USA unter Bush II.: „Full spectrum dominance“

Harold Pinter (1930-2008), Nobelpreis für Literatur 2005

Harold Pinter

Ich sagte vorhin, die Vereinigten Staaten würden ihre Karten jetzt völlig ungeniert auf den Tisch legen. Dem ist genau so. Ihre offiziell verlautbarte Politik definiert sich jetzt als „full spectrum dominance“. Der Begriff stammt nicht von mir sondern von ihnen. „Full spectrum dominance“ bedeutet die Kontrolle über Land, Meer, Luft und Weltraum, sowie aller zugehörigen Ressourcen.

Die Vereinigten Staaten besitzen, über die ganze Welt verteilt, 702 militärische Anlagen in 132 Ländern, mit der rühmlichen Ausnahme Schwedens natürlich. Wir wissen nicht ganz genau, wie sie da hingekommen sind, aber sie sind jedenfalls da.

Die Vereinigten Staaten verfügen über 8000 aktive und operative Atomsprengköpfe. Zweitausend davon sind sofort gefechtsbereit und können binnen 15 Minuten abgefeuert werden. Es werden jetzt neue Nuklearwaffensysteme entwickelt, bekannt als Bunker-Busters. Die stets kooperativen Briten planen, ihre eigene Atomrakete Trident zu ersetzen. Wen, frage ich mich, haben sie im Visier? Osama Bin Laden? Sie? Mich? Joe Dokes? China? Paris? Wer weiß das schon? Eines wissen wir allerdings, nämlich dass dieser infantile Irrsinn – der Besitz und angedrohte Einsatz von Nuklearwaffen – den Kern der gegenwärtigen politischen Philosophie Amerikas bildet. Wir müssen uns in Erinnerung rufen, dass sich die Vereinigten Staaten dauerhaft im Kriegszustand befinden und mit nichts zu erkennen geben, dass sie diese Haltung aufgeben.

Abertausende wenn nicht gar Millionen Menschen in den USA sind nachweislich angewidert, beschämt und erzürnt über das Vorgehen ihrer Regierung, aber so wie die Dinge stehen, stellen sie keine einheitliche politische Macht dar – noch nicht. Doch die Besorgnis, Unsicherheit und Angst, die wir täglich in den Vereinigten Staaten wachsen sehen können, werden aller Wahrscheinlichkeit nach nicht schwinden.

Ich weiß, dass Präsident Bush zahlreiche ausgesprochen fähige Redenschreiber hat, aber ich möchte mich freiwillig für den Job melden. Ich schlage folgende kurze Ansprache vor, die er im Fernsehen an die Nation halten kann. Ich sehe ihn vor mir: feierlich, penibel gekämmt, ernst, gewinnend, aufrichtig, oft verführerisch, manchmal mit einem bitteren Lächeln, merkwürdig anziehend, ein echter Mann.

US-Präsident George W. Bush und Julia Timoschenko (Ukraine, verdeckte Putsch-Operation 2014)

Gott ist gut. Gott ist groß. Gott ist gut. Mein Gott ist gut. Bin Ladens Gott ist böse. Er ist ein böser Gott. Saddams Gott war böse, wenn er einen gehabt hätte. Er war ein Barbar. Wir sind keine Barbaren. Wir hacken Menschen nicht den Kopf ab. Wir glauben an die Freiheit. So wie Gott. Ich bin kein Barbar. Ich bin der demokratisch gewählte Anführer einer freiheitsliebenden Demokratie. Wir sind eine barmherzige Gesellschaft. Wir gewähren einen barmherzigen Tod auf dem elektrischen Stuhl und durch barmherzige Todesspritzen. Wir sind eine große Nation. Ich bin kein Diktator. Er ist einer. Ich bin kein Barbar. Er ist einer. Und er auch. Die alle da. Ich besitze moralische Autorität. Seht ihr diese Faust? Das ist meine moralische Autorität. Und vergesst das bloß nicht.“ (…)

Ich habe heute Abend etliche Male vom Tod gesprochen. Ich werde jetzt ein eigenes Gedicht zitieren. Es heißt „Tod“.

Wo fand man den Toten?
Wer fand den Toten?
War der Tote tot, als man ihn fand?
Wie fand man den Toten?

Wer war der Tote?

Wer war der Vater oder die Tochter oder der Bruder
Oder der Onkel oder die Schwester oder die Mutter oder der Sohn
Des toten und verlassenen Toten?

War er tot, als er verlassen wurde?
War er verlassen?
Wer hatte ihn verlassen?

War der Tote nackt oder gekleidet für eine Reise?

Warum haben Sie den Toten für tot erklärt?
Haben Sie den Toten für tot erklärt?
Wie gut haben Sie den Toten gekannt?
Woher wussten sie, dass der Tote tot war?

Haben Sie den Toten gewaschen
Haben Sie ihm beide Augen geschlossen
Haben Sie ihn begraben
Haben Sie ihn verlassen
Haben Sie den Toten geküsst

 Harold Pinter Memoriamserie

Macron: Der neue Erdogan

Martina Odina Emmanuel Macron (11 décembre 2014) (2) (cropped).jpg

Erdogan, der Autokrat! Erdogan der Diktator! So lasen wir, nach der Verfassungsreform, die Ankara in eine Präsidialrepublik verwandelte. Paris ist schon eine und Macron ist ihr selbstherrlicher neuer Herrscher, den keiner Autokrat oder Diktator nennt. Obwohl er gerade den Ausnahmezustand verewigen will. Vergleiche mit der Türkei? Fehlanzeige. Macron ist ein Goody der Westmedien, Erdogan ein Böser (seit er mit Putin, dem Erzbösen, verhandelt und aus der Rotte der Willigen und Vasallen der USA ausscherte).

Frankreich befindet sich seit Ende November 2015 im Ausnahmezustand (frz. état d’urgence), verhängt vom damaligen Sozi-Präsidenten Hollande nach dem islamistischen Attentat auf die Musikhalle Bataclan. Einer der wesentlichen Züge des „état d’urgence“ ist die vorübergehende Abschaffung der Unterscheidung zwischen Legislative, Exekutive und Jurisdiktion.

Emmanuel Macron, »der Mann, der ganz Europa in Verzückung stürzt«, oder wenigstens die Redaktion von Spiegel online, hat es gern, wenn sich die Kameras auf ihn richten. Vorzugsweise, wenn er nicht zu Hause auftritt, sondern auswärts – in Sizilien beim Händedruck mit US-Präsident Donald Trump. Oder auch beim sogenannten EU-Gipfel, wo er den schüchternen Neuling zwischen all den Größen des Brüsseler Politikbetriebs gab.

Macron und sein rechtskonservativer Premierminister Édouard Philippe präsentieren der eben gewählten Nationalversammlung jetzt eine Novelle des état d’urgence, deren Inhalt den Ausnahmezustand in einem Gesetz festschreibt, um ihn in eine ständige Praxis des Regierens zu wandeln.

Hartz IV á la france

Macrons an Merkels Exportweltmeister-durch-Ausbeutung-Politik anknüpfendes Gesetz wird aber die breite Masse der Lohnabhängigen kaum so verzücken wie die Bertelsmann-Propagandatruppe (von SpiegelOnline), sondern eher zornig machen. Das Parlament hat raffinierter Weise zugleich das Antiterrorpapier und die Reform des Arbeitsrechts vorliegen: Einen  arbeiterfeindlichen, aus dem Folterkeller des Neoliberalismus stammenden Text des früheren Rothschild-Bankers Macron und seiner Freunde aus der Wirtschaft. Der Widerstand gegen diesen auf Lohndumping und Ausbeutung der untersten Hälfte zielenden Sozialraub beginnt eben, sich zu formieren. Den neuen Antiterror-Code im Rücken, könnte die Regierung Demonstrationen der Lohnabhängigen ohne weiteres verbieten.

Das kennen wir aus den USA. Da gilt seit 2001, die angeblich geschützte „Sicherheit“ schlägt Grund- und Menschenrechte. Kommt Macrons Gesetz, werden aber nicht nur Arbeiter und Gewerkschaftsführer im Fokus stehen. Die Justiz könnte dann auch gegen Menschen vorgehen, die angeblich »öffentlich Terrorismus provozieren«. Viel enger ist die entsprechende Rechtslage für Meinungsäußerungen in der Türkei auch nicht. Und Frankreich erlebte keinen Militärputsch, keinen Bombenangriff  mit Kampfjets auf seinen Präsidenten. Nur ein paar Anschläge, wie sie in den Protektoraten der Nato (Afghanistan, Irak, Libyen) für die Menschen zum elenden Alltag der Freien Welt gehören.