Tunis im Terror

Gerd R. Rueger TunisiaDemonstrants

Tunis. Nach dem Terrorangriff auf das Nationalmuseum stehen dem Land der Jasminrevolution kritische Zeiten bevor. Vor  touristischen Einrichtungen wurden weitere Einsatzkräfte stationiert, die Terrorismusbekämpfung ist in Alarmbereitschaft. Die Kulturministerin kündigt tapfer die Wiedereröffnung des Museums schon für diese Woche an. Nationale und islamische Kräfte in der Regierung streiten über Verantwortung. Wer schickte die drei Terroristen, deren Jüngster erst 17 Jahre alt war?

Nach dem Terrorangriff auf das Bardo Nationalmuseum am Mittwoch, bei dem 20 ausländische Touristen und drei Tunesier getötet wurden, stehen dem Land der Jasminrevolution kritische Zeiten bevor. Die Regierung von Habib Essid verstärkte nach dem Attentat die Sicherheitsvorkehrungen, vor Regierungsgebäuden und touristischen Einrichtungen wurden weitere Einsatzkräfte stationiert, die der Terrorismusbekämpfung in Alarmbereitschaft versetzt. Die Frage, die alle bewegt, aber die noch keiner beantworten kann: Wer steckte hinter dem Anschlag?

Präsident Béji Caïd Al-Sebsi

Kulturministerin Latifa Lakhdhar kündigte tapfer die Wiedereröffnung des Museums unter strengen Sicherheitsvorkehrungen schon für diese Woche an. Dennoch scheint fraglich, ob die tunesische Regierung der nationalen Einheit Bestand haben wird. Die der 2011 gestürzten Diktatur von Ben Ali nahestehende Partei Nidaa Tounes (Ruf Tunesiens) hatte die Parlamentswahl im Herbst vergangenen Jahres zwar gewonnen, sich jedoch zu einer Koalition mit der Ennahda-Partei durchgerungen. Tunesiens Präsident Béji Caïd Al-Sebsi, Mitbegründer von Nidaa Tounes, warf der Ennahda vor, in der Phase vor den jüngsten Wahlen nicht entschieden genug gegen den islamistischen Extremismus im Land vorgegangen zu sein. Damals hatte die islamistische Ennahda Regierung und Parlament dominiert und Islamisten hatten in der Gesellschaft Rückenwind verspürt.

Identität der Geiselnehmer bestätigt

Die Behörden bestätigten inzwischen die Identität der beiden Geiselnehmer, die sich nach ihrem Angrifftunisia-flag-svg auf vor dem Bardo-Museeum stehende Touristenbusse im Inneren des Museums verschanzt hatten und bei der Stürmung des Gebäudes durch Spezialeinheiten der Polizei getötet wurden. Die Attentäter Yassine Abidi und Hatem Khachnaoui seien tunesische Staatsbürger, in tunesischen Moscheen von radikalislamistischen Gruppen für den Krieg im Nachbarland Libyen rekrutiert und dort in Lagern des libyschen Ablegers der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) ausgebildet worden.

Footage from security camera of three suspected gunmen, credit: Ministry of Interior

Dritter Attentäter? Die Amokläufer passieren ihn friedlich

Derzeit fahnden die Behörden immer noch nach einem möglichen dritten Attentäter, sichtbar auf einem Überwachungsvideo. Die beiden Amokschützen laufen friedlich an ihm vorbei. Ein Komplize? Ein alter Bekannter oder Freund, den sie verschonen wollten? Bislang seien laut Innenministerium mehr als zehn Verdächtige festgenommen worden, die direkt oder indirekt in den Anschlag verwickelt waren. In einem Interview hatte Al-Sebsi am Samstag Defizite eingeräumt. Polizei und Geheimdienste seien »nicht systematisch genug« vorgegangen, um die Sicherheit des Museums zu gewährleisten.

IS bekannte sich

Der IS bekannte sich am Donnerstag zu dem Anschlag -kann man das ernst nehmen? Tunesiens Regierungschef Habib Essid sagte, Abidi sei vom Geheimdienst nach seiner Rückkehr nach Tunesien überwacht worden. Aber konkrete Anhaltspunkte für eine von ihm ausgehende Gefahr habe es  nicht gegeben. Eine der größten in Tunesien und Libyen operierenden Terrorgruppen, Ansar Al-Scharia, hatte sich im Herbst dem IS angeschlossen. Die Gruppe sendete zuletzt jedoch widersprüchliche Signale bezüglich ihres Bündnisses mit der hauptsächlich im Irak und in Syrien wütenden Terrormiliz.

Bereits zwei Tage vor dem Anschlag war das tunesische Innenministerium am Montag gegen mehrere angebliche Terrorzellen im Land vorgegangen und hatten mindestens 22 Menschen verhaftet. Nach offiziellen Angaben seien zudem weitere zehn Tunesier bei dem Versuch festgesetzt worden nach Libyen auszureisen, um sich islamistischen Milizen anzuschließen. In einer Stellungnahme des Ministeriums hieß es, libysche Terrornetzwerke würden eng mit tunesischen Terroristen kooperieren und mehrere Ausbildungscamps in Libyen unterhalten. In den Medien kursieren erschreckende Angaben über die Anzahl der Tunesier, die sich dem IS angeschlossen haben sollen. Insgesamt 3.000 sollen es sein. Tunesische Behörden gehen aktuell von rund 500 Rückkehrern aus.

Tunisia Mutterland der Jasminrevolution

Bislang konzentrierten sich die Anschläge von Ansar Al-Scharia in Tunesien jedoch auf staatliche Einrichtungen im Süden des Landes. Anschläge auf Touristen sind für derartige Gruppen allerdings nicht neu, sie beabsichtigen damit, Regierungen politisch und wirtschaftlich zu destabilisieren und in der Folge ihre Rekrutierungsmöglichkeiten zu erweitern. Tunesien ist stark vom Tourismus abhängig, der mit rund zwölf Prozent zur Wirtschaftsleistung des Landes beiträgt. Zudem könnte der Konkurrenzkampf zwischen dem IS und dem Terrornetzwerk Al-Qaida bei dem Anschlag am Mittwoch eine Rolle gespielt haben. Nachdem er jüngst seinen Einfluss in Libyen gesteigert hat, kann der IS nun auch einen öffentlichkeitswirksamen Anschlag im Herzen Tunesien für sich verbuchen – und kommt damit seinem Ziel, Al-Qaida in Nordafrika den Rang abzulaufen, einen Schritt näher.

Neue Regierung in Tunesien: Ausreisesteuer und alte Seilschaften

Gerd R. Rueger tunisia-flag-svg

Tunesiens neuer Staatschef Essid kündigte an, die politisch motivierten Morde in der Vergangenheit, insbesondere an Lotfi Nagdh, Chokri Belaid und Mohamed Brahmi, lückenlos aufzuklären. Generalstreiks und Unruhen flackern dennoch wieder auf -auch wegen einer „Ausreisesteuer“.

Nach den Wahlen die schwierige Regierungsbildung: In Tunesien hatten sich die Parteien auf eine Koalition geeinigt. Sie ernannten das neue Kabinett unter Ministerpräsident Habib Essid aus säkularen Politikern und Mitgliedern der gemäßigten Islamisten-Partei Ennahda. Doch eine „Ausreisesteuer“ entfachte Unruhen: Generalstreik in Tataouine, die Sicherheitskräfte schockieren mit Horrormeldungen: Islamistische Terroristen sickern aus Syrien ein.

In Tataouine, dem größten Verwaltungsbezirk Tunesiens, hatten mehrere Gewerkschaften zu einem Generalstreik aufgerufen. Sie protestierten damit gegen eine sogenannte Ausreisesteuer und die Tötung eines Demonstranten bei Protesten gegen diese Abgabe. Am Wochenende war es dann in der Stadt Dahibah zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen. Die Ausreisesteuer, die vor allem einfache Bürger belastet, hatte den Handel in der Grenzregion zu Libyen fast zum Erliegen gebracht.

“Wir sind uns bewusst, dass diese Regionen lange Zeit an den Rand gedrängt wurden”, so der Gouverneur von Tataouine, Saber Mednini. “Und dass die Menschen in Dahibah besonders vom Handel mit Libyen leben. Als diese verstanden, dass das Gesetz für sie gilt, waren sie sehr verunsichert wegen der Steuer.” Die letzte Woche eingesetzte neue tunesische Regierung versprach, sich um die Menschen in der betroffenen Region kümmern zu wollen. So soll die Ausreisesteuer noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden, eine Kommission soll den Tod des Demonstranten untersuchen.

Bedrohung von außen

Dazu kommt die Bedrohung von außen: Sogenannte „Islamisten“ wollten angeblich Anschläge auf Regierungsgebäude und Sicherheitseinrichtungen unter anderem in Tunis verüben. 32 Verdächtige wurden festgenommen, viele kehrten angeblich kürzlich aus Syrien zurück. Die tunesischen Sicherheitsbehörden behaupten, eine Reihe von schweren Anschlägen auf Regierungsgebäude und zivile Ziele in dem nordafrikanischen Land verhindert zu haben. Ein Sprecher des Innenministeriums erklärte am letzten Samstag, es seien 32 radikale Islamisten festgenommen worden, die „spektakuläre Angriffe“ in der Hauptstadt Tunis und anderen Städten des Landes geplant hätten.

Unter anderem hätten das Innenministerium, Einrichtungen der Sicherheitskräfte und zivile Gebäude angegriffen werden sollen. Ein Teil der Festgenommenen seien Rückkehrer aus Syrien, die sich zuvor dort auf Seiten der Islamisten am Bürgerkrieg beteiligt hätten. Der Kampf gegen den Terrorismus und die öffentliche Sicherheit stehen mit an oberster Stelle für die neue Führung. Essid versprach eine Verstärkung des Zolls, den Kampf gegen die organisierte Kriminalität und eine bessere Zusammenarbeit bei der Grenzsicherung mit den Nachbarländern.

Regierungsbildung mit Schwierigkeiten

Mit großer Mehrheit hatte das tunesische Parlament der Regierung von Habib Essid das Vertrauen ausgesprochen. 166 Parlamentarier stimmten mit Ja, 30 mit Nein, acht enthielten sich der Stimme. Damit ist vier Jahre nach der Jasminrevolution von 2011 der Weg frei für eine stabile demokratische Regierung. Zur Regierungsmehrheit des parteilosen Ökonomen Habib Essid tragen die säkulare Partei Nidaa Tounes mit 86 Sitzen, die gemäßigt islamistische Partei Ennahda mit 69 Sitzen sowie die Union Patriotique Libre (UPL) mit 16 Sitzen und die liberale Partei Afek Tounes mit acht Sitzen bei. Essid kündigte an, die politisch motivierten Morde in der Vergangenheit, insbesondere an Lotfi Nagdh, Chokri Belaid und Mohamed Brahmi, lückenlos aufzuklären.

Nach der Regierungsbildung in Tunesien waren neben Erleichterung auch kritische Stimmen unüberhörbar. Vor allem die Einbeziehung der islamistischen Ennahda-Partei stößt im säkularen Lager auf Unverständnis, Nidaa-Wähler fühlten sich um ihre Stimme betrogen. Den Wahlsieg verdankte die säkular-konservative Nidaa Tounes Partei der Unzufriedenheit der Tunesier mit der Regierungsarbeit von Ennahda. Durch die Vergabe von Regierungsämtern genießt die neue Regierung zwar breite parlamentarische Unterstützung, doch fehlt ihr die für eine junge Demokratie so wichtige Opposition, so Emna Menif, der Präsidentin der Bürgerbewegung „Kolna Tounes“ („Wir alle sind Tunesien“). Dabei vergisst sie jedoch die Front Populaire: Die Front Populaire ist ein Zusammenschluss mehrerer Parteien und Organisationen, die sich im August 2012 gegründet hat. Ihre Ziele sind insbesondere

  • Demokratie und Menschenrechte;
  • die Trennung von Religion und Politik;
  • der Aufbau einer nationalen, unabhängigen, ausgewogenen Wirtschaft, die die Souveränität der Bevölkerung über die Reichtümer des Landes sicherstellt, ein effektives Wachstum für alle Regionen gewährleistet und auf einer gerechten Verteilung der Reichtümer beruht, sodass die grundlegenden Bedürfnisse der Bevölkerung in materieller und geistiger Hinsicht befriedigt werden;
  • die Annullierung öffentlicher Schulden auf der Grundlage einer sorgfältigen Überprüfung der von früheren Regierungen eingegangenen Kreditverträge sowie
  • der Aufbau eines demokratischen und einheitlichen Schulsystems für alle.
Strukturreformen??

Der neue Staatschef Essid kündigte dagegen „Strukturreformen“ an, was hoffentlich nicht dem Wortschatz des IWF entliehen ist. Essid will vielmehr den Bedürfnissen der Jugendlichen gerecht werden, gegen den unkontrollierten Anstieg der Preise und den Schwarzhandel vorgehen. Weit oben auf der Liste stehen auch das Müllproblem und die Umweltverschmutzung. Zudem soll die monatliche Unterstützung für 230000 bedürftige Familien um 30 Dinar (15 Euro) auf 150 Dinar angehoben werden.

Die Regierung hat sich ohnehin viel vorgenommen angesichts des Vakuums, das durch die diversen Übergangsregierungen seit der Revolution 2011 entstanden ist. Im Prinzip muss alles reformiert werden – das Unterrichtswesen, die Investitionsgesetze, das Justizwesen, die regionale Entwicklung, um vor allem das Nord-Süd-Gefälle im Lande auszugleichen. Auch Künstlern und Kunsthandwerkern sagte der Ministerpräsident Unterstützung zu. „Die Verwaltung darf kein Hindernis sein“, sagte Essid in seiner Rede, sie müsse die Dinge vielmehr erleichtern.

Sieg der Vernunft? Wahl in Tunesien 2014

Gerd R. Rueger, Tunis/Sfax

Tunis. Die Bekanntgabe vorläufiger Ergebnisse der am Sonntag abgehaltenen Parlamentswahl durch die Wahlkommission ISIE zögerte sich immer weiter hinaus. Eine bereits am Morgen angekündigte Pressekonferenz wurden mehrfach verschoben. Sieger ist die säkulare Allianz Nidaa Tunis, die auch alte Ben Ali-Komplizen aufstellte.

Die Kommission hat bis zum 30. Oktober Zeit, das Endergebnis bekannt zu geben. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 62 Prozent und die Wahl verlief weitgehend friedlich. Vorher waren mögliche Anschläge der salafistischen Terrorgruppe Ansar al-Scharia befürchtet worden, die nicht nur in Libyen, sondern auch in Tunesien agiert.

Der Europarat lobte den Ablauf der ersten Parlamentswahl in Tunesien seit dem Arabischen Frühling. Die Wahl am Sonntag sei „ordentlich“ und auf der Grundlage der neuen Verfassung des Landes verlaufen, betonte der Generalsekretär des Rates, Thorbjørn Jagland. Zu ausländischen Versuchen, die Situation in Tunesien durch einsickernde Islamisten zu destabilisieren, äußerten die Europäer sich nicht.

Das vorläufige Endergebnis war noch nicht bekannt gegeben, da räumte Yusra Ghannouchi, die Sprecherin der Islamistenpartei Ennahda („Wiedergeburt“),  ihre Niederlage ein. Gewinner der Wahl wird die säkulare Parteien-Allianz Nidā’ Tūnis („Ruf Tunesiens“) sein. Der schlechte Ruf des Islamismus und die heikle Bündnispolitik mit alten konservativen Kräften noch aus der Zeit der Diktatur Ben Alis brachte der breiten Allianz den Sieg.

Die Ennahda, die bei der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung 2011 noch 89 von 217 Sitzen gewann und das Land bis 2013 regierte, kommt vermutlich nur auf 28 bis 31 Prozent und höchstens 68 Sitze. Die sozialdemokratische Ettakatol, die 2011 mit der Ennahda koaliert hatte, wird mit in den Abgrund gezogen und muss mit massiven Verlusten rechnen.

Beji Caid el Sebsi ist Vorsitzender von Nidā’ Tūnis. Foto: Guillaume Paumier. Lizenz: CC BY 3.0.

Der Ennahda-Funktionär Lotfi Zitoun appellierte bereits an den anscheinenden Wahlgewinner, zusammen mit seiner Partei eine „Regierung der Einheit“ zu bilden, die seinen Worten nach dem „Interesse des Landes“ am besten gerecht würde. Ein anderer mögliche Koalitionspartner der Nidā’ Tūnis wäre die Partei des Oligarchen Slim Riahi, die mit Popkonzerten für sich warb und überraschend stark abschnitt, so tp.

Sieger: Die Allianz Nidaa Tounès

Nidaa Tounes supporters wave party flags on election night. Photo: Nidaa Tounes official Facebook pageMourakiboun, die tunesische Wahlbeobachterorganisation, ging gestern davon aus, dass die Allianz Nidaa Tounès auf 37,1 Prozent der Stimmen kommen wird, während auf die islamistische Ennahda 27,9 Prozent entfielen. Tunesische Medien berichteten unter Berufung auf Umfragen über einen ähnlichen Wahlausgang.

A preliminary ballot count published by Anadolus Agency revealed moderate Islamist party Ennahdha with 68 seats so far (31.33%) and 83 for Nidaa Tounes (38.24%) in the 217-seat assembly. Following the two leading parties are the United Patriotic Front with 17 seats, the Popular Front with 12 seats, Afek Tounes with 9, Democratic Current with 5, and the Initiative and Congress for the Republic parties with 4 seats each. TunisiaLife

Auf ihrer offiziellen Facebook-Seite verkündete Nidaa Tounès ihren Wahlsieg. „Wir haben gewonnen, lang lebe Tunesien“, hiess es dort. Parteichef Béji Caïd Essebsi hatte sich am Sonntagabend noch vorsichtig gezeigt und erklärt, es gebe Hinweise, wonach die Partei an der Spitze sein könnte.

Die islamistisch-gemäßigte Ennahda-Partei, die derzeit in der verfassunggebenden Nationalversammlung die Mehrheit hält, teilte mit, auf Platz zwei gelandet zu sein. Nidaa Tounès habe einen Vorsprung von etwa einem Dutzend Sitzen, erklärte Ennahda-Sprecher Zied Laadhari. Dies seien aber nur Hochrechnungen, betonte der Sprecher.

Der Unternehmer Slim Riahi hoffte auf einen Überraschungserfolg mit seiner neoliberalen Freien Patriotischen Union. Der 42-jährige ist Vorsitzender des beliebten Fussballvereins Club Africain in Tunis und tritt ausserdem bei der Präsidentenwahl am 23. November an.

Die Ennahda war 2011 aus der ersten freien Wahl nach dem Sturz von Zine el Abidine Ben Ali im Arabischen Frühling mit Abstand als stärkste Kraft hervorgegangen. Wenn das neue Parlament die Arbeit aufnimmt, kann die derzeitige Übergangsregierung von einer gewählten politischen Führung abgelöst werden. Mit der Wahl eines Präsidenten bis zum Jahresende soll der nach der Jasminrevolution eingeleitete Weg in die Demokratie abgeschlossen sein. Bis spätestens Februar soll das Kabinett arbeitsfähig sein. Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre.

Vorgeschichte: Urlaubsparadies Diktatur

Ab 1994 war Tunesien eine vom Westen anerkannte repräsentative Demokratie, die als in den Medien romantisiertes Urlaubsparadies viele Deutsche, Franzosen, Italiener ins Land locken konnte. Alle Wahlen erbrachten wundersamer Weise  Ergebnisse von bis zu über 90 Prozent der Stimmen für Ben Ali und seine Partei Rassemblement constitutionnel démocratique. Zuletzt war der prowestliche Präsident 2009 für weitere fünf Jahre bestätigt worden, weshalb die nächste reguläre Wahl 2014 stattfinden sollte.

Um den Jahreswechsel 2010/2011 stürzte jedoch der danach auch in Westmedien Diktator genannte Ben Ali durch die tunesische -mehr im Ausland als dort selbst- Jasminrevolution genannte Erhebung. Das Amt des Präsidenten wurde mit dessen Flucht am 15. Januar 2011 vakant und bis zu einer regulären Wahl interimistisch ausgefüllt. Zunächst war geplant, bereits wenige Monate darauf eine Präsidentschaftswahl abzuhalten. Da jedoch im Lauf der Revolution die Verfassung außer Kraft gesetzt wurde, fehlten die Voraussetzungen für die Durchführung jeder Art von Wahlen. Der am 16. Januar bestimmte Interimspräsident Fouad Mebazaâ gab daher am 3. März bekannt, dass eine verfassunggebende Versammlung einberufen werden solle, die, verzögert, am 23. Oktober 2011 gewählt wurde und die innerhalb eines Jahres eine Verfassung erarbeiten sowie die Präsidentschafts- und Parlamentswahl organisieren sollte.

Es kam immer wieder zu Verzögerungen wegen ökonomischer Schwierigkeiten und politischer Verwerfungen, die sich im ersten Halbjahr 2013 durch die Ermordung der linken Oppositionspolitiker Chokri Belaid und Mohamed Brahmi zuspitzten. Die Wahlen, auf den 23. Juni 2013 angesetzt, wurden nach Protesten gegen die Regierung zuerst auf den 17. Dezember und dann ins Jahr 2014 verschoben, als die Regierung Ali Larajedhs Ende 2013 wegen des öffentlichen Drucks zurücktrat.

Als Gründe für das für Ennahda enttäuschende Abschneiden unter anderem den wirtschaftlichen Niedergang während der Regierungszeit der Partei und ihren Kuschelkurs im Umgang mit den Ansar al-Scharia-Extremisten. Als diese die beiden linksoppositionellen Politiker ermordeten, hatte sich Ennahda nach den massiven Protesten aus der Übergangsregierung verabschiedet und die Macht an ein Technokratenkabinett abgegeben.

Guide to Tunisian Parties

ENNAHDA – Originally founded in 1981 under the name of Islamic Tendency Movement by Rached Ghannouchi, who is still the party’s leader, Ennahda was subject to suppression under Ben Ali. Its leadership was exiled or jailed during the regime, including Ghannouchi who spent years in Britain. He returned to Tunisia after the revolution, and Ennahda became a legal party. The party won around 40 percent of the seats in Tunisia’s first transition assembly in the 2011 election and formed a coalition government with two smaller secular parties. Ghannouchi’s party was criticised by opponents for its economic management and for its laxity with hardline Islamists. But Ghannouchi was also seen as a more flexible Islamist leader who was able to compromise with rivals and end the crisis.

NIDAA TOUNES – Founded in 2012, mainly in reaction to the victory of Islamists after the revolution, Nidaa Tounes is an alliance that includes some former members of the Ben Ali regime, including party chieftain Beji Caid Essebsi. It is now the largest rival to Ennahda. Essebsi, 87, was a political figure in Tunisia since after the 1956 independence from France, a minister under Tunisia’s first President Habib Bourguiba, and a parliament speaker under Ben Ali. Nidaa Tounes presents itself as a modern movement best able to manage the problems of one of the Arab world’s most secular countries.

POPULAR FRONT – A coalition that includes dozens of smaller parties from the left-wing to nationalists as well as independent intellectuals. Founded in 2012, it presents itself as the third choice between Islamists and Nidaa Tounes. Its leader, Hamma Hammami, was also arrested by Bourguiba and Ben Ali, and is running as a presidential candidate. Two of its leaders Chokri Belaid and Mohamed Brahmi were assassinated by Islamist militants in 2013, triggering a political crisis that forced Ennahda-led government to step down.

REPUBLICAN PARTY – Formerly known as the Progressive Democratic Party or PDP, it changed its name after the revolution. Its leaders were among the most active in the 2011 uprising and were opponents of the Ben Ali regime. Its leader Ahmed Nejib Chebbi was a staunch foe of Ben Ali and was banned from running in 2009 elections during his regime. He participated in a national unity government in 2011.

INITIATIVE PARTY – A new party created after the revolution, the Initiative movement is led by Ben Ali’s former foreign and defence minister Kamel Morjane and is one of the three parties created by members of the old regime participating in the election. The party may do well in local areas where Morjane has influence. He was also a former diplomat in the United Nations. He says he apologised for his role in the Ben Ali regime, and believes his technocrat experience can be used to help Tunisia.

CONGRESS FOR THE REPUBLIC OR CPR PARTY – A secular, centre-left party created in 2011 by Moncef Marzouki, the current president of Tunisia. He was a human rights activist from 1989 to 1994, and a longtime opponent of Ben Ali. He was arrested several times under the former regime and sought exile in France for ten years before returning after the uprising. The CPR presents itself as a revolutionary party and opposes the return of former Ben Ali figures.

ETTAKATOL – A small Social-Democrat party founded in 1994 by medical doctor Mustapha Ben Jaafar. He was the head of the Tunisia assembly after the first election following the 2011 revolt, and Ettakatol were part of the coalition government led by Ennahda before they stepped down.

Tunesien: Selbstmordattentat auf den Tourismus

Außer dem Attentäter wurde niemand getötet oder verletzt. Der Mann mit Sprenggürtel hatte vergeblich versucht in ein tunisia-flag-svgHotel einzudringen –wer hat ein Interesse an der Destabilisierung Tunesiens? Gerade begann sich der Tourismus in Tunesien wieder etwas zu erholen. Doch dies gefiel offenbar bestimmten Machtgruppen nicht -ob wirklich nur „Islamisten“ als die üblichen Schurken dahinter stecken, wird von vielen Tunesiern bezweifelt.

Vor einem Hotel in der tunesischen Küstenstadt Sousse, einem beliebten Touristenzentrum an der Nordostküste, hat sich jetzt ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Verletzte über den Attetäter hinaus hat es zwar nicht gegeben, doch soll es zu einer Panik gekommen sein –keine gute Werbung für die instabile Demokratie nach der Jasminrevolution.

Tunesiens Tourismusindustrie ist gerade dabei, sich wieder zu erholen. 2011, im Jahr des Sturzes des Diktators Zine el-Abidine Ben Ali, ging die Besucherzahl von 6,7 Millionen (2010) auf 4,6 Millionen zurück. 2012 kamen schon wieder 5,9 Millionen Besucher. Für dieses Jahr zeichnete sich ab, wieder den Stand von 2010 zu erreichen –auch dank des Sozialgipfels. Rund sieben Prozent des tunesischen BIP und ca. 20 Prozent der Deviseneinnahmen kommen aus dem Tourismus. Das Hotelgewerbe bietet Besuchern Tunesiens über 240.000 Betten, 400.000 Tunesier arbeiten dort. Die Regierung will die Branche weiter auszubauen und künftig auch das Landesinnere dafür erschließen.

Doch Extremisten haben scheinbar andere Pläne –wer auch immer hinter ihnen steckt. Viele vermuten Dollars vom CIA bzw. US-Marionetten-Regierungen der Ölstaaten. Auch in Monastir, ganz in der Nähe von Sousse,  gab es einen Zwischenfall: Dort nahm die Polizei einen Mann fest, der sich angeblich am Grab Bourguibas in die Luft sprengen wollte. Habib Bourguiba war der erste Präsident des Landes nach der Unabhängigkeit von Frankreich und der Ausrufung der Republik im Jahr 1957. Bombenattentate in Tunesien bislang zum Glück selten. Seit dem NATO-Angriff auf  das Nachbarland Libyen sind jedoch militante Islamistengruppen eingesickert. Die Extremisten machten sich vermutlich das vom „humanitären“ Gemetzel der westlichen Bombardierungen hinterlassene Chaos in Libyen zunutze, um sich Waffen zu besorgen.

Dabei hat gerade der Nationale Dialog zwischen Regierung und Opposition begonnen, der das Land aus der politischen Krise führen soll. Ministerpräsident Ali Larayedh von der islamistischen Ennahda hatte versprochen, gemäß einem Zeitplan für den Nationalen Dialog zurückzutreten. Am Freitag übergab er nach Angaben der Ennahda eine entsprechende schriftliche Erklärung. Mit dieser Zusicherung erfüllte er eine Forderung der Opposition, die sich ohne schriftliche Erklärung einer Teilnahme verweigert hatte. Der von dem Vermittlerquartett ausgearbeitete Zeitplan sieht vor, dass Ali Larayedh drei Wochen nach Beginn des Nationalen Dialogs zurücktritt, also Mitte November. Larayedh hat inzwischen zwar seine Bereitschaft zum Rücktritt bekräftigt, aber zum keinen konkreten Zeitpunkt genannt. Tunesiens Parteien ist es bislang nicht gelungen, sich über eine Übergangsregierung zu einigen. Im Verlauf der Debatten, die seit dem 25. Oktober im Gange sind, sind die Ennahda und die Opposition übereingekommen, dass sich mit der Auswahl des künftigen Premiers eine Kommission beschäftigen soll. Weiterer Terror würde den Einigungsprozess torpedieren, ohne einer Seite Vorteile zu bringen.

Schüsse in Tunis: Salafisten gegen Polizisten

Gerd R. Rueger 19.05.2013 tunisia-flag-svg

Tunis. Der Kongress der Bewegung Ansar Asharia wurde verboten, Salafisten versammelten sich dennoch: Sicherheitskräfte feuern Warnschüsse ab. Wie zu erwarten war, haben sich Anhänger der Salafisten-Bewegung Ansar Al-Sharia und Sicherheitskräfte heute gewalttätige Auseinandersetzungen geliefert. Es flogen Brandsätze und es gab Verletzte sowie  einen Toten.

Zusammenstöße meldeten Reporter der Nachrichtenagentur AFP sowohl aus der Hauptstadt Tunis als auch aus Kairouan, 150 Kilometer südlich. In Kairouan wollten die Salafisten ursprünglich ihren Kongress abhalten. Nachdem das Verbot des Kongresses unter den Salafisten bekannt geworden war, rief Ansar Al-Sharia zu einem Treffen im Stadtteil Ettadhamen im Westen von Tunis auf. Hunderte Salafisten errichteten dort Straßensperren und warfen Steine. Die Sicherheitskräfte setzten dagegen Tränengas ein und mussten sogar Warnschüsse abfeuern. Die Polizei konnte der Lage nicht alleine Herr werden und rief Einheiten der Armee und der Nationalgarde zu Hilfe, meldet der Wiener Standard.

Die größte salafistische Gruppe des Landes, Ansar Al-Sharia, rebelliert gegen den ihrer Ansicht nach zu laschen Islamismus der Ennahda. Der Kongress, den Ansar al-Scharia in der zentraltunesischen Stadt Kairouan geplant hatte, wurde vom Innenministerium wegen fehlender Genehmigung verboten. Ennahda-Chef Raschid al-Ghannouchi äußerte öffentlich seine Unterstützung für das Verbot. Nachdem es jetzt deswegen Unruhen gibt, stärkt dies die Extremisten weiter -und natürlich den tunesischen Sicherheitsapparat.

Den Salafisten scheint es dabei weniger um Religion als um politische Macht zu gehen, wofür sie von Ultra-Konservativen aus Saudi-Arabien und Qatar bezahlt und gesteuert werden, glaubt man in Tunis. Doch die Salafisten finden Anhänger: Die TV-Berieselung durch Al Dschasira und die Verlockungen des Geldes aus Qatar zeigen Wirkung bei perspektivlosen jungen Arbeitslosen. In Tunesien spielen sich inzwischen Szenen ab wie in Mali, als in Timbuktu religiöse Schreine von Extremisten zerschlagen wurden.

Durch die zunehmende öffentliche Präsenz von Salafisten und anderen radikalen Islamisten konnte sich die regierende Ennahda immer mehr als gemäßigte Partei der Mitte profilieren. Doch dieser Prozess wurde durch die Ermordung des Oppositionspolitikers Belaid empfindlich gestört. Jetzt gewinnt die Regierungskoalition ihr gemäßigt-islamisches Profil im Kampf gegen die Salafisten teilweise zurück -ein Profil, welches ihr jedoch z.B. durch unmenschlich harte Urteile gegen angebliche Beleidiger des Islam, wie etwa den zu fünf Jahren Haft verurteilten Blogger Jabeur Mejri nicht leicht abzukaufen ist.

Zum Hintergrund aktuell:

Sfax: Kleptokrat Ben Ali erhält lebenslänglich

Salafisten, Ennahda und die Zukunft Tunesiens

Dr. Larbi Sadiki analysiert die 1981 gegründete Ennahda tunisia-flag-svg(n.autor. Übersetzg. e. Artikels v. Al Jazeera).
Gegründet wurde die Partei im universitären Umfeld als Mouvement de la Tendence Islamique (MTI, „Partei der Islamischen Ausrichtung“). Seit 1989 nennt sie sich Hizb an-Nahda („Nahda-Partei“). Durch die zunehmende öffentliche Präsenz von Salafisten und anderen radikalen Islamisten kann sich Ennahda als gemäßigte Partei der Mitte profilieren. Doch dieser Prozess wurde durch die Ermordung des Oppositionspolitikers Belaid empfindlich gestört.
Hintergrund:
Die Ennahda (arabisch ‏حركة النهضة‎, DMG Ḥarakat an-Nahḍa), die Nahda-Logo der EnnahdaBewegung, ist eine islamische Partei in Tunesien. Die Partei unter Führung von Rachid al-Ghannouchi bezieht sich mit ihrem Namen auf die arabische Nahda („Wiedererwachen“, „Renaissance“) des 19. Jahrhunderts, die sich um eine Verbindung der Werte des Islams mit der Moderne bemühte. Bei der jüngsten Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung am 23. Oktober 2011 erhielt sie als stärkste Partei 89 der 217 Sitze.
Bei den ersten freien Wahlen in der Geschichte des Landes wurden am 23.10.2011 die Mitglieder der Abgeordnetenkammer für eine Legislaturperiode von einem Jahr gewählt. Aufgabe der Verfassunggebenden Versammlung sollte sein, eine neue Regierung zu ernennen, eine neue Verfassung auszuarbeiten und die nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu organisieren.
Sitzverteilung:

  • Ennahda, 89 Sitze
  • Kongress für die Republik, 29 Sitze
  • Volkspetition, 26 Sitze
  • Ettakatol, 20 Sitze
  • Demokratische Fortschrittspartei, 16 Sitze
  • Demokratischer Modernistischer Block, 5 Sitze
  • Die Initiative, 5 Sitze
  • Afek Tounes, 4 Sitze
  • Kommunistische Arbeiterpartei Tunesiens, 3 Sitze
  • Kleinparteien und Unabhängige, 20 Sitze

Dr. Larbi Sadiki (University Exeter, UK) analysierte unter dem etwas despektierlich klingenden Titel „Tunisia: Still a democratic bellwether“ („Tunesien ist immer noch der Leithammel der Demokratie“) für Al Dschasira die gemäßigt-islamistische („islamische“) Ennahda (Nahda) Partei, die mit ihren beiden kleineren Koalitionsparteien CPR und Ettakatol  Tunesiens Regierung stellt.

Tunesien ist immer noch der Leithammel der Demokratie
Nahda’s (Ennahdas) Strategie zeigt -erstmals- politisches Geschick und revidiert grundlegend ihre Richtung. Tunesiens Demokratisierung ist wieder auf dem Weg, auch wenn dies nicht das Ende der Polarisation der islamistischen-laizistischen Spannung bedeutet. Es ist Nahdas Kompromissbereitschaft und die Rückkehr zur konstruktiven Verhandlungs-Politik, die für die Wiederaufnahme des Landes demokratischen Prozess Gutes verheißt, mehr als die neue Linie der Regierung, die auf die nächsten Wahl ausgerichtet ist. Einige Arbeit ist zwar schon vollbracht, aber es bleibt noch viel zu tun.
Insbesondere zwei miteinander verbundene Agenden erfordern Beachtung:  Erstens die Entwicklung einee „Neo-Nahda“, die sich selbst als politischer Pol in Tunesiens Politik stabilisiert und zweitens eine Wiederbelebung des demokratischen Übergangs. Letzteres durch Arbeit an der Verfassung, am Aufbau von Institutionen (Wahl-Committee), Wahlen und dringend mehr Aufmerksamkeit für die Wirtschaftslage zur Bekämpfung der steigenden Arbeitslosigkeit und schweren Leistungsbilanzdefizit.
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Eine „Neo-Nahda“ für das neue Tunesien

Die Lücke, die Premierminister Hamadi Jebali mit seinem Rücktritt hinterließ, hat Tunesiens politische Elite in ein Gerangel um Lösungen gestürzt. Es droht eine tödliche Sackgasse, die den Geburtsort des arabischen Frühlings erschüttert.
In erster Linie die Krise ein Weckruf für die islamistische Nahda Partei, jedenfalls wird die Partei nie wieder dieselbe sein wie vorher. Bei der Suche nach einer Lösung für die ausweglose Situation wurden die Samen einer neuen Nahda gesät.
Im Gespräch mit Freunden innerhalb der Partei zeigte sich sowohl die Tendenz zur Einheit,  jedoch ohne pluralistischen Verhaltensregeln zu untergraben, zwar diffuse Kohärenz, aber vielfältig und diszipliniert, um zentralisierte Macht zu bleiben. Der 130-köpfigen Beirat der Partei bemühte sich unzählige Male zu erläutern, wie zwar vorwärts gehen, aber dennoch die Partei auf Linie halten könne. Und das richtige Vorwärtsgehen bedeutet derzeit Folgendes:
  • 1. Bewahrung von Nahdas Einheit.
  • 2. Die Vorbereitung der Partei auf die nächsten Wahlen.
  • 3. Stabilisierung der Regierungs-Troika aus Nahda, dem sozialliberalen Congres pour la Republique (CPR) und der sozialdemokratischen Ettakatol-Partei, bei der verantwortungsollen Bewältigung der gegenwärtigen politischen Krise und der Aufgaben einer „Übergangsregierung“.
  • 4. Die Nahda zu einem permanenten Faktor in Tunesiens Übergang zur Demokratie machen. Eine gesunde und starke Nahda erhöht in einer noch schwächelnden politischen Landschaft die Wahrscheinlichkeit für einen glückenden Übergang zur Demokratie.
  • 5. Hart arbeiten, um politische Unruhen und Spannungen durch Kompromisse zu beruhigen.
Allerdings hat Nahda dieses neue Denken nicht ohne massive Lernprozesse, in erster Linie aus Fehlern, erreicht, um von ihren Konkurrenten, einschließlich Nida Tunis durchgeführt werden. Insbesondere legt Nahda weniger Aufmerksamkeit auf kurzfristige Gewinne und hat ihren Blick auf den demokratischen Prozess als Ganzes gerichtet. Die neue Linie der Regierung zeigt die Bevorzugung von Verhandlungen und Suche nach Kompromissen.

(…) ganzer Artikel auf Al Dschassira

Dr. Sadiki neigt zu einer optimistischen Sicht der Lage in Tunesien, vor allem der Ennahda-Regierung, was jedoch durch unmenschlich harte Urteile gegen angebliche Beleidiger des Islam, wie etwa den zu fünf Jahren Haft verurteilten Blogger Jabeur Mejri nicht einfach zu glauben ist. Es ist zu hoffen, dass seine Analyse der Reformfähigkeit der islamischen Bewegung ins Schwarze getroffen hat und die Regierung in Tunis den Versuchungen in Gewalt und Islamismus zu investieren oder das Land ausländischen Mächten wie Qatar auszuliefern, widerstehen kann.
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Dr. Larbi Sadiki, Senior Lecturer in Middle East Politics at the University of Exeter, for a double bill lecture on democratic transitions in Tunisia and Libya in The Middle East Institute.
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Dr. Larbi Sadiki lehrt Nahost-Politik an der Universität von Exeter (Großbritannien) und Autor von „Arab Democratization: Elections without Democracy“ (Oxford University Press, 2009), wo er im Vorwort den „aufgeklärten Despoten“ Habib Bourguiba preisen lässt, der 1987 von seinem Innenminister, dem späteren Diktator Ben Ali gestürtzt wurde, und „The Search for Arab Democracy: Discourses and Counter-Discourses“ (Columbia University Press, 2004).

Al Qaida in Tunesien

Gerd R. Rueger tunisia-flag-svg Tunis. Die islamistische Regierung hat gestern eine Konferenz der ultrakonservativen Salafisten verboten. Das für Sonntag geplante Treffen in Kairuan wurde aus  Sorge um die öffentliche Sicherheit abgesagt, teilte das Innenministerium laut DLF mit. Kein Wunder: Ins Land eingesickerte Al Qaida-Gruppen aus  Libyen oder Mali liefern sich seit einiger Zeit Scharmützel mit Armee und Polizei. Tunis verbietet damit erstmals das seit der Revolution 2011 etablierte Jahrestreffen der salafistischen Ansar al-Scharia.

Ansar Al-Sharia -Speerspitze der Salafisten

Dies stärkt neben dem tunesischen Sicherheitsapparat auch extreme Salafisten. Die größte salafistische Gruppe des Landes, Ansar Al-Sharia, rebelliert gegen den ihrer Ansicht nach zu laschen Islamismus der Ennahda. Der Kongress, den Ansar al-Scharia in der zentraltunesischen Stadt Kairouan geplant hatte, wurde vom Innenministerium wegen fehlender Genehmigung verboten. Ennahda-Chef Raschid al-Ghannouchi äußerte öffentlich seine Unterstützung für das Verbot. Sollte es jetzt deswegen Unruhen geben, würde dies die Extremisten weiter stärken. Abu Ajad ist eines der prominentesten Gesichter des Salafistenbundes Ansar al-Scharia -er  wird seit September 2012 von der tunesischen Polizei gesucht. Ihm wird vorgeworfen, hinter dem Angriff auf die US-Botschaft in Tunis zu stecken. Abu Ajad soll im Kontakt mit al-Qaida stehen: In den neunziger Jahren war er laut SpiOn einer der Köpfe hinter einer Al-Qaida-Zelle in London, wo er politisches Exil beantragt hätte. Seit 2002 stehe er auf einer Terrorliste der Uno als Chef einer Tunesier-Miliz, die Kämpfer in afghanische Qaida-Trainingslager schleuste. Dennoch lebe Abu Ajad, der eigentlich Saif Allah Ben Hassin heißt, unbehelligt in Tunis, gebe Interviews, predige in einer Moschee mitten in der Hauptstadt und zeige sich in einem Viertel, in dem die Ansar al-Scharia besonders stark ist. „Wir hätten ihn beinahe festgenommen, als er vor einigen Monaten in der Fatah-Moschee in Tunis war“, sagte Tunesiens Innenminister Ali Larayedh jüngst im Interview mit „Le Monde“. „Aber dann haben wir es für nicht ratsam gehalten, weil viele Gläubige bei ihm waren und es rundherum Läden und Passanten gab.“ Klarer hätte der Innenminister das Einknicken seiner Regierung vor den Radikalen kaum benennen können, so SpiOn:  Gefahr drohe Tunesien auch aus Syrien, denn dort gehörten die tunesischen Kämpfer zu den größten Ausländergruppen. „Viele von ihnen dürften mit Kampferfahrung und neuen Kontakten wieder zurückkehren. So wie auch Abu Ajad, der einst in Afghanistan mit Unterstützung von Osama Bin Laden sein Handwerk perfektionierte.“

Den Salafisten scheint es dabei weniger um Religion als um politische Macht zu gehen, wofür sie von Ultra-Konservativen aus Saudi-Arabien und Qatar bezahlt und gesteuert werden, glaubt man in Tunis. Doch die Salafisten finden Anhänger: Die TV-Berieselung durch Al Dschasira und die Verlockungen des Geldes aus Qatar zeigen Wirkung bei perspektivlosen jungen Arbeitslosen. In Tunesien spielen sich inzwischen Szenen ab wie in Mali, als in Timbuktu religiöse Schreine von Extremisten zerschlagen wurden. In Gefahr durch derartigen politisch instrumentalisierten Vandalismus sind die antiken Ruinen von Karthago nahe Tunis genauso wie Hunderte Sufi-Schreine, von denen etliche sogar in der Liste der UNESCO aufgeführt sind. Vom Religionsministerium der Ennahda-Regierung wird das Problem der Salafisten und Extremisten heruntergespielt, meldet der DLF. Doch nahezu jede Woche wird von Überfällen radikaler Salafisten berichtet, auf Mausoleen, auf Schulen, Universitäten und Studentinnen-Wohnheime, wo sie die Schleierpflicht für Mädchen und Frauen einführen wollen (unzensuriert.at). Die Pseudo-Moslems haben keine Ahnung von ihrer eigenen Kultur. Denn schon 1930 wehrte sich Tahar Haddad (1899–1935) in seinem Werk über Frauen und die Scharia (al-Tahir Haddad: Imra’atunā fī al-sharī’a wa-al-mujtama‘, 1930) gegen die falsche Deutung des Korans, der in Wahrheit die Unterdrückung der Frauen verbiete. Er forderte das Verbot des Ganzkörperschleiers, des Verstoßens und der Polygynie und all der Sitten, die die Ursache für die seinerzeitige Rückständigkeit des Landes gewesen seien. Zudem forderte er Bildung und Ausbildung für Mädchen und ihren Schutz vor Zwangsverheiratung. Diese tunesische Tradition eines modernen Islam lehnen die Salafisten ab und wollen den Rückfall ins Mittelalter.

Sidi Bou Said, north of Tunis, Tunisia.

Sidi Bou Said, nördlich von Tunis

Ziel der Neobarbarei unter dem Deckmantel eines pervertierten Koran werden auch Kinos und Ausstellungen, weil dort Gotteslästerung betrieben würde. Sogar Tabakhändler auf der Straße und Restaurantbesitzer, die Alkohol verkaufen, werden angegriffen, oft mit dem dümmlichen Fluch „Kafir“ (Ungläubiger). Die ungebildeten Extremisten haben keine Ahnung, dass sie von Machtgruppen aufgehetzt werden, die nur eins im Sinn haben: Eine demokratische Entwicklung Tunesiens blockieren und das Land wirtschaftlich ruinieren (die Zahl der Touristen halbierte sich von ca. sieben Millionen auf ca. drei Millionen jährlich nach der Revolution). Ziel sind Gewalt und Chaos, um die Ausbeutung Nordafrikas mit anderen Diktatoren fortsetzen zu können.

Armee jagt Terroristen an der Grenze zu Algerien

Eine militärische Destabilisierung Tunesiens soll die Bevölkerung in Angst versetzen und salafistischer Terror mit Bezug zu Al Qaida lässt die Ennahda-Partei als gemäßigte Vermittler glänzen. Ihre Schläger gegen liberale Tunesier und Tunesierinnen, die von ihren Freiheitsrechten Gebrauch machen wollen, werden von der Polizei geduldet, die selbst unverschämter wird und Rechtsbrüche begeht, bei Straßenkontrollen Geld erpresst. Um dies zu rechtfertigen oder bagatellisieren zu können, kommen den Sicherheitskräften und der Ennahda terroristische Eindringlinge aus dem Dunstkreis von Al Qaida vermutlich gerade recht. Denn gewaltsamer noch als im Alltag der Städte geht es in der Region um Kasserine zu. In den Bergen rund um die Stadt nahe der algerischen Grenze jagt die tunesische Armee seit Wochen  bewaffnete Islamisten. In einem 60 Quadratkilometer großen Gebiet rund um den höchsten Berg des Landes, den Djebel Chambi (1.544 Meter) sollen sich Kämpfer aus Mali verschanzt haben, die vor der französischen Armee nach Algerien und Tunesien geflohen seien, so die taz . Auch Algerien soll 6.000 Soldaten an die tunesische Grenze entsandt haben. Die mindestens 20-50 algerischen und tunesischen Terroristen sollen in Verbindung mit Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI) stehen. Eine zweite Gruppe soll weiter nördlich in der Region Kef ihr Unwesen treiben und die schwache tunesische Demokratie destabilisieren. Etwa 45 der Eindringlinge sollen in den vergangenen Wochen festgenommen worden sein, zuletzt in Kasserine selbst. Die Armee steht einem  von den Terroristen weiträumig verminten Gebiet gegenüber: Mindestens 16 Polizisten und Soldaten wurden bisher durch Sprengsätze verletzt –zwei von ihnen schwer. Verteidigungsminister Raschid Sabbagh beklagt den Mangel an Spezialgerät zur Minenräumung, man versuche mit Granatfeuer die Sprengsätze zu zerstören, um anschließend in die Wälder vorrücken zu können.

USA und Al CIAda Wem die Destabilisierung Tunesiens und der ganzen Region nützt, ist den stupiden Jüngern von Al Qaida nicht bewusst: Den USA. Die können als globale Militär- und Geheimdienst-Supermacht Gewaltausbrüche zu ihren Gunsten einsetzen, viele glauben an eine Steuerung des angeblich islamistischen Terrors durch die USA -Al CIAda. Der US-Filmer Michale Moore hat in seinem Werk Fahrenheit 9/11 sehr klar die dubiosen Verbindungen des US-Präsidentenclans der Familie Bush mit der Saudi-Milliardärsfamlie Bin Laden dargelegt. Bush und seine Geheimdienste sicherten den Bin Ladens freies Geleit aus den USA zu, nachdem angebliche Islamisten das World Trade Center in New York sprengten (oder wie auch immer zerstörten). Bush installierte danach in den USA eine Krypto-Militärdiktatur, schaffte Bürgerrechte ab, hetzte ununterbrochen die in Panik gehaltene Bevölkerung auf und bereitete für seine Freunde von der ganz großen Geldelite die globale Abzocke mittels „Finanzkrise“ vor. In Tunesien soll ebenfalls mittels Terror Politik gemacht werden. Mit Waffen aus Libyen könnten auch islamistische Sympathisanten in anderen Landesteilen für die terroristische Destabilisierung ausgerüstet werden. Die salafistische Gruppe Ansar al-Scharia, die offen für einen Gottesstaat in Tunesien eintritt, ruft auf Facebook zur „Islamischen Revolution“ auf und verbreitet Anleitungen zum Bombenbau.  Die Opposition wirft der Ennahda-Regierung Untätigkeit vor, die Radikalen könnten sich frei in den Moscheen bewegen und ihre Propaganda betreiben, ohne dass die Polizei eingreife. „Dank Ennahda haben wir nunmehr aktive Al-Qaida-Zellen in Tunesien, sie nutzen das für ihre Aktivitäten günstige Klima“, zitiert die taz den ehemaligen Chef der Übergangsregierung von 2011, Béji Caïd Essebsi. In der jungen tunesischen Republik greift brutale Waffengewalt um sich -von außen und durch Finanzierung innerer Extremisten aus dem Emirat Qatar. Am 06. 02.2013 war der linke Oppositionspolitiker Chokri Belaid ermordet worden, was landesweite Proteste und Generalstreik gegen die herrschende Ennahda-Partei auslöste. Von Belaids Umfeld wurden die Islamisten für dessen Tod verantwortlich gemacht, denn der Jurist war einer der schärfsten Kritiker der in Tunesien regierenden Islamisten. Chokri Belaids Beisetzung wurde zu einer der größten Protestaktionen seit der Jasminrevolution vor gut zwei Jahren. Der Sonntag könnte nun zur Machtprobe zwischen den Salafisten und der Regierung werden. Denn Ansar al-Scharia will trotz des Verbotes an dem Treffen festhalten.

Tunis: Mordverdächtige gefasst, weitere Unruhen

Gerd R. Rueger 03.03.2013 tunisia-flag-svg

Tunesien kommt nicht zurRuhe. Knapp drei Wochen nach Ermordung des tunesischen Oppositionspolitikers Chokri Belaïd hatte die Polizei einen mutmaßlichen Täter verhaftet. Der Mann soll die Tat bereits gestanden und sich auf eine Fatwa, ein islamisches Urteil, gegen Belaïd berufen haben. Anfang Februar war der linke Oppositionspolitiker Chokri Belaid ermordet worden, was landesweite Proteste und Generalstreik gegen die herrschende Ennahda-Partei auslöste. Von Belaids Umfeld wurden die Islamisten für dessen Tod verantwortlich gemacht. Der 48 Jahre alte Belaïd war am 6. Februar erschossen worden. Der Jurist war einer der schärfsten Kritiker der in Tunesien regierenden Islamisten und seine Beisetzung wurde zu einer der größten Protestaktionen seit der Revolution vor gut zwei Jahren.

Die beiden festgenommenen Mordverdächtigen sollen Mitglieder der islamistischen Salafisten-Bewegung sein, so Vertreter der Polizei zur französischen Nachrichtenagentur AFP. Vom tunesischen Innenministerium war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten. Zu Identifizierung der beiden Verdächtigen trug laut Polizei Aussagen einer Augenzeugin des Mordes bei, die jetzt unter Polizeischutz gestellt worden ist.  Nach Angaben von einem der beiden Ordnungshüter war der mutmaßliche Mörder in einer islamistischen Miliz aktiv, die die Opposition immer wieder für Angriffe und Bedrohungen verantwortlich macht. Vor dem Innenministerium in Tunis kommt es immer wieder zu Demonstrationen. Ennahda-nahe Demonstranten haben inzwischen neben pro-islamistischen auch anti-französische Parolen angestimmt -eine neue Tendenz im rechtpopulistischen Klerikalmilieu, die vermutlich patriotische Gefühle der Tunesier ausbeuten soll.

Manifestants devant le Ministère de l’Intérieur

A l’initiative de jeunes sympathisants du Front populaire et d’autres partis, entre 3 et 5.000 manifestants se sont réunis devant le Ministère de l’Intérieur scandant „Dégage“. Le mot d’ordre officiel est „nous voulons savoir qui a tué Chokri Belaïd.“ La police a montré ses muscles, avec un convoi de cinq camionettes, sans intervenir. Il serait impensable qu’au lendemain de la nomination d’Ali Larayedh des incidents surviennent. Une manifestation qui est partie d’un simple événement créé sur Facebook il y a quelques jours et qui n’a été officiellement revendiquée par aucun parti politique?

Quelques milliers de manifestants ont commencé à affluer à l’avenue Habib Bourguiba aux environs de 14h aujourd’hui, samedi 23 février 2013. Les manifestants ont défilé sur l’avenue Habib Bourguiba en brandissant des banderoles hostiles à Ennahda et au successeur désigné de Hamadi Jebali. «Larayedh dehors!» et «Le peuple veut la chute du régime!», scandait la foule. Hamadi Jebali a démissionné mardi en raison du refus d’Ennahda, auquel il appartient, d’accepter son projet de nouveau gouvernement de «compétences nationales» composé de technocrates après l’assassinat, le 6 février, de l’opposant de gauche Chokri Belaïd. Le maître mot de cette manifestation a été la réclamation de la vérité sur l’assassinat du défunt Chokri Belaïd. De nombreux slogans ont été scandés exprimant des opinions diverses qui dénotent de la grande hétérogénéité des manifestants appartenant à différents courants politiques.

Rappelons que Hamma Hammami a nié tout appel officiel à manifester ce samedi mais , force est de constater, que de nombreux sympathisants et membres du Front Populaire ont fait partie de la marche; ils étaient facilement identifiables grâce à leurs slogans hostiles aux destouriens et aux Frères Musulmans. « A bas les destouriens et les Frères musulmans, à bas la pensée réactionnaire », pouvait-on entendre à la Place Mohamed Ali, devant le siège de l’UGTT. Cette manifestation a rassemblé quelque 8000 personnes, entre membres de nombreux partis politiques, de la société civile et des citoyens tunisiens, toutes appartenances et tranches d’âge confondues. Femmes et enfants ont également été au rendez-vous et en grand nombre.

Ennahda: pro-islamiste et anti-française

«France dégage» et «Le peuple veut protéger la légitimité» du pouvoir en place, ont crié les centaines de militants (sans doute 3000) venus défiler samedi le 09.02.2013 après-midi dans le centre de Tunis, à l’appel du parti islamiste au pouvoir Ennahda. Ils ont défilé sur l’avenue Habib Bourguiba, axe névralgique du centre de la capitale où se trouve aussi l’ambassade de France.

Des militants salafistes se trouvaient dans la foule, brandissant leurs bannières noires et des slogans appelant à l’unité des différents courants islamistes. La manifestation à l’appel des jeunesses d’Ennahda a débuté en début d’après-midi avec pour mots d’ordre «la défense de la légitimité de l’Assemblée nationale constituante» (ANC) et la lutte «contre la violence» politique et «l’ingérence française». La référence à l’ANC vise le premier ministre Hamadi Jebali, pourtant numéro 2 d’Ennahda, qui a répété vendredi se tenir à sa «décision de former un gouvernement de technocrates», si besoin sans «l’aval de l’Assemblée nationale constituante».

Tunis: Neuer starker Mann in Sicht?

Gerd R. Rueger 23.02.2013 tunisia-flag-svg

Tunesien befindet sich weiterhin in einer schweren politischen Krise. Anfang Februar war der linke Oppositionspolitiker Chokri Belaid ermordet worden, was landesweite Proteste und Generalstreik gegen die herrschende Ennahda-Partei auslöste. Von Belaids Umfeld wurden die Islamisten für dessen Tod verantwortlich gemacht.

Tunesiens bisheriger Innenminister Ali Larajedh (Foto: AFP)

Innenminister Ali Larayedh, Ennahda

Das höchste Gremium der Ennahda entschied sich jetzt für die Nominierung des 58-jährigen Innenministers Ali Larayedh, Mitglied der islamistischen Ennahda-Partei, für das Amt des Ministerpräsidenten und Staatspräsident Moncef Marzouki stimmte dem Vorschlag zu.

Sein just zurückgetretener Vorgänger Jebali war mit seinem Plan zur Bildung einer „Experten“- soll heißen Technokratenregierung an seiner eigenen Partei gescheitert. Larayedh war in der Zeit des Diktators Ben Ali, der Anfang 2011 durch die zweite Jasminrevolution gestürzt wurde, im Widerstand. Er war 15 Jahre lang inhaftiert, davon 10 Jahre in Isolationshaft, und gefoltert worden -was damals kein westliches Medium weiter interessierte.  Larajedh gilt sowohl als Pragmatiker wie auch als Hardliner. Er lehnt verständlicherweise jegliche politische Beteiligung von Parteien ab, die schon unter  Ben Ali mitmischten -also seinen ehemaligen Folterknechten nahestanden.

Ali Larayedh gelobte am Freitag in seiner ersten Rede nach der Nominierung wenig originell eine neue Regierung „für alle Tunesier und Tunesierinnen“. Sein Kabinett wolle alle Bürger vertreten, denn „Männer und Frauen haben die gleichen Rechte und Pflichten“, sagte Larayedh und gab sich damit versöhnlich in der umstrittenen Genderfrage. Denn in der Verfassunggebenden Versammlung hatte die Ennahda versucht, in das neue tunesische Grundgesetz anstelle der „Gleichheit“ von Mann und Frau deren gegenseitige „Ergänzung“ zu schreiben, was aber durch Proteste und Unruhen verhindert werden konnte.

Larayedh hat zwei Wochen Zeit, um eine neue Regierung zu konstituieren, dann muss noch die Nationalversammlung zustimmen. Die Ennahda wird mit ihren 89 Abgeordneten auf die nötige Stimmenzahl kommen, versprach jedoch, eine grösstmögliche Koalition zu bilden, um durch Kompromissbereitschaft einen Ausweg aus der politischen Krise Tunesiens zu suchen -was nach der brutalen Ermordung von Chokri Belaid die einzige Lösung sein dürfte.

Technokraten auch in Tunesien: Die verratene Revolution

Gerd R. Rueger 07.02.2013 tunisia-flag-svg

Der Mord an Chokri Belaid hat die schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Ein friedlicher Weg in die Demokratie scheint in weite Ferne gerückt. Bekennerschreiben fehlen zwar, aber alle glauben an islamistische Täter.

Oppositionspolitiker Belaid wurde vor seinem Haus erschossen. (Foto: AFP)

Chokri Belaid war es gelungen, in der Volksfront Front Populaire eine Koalition liberaler und linker Kräfte zu bündeln

Der 48-jährige Jurist Belaid gehörte zu den einflussreichsten Oppositionspolitikern Tunesiens. Auf dem Weg in sein Büroin Tunis trafen ihn die tödlichen Schüsse. Es war eine Hinrichtung: Vier oder fünf Schüsse, in Kopf und Brust -wie von professionellen Killern.  Chokri Belaid starb im Krankenhaus an seinen schweren Verletzungen. Es war ein Mord, der Tunesien verändern wird: Das Land könnte erneut in eine schwere Krise stürzen. Tausende strömten auf die Straßen, als sich die Meldung verbreitete. Und das nicht nur in Tunis, auch in anderen Städten, zum Beispiel in der Nähe von Sidi Bouzid, wo die neue hoffnungsvolle Jasminrevolution vor mehr als zwei Jahren auch im Web2.0 ihren Anfang nahm.

Vier Parteien der linksliberalen Allianz „Front Populaire“ verließen aus Protest gegen den Mord an einem ihrer Anführer die verfassungsgebende Versammlung. Der ohnehin äußerst umstrittene Kompromiss über eine neue Festlegung der Verfassung kann nun als vor die Wand gefahren gelten. Ohne ein solches kann aber nicht gewählt werden. Und ohne Verfassung ist weiter unklar, welche Rolle am Ende der Islam in Tunesien spielen wird.

Moncef Marzouki (Foto: REUTERS)

Präsident Marzouki musste eine Auslandsreise abbrechen, seine Regierung steht vor der Auflösung

Wie schon die Regierungen in Rom und Athen, will nun auch will Ministerpräsident Dschebali ein Kabinett von Technokraten  aufstellen und kündigte die Bildung einer „Regierung der nationalen Kompetenz“ an. Allein der Regierungschef steht schon fest: Hamdi Dschebali. Die Ersetzung von parlamentarisch verantwortlichen Regierungen durch Technokraten, die angeblich nur Sachzwänge exekutieren, ist eine Methode des Neoliberalismus. Das heißt, es ist das Ziel der im Dunkeln operierenden Mächte von Finanz- und Geheimdienstkonglomeraten. Vielleicht ist es noch zu früh, sich bei der Suche nach den Mördern von Belaid allein auf die Islamisten festzulegen (obwohl diese sicher leicht für ein solches Attentat zu instrumentalisieren gewesen wären). Der Mittelmeerraum ist seit der Finanzkrise von 2008 vermehrt ins Visier von Machtspielen der westlichen Finanz-Oligarchen geraten.

Belaid war ein führender, unerschrockener Kopf der linksgerichteten Partei Demokratischer Patrioten, der die Ennahdavielfach kritisierte und auch gegen islamistischen Milizen kein Blatt vor den Mund nahm. Dschamel Chargui, ein Parteifreund von Belaid, vermutet hinter dem Mord „irgendwelche Islamisten“, die der Partei Ennahda nahe stehen würden, so zitiert ihn die tagesschau, „Das ist ein Schlag gegen die Demokratie und gegen die Revolution in Tunesien.“ Der Deutschlandfunk interviewte zu diesem Anlass den Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunis, die im Verdacht steht, die Nachfolge der „Operation Goldhaus“ im Dienste des BND (der deutschen CIA) angetreten zu haben.

Proteste, Barrikaden, Tränengas, Polizeigewalt, Aufrufe zum Generalstreik – Tunesien ist zu einem Land geworden, in dem es immer wieder zu sozialen und politischen Unruhen kommt. Dabei gab es einige Zeichen der Besserung: Die zunehmende Einigung der linken Opposition, eine Demonstration der Polizei, die sich nicht mehr von der Ennahda zur Drangsalierung der Bevölkerung einsetzen lassen wollte. Wer immer Belaid ermordete, wollte das zarte Pflänzchen der Demokratie in Tunis vernichten und tödlichen Hass zwischen den politischen Bewegungen säen. Es bleibt die Hoffnung, dass die Täter damit scheitern werden. Nicht nur in Deutschland ist die zweite Jasminrevolution in Tunesien zum Symbol eines demokratischen Aufbruchs der arabischen Welt geworden, auch im Zeichen einer neuen Netzkultur von Bloggern und auch von Whistleblowern wie bei Wikileaks und Hackern wie Anonymous.