Russland annektierte die Krim unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Krimbewohner. Erhard Eppler (SPD) kritisierte Merkels Haltung dazu und erinnerte an 40 Jahre westdeutsche Politik, die mit gleicher Rechtfertigung die DDR beanspruchte. Er warnte vor geopolitischen Abenteuern der EU- und Nato-Osterweiterer und kritisiert Merkel und die Medien, die uns die Aufrüstungspläne Kiews verschweigen, für die wir zahlen müssen und die uns 20fach mehr kosten als die griechischen Schulden.
Moskau annektierte die Krim nach einem Referendum unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Krimbewohner. Erhard Eppler, graue Eminenz der SPD in Sachen Ost- und Friedenspolitik, kritisierte jetzt Merkels bornierte Haltung dazu. Eppler erinnerte an 40 Jahre westdeutsche Politik, die mit gleicher Rechtfertigung ihre „Alleinvertretung“ deutscher Interessen auch für die Menschen der DDR betrieb. Er warnte vor geopolitischen Abenteuern der EU- und Nato-Osterweiterer, die Russland missachten und unterschätzen und kritisiert ein doppeltes Versagen: Das von Merkel und das der deutschen Medien, die uns die gigantischen Aufrüstungspläne Kiews verschweigen, für die wir zahlen müssen und die uns 20fach mehr kosten würden als die griechischen Schulden.
Unsere Medien haben mit Athen zwar derzeit ein anders Opfer gefunden, auf dem sie herumhacken, aber Putin bleibt für sie ein Buhmann. Die Darstellung russischer Politik hat rechtspopulistische Schlagseite, auch in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten von ARD bis ZDF, siehe geleakte interne Kritik des eigenen Programmbeirats. Daher ist es bedeutsam, wenn ein ehemals prominenter Altpolitiker der SPD sich gegen diese Kampagnen wendet, besonders wenn es eine graue Eminenz der Ost- und Sicherheitspolitik wie Eppler ist. Leser kritischer Blogs reiben sich freilich die Augen, wie wenig die deutsche Altlinke offenbar von den antirussischen Medienkampagnen mitbekommen hat. In seinem Aufruf „Demütigung als Gefahr: Russland und die Lehren der deutschen Geschichte“ im Politmagazin „Blätter“, warnt der SPD-Senior vor der aktuellen Kurzsichtigkeit von Merkels Ostpolitik, die von neoliberalen think tanks wie der Bertelsmann-Stiftung gelenkt wird. Bertelsmann-Medien wie RTL und „Spiegel“ sind maßgeblich an der Anti-Putin-Kampagne beteiligt, die wohl im Kern die EU-Osterweiterung im Dienste unsauberer westlicher Finanzinteressen betreibt.
Spekulieren über Putins „finstere Absichten“
„Ich habe diesen Putin nur einmal getroffen, bei Gerhard Schröders 60. Geburtstag. Da kam er nach Hannover mit einem Kosakenchor, der das Niedersachsenlied schmetterte… Das war ein Putin, der seinen Platz in Europa suchte. Heute ist es auch in Deutschland so etwas wie ein Denksport, über die finsteren Absichten Putins zu spekulieren… Warum ist niemand auf die Idee gekommen, mit Putin über das Assoziationsabkommen mit der Ukraine zu reden?“ Erhard Eppler, „Blätter“
Eppler warnt in seinem eindringlichen Aufruf davor, kurzfristigen geopolitischen Absichten die langfristig notwendige Friedensperspektive für Europa zu opfern, die ohne gute Beziehungen zu Russland zum Scheitern verurteilt ist. Besonders kritisiert er die heuchlerische Haltung von Angela Merkel, die Krimkrise nur formal-völkerrechtlich zu bewerten und Putin als Aggressor, sogar als „Verbrecher“ (Merkel) hinzustellen:
„Zwar wird in Kiew einfach die Rückgabe der Krim verlangt, aber ohne die Leute dort zu überhaupt fragen. Wenn Frau Merkel zwar immer wieder – formal korrekt – die Verletzung des Völkerrechts tadelt, aber nie andeutet, wie sie sich reparieren ließe, hat dies wohl einen guten Grund: Kann gerade sie, die Deutsche, verlangen, dass die Krim, was immer ihre Bewohner wollen, wieder ukrainisch wird? Schließlich haben wir Deutschen uns vierzig Jahre lang nicht auf das Völkerrecht, sondern auf das Selbstbestimmungsrecht berufen. Und das soll nun für die Krimbewohner nicht mehr gelten? Das kann keine deutsche Regierung wollen oder gar durchsetzen. Also bleibt es beim Tadel ohne die geringste Andeutung, wie das, was Frau Merkel – wohl versehentlich – als Verbrechen bezeichnet hat, zu reparieren wäre.“ Erhard Eppler, Blätter
Eppler bringt, äußerst mutig für einen deutschen Mainstream-Politiker, gegenüber der Krim-Annexion durch Russland den USA- bzw. Nato-Staaten-Angriff auf den Irak ins Gespräch. Auch diese Besetzung war ein Bruch des Völkerrechts, aber mit ungleich schlimmeren Folgen und ungleich schlechterer Rechtfertigung (obwohl er die Propagandalügen der USA und ihre Plünderung irakischer Ölquellen nicht erwähnt):
„Im Übrigen ist die Weltgeschichte kein Amtsgericht. Das Völkerrecht ist zweifellos ein wichtiger Maßstab. Ich bin aber kein Jurist, sondern Politiker. Für mich noch wichtiger ist, bei der Abwägung einer politischen Aktion, was diese für die betroffenen Menschen zur Folge hat. Offenbar fühlen sich die meisten Krimbewohner in Russland ganz wohl, vielleicht sogar zuhause. Vergleicht man dies mit einem anderen Bruch des Völkerrechts, dem Irakkrieg, dann kann man schwermütig werden. Der amerikanische Bruch des Völkerrechts, der militärische Angriff – mit verlogenen Begründungen – auf einen anderen Staat, hat den Nahen Osten in ein Gewaltchaos verwandelt, das auch die Weltmacht USA nicht mehr bändigen kann.“ Erhard Eppler, Blätter
Tausende würden in Folge dieser US-Aggression jetzt umgebracht, so Eppler, und niemand wüsste, wann das Morden endet. Und das alles nur, weil ein amerikanischer Präsident dort tabula rasa machen und eine Musterdemokratie errichten wollte. Wer das 21. Jahrhundert so begann und nun hilflos vor den Ergebnissen der eigenen Politik steht, so Eppler in Richtung USA aber auch Merkel und Mainstream-Medien, solle sich hüten, die Staaten in gute und böse einzuteilen.
Eppler verweist daher auch darauf, dass Putin kaum der Kriegstreiber hinter dem Ukrainekonflikt sein könne, als den ihn deutsche Medien immer hinstellen: Immerhin habe dieser Putin vieles getan, was nicht auf expansionistische Absichten schließen ließ. Als in Donezk und Lugansk die ukrainische Polizei lächelnd zusah, wie die Separatisten ein Rathaus nach dem anderen besetzten und die Herrscher der neuen „Volksrepubliken“ um Beitritt zur Russischen Föderation baten, habe Putin das einfach überhört. Und als in Kiew der Ministerpräsident Jazenjuk bei jeder Gelegenheit erklärte, die Ukraine befände sich im Krieg mit Russland, habe Putin dies nicht als Kriegserklärung gewertet und seine Panzer gen Kiew in Marsch gesetzt. Putin habe es nicht einmal kommentiert. Den Ablauf der Ukrainekrise mit Putsch in Kiew, Anerkennung der illegitimen Regierung Jazenjuks unter Beteiligung von Rechtsextremen und Neonazis sieht der SPD-Altlinke jedoch eher als Folge schlampiger Politik, denn als geopolitisches Expansionskalkül:
„Warum ist niemand auf die Idee gekommen, mit Putin über das Assoziationsabkommen mit der Ukraine zu reden? Jetzt, nachträglich tun wir es ja, aber nun ist es zu spät. Hätte der damalige Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, das tun sollen? Aber der dachte nicht daran. Und das gefiel auch den Regierungschefs, die, wie vor allem die deutsche Kanzlerin, dafür gesorgt hatten, dass es keinen politisch starken Kommissionspräsidenten gab. Niemand war dafür zuständig, also taten wir so, als ob es Russland gar nicht gäbe. Und rieben uns die Augen, als dieses Russland uns auf dramatische Weise daran erinnerte, dass es noch existierte.“ Erhard Eppler, Blätter
Während es keine westliche Strategie für die Rückkehr der Krim zur Ukraine gäbe, so Eppler, diene die „Annexion“ der Halbinsel als Beweis dafür, dass Putin eben ein „Aggressor“ sei und bleibe. So rechtfertige der Westen, dass alle Nachbarn Russlands, von den Balten bis zu den Georgiern, sich gegen einen russischen Angriff wappnen müssten. Aber immerhin sei doch die russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol stationiert, dafür gab es einen Pachtvertrag mit der Ukraine. „Hätte sich Putin auf die Vertragstreue eines Jazenjuk verlassen sollen?“, fragt Eppler.
Klar sei demgegenüber, so Eppler, dass das Friedensabkommen von Minsk von der ukrainischen Regierung vieles verlangt, was Kiew gar nicht schmecke: Etwa den Verzicht auf das, was Jazenjuk und Poroschenko immer wieder beschworen haben, nämlich den militärischen Sieg über die „Terroristen“ genannten russsisch-sprachigen Separatisten und ihre Verurteilung durch ukrainische Gerichte. Wozu sonst wolle Poroschenko eine Armee aufstellen größer als die Bundeswehr? Und warum stelle kein deutscher Journalist die Frage, mit wessen Geld diese bezahlt werden soll? Inzwischen seien die abgetrennten Gebiete durch Gesetz zu „okkupierten Gebieten“ geworden, die erst befreit werden müssten, ehe man dort wählen lässt. „Und was kann Befreiung anderes bedeuten als militärische Eroberung?“, fragt Eppler weiter und wendet sich dann der Medienstrategie des Totschweigens zu, das den deutschen Mainstream dominiert:
„Dass Frau Merkel und manche osteuropäischen Politiker hier nicht konsequent sein müssen, hat seinen guten Grund: den Mangel an Information über alles, was in Kiew geschieht und beschlossen wird… Über alles, was im isolierten, bestraften und gedemütigten Russland an Bedenklichem vor sich geht, werden wir eingehend informiert… Aber warum wird über das, was in Kiew an Hassparolen und Wunschträumen produziert wird, einfach geschwiegen? Und wenn irgendwo ein Einspalter doch eine verkürzte Information gibt, warum fehlt immer der Kommentar? Warum erfahren die deutschen Leser und TV-Zuschauer fast nichts über die ökonomische Misere in der Ukraine? Damit niemand bis zu der schlimmen Wahrheit durchdringt, dass weder die EU gegen Russland noch Russland gegen die EU diesem heruntergewirtschafteten und überdurchschnittlich korrupten Land wieder auf die Sprünge helfen kann? Oder was es den deutschen Steuerzahler kosten müsste, wenn hier ein Griechenland mal zwanzig entstehen sollte?“ Erhard Eppler, Blätter
Der nicht gerade internet-affine Erhardt Eppler bekleidete bis in die 80er-Jahre hohe Führungspositionen in der SPD, war 1968-74 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Von 1961-76 war er Abgeordneter im Bundestag, dann bis 1982 im baden-württembergischen Landtag. Zugleich engagierte er sich im Umfeld der evangelischen Kirche, war unter anderem mehrfach als Kirchentagspräsident und prominente Figur der Friedensbewegung, die in den 80er-Jahren gegen die sogenannte Nato-„Nachrüstung“ mit Erstschlagswaffen durch die Bundeskanzler Schmidt (SPD) und Kohl (CDU) protestierte. Bei aktuellen Konferenzen der Friedensbewegung wurde Eppler jedoch nicht mehr gesehen.
Eppler gilt als Vertreter des linken Parteiflügels der SPD, unterstützte jedoch die Reformen der Agenda 2010, den Kosovokrieg und den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO. Schon im März 2014 kritisierte er den aggressiven Kurs des Westblocks gegen Russland im Zuge des Ukraine-Putsches und der folgenden Krimkrise und wandte sich gleichzeitig gegen eine Dämonisierung Wladimir Putins (so Wikipedia über Eppler, wenn auch wikipediatypisch-ideologisch tendenziell rechtsgedreht).