afghan War Logs); SOUTHCOM-Dateien über Guantanamo-Insassen (Gitmo Files); eine Anzahl von Depeschen des Außenministeriums (Cablegate), eine spezielle Depesche, „Reykjavik 13“, aus Island; sowie einen weiteren nicht spezifizierten Geheimdienst-Bericht, so die Auflistung bei gulli.com.

Die deutsche Juristen-Vereinigung IALANA müsste jetzt ihren Whistleblowerpreis offiziell an Manning verleihen, sie rebloggte einen Bericht der jW zu Manning, dessen Schicksal derzeit in deutschen Medien totgeschwiegen wird. Selbst  US-Mainstream-Medien wie die nicht als allzu regierungskritisch bekannte Los Angeles Times riefen die US-Regierung auf, den Hauptanklagepunkt fallenzulassen.

„Dieser Vorwurf erscheint uns mangels Beweisen für das bewußte Konspirieren Mannings mit feindlichen Nationen oder Terroristen als exzessiv«, heißt es in der Los Angeles Times. Die New York Times schloß sich der Kritik an der US-Justiz an. Die von der Anklage gegen Bradley Manning betroffene Pressefreiheit sei ebenso besorgniserregend wie die beispiellose Verfolgung von Whistleblowern und Informanten der Presse durch die Regierung. Wenn die Öffentlichkeit von der Presse erwarte, ihren „wichtigen Job“ in unserer Demokratie zu machen, dann sei Besorgnis angebracht.

Weiter erklärte die New York Times, die Behandlung Mannings sei unverhältnismäßig angesichts des „tatsächlich angerichteten Schadens“. (Die US-Justiz ist bis heute den Beweis schuldig geblieben, dass die Leaks auch nur zum Schaden eines einzigen US-Mitarbeiters oder -Soldaten beigetragen haben.) Es sei von Beginn an klar, dass die US-Regierung ein Exempel an Manning statuieren wollte, und die extremen Bedingungen seiner ersten Haftzeit und die Anklage wegen „Unterstützung des Feindes“ hätten eine „tiefgehende Feindseligkeit“ gegen den Angeklagten vermuten lassen. Damit wolle die US-Regierung bzw. die US-Justiz künftige Quellen entmutigen. Dies aber schade einzig jenen, die Bradley Manning informieren wollte: den US- Bürgern. Man kann ergänzen: Allen Menschen auf dieser Welt, die nicht dulden wollen, dass Kriegsverbrechen begangen werden. Die Unterstützerbewegung Freebradley hatte gerade erst zu einem Free-Bradley-Manning-Day aufgerufen.

Im Juni 2011 wählte die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und die Deutsche Sektion der Juristenvereinigung (IALANA), die “Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemischen Waffen”, zwei  Whistleblower als Preisträger aus, einer davon war als  “Anonymous” bezeichnet worden.

Bei “Anonymous” handelt es sich um jene bis dahin unidentifizierte Person, die im April 2010 das Videomaterial leakte, aus dem WikiLeaks “Collateral Murder” machte (und viele weitere US-Militärdaten). Es geht also um Dokumente über ein schweres Kriegsverbrechen, das im Irak von US-Soldaten verübt wurde, bei dem mindestens sieben Zivilisten von der Besatzung eines US-Kampfhubschraubers beschossen und gezielt getötet wurden. Bei “Anonymous” hat es sich um Bradley Manning gehandelt, das ist jetzt durch sein Geständnis belegt. Ob man dabei von einem freiwilligen, auf rechtsstaatliche Weise zustande gekommenen Geständnis reden kann, scheint angesicht der folterähnlichen Haftbedingungen jedoch zweifelhaft.

Unzweifelhaft ist die Bewertung der von den US-Offiziellen als „Geheimnisverrat“ bezeichneten Enthüllungen: Es ist die bis heute bedeutsamste Aufdeckung von Kriegsverbrechen dieses Jahrhunderts. Bradley Manning erhält die Ehrung durch den IALANA-Whistleblowerpreis völlig zu Recht. Wenn US-Medien sich jetzt besorgt zeigen, ist dies ein gutes Zeichen -obgleich man wohl kaum erwarten kann, dass der Schauprozess gegen Manning dort wahrheitsgemäß als Teil der Hexenjagd auf Wikileaks und Julian Assange dargestellt wird.

Auch bei unseren deutschen Mainstream-Medien muss man lange suchen, um in der Nerd-Ecke  beim Thema Chaos Computer Club auf ein paar Hinweise zum Thema zu stoßen: Etwa auf die Erwähnung der US-Drangsalierung von Jacob Applebaum, Wikileaks-Mitbegründer und Freund von Assange in der ZEIT. Applebaum, der den Anonymisierungsdienst TOR weiterentwickelt, hält die USA nur noch bedingt für eine Demokratie und sieht die US-Opposition unter rechtswidriger Dauer-Überwachung durch US-Geheimdienste. Die ZEIT erwähnt dies immerhin, ist aber zu feige, selber dazu politisch Stellung zu nehmen. So bleibt alles für den liberalkonservativen ZEIT-Leser eine skurrile Äußerung eines womöglich paranoiden Hackers.

WikiLeaks betritt die Bühne: „Collateral Murder“

Gerd R. Rueger 10.04.2010

Am 5.April 2010 berichteten die Hauptnachrichten der Tagesschau über ein Kriegsverbrechen der US-Truppen in Bagdad. Es ist ein grausiger Bericht über Soldaten, die willkürlich Jagd auf unschuldige Zivilisten gemacht hatten. Damit hat es  die Whistleblower-Website erstmals in die deutschen Hauptnachrichten geschafft, mit einem Videoclip, der Geschichte machen wird:

„Collateral Murder“.

Für nähere Details zu WikiLeaks war der Tagesschau ihre Zeit zwar zu schade, aber sie zeigte die bemerkenswerten Aufnahmen, die den bisherigen Eindruck vom Irakkrieg auf den Kopf stellten.

Bislang hatte man durch die Zieloptik von US-Kampfhubschraubern hauptsächlich präzise, saubere Luftschläge gesehen, angeblich chirurgische Angriffe auf militärische Ziele, Panzer, Brücken, gefährliche Taliban und Terroristen. Nur gelegentlich entschuldigte sich die Führung für Kollateralschäden an Zivilisten, für „collateral damage“, meist mit dem Hinweis, die feigen Islamisten hätten sie leider als menschliche Schutzschilde missbraucht.

Anders im Video von WikiLeaks, hier schossen US-Soldaten unleugbar vorsätzlich auf wehrlose Gegner, von denen man kaum glauben konnte, dass sie wirklich für feindliche Kämpfer gehalten wurden. Man sah einen Verwundeten, der sich mit letzter Kraft in Deckung schleppt, derweil der Hubschrauber weiter über ihm lauert. Ein Kleinbus, dessen Fahrer ihm zu Hilfe eilen will, wird ebenfalls unter Beschuss genommen. Kinder waren darin, wie man erfährt, und unter den Massakrierten befanden sich zwei Reuters Journalisten. Zynische Kommentare der Schützen, „Kill the bastards“, zerstörten endgültig das bisherige Bild vom sauberen Krieg und den edlen Friedensbringern der NATO. WikiLeaks hat sich mit einem Paukenschlag ins Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit katapultiert.

Die Weltmacht USA wurde bloßgestellt und in den Mainstream-Medien machte WikiLeaks 2010 (endlich) mit seinen Enthüllungen von sich reden: Es wurde auch Zeit, denn dies war keineswegs der erste Leak. Zunächst schwiegen die Medien, dann verschwiegen sie ihre Quelle, Dokumente seien „im Internet aufgetaucht“, aber zuletzt, nach „Collateral Murder“  mussten sie Farbe bekennen: Alle erfuhren von der Whistleblower-Plattform WikiLeaks.

Auch bei uns, obwohl es in besonders stark von Untertanengeist und Obrigkeitshörigkeit durchdrungenen Ländern wie Deutschland nicht einmal ein Wort für den Begriff „Whistleblower“ gab, abgesehen von diffamierenden Begriffen. Solche Verunglimpfungen wie Petze, Nestbeschmutzer, Verräter, Denunziant, die von den Medien auch ausgiebig genutzt wurden, spiegeln die hasserfüllte Sicht der Machthaber, die von einem Enthüller –die einzig treffende Übersetzung des Wortes Whistleblower ins Deutsche– bei ihren Schandtaten erwischt wurden. Diese Sichtweise, die Identifikation mit den Herrschenden des herrschenden Regimes prägt Wahrnehmung und Denken des Gros der deutschen Journalisten.

Doch WikiLeaks war so ein Medienereignis geworden, dass Ignorieren nicht half und die platte Diffamierung nicht mehr wirkte. War eine neue Art von Internet-Aktivismus geboren? Mussten die Mächtigen jetzt wieder vor den Medien zittern? Das Ansehen der Medien hatte in dieser Hinsicht in den letzten Dekaden stark verloren –unter jungen Menschen glaubt nur noch eine Minderheit, dort wirklich informiert zu werden. Man hält Journalisten zunehmend für korrupt und manipulativ, also für eine PR-Truppe der Macht- und Geldeliten, denen sie größtenteils ja auch direkt gehören bzw. unterstehen. WikiLeaks kann jetzt vielen als Hoffnungsschimmer am Horizont einer beginnenden Netzkultur erscheinen sein, als Signal zum Aufbruch in ein neues Medienzeitalter.