Frank Schirrmacher (Gott hab ihn selig), als FAZ-Herausgeber einer der mächtigsten Pressemänner im Land, hatte einst angeblich eine Wandlung durchgemacht: Vom erzreaktionären Wirschaftsliberalen zum Freidenker, der linke Kritik nicht mehr als kommunistische Propaganda abtut. Die Finanzkrise brachte ihm die Erleuchtung, dass freie Märkte doch nicht zwangsläufig ins Paradies des “größtmöglichen Glücks der größtmöglichen Zahl” führen. Vielmehr kam es zum größtmöglichen Zahlenmüssen der Allgemeinheit für die größtmögliche Zahl von Bankern, das hatten auch immer mehr FAZ-Leser unter finanziellen Schmerzen begriffen. Nun ist er, der dem Ego ein Denkmal setzte, von uns gegangen. Aber seinesgleichen und meist schlimmere Kaliber bleiben uns zuhauf.
Zum Beispiel Sarrazin, der den Rassismus mit dem muffigen Bankercharme der Sozi-Bourgeoisie salonfähig machte. Er wurde gehypt vor allem vom Mediengiganten Bertelsmann („Stern“, „Spiegel“, RTL) und rannte gegen die in unserem Land mühsam aufgebaute Ethik an. Sein und Bertelsmanns, dessen Konzernstiftung wir Harz IV verdanken, Ziel: Ein ideologischer Rechtsruck, der den Neoliberalismus „anschlussfähig“ macht an alte rassistische Ressentiments, die noch aus der Nazi-Zeit stammen.
Sein neues Werk passt dazu „Der neue Tugend-Terror: Über die Grenzen der Meinungsfreiheit“, wärmt aber nur den kalten Kaffee des wohlfeilen “Gutmenschen”-Bashing wieder auf. Wie glaubwürdig ist Sarrazins Geschrei über die Tugend? Wieso will ausgerechnet er uns den Umgang mit Tugend erklären? Das sind ebenso rätselhafte Fragen, wie die nach seinem Protest gegen die angeblich der deutschen Wirtschaft schadenden faulen Ausländer und dummen „Kopftuchmädchen“. Sarrazin selbst und seine Banker-Gang haben sich selbst nicht mit Ruhm bekleckert, was unsere Wirtschaft angeht –Stichwort Finanzkrise.
Gut durch diese und andere Krisen kam Merkels Ex-Kurzzeit-Präsident Christian Wulff. Er wurde zwar wegen Vorteilsnahme vor Gericht gestellt: Das Landgericht Hannover hatte entschieden, die Anklage wegen Korruption zuzulassen. Das deutsche Strafrecht kennt jedoch das Wort “Korruption” nicht -darum ging es um “Vorteilsnahme” und “Vorteilsgewährung” (die milderen Versionen von Bestechung und Bestechlichkeit) in Höhe von angeblich weniger als 800 Euro. Bertelsmann-Medienleute jammerten über Gerichtsentscheid -ihre Konzernbosse pflegten gern Lobbyismus zu Präsidenten.
Im Fall von Luxus-Rentner Wulff und seines Freundes, des spendablen Filmfinanziers David Groenewold, kam es zu einem Hauptverfahren -eine Sensation, erstmals musste sich ein so hoher Würdenträger der Bundesrepublik für Korruption verantworten, wenn auch mit gebremstem Schaum: Unsere Richter wollen es wohl nicht gleich übertreiben mit dem Rechtsstaat und der Gleichheit vor dem Gesetz. Und sprachen Wulff frei, weil einige eben gleicher und reicher sind als andere.