Chantal Mouffe: Linkspopulismus als progressive politische Strategie

Der Populismus-Vorwurf gegen Links wird immer dann laut, wenn linke Politik die Verteilungsfrage erfolgreich stellt, etwa bei Hugo Chávez in Venezuela. Gelingt es, mit dieser Frage demokratische Mehrheiten zu gewinnen, und folgt darauf tatsächlich eine gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, lautet der Schlachtruf von Rechts: „Populismus!“ Das ist nicht ganz falsch, denn Gerechtigkeit ist populärer als Ungerechtigkeit. Und ebenso kann gerechte Verteilung, die das Leben vieler im Elend vegetierender Menschen besser macht, indem sie wenigen, die sowieso im Luxus schwelgen, einen Teil ihres Reichtums entzieht, Popularität erreichen. Vorausgesetzt ist dabei, linke Politik kann plausibel machen, dass diese Umverteilung gerecht ist. Der Populismus-Vorwurf untergräbt diese Bemühungen jedoch, denn Populist ist nach allgemeinem Verständnis, wer mit Heuchelei, Lügen und Hetze populär wird. Der Rassist etwa, der eine Mehrheit gegen ethnische Minderheiten aufhetzt. Populist will deshalb niemand sein und niemand will einem Populisten hinterher laufen, denn es ist nicht populär einem Populisten auf den Leim zu gehen. Daraus folgt, dass der Populismus-Vorwurf selber populistisch ist –und damit Heuchelei. (H.Sies: Wie populistisch ist die Populismus-Beschuldigung gegen Links?)

Prof. Chantal Mouffe 2013, . Wir entnehmen das Bild der englischen Wikipedia

Jasminrevolution hat somit die propagandistische Verwendung des Begriffs „Linkspopulismus“ schon immer sehr kritisch begleitet. Einen ähnlichen Weg schlägt nun die in Großbritannien lehrende belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe in einem Gastartikel für den Guardian vor (übersetzt von NDS). Mouffe will den Begriff positiv besetzen und sieht in einem radikalen Linkspopulismus die einzige Chance, um dem grassierenden Rechtspopulismus etwas entgegenzusetzen, und damit den besten Weg, die Demokratie wieder zurückzugewinnen.

Chantal Mouffe

Populisten sind auf dem Vormarsch, aber dies kann auch eine Gelegenheit für die Progressiven sein

Der Neoliberalismus hat echte Missstände geschaffen, die von der radikalen Rechten politisch ausgenutzt wurden. Die Linke muss einen neuen Weg finden, sie zu artikulieren.

Es sind unruhige Zeiten für die demokratische Politik. Schockiert durch den Sieg der euroskeptischen Koalitionen in Österreich und Italien skandieren die neoliberalen Eliten, die sich bereits durch das Brexit-Votum und den Sieg Donald Trumps in Sorge sind, nun, die Demokratie sei in Gefahr und warnen vor einer möglichen Rückkehr des “Faschismus”.

Es ist nicht zu leugnen, dass Westeuropa derzeit einen “populistischen Moment” erlebt. Dies ergibt sich aus dem Anwachsen zahlreicher Anti-Establishment-Bewegungen – ein klares Signal für eine Krise der neoliberalen Hegemonie. Diese Krise könnte in der Tat den Weg für autoritärere Regierungen bereiten. Sie könnte aber auch die Möglichkeit bieten, die demokratischen Institutionen zurückzugewinnen und zu vertiefen, die durch 30 Jahre Neoliberalismus geschwächt sind.

Unser derzeitiger post-demokratischer Zustand ist das Ergebnis mehrerer Phänomene. Das erste Phänomen, das ich “Post-Politik” nenne, ist das Verschwimmen der Grenzen zwischen rechts und links. Dies ist die Folge des Konsenses zwischen den Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Parteien bei dem Dogma, dass es keine Alternative zur neoliberalen Globalisierung geben könne. Unter dem Schlagwort der “Modernisierung” haben die Sozialdemokraten das Diktat des globalisierten Finanzkapitalismus akzeptiert und dessen Beschränkungen für Politik und staatliche Interventionen verinnerlicht.

Politik ist so zu einer rein technischen Verwaltungsfrage geworden – einem Feld, das Experten vorbehalten ist. Die Souveränität des Volkes, Seele und Herz des demokratischen Ideals, wurde für überholt erklärt. Post-Politik erlaubt nur einen Machtwechsel zwischen Mitte-Rechts und Mitte-Links. Die für die Demokratie entscheidende Konkurrenz zwischen verschiedenen politischen Konzepten wurde beseitigt.

Diese post-politische Entwicklung ist durch die Dominanz des Finanzsektors gekennzeichnet, mit verheerenden Folgen für die produktive Wirtschaft. Dies ging einher mit einer Privatisierungs- und Deregulierungspolitik, die zusammen mit der Austeritätspolitik nach der Krise von 2008 zu einem exponentiellen Anstieg der Ungleichheit geführt hat.

Besonders betroffen davon sind die Arbeiterklasse und die ohnehin bereits Benachteiligten, aber auch ein bedeutender Teil der Mittelschicht, die immer mehr mit Armut und Unsicherheit konfrontiert wurde.

Neue Widerstandsbewegungen

In den letzten Jahren haben sich verschiedene Widerstandsbewegungen herausgebildet. Sie verkörpern das, was Karl Polanyi in seinem Werk „The Great Transformation“ als „Gegenbewegung“ präsentierte – nämlich den Prozess, mit dem die Gesellschaft gegen die zunehmende Ökonomisierung reagiert und auf sozialen Schutz drängt. Diese Gegenbewegung könne sowohl progressive als auch regressive Formen annehmen. Diese Zwiespältigkeit gilt auch für den heutigen Populismus. In mehreren europäischen Ländern wurde der Widerstand von den rechten Parteien gekapert, die die Forderungen derjenigen, die von der politischen Mitte aufgegeben wurden, in einem nationalistischen und fremdenfeindlichen Vokabular artikulierten. Rechtspopulisten verkünden, dass sie dem Volk die Stimme zurückgeben werden, die ihm von den „Eliten“ geraubt wurde. Sie haben verstanden, dass Politik immer auch parteiisch ist und eine Konfrontation zwischen „uns“ und „denen“ verlangt. Darüber hinaus haben sie die Notwendigkeit erkannt, auch an die Emotionen und Gefühle zu appellieren, um eine gemeinsame politische Identität zu erschaffen. Sie ziehen eine Trennlinie zwischen dem “Volk” und dem “Establishment” und lehnen den post-politischen Konsens offen ab.

Das sind genau die politischen Schritte, zu denen die meisten Parteien der Linken aufgrund ihres konsensorientierten Politikkonzepts und einer rationalen Sichtweise, die Leidenschaft ignoriert, nicht in der Lage sind. Für sie ist nur eine rationale, vernunftgesteuerte Debatte akzeptabel. Dies erklärt ihre Feindseligkeit gegenüber dem Populismus, dem sie mit Demagogie und Irrationalität verbinden. Leider wird die Herausforderung des Rechtspopulismus nicht dadurch bewältigt werden, dass der post-politische Konsens beharrlich aufrechterhalten und die Anhänger der Rechtspopulisten als „Pack“ verachtet werden.

Bloße Dämonisierung der Rechtspopulisten bringt nichts

Es ist wichtig zu erkennen, dass die moralische Verurteilung und Dämonisierung des Rechtspopulismus völlig kontraproduktiv ist – sie verstärkt lediglich die Anti-Establishment-Haltung bei denjenigen, denen es am Vokabular fehlt, die eigentlichen Missstände zu formulieren.

Rechtspopulistische Parteien als “rechtsextrem” oder “faschistisch” zu klassifizieren, sie als eine Art moralische Krankheit zu präsentieren und ihre Anziehungskraft mit den Bildungsdefiziten ihrer Anhänger zu erklären, ist natürlich für die linke Mitte sehr praktisch. Damit können sie die Forderungen der Populisten ablehnen und gleichzeitig vermeiden, die eigene Verantwortung für ihren Aufstieg anzuerkennen.

Der einzige Weg, den Rechtspopulismus zu bekämpfen, ist eine progressive Antwort auf die Forderungen, die sie in einer fremdenfeindlichen Sprache äußern. Dies bedeutet, die Existenz eines demokratischen Kerns in diesen Forderungen anzuerkennen und durch einen anderen Diskurs die Möglichkeit zu eröffnen, diese Forderungen in einer radikaldemokratischen Richtung zu artikulieren.

Der wahre Gegner ist die Oligarchie

Dies ist die politische Strategie, die ich als “linken Populismus” bezeichne. Ihr Zweck ist die Konstruktion eines kollektiven Willens, eines “Volkes”, dessen Gegner die “Oligarchie” ist, die Kraft, die die neoliberale Ordnung aufrechterhält.

Hier verliert auch die klassische Links-Rechts-Einordnung ihre Aussagekraft. Im Gegensatz zu den Konflikten, die charakteristisch für die Ära des fordistischen Kapitalismus waren, als es noch eine Arbeiterklasse gab, die ihre spezifischen Interessen verteidigte, hat sich heute der Widerstand über den industriellen Sektor hinaus entwickelt. Ihre Forderungen entsprechen nicht mehr klar definierten sozialen Gruppen. Es geht vielmehr auch um Fragen der Lebensqualität und es gibt Überschneidungen mit Themen wie Sexismus, Rassismus und anderen Formen der Herrschaft. Bei dieser Vielfalt an Interessen und Themen kann die traditionelle Links-Rechts-Grenze keinen kollektiven Willen mehr artikulieren.

Um diese verschiedenen Konflikte zusammen zu bringen, muss eine Verbindung zwischen sozialen Bewegungen und einer neuen Art von Partei hergestellt werden, um ein “Volk” zu schaffen, das für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit kämpft.

Wir finden eine solche politische Strategie in Bewegungen wie Podemos in Spanien, La France Insoumise von Jean-Luc Mélenchon oder Bernie Sanders in den USA. Dies beeinflusst auch die Politik von Jeremy Corbyn, dessen Bemühungen, die Labour-Partei in eine große Volksbewegung zu verwandeln, die “for the many, not the few” („für die vielen, nicht die wenigen“) arbeitet, bereits dazu geführt haben, Labour zur größten linken Partei in Europa zu machen.

Diese Bewegungen wollen durch Wahlen an die Macht kommen, aber nicht, um ein “populistisches Regime” einzuführen. Ihr Ziel ist es, demokratische Institutionen wiederzuerlangen und zu vertiefen. Diese Strategie wird verschiedene Formen annehmen: Je nach nationalem Kontext könnte sie “demokratischer Sozialismus”, “Ökosozialismus”, “liberaler Sozialismus” oder “partizipative Demokratie” genannt werden. Was jedoch wichtig ist, wie auch immer der Name lautet, ist, dass die “Demokratie” stets als Ziel im Mittelpunkt der Konflikte steht, und dass die politisch-liberalen Institutionen nicht abgelehnt werden.

Der Prozess der Radikalisierung demokratischer Institutionen wird zweifellos Bruchlinien und eine Konfrontation mit den vorherrschenden wirtschaftlichen Interessen auslösen. Es ist eine radikal-reformerische Strategie mit einer antikapitalistischen Dimension, die jedoch nicht den Verzicht auf liberale demokratische Institutionen erfordert.

Ich bin überzeugt, dass in den nächsten Jahren die zentrale Achse des politischen Konflikts zwischen Rechtspopulismus und dem Linkspopulismus verlaufen wird, und es ist unerlässlich, dass progressive Sektoren verstehen, wie wichtig es ist, sich in diesen Kampf einzubringen.

Die Popularität von Mélenchon, François Ruffin und anderen Kandidaten von La France Insoumise bei den Parlamentswahlen im Juni 2017 – auch in Marseille und Amiens, früheren Hochburgen von Marine Le Pen – zeigt, dass viele Menschen dem progressiven Kampf beitreten, wenn es ein egalitären Diskurs gibt, der ihre Beschwerden zum Ausdruck bringt. Dieser Populismus wurde konzipiert um radikale demokratische Ziele zu verwirklichen und ist weit davon entfernt, eine Perversion der Demokratie zu sein – dies ist vielmehr die subjektive Sichtweise der Kräfte, die den Status quo verteidigen und all jene als “Extremisten” ausschließen wollen, die den postpolitischen Konsens ablehnen. Dieser Populismus ist im heutigen Europa die beste politische Strategie zur Wiederbelebung und Erweiterung unserer demokratischen Ideale.

Chantal Mouffe ist Professor für politische Theorie an der Universität von Westminster

Jens Berger hat den Guardian-Artikel von Prof. Mouffe für die NachDenkSeiten übersetzt.

 

 

Spanische Demokratie in Gefahr

Spanien war einst Militärdiktatur unter Generalissimo Franco. Aber einige glauben, das ist noch nicht vorbei oder gerade dabei, sich wieder zusammenzubrauen… (mit einer Kritik der neoliberal-verdächtigen, wenn nicht rechtsradikalen Partei Ciudadanos, auf deren anfänglich halblinksliberal tönende Propaganda wir hier im Blog vor Jahren auch einmal kurz hereingefallen waren).

Pere Grau Rovira (Gastblogger)

Europa hat es damals geglaubt. Und viele Spanier. Und viele Katalanen. Nämlich, dass nach der lange Nacht der Diktatur in Spanien wieder die Sonne der Demokratie aufgegangen wäre, dass man alles geschehene Unrecht wiedergutmachen würde und dass der Geist des alten Diktators so tot und begraben wäre wie er selbst. Anscheinend glaubt es Europa immer noch. Aber schon wenige Spanier und gar nicht die große Mehrheit der Katalanen. Weil die Masken immer schneller fallen. Weil es sich mit jedem Tag deutlicher zeigt, dass der ultranationalistische Geist der Diktatur lebendig ist wie eh und je, und Spanien an der politischen Lösung der Konflikte mit seinen Völkern hindert.

In meinem Artikel „Ein entlarvendes Manifest“ vom 8.08.2018 berichtete ich über das von 181 pensionierten Militärs (oder Offiziere der Reserve wie es amtlich benannt wird) unterschriebenes Dokument, in dem die Figur von Franco verteidigt wurde. Nun, dieser Wisch haben bis jetzt schon mehr als 700 Militärs unterschrieben, darunter einige, die in den letzten Jahre hohe Posten in der Armee bekleidet haben: ein Chef des Generalstabs (in etwa wie der deutsche Generalinspekteur), ein ehemaliger Oberkommandierender der Luftwaffe, oder ein Generaladjutant des Königs. Jetzt nach dem Aufschrei vieler Spanier gegen diese Huldigung des Diktators hat sich das Verteidigungsministerium zu einer lahmen Reaktion gezwungen gesehen und hat fünf der Unterzeichnenden zu einer Anhörung zitiert. Wohlgemerkt: fünf von mehr als siebenhundert!

Einer von diesen fünf (der übrigens behauptet, nichts vom Ministerium gehört zu haben) ist der General Manuel Fernández-Monzón, der sich in dieser Woche zu Wort gemeldet hat. Eine Erklärung vorweg: Während und nach dem Bürgerkrieg wurden unzählige Spanier durch militärische Standgerichte zum Tode verurteilt und hingerichtet. Diese Urteile werden von den spanischen Demokraten als „legale Morde“ bezeichnet. Jetzt meint General Fernández-Monzón, dass es damals keine Morde gab. Was es gab waren „von absolut legalen Kriegsgerichten verurteilte Gesetzesbrecher“. Auch hat er gesagt, dass die Zahl der zu jener Zeit verschwundenen Bürger (man hat es als ca. 140.000 geschätzt) „sehr stark aufgebauscht wird“ und in Wirklichkeit sehr gering wäre.

Man muss sich fragen wie lebendig dieser Korpsgeist bei den jetzigen aktiven Offizieren der Armee noch ist, und man kann ein Schaudern nicht vermeiden. Aber es ist beileibe nicht nur in der Armee, wo der Geist des alten Massenmörders immer noch weiterlebt.

Die neue sozialistische Regierung will ein altes Anliegen der Partei verwirklichen und die Gebeine Francos aus seinem protzigem Mausoleum im „Tal der Gefallenen“ entfernen. Dagegen laufen jetzt die spanischen rechten Sturm. Die Vorsitzenden der bisherigen Regierungspartei Partido Popular, und von der Partei Ciudadanos (eine rechtsextreme Partei, die in Deutschland merkwürdigerweise als „liberal“ bezeichnet wird) haben schon verkündet, dass sie im spanischen Parlament gegen die Verlegung der Gebeine Francos stimmen werden. Auch hier fallen die Masken und es wird immer verständlicher, warum in Spanien heutzutage ständig gegen viele der grundlegenden Menschenrechte verstoßen wird.

Indessen gehen die Ausschreitungen von spanischen Ultranationalisten (angeheizt meistens von der Partei Ciudadanos und von ultrarechten Vereinen) gegen die zahlreichen Träger der gelben Schleifen weiter, die an die zu Unrecht gefangenen katalanischen Politiker und Aktivisten erinnern sollen. Mehr als einmal sind bei diesen Gruppen auch Mitglieder der spanischen Polizei (in Zivil) identifiziert worden.

Man sieht sich an die Ausschreitungen der SS in der Weimarer Republik und in der Nazizeit erinnert. Und wenn man die Worten von General Fernández-Monzón liest kann man nicht vermeiden sich lebhaft vorzustellen, was in Deutschland passieren würde, wenn ein ehemaliger General der Bundeswehr behaupten würde, dass Richter Roland Freisler und sein Volksgericht genauso  „ein absolut legales Gericht  war, das nur Gesetzesbrecher verurteilt hat“. Die Empörung würde unbeschreibbar werden.  In Spanien bringt das nur eine lahme Anhörung, und noch den Applaus der zahlreichen Ewiggestrigen.

Erschienen unter dem Titel:“Die Masken fallen nach und nach“ Quelle

Zum Autor Pere Grau Rovira:

Ich bin 1930 in Barcelona geboren. Meine Schulzeit stand unter dem Schatten der Franco Diktatur, das heisst, dass ich meine Sprache, Katalanisch, -die aus dem öffentlichen Leben verbannt war- nicht in der Schule lernen konnte und ich sie nur indirekt und fehlerhaft durch einige geretteten Bücher und alte Zeitschriften lernte. Ich absolvierte die Handelshochschule (in etwa entsprechend der deutschen BWL), arbeitete als Büroangestellter, und als Autodidakt interessierte ich mich immer mehr für Kunst und Literatur. Ich lernte dann richtig Katalanisch in Unterrichtsstunden für Erwachsene, die ein unerschrockener katalanischer Schriftsteller untergrundartig organisiert hatte, und gab später die erworbenen Kenntnisse weiter an junge Leute meines Alters auf dieselbe Weise hinter verschlossenen Türen.

Eine damalige minimale Öffnung des Regimes machte allmählich möglich das Erscheinen von einigen Bücher auf Katalanisch, meistens Lyrik, die dem Regime weniger gefährlich erschien. Dadurch konnte ich unsere Dichter lesen und schätzenlernen und habe ich mich selber als Jungdichter gewagt. Ich gewann damals mit meinen Gedichten zwei bescheidene Preise und einen Dritten gewann ich später 2002 schon als alter Mann.

1960, entmutigt und genervt von den persönlichen Beschränkungen des Lebens unter der Diktatur, emigrierte ich nach Deutschland, wo ich seitdem in Hamburg lebe und geheiratet habe. Ich habe aber ständig die Ereignisse in meiner Heimat verfolgt und in Deutschland immer versucht, wenn die Information über Katalonien in den deutschen Medien meines Erachtens nicht korrekt war, höflich darauf hinzuweisen und eine Gegendarstellung angeboten.

Und das ist weiterhin der Sinn dieser Webseite. Eine immer noch wachsende Zahl von Katalanen hat es satt bekommen, Opfer einer aberwitzige spanischen Politik zu sein, die -was Katalonien betrifft- in subtilerer Form noch viele Ziele der Francozeit verfolgt. Der jetzige Ruf der Katalanen nach Unabhängigkeit findet in Deutschland viel Unverständnis, und dieses Unverständnis wird noch gefördert durch eine Medieninformation, die von der Propaganda der spanischen Politik sehr beeinflusst wird.

Diese Webseite will keine Propagandapostille für die Unabhängigkeit Kataloniens sein. Was ich versuchen möchte, ist einfach Fakten darzulegen. Fakten, mit denen ich beweisen möchte, dass wir Katalanen kein verrücktes, egoistisches, unsolidarisches Volk sind, sondern ein offenes und sehr solidarisches, das es aber satt hat, von den spanischen Zentralregierungen gebremst, hintergangen und grundschlecht verwaltet zu werden.

Etwas noch dass ich als sehr wichtig erachte. Seitens der Katalanen gibt es keinen Hass gegen das spanische Volk. Nur eine entschiedene Ablehnung der Methoden ihrer Politikern. Man findet aber leider allzuoft Beispiele von Hass einiger Spaniern gegen Katalonien (davon werden Sie hier einige Proben finden). Hass ist ein zu schlechter Berater, um Zeit damit zu vergeuden. Und noch eines: Wie die überwältigende Mehrheit der Katalanen, die jetzt die Unabhängigkeit unbedingt wollen erachtete ich früher als besser, eine Lösung (Föderale, konföderale), die uns ein einträchtiges Miteinander mit dem Rest Spanien ermöglicht hätte. Die Zeit und die Unversöhnlichkeit der spanische Politik hat aber letzten Endes diese Illusionen zerstört.

Mit diesen Seiten also möchte ich dazu beitragen das Verständnis meiner deutschen Mitbürger für meine katalanischen Landsleute zu verbessern. Ob es mir gelingt, werden nur meine Leser sagen können. Quelle

Venezuela: Die Rache des MAD-DOG Imperiums

Ajamu Baraka

Nur in der Phantasie-Welt der Comic-Heftchen ist die USA ein Freund der Unterdrückten in Afrika oder sonst wo auf dem Planeten. In der wirklichen Welt ist die USA eine räuberische, kolonial-kapitalistische Nation. Aber wie im imaginären Land Wakanda bei seiner letzten Attacke gegen das kritische Massenbewusstsein werden «die amerikanisch Außergewöhnlichkeit» und «macht Amerika wieder groß» – zwei Parolen, die beide Seiten der imperialistischen Geld-herrschenden Klasseninteressen darstellen – verdunkelt und das Volk wird darauf reduziert, gegen seine objektiven Interessen zu arbeiten und zu Komplizen der imperialen Gesetzlosigkeit zu sein.

In allen Teilen der Welt sind die Vereinigten Staaten von Amerika in wahnsinnigen, kriminellen Attacken auf die Demokratie, den grundlegenden menschlichen Anstand und gesunden Menschenverstand begriffen. Von ihrer Unterstützung für bewaffnete Dschihadisten-Gruppen in Syrien und illegalen Besetzung dieses Landes, der Lieferung schwerer militärischer Ausrüstung an sein Marionettenregime in der Ukraine, der Unterstützung eines endlosen Krieges in Afghanistan bis hin zur militärischen Invasion Afrikas, hat die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der globalen Dominanz der USA Krieg und Militarismus in den Mittelpunkt der US-Strategie gerückt.

Aber nirgendwo ist die Kriminalität der USA offensichtlicher und unerbittlicher als hier in Amerika, wo das gesamteuropäische Projekt 1492 geboren wurde. Das war das Geburtsjahr von „Europa“, das aus seiner relativen kulturellen Rückständigkeit emporstieg, indem es mit erschreckender Effizienz den einzigen Vorteil nutzte, den es gegenüber den zivilisierteren Menschen der übrigen Welt -eiserne Rüstungen und Stahlwaffen- hatte, um die Menschen abzuschlachten, das Land zu erobern und den 500-jährigen Alptraum zu beginnen, den die Menschen der Welt seither erlitten haben.

Heute setzt sich die Barbarei des paneuropäischen Projekts unter der Vormundschaft dessen fort, was die Geschichte – wenn die Menschheit überlebt – als die gewalttätigste, rassistischste und bedrückendste menschliche Erfahrung, die jemals in der kurzen Zeitspanne menschlicher Existenz auf der Erde entstanden ist: die Vereinigten Staaten von Amerika.
Nach Jahrhunderten, in denen die Völker Lateinamerikas die Schrecken des Völkermords, der Sklaverei, der Militärdiktaturen, der Umweltzerstörung und der neoliberalen Ausbeutung erlebten, begannen sie, sich langsam aus den Klauen der Hegemonie aus dem Norden zu befreien. Soziale Bewegungen und Völker, die von Putschversuchen, Strukturanpassungen und Todesschwadronen nicht abgeschreckt wurden, begannen, ihre Geschichte in Ecuador, Bolivien, Brasilien und dem Rest des Kontinents zurückzuerobern. Venezuela hat eine Vorreiterrolle übernommen und den Beginn eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts proklamiert, der die neue Gesellschaft und den neuen Menschen in diesem Prozess hervorbringen würde.

Ajamu Baraka ist der nationale Organisator der Black Alliance for Peace und war 2016 Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten der von Jill Stein geführten Grünen Partei der USA. Er ist Redakteur und Kolumnist für den Black Agenda Report und Kolumnist für Counterpunch. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen gehören Beiträge zu „Jackson Rising: The Struggle for Economic Democracy and Self-Determination in Jackson, Mississippi. Er ist erreichbar unter: Ajamubaraka.com

(Originaltitel: „Venezuela: Die Rache des MAD-DOG Imperiums“, gekürzte, dreigeteilte und umgruppierte Version, ursprünglich übersetzt v. E.Schlereth)

 

Venezuela: Die Rache der USA

Ajamu Baraka

Nirgendwo sind die Verbrechen der USA offensichtlicher und unerbittlicher als in Amerika, wo das gesamteuropäische Projekt 1492 geboren wurde. Es war das Geburtsjahr von „Europa“, das aus seiner relativen kulturellen Rückständigkeit emporstieg, indem es mit erschreckender Effizienz den einzigen Vorteil nutzte, den es gegenüber den zivilisierteren Menschen der übrigen Welt hatte: Eiserne Rüstungen und Stahlwaffen, um die Menschen abzuschlachten, das Land zu erobern und den 500-jährigen Alptraum zu beginnen, den die Menschen der Welt seither erleiden.

Heute setzt sich die Barbarei des paneuropäischen Projekts unter der Vormundschaft der USA fort. Vereinigten Staaten von Amerika erweisen sich damit als verantwortlich für das, was man als die gewalttätigste, rassistischste und bedrückendste menschliche Erfahrung bezeichnen kann, die jemals auf der Erde zu beklagen war.
Viele Jahrhunderte erlebten die Völker Lateinamerikas die Schrecken des Völkermords, der Sklaverei, der Militärdiktaturen, der Umweltzerstörung und der neoliberalen Ausbeutung. Dann endlich begannen die Völker, sich langsam aus den Klauen der Hegemonie aus dem Norden zu befreien. Soziale Bewegungen entstanden, die sich von IWF-Strukturanpassungen, CIA-gesteuerten Putschversuchen und den Todesschwadronen großer Konzerne und lokaler Oligarchen nicht abschrecken ließen. Sie begannen, sich ihre Geschichte in Ecuador, Bolivien, Brasilien und dem Rest des Kontinents zurückzuerobern. Venezuela hat eine Vorreiterrolle übernommen und den Beginn eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts proklamiert, der eine neue Gesellschaft und einen neuen Menschen in diesem Prozess hervorbringen würde.

Die imperiale Überdehnung der USA
Wegen der imperialen Überdehnung, gingen die USA in dieselbe Falle, in die schon andere Imperien im Niedergang geraten waren. Dies geschah beim Versuch, das Chaos zu bewältigen, das Washington selbst geschaffen hatte, als Folge des katastrophalen Glaubens, dass sie zwei große Kriege gleichzeitig führen könnten. Die imperiale Kriegsmaschine hatte sich bei ihrem „Krieg gegen den Terror“ in Westasien und im Nahen Osten festgefahren. So ließ sich die volle Kraft des repressiven US-Unterdrückungsapparates nicht mehr gegen die jungen Bewegungen der Völker in Lateinamerika richten. Natürlich half die USA, den gescheiterten Staatsstreich gegen Hugo Chávez zu planen und Polizei und Militärkräfte in der ganzen Region auszubilden. Aber es war erst die Obama-Administration, die ihren tödlichen Blick erneut auf Lateinamerika richten konnte. Ihr Hauptziel: Das an Erdöl reiche Venezuela.
„Venezuela zeigte den Weg, indem es den Beginn eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts verkündete, der die neue Gesellschaft und den neuen Menschen hervorbringen würde.“
Barack Obama erklärte das kleine sozialistische Venezuela bei drei verschiedenen Gelegenheiten zu einer Bedrohung für die nationale Sicherheit des Militär- und Wirtschaftsgiganten USA. Was nur oberflächlich gesehen lächerlich erschien, denn die Vereinigten Staaten sind Vollstrecker des globalen kapitalistischen Systems. Als Kopf der weißen, westlichen, kapitalistischen Einheitsfront (die manche den Westblock nennen, der sich selbst aber in seiner Machtbesoffenheit als die „Freie Welt“ bezeichnet) machte es Sinn, Venezuela als Bedrohung zu sehen. Venezuela war die treibende Kraft für die Nationen Amerikas südlich der US-Grenze, die versuchten, sich vom Joch des US-Imperialismus zu befreien.

Ajamu Baraka ist der nationale Organisator der Black Alliance for Peace und war 2016 Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten der von Jill Stein geführten Grünen Partei der USA. Er ist Redakteur und Kolumnist für den Black Agenda Report und Kolumnist für Counterpunch. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen gehören Beiträge zu „Jackson Rising: The Struggle for Economic Democracy and Self-Determination in Jackson, Mississippi. Er ist erreichbar unter: Ajamubaraka.com

(Originaltitel: „Venezuela: Die Rache des MAD-DOG Imperiums“, gekürzte, dreigeteilte und umgruppierte Version, ursprünglich übersetzt v. E.Schlereth)

Trump gegen Maduro: Ein rassistischer Krieg um Öl

Ajamu Baraka

Die Trump-Administration übernahm mit Begeisterung Obamas Venezuela-Politik der Destabilisierung, Subversion und Wirtschaftskriegsführung, die bis zuletzt immer mehr intensiviert wurde. Ein gewaltsamer Regimewechsel in Caracas ist weiterhin das Ziel der USA. Der inzwischen von Trump gefeuerte Staatssekretär Rex Tillerson rief bei einem Staatsbesuch das venezolanische Militär auf, seine Regierung zu stürzen. Anschließend marschierten Streitkräfte der USA-hörigen Regierungen von Kolumbien und Brasilien an den Grenzen zu Venezuela auf.

Westmedien verschwiegen dies alles und weideten sich an der Panik der bedrohten Bevölkerung, die in Hamsterkäufen die Geschäfte leerte -die Westjournaille schob die Versorgungslücken stereotyp auf „sozialistische Korruption und Misswirtschaft“. Anm. Jasminteam

Es gibt weitere deutliche Zeichen dafür, dass bei einem gewalttätigen Regimewechsel das Leben der Menschen in Venezuela den USA gleichgültig ist. Z.B. den Zusammenbruch des Dialogs zwischen der Regierung Maduro und der konterrevolutionären Opposition, der seit fast zwei Jahren friedliche Lösungen blockiert. Bis zu Tillersons Lateinamerika-Visite schien es, als sei in Caracas die Einigung für eine friedliche politische Lösung in Sicht. Aber danach weigerte sich die Opposition plötzlich, ein ausgehandeltes Abkommen zu unterzeichnen.
Wütend über die Opposition und die Tatsache, dass Maduros Regierungspartei bei den Regionalwahlen im Oktober 2017 nicht weniger als 18 von 23 Gouverneuren gewann, kündigte US-Präsident Trump an, dass er die Ergebnisse der im Frühling angesetzten Präsidentschaftswahlen nicht anerkennen werde. Alles deutet darauf hin, dass sich Trump und die venezolanischen Oligarchie für eine Strategie des Regimewechsels entschieden haben, auch wenn dies Venezuela in Massaker und Diktatur führen wird.
Die Schachzüge der Trump-Verwaltung stellen eine ominöse Wiedereinführung der schlimmsten imperialistische Exzesse vom Ende des 20. Jahrhunderts dar. Gewaltsame Putsche waren damals die bevorzugte Antwort auf jede Bedrohung der Herrschaft des Kapitals und der US-imperialistischen Kontrolle. Aber noch verdächtiger an der sich entwickelnden Situation in Venezuela ist, dass es anders als vor ein paar Jahrzehnten keine laute und aktive linke Opposition gegen den US-Imperialismus mehr gibt. Heute scheinen die Linken, selbst die Radikalen in den USA in offener Kooperation mit dem Imperialismus zu stehen.

Venezuela: USA und EU bejubeln Rassisten und Mörder
Die parlamentarische Linke in USA und EU hat scheinbar jede Idee der Solidarität mit den revolutionären Projekten des globalen Südens völlig aufgegeben. Ein bizarres Beispiel für den reaktionären Charakter der europäischen Linken war die Verleihung des Sacharow-Freiheitspreises durch das Europäische Parlament an die venezolanische „Opposition“. Also an eine Gruppe, die offen Journalisten angegriffen und zwei Dutzend Menschen mit vorwiegend schwarzer oder dunkler Hautfarbe lebendig verbrannt hat, von denen sie annahmen, dass sie wahrscheinlich Regierungsanhänger seien, weil sie arm und schwarz seien. Für die Vertreter des einzigen demokratischen Organs der Europäischen Union ist die Integrität der Presse und des „Schwarzen Lebens“ wahrlich unwichtig!
Der mutige Kampf des venezolanischen Volkes um die Verteidigung seiner nationalen Souveränität und Würde angesichts der mörderischen Absichten seiner nordamerikanischen Nachbarn und der rassistischen unterwürfigen venezolanischen Oligarchie verdient die Unterstützung aller Antiimperialisten. Wenn Fehler in der bolivarischen Revolutionspolitik zu finden sind, so widersprechen sie nicht dem Prinzip, dass Antiimperialisten die nationale Unabhängigkeit unterstützen müssen. Insbesondere wenn eine Nation im Fadenkreuz der größten Gangster-Nation des Planeten steht.
Für diejenigen von uns, welche die kolonisierten schwarzen und braunen Zonen des Nicht-Seins bekämpfen, wie Fanon sie nannte, wäre es moralischer und politischer Selbstmord keinen Widerstand zu leisten. Es geht darum, dem weißen rassistischen, kolonialen/kapitalistischen Patriarchat im Zentrum der US/EU/NATO-Herrschaftsachse etwas entgegen zu setzen.
Wenn Außenminister Rex Tillerson der venezolanischen Opposition befiehlt, das Abkommen zur Stabilisierung der Lage in Venezuela zu untergraben und gleichzeitig die internen Bemühungen Koreas um eine Deeskalation der Spannungen zwischen Nord- und Südkorea untergräbt, dann sehen wir die vertraute Hand klassischer europäischer kolonialistischer Trennungs- und Herrschaftstaktiken. So konnte Europa einst zu globaler Dominanz gelangen und heute dem westlichen Imperialismus eine Atempause verschaffen.

Aber was James „Mad Dog“ Mattis, den US-Verteidigungsminister und alle Mad Dogs des Imperiums angeht, so haben die Menschen der Welt hinter den Vorhang geschaut. Die Menschen sind nicht länger eingeschüchtert von den Rauch-und-Feuer-Ablenkungsmanövern der USA und EU, ihren Waffen und ihrer Kriegslust. Die Leute kennen das Heilmittel gegen den Virus, aber diejenigen, die sich in ihrer Machtbesoffenheit selbst die „freie Welt“ nennen, werden mit dem Behandlungsplan nicht einverstanden sein.

Ajamu Baraka ist der nationale Organisator der Black Alliance for Peace und war 2016 Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten der von Jill Stein geführten Grünen Partei der USA. Er ist Redakteur und Kolumnist für den Black Agenda Report und Kolumnist für Counterpunch. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen gehören Beiträge zu „Jackson Rising: The Struggle for Economic Democracy and Self-Determination in Jackson, Mississippi. Er ist erreichbar unter: Ajamubaraka.com

(Originaltitel: „Venezuela: Die Rache des MAD-DOG Imperiums“, gekürzte, dreigeteilte und umgruppierte Version -zwei weitere Teile folgen, ursprünglich übersetzt v. E.Schlereth)

Venezuelas Transparenz-Offensive: Maduro ruft UNO zu Wahlen ins Land

Galindo Gaznate

Venezuelas Präsident Nicolás Maduro hat die Vereinten Nationen aufgerufen, vor den kommenden Wahlen am 20. Mai eine Beobachtermission zu entsenden. Dies sei notwendig, um die Transparenz des Urnengangs zu gewährleisten, sagte der sozialistische Präsident. Die Wahlen in Venezuela sind im Land umstritten, denn ein Teil der Opposition lehnt die von April auf Mai verschobene Abstimmung ab. Ein von der gewaltsam agierenden Opposition beabsichtigter Wahlboykott ist jedoch gescheitert: Der prominente Regierungskritiker Henry Falcón will gegen Maduro kandidieren.

US-Präsident Trump hat gerade den jüngsten Versuch Venezuelas, mittels der ölgestützten Kryptowährung „Petro„aus der auch von US-Sanktionen ausgelösten Wirtschaftskrise zu entkommen, torpediert und den Bitcoin-Petro-Handel verboten. Demgegenüber bekräftigte der chavistische Staatschef Maduro, dass seine Regierung „den Frieden anstrebt und daher auch Demokratie will“. Aus diesem Grund hoffe er auf die Präsenz von UNO-Beobachtern bei den Wahlen. Maduro reagierte damit auch auf die heftige Kritik von teilweise gewalttätigen Regierungsgegnern. Das oppositionelle Parteienbündnis „Tisch der demokratischen Einheit“ (MUD) hatte zwar über lange Zeit hinweg immer wieder sofortige Wahlen gefordert. Als Maduro diese ausrief, wandte sich MUD aber überraschend gegen den angeblich nun zu kurzfristig angesetzten Abstimmungstermin im April. Die Wahlbehörde CNE verschob den Termin daraufhin auf den 20. Mai.

Etliche MUD-Parteien boykottieren den Wahlgang dennoch und argumentieren mit angeblich ungleichen Chancen im Wahlkampf. Unterstützt wird diese Haltung vor allem aus den USA und der Europäischen Union, wo die antichavistischen MUD-Parteien als Wunschregierung betrachtet werden.

Regime-Change-Strategie gescheitert?

Zuletzt kündigte der Oppositionsführer Falcón jedoch entgegen der Wahlboykott- und Putsch-Strategie seine Kandidatur gegen Amtsinhaber Maduro an. Der ehemalige Weggefährte von Ex-Präsident Hugo Chávez (1954-2013) ist einer der prominentesten Maduro-Kritiker. Dennoch hat seine Absage an die Boykotthaltung zum Bruch mit dem restlichen MUD-Bündnis geführt.

Vor diesem Hintergrund hat Präsident Maduro jetzt die UNO aufgefordert, die Wahlen zu überwachen. Der venezolanische Präsident reagierte damit auf Aufrufe der MUD-Opposition, die UNO möge die bevorstehenden Präsidentschafts-, Regional- und Lokalwahlen ignorieren. Venezuelas Botschafter bei der UNO, Samuel Moncada, hat sich indes gemeinsam mit Maduro-Herausforderer Falcón und anderen Oppositionsvertretern, die einen Boykott der Wahlen ablehnen, in New York getroffen, um für eine UN-Beobachtung einzutreten. Maduro sprach sich auch für ein gemeinsames Treffen mit Vertretern der Opposition aus.

Die Wahlen in Venezuela werden wohl entgegen der wütenden MUD-Obstruktionen von internationalen Beobachtern begleitet, die auf Einladung der Wahlbehörde CNE ins Land kommen. Hinzu kommt eine Mission der Vereinigung lateinamerikanischer Wahlexperten (Ceela) und möglicherweise der UNO. Die US-nahe Organisation Amerikanischer Staaten wird nicht präsent sein, und mehrere Staaten haben bereits angekündigt, das Ergebnis der Abstimmung nicht anzuerkennen, so Telepolis. Damit entlarvt sich eine zynische Haltung, der die Korrektheit von Wahlen gleichgültig ist. Die unter Obama intensivierte Regime-Change-Politik gegenüber linken Regierungen Lateinamerikas, insbesondere gegenüber dem Erdöl-Staat Venezuela, setzt weiter auf gewaltsame Lösungen und das Recht verbiegende „Lawfare“ (warfare, also Kriegsführung, mit juristischen Mitteln). Letzteres etwa bei der absurden Bemühung, den demokratisch gewählten Präsidenten Maduro, der sich gegen Wirtschaftskrieg, Sabotage und Terrorismus seitens der USA wehren muss, ohne stichhaltige Gründe vor den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu zerren. (vgl. Artikel von Ajamu Baraka)

„Brauner Morgen“ -eine Parabel über den Faschismus

Hannes Sies
Erst haben sie alle Hunde verboten, die nicht braun waren, dann alle Katzen, die nicht braun waren. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass braune Hunde und Katzen den andersfarbigen überlegen wären. Darum wurden alle anderen getötet. Dann wurde der „Stadtanzeiger“ geschlossen. Die Zeitung hatte darüber berichtet, an der wissenschaftlichen Begründung gezweifelt und sogar Leute zum Widerstand ermutigt…

So beginnt die politische Parabel, die der französische Romancier Franck Pavloff 1998 verfasste und damit Frankreich einen politischen Bestseller der besonderen Art schenkte. „Matin Brun“ (Brauner Morgen), war 2002 angesichts des Wahlerfolgs des Rechtspopulisten Le Pen das bestverkaufte Buch des Landes. Es formulierte die berechtigten Sorgen vor einem Aufkeimen von Rassismus und Faschismus auf eine Weise, die jeder verstehen kann, selbst Kinder.

Franck Pavloff wuchs als Kind bulgarischer Eltern in Südfrankreich auf. Er studierte Soziologie und Psychologie. Nach langer Tätigkeit in sozialen Projekten in Asien, Afrika und Lateinamerika wurde er Schriftsteller und verfasste gut dreißig Bücher: Romane, Lyrik, Jugendliteratur. „Brauner Morgen“ richtet sich an uns alle, auch an Konservative, Menschen, denen Bildung vorenthalten wurde, Kinder und Jugendliche. Der Ich-Erzähler ist ein schlichtes Gemüt, eigentlich nur an Sport und dem „Abhängen“ mit seinem Kumpel Charlie interessiert.

Wir hatten unsere Beine in der Sonne

ausgestreckt, und eigentlich habe ich

mich gar nicht mit Charlie unterhalten;

wir haben nur so unsere Gedanken ausgetauscht,

die uns gerade in den Kopf kamen, ohne

darauf zu achten, was der andere erzählte.

Es war richtig schön,

einfach nur faul zu sein

und dabei eine Tasse Kaffee zu schlürfen.

Als er mir sagte, dass er seinen Hund

einschläfern lassen musste, hat mich

das gewundert, aber mehr auch nicht“ (…)

Er war kein brauner Hund, das ist alles.“

Scheiße, dann war es so wie

jetzt mit den Katzen?“

Genau so.“

So beginnt eine ortlose Parabel, der es gelingt ohne penetrant-moralischen Zeigefinger Gleichgültigkeit und Desinteresse anzuprangern. Wir folgen einer etwas trägen, aber sympathisch gezeichneten Figur, deren Leben durch eine Politik des Rassismus aus den Fugen gerät. Er und sein Kumpel Charlie sind nicht die hellsten und eigentlich reichlich angepasst. Sie wollen ihre Ruhe haben und glauben Obrigkeitshörigkeit wäre dafür der einfachste Weg. Die Obrigkeit hat was gegen andere Farben, alles soll braun sein und braun genannt werden.

Als ihr „Stadtanzeiger“ vom Regime geschlossen wird, protestieren die beiden nicht: „Die Zeitung hat es ja geradezu darauf angelegt, verboten zu werden.“ Er und Charlie lesen jetzt eben die „Braunen Nachrichten“. Doch dann geraten sie selbst ins Visier der Gestapo-artigen „Miliz“: Jetzt werden auch alle inhaftiert, die früher mal ein nicht-braunes Haustier besaßen. Erst bringen sie Charlie weg, dann: „Es ist vor Tagesanbruch, draußen ist es noch braun“, daneben ein düsteres Streetart-Bild, das eine Horde martialisch ausstaffierter Polizisten zeigt.

Brauner Morgen: Ein antifaschistischer Welterfolg

„Matin Brun“ wurde inzwischen in 25 Sprachen übersetzt, die Auflage in Frankreich hat die zwei Millionengrenze überschritten. Vor vier Jahren gewann Pavloff den berühmten Streetart-Künstler Christian Guémy (Pseudonym „C215“) dazu, seine Geschichte mit Illustrationen zu bereichern. C215 ist der wohl bekannteste Straßenkünstler Frankreichs, seine auf Mauern, Türen, Schildern entstehenden Kunstwerke haben zahlreiche Ausstellungen in Galerien und Museen erfahren, zuletzt im Musée des art et métiers in Paris. Seine Bilder zeigen Liebende, Kinder, sogar Katzen, aber meist Außenseiter der Gesellschaft, Alte, Obdachlose, Menschen mit zerfurchten Gesichtern, denen man ein hartes Leben ansieht. Auch Politiker: Die französische Linkspartei hat ein Bild des Künstlers von ihrem Vorsitzenden Melenchon auf Wahlplakate gedruckt.

Fotografien der Bilder von C215 geben dem Text von „Brauner Morgen“ eine große Intensität, lassen innehalten und nachdenken. Die meisten Gesichter schauen dem Betrachter direkt in die Augen und wecken Empathie, was die subtil in ein faschistisches Grauen gleitende Handlung der politischen Parabel eindringlicher macht.

Franck Pavloffs politisch engagierter Bestseller wurde 2003 auch in Deutschland verlegt, doch nur in einer schmucklosen Billgausgabe von 15 Seiten. Jetzt liegt ein reich bebildertes Hardcover von 64 Seiten vor, das mit eindringlichen Farbfotos den aufrüttelnden Text unterstreicht. Im Streetartist C125 hat Autor Franck Pavloff einen kongenialen Mitkünstler gefunden und die sorgfältige Farbgestaltung der vorliegenden Hardcover-Ausgabe unterstreicht die Wirkung zusätzlich.

Die einfache Geschichte mit ihrer populären Sprache überzeugte in Frankreich viele Menschen, von der Wichtigkeit individuellen politischen Handelns. Das Buch wird in unserem Nachbarland mittlerweile als Unterrichtsmaterial genutzt – hoffentlich auch bald in Deutschland. Lehrer und Bildungspolitiker sollten sich durch eine Lektüre vielleicht zunächst selbst von der Wichtigkeit eines eigenen Engagements überzeugen lassen, um das Buch dann an unsere Schulden zu bringen. Dort gehört es angesichts unseres historischen Hintergrundes wohl noch dringender auf den Lehrplan als in Frankreich.

Braunes Gestern: Keine Haustiere für Juden

Am 15.Mai1942 trat im Nazi-Faschismus ein weiteres Verbot für Juden in Deutschland in Kraft: Sie durften keine Haustiere mehr halten. Ihre Hunde und Katzen waren an „arische“ Deutsche abzugeben oder einzuschläfern. Dies war nur eine weitere bürokratische Unmenschlichkeit, mit der Nazi-Beamte ihren jüdischen Mitbürgern das Leben Stück für Stück zur Hölle machten, nach dem Verbot des Besuches von Schwimmbädern, des Verkaufs von eigenen Zeitungen, des Besitzes eines Telefons usw.

Neun Monate zuvor hatte der Nazi-Staat verfügt, dass jeder Jude ab dem Alter von sechs Jahren an seiner Kleidung einen deutlich sichtbaren gelben Judenstern zu tragen hatte. Im Jahr davor hatte man insgeheim begonnen, die jüdischen Bevölkerung in Konzentrationslager zu deportieren.

Was mit den Nürnberger Rassegesetzen unter Ägide des Nazi-Juristen Hans Globke begonnen hatte, steuerte auf sein barbarisches Ziel zu: Den Völkermord an 1,5 Prozent der Bürger und Bürgerinnen Deutschlands. Juristen wie Globke hatte den Opfern zuvor natürlich die Bürgerrechte abgesprochen und sie Schritt für Schritt diskriminiert, verhöhnt, an den Rand gedrängt. Es ging darum, sie zu entmenschlichen, sie zu „Untermenschen“ zu erklären und sie außerhalb der Gesellschaft zu stellen. So wurde es den Massenmördern und ihren zahllosen Gehilfen leicht gemacht, sie aus ihren Nachbarschaften zu reißen und einem bestialischen Tod zu übergeben.

Nazi-Jurist Hans Globke war einer jener schrecklichen Rechtsgelehrten, Anwälte, Staatsanwälte, Richter, die sich nach Übergabe der westdeutschen Gerichtsbarkeit an das Adenauer-Regime gegenseitig bestätigten, im rassistischen Unrechtsstaat nichts Unrechtes getan zu haben. Schließlich sei das alles schön ordentlich „nach Recht und Gesetz“ abgelaufen, die Errichtung einer Diktatur, die Gleichschaltung der Medien, der Massenmord an Juden, Kommunisten, Homosexuellen und vielen anderen. Viele Nazi-Juristen setzten ihre Karrieren in Westdeutschland ungebrochen fort, so auch Globke selbst, der als „Starker Mann“ hinter dem greisen CDU-Kanzler Adenauer die Fäden der jungen Bundesrepublik zog: Altnazis, Militär, Geheimdienste wurden für den Kalten Krieg vereint.

Globke sorgte dort für eine von oberster Stelle betriebene staatliche „Wiedereingliederung“ seiner braunen Kameraden, die im Westen keine Strafverfolgung zu befürchten hatten. Das Adenauer-Regime begann im trauten Einvernehmen mit den Westalliierten, den USA, Großbritannien und Frankreich, alsbald wieder damit, Kommunisten zu diskriminieren und zu verfolgen. Die dafür zuständigen Beamten waren größtenteils dieselben wie von 1933-45. Nur konnten ihre Opfer jetzt in die junge DDR fliehen, wo eine völlig neu aufgebaute und wirklich entnazifizierte Justiz ihnen Schutz bot -und die Nazi-Verbrecher unter der Ägide von Hilde Benjamin (der Schwägerin des von Nazis zu Tode gehetzten Philosophen Walter Benjamin) tatsächlich vor Gericht stellte.

Siehe meine Buchbesprechung der Biographie der Familie Benjamin.

Keine KZ bauen: Berlins Hilfe an Tunis

Gerd R. Rueger tunisia-flag-svg

Tunesien: Deutsche Touristen wollen hier in Ruhe ihren Badeurlaub verbringen, zugleich ist das Land Südmark der „Festung Europa“. Merkel pflegte beste Beziehungen zum gestürzten Diktator Ben Ali, aber viele deutsche Journalisten gewöhnen sich langsam (sehr langsam) daran, Tunesien als Demokratie darzustellen -immer wieder hört und liest man bis heute, Israel sei „die einzige Demokratie des Nahen Ostens“. Thema wurde Tunesien eigentlich erst, nachdem einige radikalisierte Tunesier unrühmliche Schlagzeilen durch Anschläge auch in der EU (Hetzjagd auf Tunesier) machten. Doch Berlin hat schon länger ein Augenmerk auf Tunesien gerichtet.

Deutschland gewährt daher den tunesischen Sicherheitsbehörden seit 2012 Unterstützung. Zunächst gab es Ausbildungs- und Ausstattungshilfe über die Bundespolizei, 2014 folgte Material für den tunesischen Grenzschutz: Merkel stellte Tunesien 2.700 Splitterschutzwesten zur Verfügung. Nach den Terroranschlag von Sousse im Juni 2015 konnte Berlin Tunesien veranlassen, bei umfassendere zur Abriegelung der tunesisch-libyschen Grenze zu kooperieren. Ging es aus tunesischer Sicht darum, das Einsickern von Jihadisten aus Libyen zu verhindern, so hatte für Merkel die Abschneidung der Flüchtlingsroute über Tunesien zu den Ablegestellen an der libyschen Küste Priorität. 2015 durfte die deutsche Bundespolizei ein Projektbüro in Tunis eröffnen, wo seither drei Beamte der Bundespolizei Koordinierungsarbeit leisten und die tunesische Regierung beraten: Zum Nutzen der „Festung Europa“ (Europa wird von deutschen Medien mit EU bzw. Natoland gleich- und Europas größter Nation, Russland, entgegengesetzt, also eigentlich „Natopa“).

Nach deutschem Vorbild patrouillieren

Damit verbunden sind weitere deutsche Ausbildungs- und Ausstattungsmaßnahmen für die tunesischen Sicherheitsbehörden. Seit 2015 bildeten Berater der Bundespolizei tunesische Kollegen aus: Themen waren „Grenzmanagement“, „Seesicherheit“, „Sprengstoffdetektion“ oder „Kommunikationsüberwachung“. Es folgte das systematische Training tunesischer Grenzschützer am Maritimen Trainingszentrum der Bundespolizei im holsteinischen Neustadt sowie an der Kommandoschule der tunesischen Nationalgarde in Oued Zarga. Es ging darum, „wie man patrouilliert, wie man gefälschte Pässe erkennt und verdächtige Personen befragt, wie man Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras bedient“. Ein tunesischer Offizier wird mit der Äußerung zitiert: „Bis spätestens 2020 wird an allen Grenzen Tunesiens nach deutschem Standard patrouilliert.“

Das zur Grenzsicherung benötigte Material wurde durch deutsche Ausstattungshilfe aufgerüstet: Schnellboote zur Grenzkontrolle auf See, 3.000 Gefechtshelme, 700 Doppelfernrohre, Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras, eine ganze Reihe von Fahrzeugen und ein Dokumentenprüflabor. Zusätzlich wurde die Mobilität tunesischer Sicherheitskräfte zur libyschen Grenze durch die Beschaffung von Mannschaftswagen und mittels HESCO-Schutzsystemen für die Posten der Nationalgarde gestärkt, so Merkels Bundesregierung. Auch habe man „Unterstützung bei der Installation einer ortsfesten elektronischen Grenzüberwachungsanlage“ an der Grenze zu Libyen zugesagt; darüber hinaus solle ein mobiles Radarsystem geliefert werden. Der Wert der Lieferungen beläuft sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag.

Tunesien und Libyen als Wall gegen Flüchtlinge

Doch die Sicherheit der Badestrände ist nicht das Hauptziel, denn die „Festung Europa“ braucht eine afrikanische Pufferzone. So dringt Merkel seit Herbst 2016 darauf, Auffanglager in Tunesien zu errichten. Afrikanische Flüchtlinge sollen schon dort Asyl in einem EU-Staat beantragen und lediglich bei Bewilligung ihres Gesuchs nach Europa weiterreisen dürfen. Diese Idee wurde damals für Gaddafis Libyen 2004 vom deutschen Innenminister Otto Schily (SPD) für die rotgrüne Regierung Schröder entwickelt. November 2016 wurde sie zunächst von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) aufgegriffen und jetzt vom Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, bestätigt. Es sei an der Zeit, dass „die im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge wieder zurückgebracht und zunächst in Nordafrika versorgt und betreut werden“, so Oppermann. Bereits seit Ende 2016 weiß man, dass Merkels Bundesregierung Tunesien als Standort für die Lager präferiert. Doch in der EU ist auch Libyen, heute ein „gescheiterter Staat“ in der Hand von Warlords und westlichen Ölfirmen, wieder im Gespräch: „Es wäre richtig, Auffanglager in Libyen zu installieren“, so EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani. Tajani präzisierte: „Auffanglager dürfen keine Konzentrationslager werden.“

Erpressung aus Berlin?

Die tunesische Regierung widersteht bislang dem Berliner Ansinnen nach Einrichtung von „Auffanglagern“. Dies geschieht auch unter dem Druck der Bevölkerung. Der Umgang von Behörden, Medien und Öffentlichkeit in der Bundesrepublik mit „Nordafrikanern“ oder „Nafris“, ist -auch dank unserer Berichterstattung- kein Geheimnis geblieben. So kam es in Tunis zu Protesten gegen die Pläne Berlins, Tunesier schneller abzuschieben: „Tunesien ist nicht Deutschlands Abfall“, hieß es auf einem Plakat der Demonstranten, das durch deutsche Medien ging. Merkel, die sich jüngst mit Staats- und dem Ministerpräsidenten Tunesiens zu Konsultationen traf, hatte bereits vor drei Wochen Ministerpräsident Youssef Chahed in Berlin empfangen. Danach lautete die offizielle Sprachregelung, man habe überhaupt nicht über „Auffanglager“ gesprochen -in Wahrheit hatte Tunis abgelehnt. S.a. German Foreign Policy

Brexit, TTIP und die EUrokratie

Theodor Marloth NATOmap

Europa sollte einmal ein Projekt des Friedens, der Demokratie und der Sozialstaatlichkeit sein, eine Lehre aus Jahrhunderten brutaler Kriege und eine bewusste Alternative zu jenem Ausbeuter-Kapitalismus, der die Weltwirtschaftskrise und blutige faschistische Diktaturen heraufbeschworen hatte. Aber EU-Europa hat heute in allen Punkten versagt: Der Sozialstaat wurde zerstört, weil die Reichen den Armen nichts mehr abgeben wollten. Die Demokratie wurde durch eine Plutokratie der Lobbyisten und eine Medien-Gehirnwäsche für die Völker ersetzt, TTIP & Co. sollen die Herrschaft der Konzerne  legitimieren. Und jetzt rasseln auch noch die Säbel der Nato wieder gegen Russland und machen die letzte Existenzberechtigung der EU zunichte: Die Wahrung des Friedens in Europa.

„Europa muss, seinem Erbe getreu, einen neuen Humanismus verkörpern, als Hort der Menschenwürde und der sozialen Gerechtigkeit“, hatte einst Bundespräsident Richard von Weizsäcker proklamiert. Aber das korrupte neoliberale EU-Europa, das im Juni 2012 mit einem riesigen Bankenrettungsschirm und dem Fiskalpakt besiegelt wurde, ist zum Gegenteil davon verkommen. Dieses Europa ist unter Führung von Angela Merkel, dem Steuerfluchthelfer und Gladio-Mann Juncker und des jüngst zu Goldman Sachs desertierten Kommissions-Präsidenten Barroso ein Projekt der Zerstörung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit geworden, ein Projekt zur Zerschlagung von Arbeitnehmerrechten und zur ausbeuterischen Senkung von Löhnen und Renten.

EU-Europa ist ein Projekt von Goldman Sachs, Morgan Stanley und  Deutscher Bank zur Ausplünderung der europäischen Völker, erst der Griechen, dann aller Südeuropäer und letztlich aller arbeitenden Menschen. Die Puppenspieler sind die Banker, vor allem von Goldman Sachs, und heraus kommen Verträge, mit denen die Völker über den Tisch gezogen werden, um die Vermögen der Reichsten zu vermehren und das Spielkasino Finanzmarkt am Laufen zu halten. Jetzt spielen die transatlantischen Macht- und Gier-Eliten auch noch mit dem Feuer eines neuen Kalten Krieges gegen Russland, drohen mit neuen Rüstungsspiralen einer ohnehin schon bis an die Zähne überrüsteten Nato.

Nach Innen zerstören die EUrokraten zusammen mit den Machtcliquen aus Washington durch TTIP, CETA, TISA usw. die Demokratie bzw. was noch von ihr übrig ist zwischen Lobbyismus und Medienkorruption. Wir haben oft gesehen, wie in der EU mit Volksabstimmungen umgegangen wird, die gegen den Willen der Macht- und Gier-Eliten ausgehen: Entweder werden sie ignoriert und mit brutalen Finanzmacht niedergezwungen – etwa Abstimmung der Griechen gegen den Austeritätskurs (2015) oder der Franzosen und Niederländer gegen die geplante EU-Verfassung (2005) – oder sie werden solange wiederholt, bis das gewünschte Ergebnis zustande kommt – etwa in Irland beim EU-Vertrag zu Nizza (2001) und Lissabon (2008/09). Deshalb hat auch die schlechte Nachricht nicht lange auf sich warten lassen.

Die EU-Kommission hat bereits angedroht, sich auch um unsere Meinungen zu TTIP, CETA, TISA nicht zu scheren und diese sogenannten Freihandelsabkommen „vorläufig anzuwenden“. Sie kann sich dabei auf den Artikel 218 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der EU) berufen, der mit dem EU-Vertrag von Lissabon (2009) eingeführt wurde. Dieser Artikel ist im Grunde ein Putschartikel, denn dieser ermöglicht den EUrokraten, internationale Verträge, die eigentlich immer noch der Zustimmung durch die nationalen Parlamente bedürften, „vorläufig anzuwenden“, auch wenn keine demokratische Mehrheiten in einzelnen Parlament zustande kommen oder sogar die Bevölkerung in Volksabstimmungen dagegen votiert.

Der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages wurde angefragt, was passiert, wenn der Ratifikationsprozess scheitert, weil die nationalen Parlamente auch später nicht zur Zustimmung zu Verträgen bereit sind, die von der EU „vorläufig angewendet“ werden. Die Antwort: Gar nichts. Dann wird das Abkommen auf unbestimmte Zeit „vorläufig angewendet“, also Parlament und Bevölkerung dauerhaft entmündigt. TTIP entmündigt die Völker durch seine feudalen „Schiedsgerichte“, die Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat Hohn sprechen. Unsere Medien und Politik versagen total bei ihrer Aufgabe, uns vor diesen Putschversuchen einer amoklaufenden Gier-Elite zu schützen, denn sie sind durch und durch korrumpiert, verdummt und  völlig nutzlos gemacht. Völlig? Nicht ganz, denn noch regen sich Reste von Demokratie, die wir nutzen müssen. Gegen das TTIP entsprechende pazifische „Freihandelsabkommen“ TTP regte sich Widerstand in den USA:

39 US-Bundesstaaten haben einen offenen Brief an das Weiße Haus geschrieben, in dem sie die verlangen, dass der US-Handelsbeauftragte keine Versuche unternimmt, mit den geplanten neuen Freihandelsabkommen die Möglichkeiten der Bundesstaaten einzuschränken, den Tabakkonsum zu regulieren. Anlass ist die Investor-Staat-Klage einer kanadischen Tabakfirma, die vor 10 Jahren die Anti-Tabak-Gesetze von 45 US-Staaten vor einem NAFTA-Tribunal angriff. Die Klage wurde zwar letztendlich abgewiesen, aber die Bundesstaaten hatten hohe Kosten – Steuergelder – für teure Anwaltsfirmen zu bezahlen. Die von WikiLeaks veröffentlichten geheimen Verhandlungstexte zum Transpazifischen Freihandelsabkommen, das die USA gerade mit einer Reihe asiatischer Länder verhandeln, machen deutlich, dass dieses TPP genannte Abkommen solche Klagen auch in Zukunft ermöglichen würde – obwohl der US-Handelsbeauftragte bis zu den WikiLeaks-Veröffentlichungen versichert hatte, dass dem nicht so wäre.

„Da hat sich WikiLeaks wieder mal verdient gemacht…eigentlich ist so etwas die Aufgabe eines Parlaments, aber die Parlamente finden es ja leider in Ordnung, dass die Verhandlungen vor ihnen geheimgehalten werden. Wer glaubt, dass nur TPP aber nicht TTIP solche Klauseln enthalten würde, ist selber schuld.“ J.Maier Forum Umwelt und Entwicklung 2014

 

Weltsozialforum 2015 – Hoffnung für Tunesien

Gerd R. Rueger

Tunis. Das zwölfte Weltsozialforum fand vom 24. bis 28. März 2015 zum zweiten Mal in Tunis statt. Während des Weltsozialforums 2011 in der senegalesischen Hauptstadt Dakar hatte man beschlossen, die progressiven Kräfte des Arabischen Frühlings zu unterstützen und deshalb das Forum 2013 in Tunis auszurichten. Leider verlief die Entwicklung nicht so friedlich wie erhofft, obwohl Tunesien noch das am wenigsten negative Beispiel des Arabischen Frühlings blieb. Das Forum 2015 war überschattet vom Terroranschlag auf das Bardo-Museum in Tunis wenige Tage vor Beginn der Veranstaltungen. 

Die traditionelle Auftaktdemonstration des Weltsozialforums brachte 2015 die Solidarität mit den Opfern und der demokratischen Bewegung Tunesiens zum Ausdruck. Es nahmen Aktivisten aus aller Welt teil, ein Trauermarsch gedachte der Toten des aktuellen Terrors. Insgesamt fanden auf dem Universitätscampus El Manar in Tunis mehr als 1.000 Aktivitäten statt. Im historischen Zentrum von Tunis, der Medina, freuten sich die Händler über die Großveranstaltung mit geschätzten 40.000 Besuchern. Denn nach dem Attentat ist der Tourismus im Land eingebrochen, Tunesien stehen schwere Zeiten bevor.

Das Motto der großen Demonstration wurde von „Peoples of the world united against terrorism“ in „The Peoples of the World United for Freedom, Equality, Social Justice and Peace. In Solidarity with Tunisian People and all Victims of Terrorism against all Forms of Oppressions.“ Den ersten Titel hatte man aufgrund der Nähe zum politischem Schlagwort „War on Terrorism“ der Bush-Regierung verworfen.  Journalisten murrten über die etwas sperrige Formulierung, aber die übliche glattgebügelte PR-Sprache war nicht der Stil dieser Veranstaltung.

Das junge Tunesien bekam ein Forum

In den Diskussionen ging es um die Themen Finanzmärkte und Verschuldung, Austeritätspolitik, Migration, Demokratie, Religion, Gender, Umwelt, Arbeit, nationale Souveränität und Medien. Im Zentrum der Debatten standen auch Migrationspolitik, ungerechte Handelsstrukturen, Menschenrechte und der Klimawandel. Besonders diskutiert wurden ferner regionale Fragen, Flüchtlingsprobleme, der Umgang mit autoritären Regierungen und die Frage, wie der Arabische Frühling weitergehen kann. Ermutigend war die Teilnahme Tausender junger Tunesier und Tunesierinnen, für die das WFS eine Möglichkeit für politische Diskussionen war.

Denn das Weltsozialforum ist vor allem ein Protestereignis, bei dem Kritiker einer vorwiegend von wirtschaftlichen Interessen gesteuerten Politik zusammenkommen. Dieses Thema war Anfang der 2000er Jahre brandaktuell und bleibt es auch solange Bilderberger und Wirtschaftsgipfel, IWF und Weltbank die Geschicke der Welt im Dienste einer kleinen Geldelite beherrschen wollen. Faszinierend ist, dass der scheinbaren Alternativlosigkeit des Neoliberalismus mit all seinen Sachzwängen auch etwas entgegen gesetzt wird. Eine andere Welt ist eben möglich -wie das Motto von Attac sagt.

Eröffnungsfeier des 12. Weltsozialforums in Tunis; Foto: picture-alliance/abaca/F. Nicolas

Im Zentrum des WSF stand die Debatte über den Widerstand gegen das Spardiktat (“Austeritätspolitik”), das den Völkern von Neoliberalen und Finanzmächten weltweit aufgezwungen wird: Es droht der Austerizid ganzer Gesellschaften. Eine lockere Struktur vermittelten die thematischen Sozialforen, wie das Weltsozialforum für Gesundheit und soziale Sicherheit oder das Sozialforum Umwelt. Diese transnationalen Initiativen organisieren sich im Rahmen des Weltsozialforums, bilden aber zugleich unabhängige Räume des thematischen Austauschs und der Entwicklung von (Protest-)Strategien. Sehr inspirierend war das „Weltforum für Freie Medien“, das parallel zum Weltsozialforum tagte.

Es gelang dem WSF 2015, an die Diskussionen des letzten Forums von 2013 anzuknüpfen und eine internationale Charta zu verabschieden, die inzwischen bereits in mehreren Sprachen vorliegt. Angesichts des produktiven Austausches über politische Themen und neue Netzwerke und Initiativen, wie dem Internet Sozialforum oder dem Netzwerk TRANSMESH, das eine Brücke zwischen Medienaktivisten und Hackern schlägt.

Die Idee der Vielfalt

Die sogenannte „Charta des Forums“ verbietet aber gemeinsame politische Statements, auch Politiker dürfen nicht auftreten. Doch dadurch wird das WSF nicht unpolitisch. Dadurch, dass man im Namen des Weltsozialforums keine politische Position vertreten darf, d.h. also eigene Forderungen im Namen aller formulieren darf, erhält sich vielmehr eine breite Vielfalt an Teilnehmern. Diese Regel wird jedoch nicht allzu rigide interpretiert. Der Front Populaire-Parlamentarier Fatih Chamkhi ist zugleich Vorsitzender von ATTAC Tunesien und trat auf einer ganzen Reihe von Veranstaltungen als Sprecher auf -in der Tradition der Jasminrevolution und des WSF Tunis 2013. Damals zählten die Veranstalter mehr als 50 000 Teilnehmer, es war das erste Weltsozialforum in einem arabischen Land. Das weckte Begierden der Überwacher: Der deutsche Geheimdienst BND interessierte sich schon für das WSF in Tunis 2013.

Entscheidend ist jedoch, dass niemand ausgeschlossen wird. Alle eint, dass man sich für eine andere Welt einsetzen. Diese andere Welt kann nicht im Alleingang, sondern nur gemeinsam erreicht werden. Die Idee einer anderen Welt soll auf einem Forum selbst praktisch erprobt werden. Trotz aller Unterschiede der Kultur, der Sprache, des Bildungshintergrunds entsteht mit jedem Sozialforum etwas Neues.

Ein anders gewichtetes Weltsozialforum, das vor allem auf der lokalen Ebene versucht politisch Interessierten und Aktivisten einen Raum des Austausches und ihres Engagement zu bieten, verspricht das nächste Weltsozialforum in Kanada zu sein, das im August 2016 stattfinden wird. Das Organisationskomitee in Montreal arbeitet bereits seit etwa zwei Jahren an der Idee, ein Weltsozialforum in Kanada zu veranstalten. Es versteht sich als offenes Kollektiv von Individuen, indem sich jeder unabhängig von seiner Einbindung in eine Protestbewegung oder seiner Position als Vertreter einer Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation als gleichwertiges Mitglied einbringt.

Den Veranstaltungsort Tunis hatte der Internationale Rat auf seiner Tagung im Dezember 2013 in Casablancazur Startseite beschlossen. Politisch sprach vieles für eine Rückkehr nach Tunis und auch der Terror gegen die tunesische Gesellschaft hat nichts daran geändert. In der Folge des WSF im Frühjahr 2013 in Tunis hatte sich eine breite Sozialforumsbewegung in der Region bis hinein in den Nahen Osten entwickelt. Es fanden und finden dort vielfältige regionale und thematische Foren statt, die das zivilgesellschaftliche Leben deutlich prägen. Es geht auch darum, die friedliche Entwicklung Tunesiens als Gegenmodell zu den kriegerischen Zerstörungen in anderen arabischen Ländern der Region zu betonen.