Anti-Piraten-Verschwörung? Wikileaks-Kinofilm „The 5th Estate“ verzögert

Gerd R. Rueger JAssangeBobby

Die deutsche Piratenpartei hat im vor zwei Wochen in Toronto angelaufenen Wikileaks-Streifen „The 5th Estate“ ihren großen Auftritt. Bringt man den Hollywoodfilm erst so spät ins deutsche Kino, um die Piraten ihrer letzten Chance zu berauben? Ansonsten liefert die Filmindustrie darin erneut Propaganda gegen Julian Assange, orientiert am Wikileaks-Abtrünnigen Domscheit-Berg: Ein Film über Mozart aus Sicht von Salieri?

Redakteure des Bertelsmann-Blattes „Spiegel“ durften „The 5th Estate“ vorab sehen und plauderten vor zwei Wochen in ihrer Gazette aus dem Nähkästchen. Da der „Spiegel“ selbst an der Seite von Guardian und New York Times in die Wikileaks-Affäre verstrickt war, ist natürlich keine objektive Bewertung von ihnen zu erwarten. Doch sie berichten, dass auf Rat des Piratenpartei-Funktionärs Domscheit-Berg die deutsche Hackerszene in dem Film großflächig im Piraten-Shirt dargestellt wurde. Unerwünschte „Parteien-Werbung“ für die deutsche Filmindustrie?

„Als die Kostümabteilung nachfragte, was man im Milieu denn so trage, empfahl Domscheit-Berg ihnen ein paar T-Shirts. So kommt es, dass im Film immer wieder Leute mit Hemden der deutschen Piraten durchs Bild laufen und Werbung für die Partei machen. Die Stelle seiner Loslösung, in der Daniel Brühl in der von uns gesehenen Fassung im Piraten-Outfit symbolisch WikiLeaks zerstört, ließ Domscheit-Berg nachbearbeiten. Wenn der Film in die Kinos kommt, soll Brühl ein einfaches schwarzes Shirt tragen. Ein Pirat, der WikiLeaks ruiniert, das wäre den Parteifreunden wohl doch sauer aufgestoßen.“ „Spiegel“ 9.9.2013, S.129

„Spiegel“: Uncooler Unsympath Domscheit-Berg

Ex-„Spiegel“-Informant Domscheit-Berg kommt auch ansonsten eher nicht gut weg im „Spiegel“, der Domscheit-Berg mit WL_LogoDomscheit-Berg-Darsteller Brühl vergleicht:

„Anders als der echte Domscheit-Berg, der unter Druck gelegentlich flatterte und dem die Bühne der Weltpolitik irgendwann zu groß erschien, bleibt Brühl auf der Leinwand stets cool und sympathisch.“ (S.128)

Cool und sympathisch ist also nur der Heldendarsteller Brühl, „bei dem man gar nicht anders kann, als ihn zu mögen.“ Domscheit-Berg mögen die Bertelsmann-Redakteure offenbar nicht, gestehen dem als Naivling hingestellten Hacker aber immerhin Einsatz für Transparenz und Basisdemokratie zu:

„Der echte Domscheit-Berg ist ein mitunter etwas unbedarfter, aber leidenschaftlicher Anhänger von Transparenz und Basisdemokratie, der a zeitweilig bedingungslos verfiel und sich das Logo von WikiLeaks auf den Rücken tätowieren ließ.“ (S.127)

Soviel Glück hat Julian Assange nicht. Doch sogar bei seinen schlau lavierenden Ex-Verbündeten vom „Spiegel“ hört man heraus, dass „The 5th Estate“ in der Dämonisierung des Wikileaks-Gründers fast übers Ziel hinaus geschossen ist.

„Am Ende grinst er diabolisch in die Kamera“

Vor allem gibt es nun im Film, so der „Spiegel“, einen moralischen Helden und einen schillernden Schurken. Dafür aber habe das Drehbuch verkürzt, vermengt, Figuren neu montiert und sich auf die Perspektive derjenigen verlassen, die sich mit Assange überworfen haben, zuallererst Domscheit-Berg. Assange werde zuweilen „geistig abwesend wie ein Psychopath“ dargestellt, und „am Ende grinst er diabolisch in die Kamera“ (S.129) Ob das den Film nun zu einem Propaganda-Streifen gegen Assange macht, fragen sich die Spiegel-Schreiber nicht. Sie schwelgen lieber in den diffamierenden Details und ergötzen sich an ihrer eigenen vermeintlich objektiven Filmanalyse. Statt die Motive der Hollywood-Filmer beim Umgang mit dem von den USA politisch verfolgten Hacker zu ergründen und kritisch zu reflektieren, ergehen sie sich in Blabla und eitlem, pseudokritischen Wortgeklingel:

„Aus Assange hat Hollywood dagegen vor allem im letzten Drittel des Films eine Art Fürst der Internetfinsternis konstruiert, der keine Freunde, nur Untergebene kennt und dessen Zaubersprüche aus verschlüsselten Algorithmen bestehen.“ (S.128)

Von einer Selbstkritik ihrer eigenen Zunft, der Journaille ist natürlich gar nichts zu bemerken. Im Gegenteil. Auch diese Filmkritik nutzen sie, um ihre Anteile am Wikileaks-Drama noch einmal zu vertuschen.

„Spiegel“ verhaspelt sich beim Abstreiten

Für die Bemäntelung der zwielichtigen Rolle der Journaille in der Wikileaks-Affäre 2010 erfanden die Medien tausendundeine Lügengeschichten. In seiner Filmkritik verstricken sich die Star-Schreiberlinge in Widersprüche, wenn sie über den Herbst 2011 schreiben:

„WikiLeaks hatte damals gerade die unbearbeiteten 250000 Depeschen des am Außenministeriums ins Netz gestellt. Der „Spiegel“, die NYT und der „Guardian“ hatten vor den Veröffentlichungen vereinbart, Informanten zu schützen und Klarnamen gefährdeter Personen zu schwärzen. Assange entschied sich anders“ (S.127)

Für die Freischaltung der Depeschen-Datei wird wie üblich, alle Schuld von den verantwortlichen Guardian-Redakteuren (die das Passwort in ihrem Buch publizierten) auf Julian Assange abgewälzt. Die dümmliche Begründung der Top-Journaille damals: Sie hätten gedacht, Wikileaks-Hackergenies hätten die Daten schon irgendwie besser geschützt. Im Bestreben, doch auch an Domscheit-Berg herumzumäkeln, kommt jedoch zwei Seiten weiter eine interessante Passage:  Im Film, meint der „Spiegel“, wird Domscheit-Berg „zur moralischen Instanz“ hochgejubelt. Aber zu Unrecht, wie die Autoren Marcel Rosenbach und Holger Stark nun behaupten, die damals selbst auf Medienseite mit Domscheit-Berg verhandelten:

„Sein reales Vorbild indes verriet einem Journalisten, wie eine im Internet kursierende Datei mit den Depeschen zu entschlüsseln sei. So konnten erstmals alle Papiere unbearbeitet nach außen dringen, inklusive der Namen vieler Informanten.“ (S.129)

Das war auch wieder halb gelogen: Denn auch der damalige Wikileaks-Vize Domscheit-Berg trug nicht die Verantwortung dafür, dass Top-Journalisten dermaßen dämlich waren, das Depeschen-Passwort ungeschwärzt und ungekürzt im Klartext in ein Buch zu drucken. Später wusste keiner mehr, wann irgendein gelangweilter Nerd den Code aus dem Bestseller ausprobieren würde. Domscheit-Berg hatte es nur als erster wieder einem Journalisten gesteckt: Die Juwelen hängen im Kronleuchter.

Interessant ist aber hier, dass Rosenbach und Stark ein Ereignis hier zweimal unterschiedlich darstellen –und zwar so, als ob es zwei Ereignisse gewesen wären: Einmal schieben sie die Schuld Assange zu (S.127), einmal Domscheit-Berg (S.129). Nur sie selbst, die Top-Journaille, die es eigentlich verbockt hatte, steht im „Spiegel“ mal wieder unschuldig da wie ein Säugling. Doch das Diffamierer-Duo Rosenbach/Stark setzt noch einen drauf:

„Spiegel“ steht zu Hetzfilm ‚We Steal Secrets‘

Das Bertelsmann-Blatt steht ansonsten treu zum Guardian und seinem Anti-Assange-Hetzfilm: „Anders als der Dokumentarfilm ‚We Steal Secrets‘ von Alex Gibney, der im Juli anlief, erhebt ‚Inside WikiLeaks‘ indes nicht den Anspruch eine objektive Chronik der Ereignisse zu liefern“, schwadronieren die Spiegel-Schreiber, „die als Nebenfiguren auftauchenden „Spiegel“-Redakteure Marcel Rosenbach u.Holger Stark“, auf S.129 ihrer Filmkritik, dabei wissen sie es besser. In der Guardian-nahen feindselig-hetzerischen “Dokumentation” Wikileaks – Secrets and Lies war Julian Assange übel hereingelegt worden: Aus einem mehrstündigen Interview hatten sie nur ein Minuten heraus geschnippelt, die ihn in ein besonders negatives Licht rückten -und diese O-Töne dann heimtückisch so zwischen einen Schwall von Verleumdungen und Diffamierungen platziert, dass Julian am Ende als Ungeheuer dargestellt wurde. Der Assange-Gegner Domscheit-Berg wurde dagegen freundlich dargestellt und kam ausführlich mit seiner Sicht zu Wort. Nun darf Hollywood seine Sicht noch einmal als Spielfilm-Aufguss präsentieren.

Film über Mozart aus Sicht von Salieri

Der Film „The 5th Estate“ betrachtet Wikileaks hauptsächlich durch die Augen von Daniel Domscheit-Berg, eines frühen Daniel Domscheit-Berg at 26C3.jpgMitstreiters und späteren Gegners von Julian Assange. Wikileaks-Gegner Daniel Domscheit-Berg sagte sich 2010 unter dem Druck der US-Regierungs-Propaganda von Julian Assange los und gründete sein Konkurrenz-Projekt OpenLeaks. Sein vorschnell mit viel Trara ins Leben gerufenes “Openleaks” hat nach drei Jahren immer noch keine nennenswerten Enthüllungen präsentieren können, doch er fand eine neue Heimat bei den Piraten.

Für sein bei der Propagierung von “Openleaks” an den Tag gelegtes Verhalten wurde Domscheit-Berg aus dem Chaos Computer Club (CCC) ausgeschlossen, der Hacktivisten-Vereinigung, in der er Julian Assange kennen gelernt hatte. Der CCC fühlte sich von Domscheit-Berg auf ethisch fragwürdige Art für das “Openleaks”-Projekt taktisch missbraucht.

Antonio Salieri (1750-1825) war Kapellmeister der italienischen Oper. Über Paris kam Salieri 1788 nach Wien, wo er als Joseph Willibrod Mähler 001.jpgkaiserlicher Hofkapellmeister Karriere machte. Als Komponist konkurrierte er mit dem sechs Jahre jüngeren, von der etablierten Gesellschaft allseits angefeindeten Jahrhundert-Genie Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791). Der mäßig begabte Salieri gönnte Mozart nicht das schwarze unterm Fingernagel und ist in der Musikgeschichte ausschließlich wegen seiner Intrigen gegen Mozart bekannt.

„Der Name Antonio Salieri ist in der Musikgeschichte mit dem von Wolfgang Amadeus Mozart eng verknüpft. Ihm wird ein Großteil der Schuld an dessen wirtschaftlicher Erfolglosigkeit zur Last gelegt. Es dürfte richtig sein, daß er die Bedeutung des Konkurrenten erkannte und fürchtete und daher manche Intrige gesponnen hat.“ Propyläen Komponisten Lexikon Bd.4, Berlin 1989, S.590 (Eintrag Salieri umfasst drei Absätze, der des jung verstorbenen, in einem Armengrab beigesetzten W.A.Mozart erstreckt sich über 24 Seiten).

Journaille sieht alt aus in „The 5th Estate“

Was dem „Spiegel“ wohl am wenigsten an „The 5th Estate“ von Filmemacher Condon gefällt: Die Journaille kommt nicht so gut weg, wie sie sich selber immer darstellt.

„Klassische Journalisten spielen nur eine Nebenrolle, sie sind für Condon die Steigbügelhalter für Assange zunächst atemberaubenden Aufstieg.“ (S.128)

Aha. Sie wären gerne mehr gewesen. Waren sie aber nicht. Im Gegenteil: Anfangs versuchten sie andauernd die Lorbeeren für Enthüllungen immer ausschließlich für sich selbst einzustreichen. Erst als Wikileaks Fakten nur noch gegen verbindliche Zusage einer wahrheitsgemäßen Quellenangabe herausgab, bequemten sie sich zur kurzen Erwähnung. Und erst als der durchschlagende Erfolg der Wikileaks-Eigenproduktion „Collateral Murder“ das sensationsgeile, aber die Mächtigen meist schonende, im fadenscheinigen Blabla endende Gefasel der Journaille alt aussehen ließ, wurde Wikileaks der Öffentlichkeit ein Begriff. Der Film würdigt dies immerhin ansatzweise, was die Spiegler, wenn auch mühsam verschwafelt, zugeben:

„‚Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er für sich spricht‘, zitiert der Film Oscar Wilde. ‚Gib ihm eine Maske, dann wird er dir die Wahrheit sagen‘ Assange ist der Maskenverleiher dieser Revolution. Der erste Vertreter einer neuen ‚Fünften Gewalt‘, eine Gatekeeper für Informationen, der Entscheidungen nach Gutdünken fällte.“

Condon und sein Drehbuchautor Josh Singer gehe es aber um mehr als WikiLeaks, dieses sei „für ihn Ausdruck einer neuen Epoche. Es geht um die Idee des Informanten im Herzen der Bestie, der –scheinbar perfekt geschützt durch moderne Technologien– aus der Anonymität heraus über die Verbrechen der herrschenden Klasse zu berichten weiß.“

Den Spieglern gefällt dies offenbar weniger, sehen sie sich doch selbst in Heldenpose –und sie waren nicht die ersten im Mainstream-Medienbetrieb, die verschnupft aus einem Kontakt mit Julian Assange herauskamen: Schon der Hauptdarsteller Cumberbatch machte im Vorfeld der Dreharbeiten so sein Erfahrungen.

Cumberbatch: ‘Julian Assange refused to meet me’

Der britische Schauspieler Cumberbatch spielt den Wikileaksgründer im geplanten Film The Fifth Estate. Nach Unterzeichnung seines Filmvertrags für die Assange-Rolle wollte Cumberbatch  den Starhacker studieren, um an einer möglichst ähnlichen Darstellung zu arbeiten. Aber der “berüchtigte Internet Hacker ” (Starpost) weigerte sich, ihn zu treffen. Was für ein Skandal! Darf sich eine öffentliche Person heute noch dem Starkult der Hollywood-Kulturindustrie entziehen? Julian Assange wurde von einem Heer gleichgeschalteter Medienarbeiter und pseudointellektueller TV-Psychologen immer wieder pathologischer Geltungsdrang, Egomanie und sogar Narzißmus angedichtet. Der als Sherlock-Holmes-Darsteller berühmt gewordene Mime drückte seine Enttäuschung, wenn nicht Empörung aus, von Julian Assange zurück gewiesen worden zu sein: “Julian Assange refused to meet me“. Cumberbatch behauptete in einem Promi-Magazinchen, er wolle Assange nicht zum Narren machen, sondern eine faire Darstellung abliefern. Was jetzt über den Film bekannt wurde sagt jedoch das Gegenteil: Cumberbatch lässt Assange als dämonischen Antihelden dastehen, macht sich zum Büttel der Propaganda-Industrie.

Wikileaks: Theater ließ Filmindustrie weit hinter sich

Eine vermeintlich alte Kunstgattung hat die Filmindustrie bei der Arbeit mit dem Wikileaks-Stoff  ohnehin schon lange überholt: Das Bühnentheater. Mit “Assassinate Assange” hat Angela Richter in den Kulturbetrieb transferiert, sicher finanziell nicht so lukrativ wie es die Hollywood-Kulturindustrie plant, aber dafür vermutlich origineller und für Wikileaks weniger unangenehm. Wikileaks drang damit erstmals in die sogenannte “Hochkultur” ein, wo betuchte Herrschaften und die kulturellen Bohemiens (meist die rebellierenden Sprösslinge betuchter Herrschaften) gemeinsam die Real-Life-Eventkunst des Bühnentheaters genießen können. Für die Massen gibt es dagegen Kino und Fernsehen. Julian Assange zeigte sich der Kultur zugeneigter als der Kulturindustrie: Er traf sich mit Angela Richter und hatte sogar einen multimedialen Auftritt in ihrem von der Kritik der Mainstream-Medien wenig beachteten Bühnenwerk.

Quelle:

„Spiegel“ Nr.37, 9.9.2013, Enthüllte Enthüller, Marcel Rosenbach u. Holger Stark, S.126-129