Ungarn und der neoliberale Postfaschismus

Gerd R. Rueger 05.05.2013

Ungarn leidet unter Orban, den manche einen Postfaschisten nennen. Aber was heißt das eigentlich? Ein neoliberaler Rechtspopulist? Einer, der weiter denkt als traditionelle Faschisten?  Nationale, rassistische Tendenzen und Kritik an Globalisierung? Ein Analytiker von Orbans Regime will aus ungarischer Sicht dem Begriff “Postfaschismus” näherkommen. Er vergleicht Ungarns Fidesz unter anderem mit den “Freiheitlichen”, der rechtspopulistischen Haider-Partei in Österreich.

Orban -ein Postfaschist? Aber was heißt das eigentlich? Ein neoliberaler Rechtspopulist? Einer, der weiter denkt als traditionelle Faschisten? Aber in welche Richtung? Nationale und rassistische Tendenzen treten bei Orban zur Kritik an manchen Aspekten der neoliberalen Globalisierung, doch der Kern des Problems liegt im Verhältnis des Staates zu seinen Staatsbürgern: Sind sie Träger von allgemeinen, universell gültigen Menschenrechten (Universalismus)? Oder gibt die Staatsmacht den Menschen von oben, quasi gnadenhalber ihre Bürgerrechte, aber nur, falls sie den Kriterien der Machthaber genehm sind (rassisch, ethnisch, kulturell)? Unsere Mainstream-Medien reagieren träge auf rassistisch-ethnische Diskriminierungen, einzige Ausnahme: Antisemitismus. Durch die starke jüdische Lobby und die Nazi-Vergangenheit sind Juden die archetypisch verfolgte Minderheit. Leider scheinen sie ihr großes Kapital an Aufmerksamkeit nur selten mit anderen Verfolgten teilen zu wollen. Auch in Ungarn ist vor allem der -jüngst beim Jüdischen Weltkongress in Budapest wieder auf der Straße kundgetane- Antisemitismus der Jobbik-Partei ein Skandal.

Mit G.M.Tamás soll hier ein tiefgründiger Analytiker von Orbans Regime zu Wort kommen, der aus ungarischer Sicht dem Begriff „Postfaschismus“ näher zu kommen hofft. Er vergleicht Ungarns Fidesz mit den „Freiheitlichen“, der rechtspopulistischen Haider-Partei in Österreich, mit der sie nicht nur den rabiaten Umgang mit Kunst und Kultur sowie die Verbindung von Nationalismus und Homophobie teilt. Orbans Auffassung von Recht und Pressefreiheit brachte Ungarn vor einem Jahr eine Klage der EU ein, die sich, angesichts der Nadelstiche aus Budapest (auch gegen Kapitalinteressen), plötzlich an ihre Leidenschaft für Menschenrechte erinnerte.

Ungarn nahm als neoliberaler Vorzeige-Staat Osteuropas die heutige Krisen-Technokratie in Griechenland, Italien und Spanien vorweg. Nach deren Versagen kippte Budapest in Rechtspopulismus und Neofaschismus ab: Führerkult, Neorassismus, Medienknebelung. Ist das eine wahrscheinliche oder gar eine strategisch erwünschte Entwicklung für die neuen neoliberalen Krisenprogramme? Ist dies die braune Hardcore-Variante der plutokratischen “Postdemokratie” (Colin Crouch)? In diese Richtung denkt auch Tamás, dessen umfangreicher Text in den „Grundrissen“ erschien. Recht persönlich beginnt Tamás seinen Text „Über Postfaschismus“, der hier in Auszügen dargestellt werden soll:

„Ich habe ein Interesse anzumelden. Die Regierung meines Landes, Ungarns,   …versucht gerade, neben anderen Missetaten, die parlamentarische Herrschaft zu unterdrücken, indem sie lokale Behörden mit einer anderen politischen Ausrichtung als der eigenen unter Strafandrohung stellt und eifrig eine neue Staatsideologie schafft und durchsetzt…“

Das Phänomen, das ich Postfaschismus nennen werde, ist nicht auf Mitteleuropa beschränkt. Ganz im Gegenteil. Sicher sind Deutschland, Österreich und Ungarn dabei wichtig, aus historischen Gründen, die allen verständlich sind. Vertraute Phrasen haben, wenn sie hier wiederholt werden, andere Nachklänge…

Dennoch ist Postfaschismus ein Gemenge aus Politik- und Praxisansätzen, aus Gewohnheiten und Ideologien, die zurzeit überall in der Welt beobachtet werden können, die wenig oder gar nichts, mit Ausnahme von Mitteleuropa, mit dem Erbe des Nationalsozialismus zu tun haben, die nicht totalitär sind, die überhaupt nicht revolutionär sind und die sich nicht auf gewalttätige Massenbewegungen und irrationalistische, voluntaristische Philosophien stützen, die auch nicht, nicht einmal spaßhalber, mit Antikapitalismus spielen…

Postfaschismus, Globalisierung und Staatsbürgerschaft

Postfaschismus findet leicht seine Nische in der neuen Welt des globalen Kapitalismus, ohne die vorherrschenden politischen Formen der Wahlrechtsdemokratie und der repräsentativen Herrschaft umzustoßen. Er vollführt das, was ich als zentral für alle Schattierungen von Faschismus, einschließlich seiner nachtotalitären Version, halte. Auch ohne Führer, ohne Einparteienherrschaft, ohne SA oder SS verkehrt der Postfaschismus die Absicht der Aufklärung, Staatsbürgerschaft zur Bedingung menschlicher Existenz zu machen.

Vor der Aufklärung war Staatsbürgerschaft ein Privileg, ein ausgezeichneter Status, beschränkt durch Abstammung, Klasse, Rasse, Glaube, Geschlecht, politische Teilnahme, Sitten, Beruf, Protektion und administrative Ermächtigung, von Alter und Bildung ganz zu schweigen. Aktive Teilhabe in der politischen Gemeinschaft war eine Position, die ersehnt wurde, cives romanus sum die Behauptung einer gewissen Nobilität. Die Politik, Staatsbürgerschaft auszuweiten, konnte großzügig oder knauserig sein, aber die Regel lautete, dass der Rang des Staatsbürgers durch gesetzmäßig konstituierte Autoritäten, entsprechend der hergebrachten Sitten, verliehen wurde…

War aber Staatsbürgerschaft erst einmal mit menschlicher Würde gleichgesetzt, war ihre Ausdehnung auf alle Klassen, Berufe, beide Geschlechter, alle Rassen, Bekenntnisse und Orte nur noch eine Frage der Zeit. Allgemeines Wahlrecht, Wehrpflicht und ein staatliches Bildungssystem für alle mussten folgen. Darüber hinaus verlangte die nationale Solidarität, waren erst einmal alle Menschen als fähig betrachtet, den hohen Rang des Staatsbürgers zu erreichen, in dieser neuen egalitären Gemeinschaft die Abschaffung des Standes des Menschen, eine würdige materielle Existenz für alle und die Ausrottung der Reste von persönlicher Knechtschaft. Der Staat, der augenscheinlich alle repräsentierte, war angehalten, nicht nur ein Minimum an Reichtum für die meisten, sondern auch an freier Zeit zu garantieren, was einmal das ausschließliche Gut nur der Herren war, um uns in die Lage zu versetzen, zu spielen und die Errungenschaften der Kultur zu genießen…

Die Idee der allgemeinen Staatsbürgerschaft enthält einen inneren Widerspruch dahingehend, dass die vorherrschende Institution der modernen Gesellschaft, der Nationalstaat, sowohl eine universalistische als auch eine beschränkte (weil territoriale) Institution ist. Liberaler Nationalismus ist, im Gegensatz zu Ethnizismus und Faschismus, beschränkter – wenn man so will – gemildeter Universalismus. Faschismus machte mit diesem Wankelmut Schluss: Der Souverän war der Richter darüber, wer und wer nicht zur bürgerlichen Gemeinschaft gehörte und Staatsbürgerschaft wurde zur Funktion seines (oder ihres) bösartigen Urteils…

Diese Feindschaft zur allgemeinen Staatsbürgerschaft ist, so behaupte ich, das Hauptmerkmal von Faschismus. Und die Zurückweisung selbst eines gemäßigten Universalismus ist das, was wir heute wiederholtermaßen unter demokratischen Umständen beobachten (ich sage nicht einmal: in demokratischer Verkleidung). Nachtotalitärer Faschismus blüht unter dem breiten Schutzpanzer des globalen Kapitalismus…

Faschismus: Die Entpolitisierung des Begriffs der „Nation“

Die wachsende Entpolitisierung des Konzepts von Nation (die Verschiebung zu einer kulturellen Definition) führt zur Akzeptanz von Diskriminierung als „naturgegeben“. Das ist der Diskurs, den die Rechte ganz offen in Parlamenten und auf Straßenkundgebungen in Ost- und Mitteleuropa, in Asien und zunehmend im „Westen“ anstimmt. Es kann nicht verleugnet werden, dass Angriffe gegen egalitäre Wohlfahrtssysteme und affirmative Methoden des Handelns einen dunklen rassistischen Unterton haben, der von rassistischer Polizeibrutalität und Bürgerwehren an vielen Orten begleitet wird…

Die Verdoppelung der Unterschicht – eine weltweite Unterschicht draußen und die „heterogenen“ wilden Taugenichtse daheim, wobei die Interessen der einen Art von Unterschicht („hiesig“) denen der anderen („fremd“) als feindlich gegenüberstehend vorgestellt werden – gibt dem Postfaschismus seine fehlende populistische Dimension.

Wir stehen also einer neuen Art Extremismus des Zentrums gegenüber. Dieser neue Extremismus, den ich Postfaschismus nenne, bedroht nicht wie sein Vorgänger mit seiner Kernanhängerschaft „homogener Gesellschaft“ das liberale und demokratische Regime. In einer Gesellschaft, die entzweigeschnitten wurde, bleiben Freiheit, Sicherheit und Wohlstand im Großen und Ganzen unangetastet, wenigsten in der produktiven und sich fortpflanzenden Mehrheit, die in einigen reichen Ländern nahezu alle weißen Bürger umfasst.

„Heterogene“, üblicherweise rassisch fremde, Minderheiten werden nicht verfolgt, nur marginalisiert und nicht zur Kenntnis genommen und gezwungen, ein Leben zu führen, das dem way of life der Mehrheit völlig fremd ist (das aber natürlich manchmal qualitativ besser sein kann als stumpfsinniger Workoholismus, Konsumismus und Fitnessbesessenheit der Mehrheit). Drogen, die einst das Bewusstsein erweitern und erhöhen sollten, sedieren nun auf ungute Art die erzwungene Untätigkeit derer, denen zu helfen die Gesellschaft unwillig ist und die sie nicht als Mitmenschen anerkennt. Die „dionysische“ Subkultur des Subproletariats überhöht darüber hinaus die Zweiteilung der Gesellschaft. 

Postfaschismus braucht keine Sturmtruppen

Postfaschismus braucht keine Sturmtruppen und Diktatoren. Er verträgt sich hervorragend mit der gegenaufklärerischen liberalen Demokratie, die Staatsbürgerschaft als eine Gewährung durch den Souverän rehabilitiert anstatt eines universellen Menschenrechtes. Ich gestehe, ich verwende hier eine grobe Bezeichnung, um die Aufmerksamkeit auf diese flammende Ungerechtigkeit zu lenken. Postfaschismus ist historisch nur stellenweise der Nachfolger seines fürchterlichen Vorgängers. Sicherlich hat sich der mittel- und osteuropäische Antisemitismus nicht sehr verändert, aber er ist kaum zentral. Da Postfaschismus nur kaum eine Bewegung ist, eher schlichtweg ein Zustand, der oft auch durch so genannte Mittelinksregierungen verwaltet wird, kann er kaum identifiziert werden. Postfaschisten sprechen in der Regel nicht von absolutem Gehorsam und rassischer Reinheit, sondern vom Informationssuperhighway.

Alle kennen die instinktive Wut, die Leute überkommt, wenn sie vor verschlossenen Türen stehen. Jetzt rütteln zehn Millionen hungernde Menschen an den Klinken. Die reichen Länder denken sich raffiniertere Sicherheitsschlösser aus, während ihre Wut über die Eindringlinge auch anwächst. Manch Zorn führt zur Wiederbelebung von nationalsozialistischem und faschistischem Gedankengut und das löst rechtschaffenen Ekel aus. Aber Postfaschismus beschränkt sich nicht auf die früheren Achsenmächte und ihre willigen Auftraggeber, wie empörend und erschreckend diese spezifische Variante auch sein mag. Osteuropäische Zigeuner (Roma und Sinti, um die politisch korrekten Namen zu erwähnen) werden von der Polizei und der Bevölkerung verfolgt und versuchen, in den „freien Westen“ zu fliehen. Die Reaktion des Westens ist, Visabeschränkungen gegen die in Frage stehenden Länder zu erlassen, um das massive Einströmen von Flüchtlingen zu verhindern, und feierliche Erklärungen an die osteuropäischen Länder zu richten, die Menschenrechte zu achten. Heimischer Rassismus wird durch globalen Liberalismus ersetzt, beide gestützt auf eine politische Macht, die immer schneller rassisch ausgerichtet wird…

…ganzer Text von G.M. Tamás  „Über Postfaschismus“ bei Grundrisse

Fazit

Ungarns postkommunistische Sozialisten verkörpern vieles, wofür New Labour letztlich steht: Die hemmungslose Bereicherung einer Machtelite, die Sozialabbau und Lohndumping mit hoher PR-Kompetenz als “Notwendigkeit im scharfen Wind des internationalen Wettbewerbs” verkauft. Der Clou dabei: Weil die verantwortlichen Akteure angeblich Sozialdemokraten oder Sozialisten sind, kann man den Zorn über die Sparprogramme auf den Sozialstaat lenken. Am Ende bleibt der Rückgriff auf überkommenen Nationalismus, Hetze gegen Minderheiten – in Ungarn vor allem die Roma – und der Ruf nach einer starken, wenn nicht autokratischen Führungspersönlichkeit… (mehr:

Gerd R. Rueger: Ungarn als rechtspopulistisches Modell für Europa?

Ungarn: Homophobie in der Verfassung

Gerd R. Rueger 12.03.2013

Viktor Orban und seine rechtspopulistische Fidesz-Regierung haben jetzt festgelegt, was für den Ungarn eine “richtige” Familie zu sein hat: Ein heterosexuelles verheiratetes Paar mit Kindern -nur dieses wird künftig den Schutz des Staates erhalten. Rechtspopulismus leidet unter Homophobie -wäre es nicht schwulenfeindlich, müsste man jetzt Witze über die abgeleugnete Homosexualität von männerbündelnden Fidesz-Rabauken machen. Die EU tut pikiert, arrangiert sich aber insgeheim gern mit Orban.

Bekennender Homosexueller:
Außenminister Westerwelle

Viktor Orban und seine rechtspopulistische Fidesz-Regierung machten nach ihrem Erdrutsch-Wahlsieg 2010 hierzulande zunächst durch ihre rigide Beschränkung der Medienfreiheit von sich reden. Nun hat Orban festgelegt, was für den Fidesz-Ungarn eine „richtige“ Familie zu sein hat: Ein heterosexuelles verheiratetes Paar mit Kindern -nur dieses wird künftig den Schutz des Staates erhalten. Rechtspopulismus leidet unter Homophobie… wird unser Außenminister Westerwelle jetzt einmal hart gegen sexistische Diskriminierung durchgreifen? Aber Rechtspopulismus leidet nicht nur unter Homophobie, er hat auch was gegen andere Religionen, Obdachlose, Studenten…

Viktor Orban mag keine Homosexualität

So sieht die Gesellschaft aus, die sich ein Rechtspopulist erträumt: Religionsfreiheit? Welche Religionsgemeinschaft eine Kirche ist, ist ab jetzt eine politische Entscheidung und zwar die der Regierung. Bildungsfreiheit? Studenten, die ein staatliches Stipendium erhalten, müssen nach ihrem Abschluss mehrere Jahre in Ungarn bleiben -oder rückwirkende Studiengebühren zahlen. Freiheit der Bewegung? Der Staat darf Obdachlose oder Menschen, die er dafür hält, künftig verhaften, nur weil sie auf der Straße übernachten. Und das werden bald immer mehr sein, denn die neoliberale Armutswalze, die Bulgarien ins Elend stürzt, rollt auch über Ungarn. Rassistische, ethnische, sexistische Diskriminierungen hetzen die Menschen gegeneinander auf -und verhindern damit eine Solidarisierung gegen die Finanzmafia. Das ist das Rezept des Neoliberalismus: Freiheit für das Geld (und die, die es haben), aber Diktatur für die Menschen.

Orban kämpft gegen Ungarns Verfassung

Damit drückte Orban bereits seine vierte Verfassungsänderung im Parlament durch, spielt den bösen Buben in Europa, der seine Grenzen austesten muss. Begleitet wurde die Verstümmelung der Freiheitsrechte von Protesten der Bevölkerung. Die Richter können nach den Änderungen an der Verfassung künftig nicht mehr inhaltlich prüfen, sondern nur noch verfahrensrechtlich -der ungarische Rechtsstaat wird immer zweifelhafter. Weiter soll das Verfassungsgericht keine Entscheidungen mehr überprüfen dürfen, die schon vor dieser „gesetzlichen“  Selbst-Freisprechung in Kraft war. Eine von der Regierung eingesetzte Koordinationsstelle, das “Justizamt”, das vermutlich mit eigenen Fidesz-Funktionären besetzt wird, soll künftig entscheiden, welches Gericht bestimmte Fälle zu überprüfen hat.

Im letzten Frühjahr klagte die EU-Kommission bereits einmal gegen Ungarns Regierung, denn es gab Bedenken gegen Eingriffe der Fidesz-Rechtspopulisten in den Rechtsstaat (nachdem Ungarns Medien bereits weitgehend auf Orbans Kurs gebracht wurden). EU-Justizkommissarin Reding bemängelte, dass Orban das Renteneintrittsalter für Richter, Staatsanwälte und Notare in Ungarn von 70 auf 62 Jahre abgesenkt hatte -eine schleichende „Säuberung“, die Platz für Orban-Treue bei Juristen schaffen sollte. Es ist die Treue zu einer Demokratur, zu einer Regierung, die sich selbst immer mehr Vollmachten in die Verfassung schreibt.

Ungarn: Von der Vorzeige-Demokratie zur Diktatur

Ungarn nahm als neoliberaler Vorzeige-Staat Osteuropas die heutige Krisen-Technokratie in Griechenland, Italien und Spanien vorweg. Nach deren Versagen kippte Budapest in Rechtspopulismus und Neofaschismus ab: Führerkult, Neorassismus, Medienknebelung. Ist das eine wahrscheinliche oder gar eine strategisch erwünschte Entwicklung für die neuen neoliberalen Krisenprogramme? Ist dies die braune Hardcore-Variante der plutokratischen “Postdemokratie” (Colin Crouch)?

Ist das eine wahrscheinliche oder gar eine strategisch erwünschte Entwicklung für die neuen neoliberalen Krisenprogramme? Aus rechten Ecken der deutschen Medienlandschaft kommen immer wieder gedämpfte Pro-Orban Töne, man traut sich nicht so recht selber „Hurra!“ zu schreien, etwa beim Deutschlandfunk, aber holt gerne moderate Beobachter ans Mikrofon.

Ungarns postkommunistische „Sozialisten“ verkörpern vieles, wofür New Labour letztlich steht: Die hemmungslose Bereicherung einer Machtelite, die Sozialabbau und Lohndumping mit hoher PR-Kompetenz als “Notwendigkeit im scharfen Wind des internationalen Wettbewerbs” verkauft. Der Clou dabei: Weil die verantwortlichen Akteure angeblich Sozialdemokraten oder Sozialisten sind, kann man den Zorn über die Sparprogramme auf den Sozialstaat lenken. Am Ende bleibt der Rückgriff auf überkommenen Nationalismus, Hetze gegen Minderheiten – in Ungarn vor allem die Roma – und der Ruf nach einer starken, wenn nicht autokratischen Führungspersönlichkeit.

Orbans Fidesz-Bewegung schluckte neben den Christdemokraten auch die rechtsextreme MIEP, die Orbans erste Regierung schon 1998-2002 im Parlament toleriert hatte. Rechtsextremer Ableger des Fidesz ist die 2004 von Studenten gegründete Jobbik-Bewegung, die sich auch aus der MIEP speiste. Nach den Budapester Unruhen 2006 gründete Jobbik 2007 die militante „Ungarische Garde“, die 2009 verboten wurde. Jobbik-Chef Vona legte trotz Verbots (auch gerade des Tragens der schwarzen Uniform) am 14.5.2010 seinen Eid vor dem Parlament in der Uniformweste der Ungarischen Garde ab –die der Tracht der Pfeilkreuzler-Faschisten des mit Hitler verbündeten Horthy-Regimes nachempfunden ist. In dieser schwarzen Uniform marschierten die Neofaschisten bis zum Verbot auch durch Roma-Dörfer, um die ins Abseits gedrängte Minderheit zu terrorisieren und in ihrem Elend zu verhöhnen. Orbans neuesten Verfassungsänderungen gießen diese dumpfen Rassismen in Gesetzesform und rechtfertigen unter der Hand Menschenrechtsverletzungen.

Wird die EU strukturell rassistisch?

Indymedia

Die von Finanzkrise und diktatorischen Sparmaßnahmen gebeutelten Ungarn ließen sich gegen die Minderheit aufhetzen und wählten auch aus diesem Grund 2010 überwiegend rechtsextrem und rechtspopulistisch. Die EU tut zwar beleidigt über Missachtungen europäischer Freiheitsrechte, argwöhnt in Wahrheit aber nur, Orban könnte ausländische Kapitalinteressen wirklich hie und da zugunsten der Bevölkerung seines Landes beschneiden.

Ansonsten arrangiert man sich gerne mit dem Rechtpopulismus und Rechtsextremismus aus Budapest -ist Ungarn wirklich rassistischer als die EU-Politik an der Mittelmeer-Außengrenze, die von Frontex & Co. gegen Migranten dichtgemacht wird? Alle deutschen Reaktionäre jaulen bis heute über die „Mauertoten“, die von der sozialistischen DDR am Eisernen Vorhang getötet wurden -ca. 200 Menschen: Soviel lassen Frontex-Schergen an einem Nachmittag im Meer ertrinken.