Gerd R. Rueger 21.08.2013
Wikileaks-Informant Bradley Manning wurde wegen „Geheimnisverrats“ zu 35 Jahren Haft verurteilt. US-Militärrichterin Denise Lind gab die Entscheidung am Nachmittag in der NSA-City Fort Meade (Maryland) bekannt. Die Anklage hatte mindestens 60 Jahre gefordert, bis zu 90 Jahren wären angesichts der völlig überzogenen Anklagepunkte möglich gewesen. Richterin Lind ordnete wenigstens an, den Obergefreiten unehrenhaft aus der Armee zu entlassen -„unehrenhaft entlassen“, nach „Deserteur“ die zweithöchste Ehrung, die die Armeen dieser Welt zu vergeben haben. Manning-Solidartitäts-Kundgebungen rund um den Globus konnten die US-Justiz nicht erweichen.
Manning war Ende Juli von dem Militärgericht in 19 von 21 Anklagepunkten für schuldig befunden worden, darunter Geheimnisverrat, Spionage, Computerbetrug, Diebstahl. Vom schwerwiegendsten und nachweislich verleumderischen Vorwurf, „Unterstützung des Feindes“, wurde er überraschend freigesprochen. Insgesamt dreieinhalb Jahre werden Manning von seiner Strafe erlassen, weil er bereits seit Mai 2010 in Untersuchungshaft sitzt -zuerst waren läppische 112 Tage angeboten worden. Neun Monaten musste er in Einzelhaft verbringen. Eine Entlassung Mannings aus dem Gefängnis vor Ablauf seiner Strafe ist rechtlich möglich.
„Sprechen Sie ein Urteil, das ihm ein Leben lässt“, appellierte der Anwalt David Combs an die Militärrichterin, doch Oberst Denise Lind könnte noch über die Forderung der Anklage hinausgehen –freute sich die reaktionäre FAZ, die Höchststrafe für die 20 Vergehen, deren Manning schuldig gesprochen worden ist, betrage 90 Jahre Haft. Selbst die US-Justiz war gnädiger. Am meisten ins Gewicht fällt aus Sicht der FAZ die Verletzung von sechs Bestimmungen des Spionagegesetzes von 1917. Weil die Regierung aber darauf verzichtete, Manning der Kollaboration mit dem Feind zu bezichtigen, bliebe ihm die Todesstrafe auf jeden Fall erspart, so die FAZ -ohne milde humanistische Untertöne.
Bradley hatte sich schuldig bekannt, US-Geheimdokumente geleakt zu haben. Dies geschah, um die Öffentlichkeit über Kriegsverbrechen der US-Truppen aufzuklären. Manning verwahrte sich gegen den Hauptanklagepunkt einer “Unterstützung des Feindes”, der extrem hohe Strafe nach sich ziehen würde. Ihm wurde vom Militärgericht damit unterstellt, er wollte als Spion von Al Qaida die gegen US-Truppen kämpfenden Terroristen mit kriegswichtigen Informationen versorgen.
Manning gestand ein, Dateien zu folgenden Leaks an WikiLeaks weitergegeben zu haben: Zum Video eines Helikopter-Angriffs im Irak (Collateral Murder); zum Bericht des Armee-Geheimdienstes (den ebenfalls auf WikiLeaks veröffentlichten Bericht des US-Verteidigungsministeriums über das Gefährdungspotential von WikiLeaks); Auszüge aus einer Datenbank von Berichten über den Irak-Krieg (Iraq War Logs); Auszüge aus einer Datenbank von Berichten über den Afghanistan-Krieg (Afghan War Logs); SOUTHCOM-Dateien über Guantanamo-Insassen (Gitmo Files); eine Anzahl von Depeschen des Außenministeriums (Cablegate), eine spezielle Depesche, “Reykjavik 13″, aus Island; sowie einen weiteren nicht spezifizierten Geheimdienst-Bericht.
Bradleys Leidensweg
Bradley wurde im Mai 2010 im Irak, dann wurde er zwei Monate in Kuwait festgehalten, dann neun Monate im Militärgefängnis in Quantico (Virginia) unter “folterähnlichen” Haftbedingungen. Der UN-Beauftragte gegen Folter, Juan Mendez, warf der Justiz damals vor, „grausam, unmenschlich und entwürdigend“ mit Manning umzugehen. Die Militärrichterin Denise Lind erließ ihm wegen der Vorwürfe 112 Tage einer möglichen Haftstrafe -ein Hohn, denn insgesamt ging es um als 150 Jahre Haft -auch von den jetzt verhängten 35 Jahren sind 112 Tage nur ein läppischer Bruchteil. Unzweifelhaft ist die Bewertung der von den US-Offiziellen als “Geheimnisverrat” bezeichneten Enthüllungen: Es ist die bis heute bedeutsamste Aufdeckung von Kriegsverbrechen dieses Jahrhunderts. Wenn US-Medien sich jetzt besorgt zeigen, ist dies ein gutes Zeichen -obgleich man wohl kaum erwarten kann, dass der Schauprozess gegen Manning dort wahrheitsgemäß als Teil der Hexenjagd auf Wikileaks und Julian Assange dargestellt wird.