DFG: Ein Snob-Verein verteilt Milliarden Steuergelder an seine Freunde

Elitäre Korruption mordet deutsche Kultur

Die DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) ist der heimliche Riese in der deutschen Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie ist juristisch wie ein Kaninchenzüchterverein als simpler „e.V.“ organisiert, verwaltet aber ca. zwei Milliarden Steuergelder aus dem Forschungsetat des deutschen Staates. Damit entscheiden ihre demokratisch in keinster Weise transparenten, geschweige denn legitimierten Dunkelmänner nicht nur über Karrieren von Wissenschaftlern, sondern auch über Forschung, akademische Inhalte, künftiges Schulwissen und technologische Weichenstellungen. Diese Entscheidungen sind von höchster Tragweite für unser aller Zukunft, aber kaum einer weiß davon wie sie getroffen werden und wen sie begünstigen. Korruption in Reinkultur scheint vorprogrammiert, ein Kritiker und Insider des Wissenschaftsbetriebes, aber Outsider des DFG-Freundeskreises ist Dr.Richard Albrecht.

Gastbeitrag

Richard Albrecht (Dr.rer.pol.habil., Kultur- und Sozialwissenschaftler)

In diesem Autorenbeitrag geht es um eine sozialwissenschaftliche Kritik an der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die DFG ist ein eingetragener (privatrechtlich organisierter) gemeinnütziger Verein in der alten Bundeshauptstadt Bonn. Sie gilt als „die zentrale Selbstverwaltungsorganisation der deutschen Wissenschaft“ mit den Aufgaben: „Die Deutsche Forschungsgemeinschaft dient der Wissenschaft in allen ihren Zweigen durch die finanzielle Unterstützung von Forschungsaufgaben und durch die Förderung der Zusammenarbeit unter den Forscherinnen und Forschern“, genauer:

„Mit einem jährlichen Etat von inzwischen mehr als zwei Milliarden Euro finanziert und koordiniert die DFG in ihren zahlreichen Programmen über 20 000 Forschungsvorhaben einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie von Forschungsverbünden an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Dabei liegt der Schwerpunkt in allen Wissenschaftsbereichen in der Grundlagenforschung.“[1]

Abgesehen von der (früher dokumentierten) Problematik des neuen wissenschaftlichen „open access“-Publizierens [2], zu der sich die DFG-Spitze bereits 2007 bekannte und zu dem sie „alle von ihr geförderten Wissenschaftler“ auffordert [3] gibt es ein Grunddilemma der DFG-Forschungsförderung. Dieses ist sogar dem deutschsprachigen Netzlexikon wikipedia nicht verborgen geblieben. Es wurde im dort vorsichtig so ausgedrückt [4]:

„Die Begutachtungspraxis von Förderanträgen genügt […] nicht rechtsstaatlichen Anforderungen, da Entscheidungen nicht begründet werden und keine Widerspruchsmöglichkeiten bestehen.“

Den Doppelcharakter von Wissenschaft hat Carl Djerassi im Postscript zum Satireroman Cantors Dilemma (1989) bündig beschrieben: „Science is both disinterested pursuit of truth and a community, with its own customs, its own social contract„[5].

Das heißt: Wissenschaft ist immer beides zugleich, sowohl Erkenntnisform als auch Handlungssystem. Auf der Ebene der [scientific] community, hier der DFG-Wissenschaftlergemeinde, wurde die Problematik im Zusammenhang mit Guttenbergs Fall deutlich im am 25. Februar 2011 öffentlich bekräftigten Erkenntnisanspruch der DFG: „Wissenschaft beruht auf Wahrhaftigkeit, Redlichkeit und Vertrauen„[6]. Dies kann unter Vermeidung aller Eindimensionalität und unter Einvernahme der Möglichkeitskategorie[7] bedeuten: Die DFG wirkt als realexistierende non-equal-chance-institution infolge ihrer Chancenungleichheiten wegen fehlender Zugangsoffenheit/en, Prozeßtransparenz und Ausgangskontrolle/n empirisch nicht nur aspekthaft als ganzdeutsche Leitinstitution zur Forschungsverhinderung.

Wissenschaft „ … eine Festung der Engstirnigkeit … Benutzbarkeit wird zum Kriterium … Was nicht ins Bild paßt, wird ausgesperrt. Die großen Vernachlässiger. Die Kurvenanpassung mit Korrekturgliedern. Das Denken mit unverrückbaren Ausgangspunkten, und von da an wird immer ein wenig geschwindelt. Die Naturverwüstung kommt in zweiter Linie, zuerst die Menschenverwüstung, Verkarstung des Bewußtseins. Erfolg als Kriterium für Richtigkeit.“ (Walter E. Richartz, Reiters Westliche Wissenschaft. Roman. Zürich 1980: 212)

Wenn Siegfried Kracauers These: „Der Ort, den eine Epoche im Geschichtsprozeß einnimmt, ist aus der Analyse ihrer unscheinbaren Oberflächenäußerungen schlagender zu bestimmen als aus den Urteilen der Epoche über sich selbst“[8] auch nur im Ansatz zutrifft – dann sind in einer bürokratischen Großorganisation wie der Bonner DFG als „unscheinbare Oberflächenäußerungen“ bestimmte Regeln, Regularien und Richtlinien zur „Forschungsförderung“ von besonderem Interesse: etwa die ab Juli 2010 geltenden (und von mir als wissenschaftshistorische Zäsur oder grundlegenden Einschnitt bewerteten) „Neuregelungen für Publikationsverzeichnisse in Anträgen, Antragsskizzen und Abschlussberichten“ von DFG-Wissenschaftlern[9] mit  Hinweis auf die nun nur noch „optionalen Lektüre“ von Forschungsanträgen beigefügten „Arbeiten“ der Antragsteller,

was erstens meint: Gutachter dürfen – müssen aber die Textanlagen zum Forschungsantrag nicht (mehr) lesen.

und zweitens: Antragsteller dürfen nur noch „fünf Arbeiten in Publikationsorganen“ in ihrem „wissenschaftlichen Lebenslauf“ „aufführen“[8]. Und drittens ist hier einschlägig insbesondere die formelle Neuregelung der „Antragsberechtigung“ bei „Forschungsstipendien“ promovierter Wissenschaftler im 19-seitigen DFG-Vordruck 1.04 – 10/09. Dort heißt es zur „Integration“ ins „deutsche Wissenschaftssystem“[10]:

„Für ein Forschungsstipendium sind Sie als Wissenschaftlerin und Wissenschaftler grundsätzlich antragsberechtigt, wenn Sie in das deutsche Wissenschaftssystem integriert sind. In der Regel gelten Sie als integriert, wenn Sie unmittelbar vor der Antragstellung mindestens drei Jahre während der Promotions-und/oder Postdoc-Phase ununterbrochen wissenschaftlich in Deutschland gearbeitet haben.“

Der Teufel DFG scheißt immer auf den größten Haufen (seinen)

Das deutet so folgerichtig und konkret ad pers.: ich selbst bin als Dr.phil. („summa cum laude“ [sine fraude]), weil bisher nicht „mindestens drei Jahre [lang] während der Postdoc-Phase ununterbrochen in Deutschland“ als (Sozial-) Wissenschaftler beschäftigt, per definitionem  n i c h t  antragsberechtigt. Das von mir in Form „gratiser Privatarbeit“ (Marx) vorbereitete höchstanspruchsvolle Forschungsprojekt über Zwei Jahrhunderte deutsche Geistes- und Sozialwissenschaftsgeschichte, in welchem „über die doppelte Vermittlung“ durch Arbeiten des Soziologen Ferdinand Tönnies (1855-1936) „nahezu zwei Jahrhunderte deutsche Geistes- und Sozialwissenschaftsgeschichte subjektsoziologisch von Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) bis René König (1906-1992) strukturierend eingeholt“ werden könnte, bleibt als „intellektuell bedeutsames ´weites Feld´“ ein DFG-„forschungsförderungsbezogenes Anathema“[11]: Ohne Moos nix los. Dieser Prozeß wird von und seit Max Weber soziologisch „Schließung der betreffenden (sozialen und ökonomischen) Chancen gegen Außenstehende“[12] genannt.

„Unter sozialer Schließung versteht Weber den Prozeß, durch den soziale Gemeinschaften Vorteile zu maximieren versuchen, indem sie den Zugang zu Privilegien und Erfolgschancen auf einen begrenzten Kreis von Auserwählten einschränken. Das führt dazu, dass bestimmte, äußerlich identifizierbare soziale und physische Merkmale als Rechtfertigungsgrund für den Ausschluss von Konkurrenten hervorgehoben werden. Weber nimmt an, dass praktisch jedes Gruppenmerkmal – Rasse, Sprache, soziale Herkunft, Abstammung – herausgegriffen werden kann, sofern es nur zum ›Monopolisieren bestimmter, und zwar der Regel nach ökonomischer Chancen‹ benützt werden kann. Die Monopolisierung richtet sich ›gegen andere Mitbewerber, welche durch ein gemeinsames positives oder negatives Merkmal gekennzeichnet sind, (…) und das Ziel ist: in irgend einem Umfang stets Schließung der betreffenden (sozialen und ökonomischen) Chancen gegen Außenstehende‹.“ (Frank Parkin, Strategien sozialer Schliessung und Klassenbildung. In: Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt, Sonderband 2. Hg. Reinhard Kreckel. Göttingen 1983: 121-136, hier 123)

IV. Der individuelle Ausschluß ist auch bei der DFG ein formalisierter und institutionalisierter sozialer Prozeß. Würde er als institutionelle Regelung folgerichtig angewandt oder konsequent exekutiert, bedeutete dies für Nachgeborene und damit Generationen von Forschern beiderlei Geschlechts entweder auch projektiv deren (wie empirisch meinen) Ausschluß; oder aber, angesichts zunehmenden „Drucks auf den Magen“ (Hermann Heller) eher wahrscheinlich: diese „Nachgeborenen“ werden, wenn und insofern die dauerhafte und stetige Beschäftigung in anerkannten ganzdeutschen Wissenschaftseinrichtungen  n i c h t  mehr typisch und Regel, sondern atypisch und Ausnahme wird,  um überhaupt ihre „Antragsberechtigung“ darstellen zu können und möglicherweise eventuell DFG-gefördert werden zu können, systematisch ihre Biographien fälschen und personal lügen. Entsprechend des Doppelcharakters des Ausschlußprozesses verbleibt der DFG damit nicht mal mehr eine formaldemokratische Hülle als equal-chance-institution. Vielmehr ist wie im Fall Guttenberg[13] das Verhältnis von Ausnahme und Regel verkehrt[14], die Ausnahme Regel und „Normalität“ zugleich geworden:

„HERA / PT DLR, Berlin, 21.02.2012

Bewerbungsschluss:30.11.2011

„Es gibt eine neue europäische Fördermöglichkeit für die Geisteswissenschaften! Das HERA Joint Research Programme „Cultural Encounters“ ist mit einem Budget von 18 Mio. EUR ausgestattet. Es wird im Februar 2012 veröffentlicht und richtet sich gezielt an GeisteswissenschaftlerInnen. Sozialwissenschaftliche Disziplinen können sich beteiligen, solange der Schwerpunkt des Projekts bei den Geisteswissenschaften liegt […] Die Ausschreibung richtet sich an WissenschaftlerInnen ab Post-Doc, die an einer Universität, Fachhochschule oder Forschungseinrichtung angestellt sind. Einzel- oder unabhängige Vorhaben werden nicht gefördert […]

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Team der Nationalen Kontaktstelle Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften […] PT DLR NKS-SWG Heinrich-Konen-Straße 1, 53227 Bonn
Quelle http://hsozkult.geschichte.huberlin.de/chancen/type=stipendien&id=6577

In einer öffentlichen Ausschreibung des Deutschen Historischen Instituts Paris (DHIP) wurde Anfang 2012 die DFG-Formel („mindestens drei Jahre während der Promotions-und/oder Postdoc-Phase ununterbrochen wissenschaftlich in Deutschland gearbeitet“) so variert:

„Zur Förderung von Forschungsaufenthalten in Pariser Archiven und Bibliotheken schreibt das Deutsche Historische Institut Paris das Karl-Ferdinand-Werner-Fellowship für den Zeitraum Juli bis Dezember 2012 aus (Bewerbungsschluss ist der 2. April 2012). – Forschungsaufenthalte in Paris können vor allem für die vorlesungsfreien Zeiten (Dauer 2 bis 4 Wochen), in begrenztem Umfang ab jetzt aber auch während der Vorlesungszeit (Dauer 2 bis 8 Wochen) bewilligt werden. – Das KFW-Fellowship richtet sich an an deutschen Hochschulen eingebundene, historisch arbeitende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Mindestvoraussetzung ist eine abgeschlossene Promotion), die in Paris und Umgebung Forschungsarbeiten durchführen wollen. – Das DHIP stellt den Fellows in seinem Institutsgebäude kostenfrei ein Gästezimmer mit Internetzugang zur Verfügung und bietet die Anbindung an die Instituts- und Bibliotheksinfrastruktur. Weitere Aufenthalts- und Reisekosten können jedoch nicht übernommen werden.“

Quelle http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/chancen/id=6931&type=stipendien

V. Die damit infolge so illusionärer wie falscher Voraussetzungen notwendig produzierte Verkehrung entspricht sowohl (nicht nur, aber nachhaltig) der von der DFG vertretenen Selbsttäuschung und Lebenslüge als auch dem Prozeß, den Franz Kafka während des Ersten Weltkriegs bemerkte und lakonistisch so beschrieb:

Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht.“[15]

Als unabhängiger Autor, Bürgerrechtler und Privatgelehrter bewege ich mich seit meiner Nichtberufung auf einen HUB-„Lehrstuhl“ seit zwei Jahrzehnten nicht (mehr) in diesen sozio-pathischen Milieus, die heuer „Wissenschaft“ repräsentieren sollen. Ich muß daher als Intellektueller und immer noch aktiver, engagierter und selbstbewußter (Sozial-) Wissenschaftler keinen Bückling machen vor submediokren Sesselbürokraten und/oder DFG-Fuzzis, deren moral quotient oder meßbare Moralität sich irgendwo zwischen Zimmer- und Körpertemperatur bewegt und die Du typischerweise schon dadurch, daß Du sie auf der Straße nach der Uhrzeit fragst, in Verlegenheit bringen kannst …

Da Autoren wie Walter Schenker (Professor Gifter, 1979), W.E.R. (Reiters Westliche Wissenschaft (1980) und Dietrich Schwanitz (Der Zirkel, 1998) sich faktional dieser verdorbenen „Wissenschaft“ (nach)lesbar annahmen[16], muß dieses so gesellschaftlich korrupte wie sozial korrumpierende Sujet (Ludwig Feuerbach vernutzte vor hundertfünfzig Jahren im vergleichbaren Zusammenhang die Grimm´sche Märchentitelmetapher „Lumpengesindel“) von mir nicht erneut literarautorisch bearbeitet werden – auch wenn die geschätzten Autoren auf der Ebene der Einzelheit noch nichts von dieser aktuellen Hyperabsurdität und doppelte Verkehrung im dickichten Feld realexistierender DFG-„Forschungsförderung wissen konnten: Fakt dort ist inzwischen, so lassen sich verschiedene „Merkblätter“ bündig zusammengefassen, die Übertragung des gescheiterten „Ich-AG“-Modells von Peter-Hartz-IV als Stipendienvergabe an besonders qualifizierte Wissenschaftler. Diese sollen sich selbst eine sogenannte „Eigene Stelle“ speziell für „im Ausland“ durchzuführende „Forschungsvorhaben“ an einer ausländischen Hochschule, deren „Einladung“ dem Antrag „beizufügen“ ist, schaffen.

VI. In hochentwickelt-arbeitsteiligen Gesellschaften mit indirekten Herrschaftssystemen kommt Wissenschaft im allgemeinen so hervorragende Bedeutung zu, daß in den letzten Jahrzehnten zeitweilig öffentlich sogar von wissenschaftlich-technischer Revolution und von Wissensgesellschaft geredet wurde.

Die zitierte DFG-Förderrichtlinie bedeutet fürs ganzdeutsche Wissenschaftssystem und seinen Forschungsbereich nicht nur weiteren (relativen) Autonomieverlust im MTSGR-Sinn von money-makes-this-science-go-round. Sondern wirkt als Meilenstein im/beim Inkorporierungs- oder Vereinnahmungsprozeß von Wissenschaft und Forschung, forschender Wissenschaftler und wissenschaftlicher Forscher ins hier schon fortgeschrittenere Politsystem als hypermarodes oder überfälliges Syndrom.

Es ist als sollte – und wollte – zuvörderst DFG-geförderte „Forschung“ (wenngleich dauerhaft nicht nur diese) jetzt den „Hintertreppenwitz der Geschichte“ beschleunigt ex negativo befördern – nämlich „daß in diesem Land, in dessen östlichem Teil ein Sozialismus ohne menschliches Gesicht geschichtlich abtrat, nun ein Kapitalismus ohne menschliches Gesicht es so weit brächte, daß auch ihm über kurz oder lang nichts anderes mehr übrigbliebe als der geschichtliche Abtritt, weil er, seiner ungebändigten Eigenlogik folgend, seine kulturellen Grundlagen zunehmend selbst zerstört“[17], oder genauer: was in Die Zeit (4. März 2011) nicht unzutreffend als „die wohlbestallten Spitzenvertreter der Forschung“ ausgemacht wurde, erweist sich mit Blick auf die Erfordernis von offener, produktiver und kreativer Wissenschaft in einer entwicklungsfähigen und offenen Bürgergesellschaft [civil society; sociedad civil; société civile] zunehmend als bürokratischer Sozialsplitter und Politaggregat der in den letztbeiden Jahrzehnten herausgebildeten und gefestigten ganzdeutschen Lumpenelite[18], die die Tastatur des Mephistopheles-Effekts und seiner doppelt paradoxen Handlungswirksamkeit in den letztbeiden Dezennien zu bedienen gelernt hat und weiß:

 Alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrundegeht; / Drum besser wär’s, daß nichts entstünde. / So ist denn alles, was ihr Sünde, / Zerstörung, kurz, das Böse nennt, / Mein eigentliches Element.“[19]

VII. C. Wright Mills kritisch-soziologische Sicht auf den spätkapitalistischen „Kulturapparat“[20] mit dessen beständig-erweiterter Polarisierung in Stars und Tagelöhner („commercial hacks“) könnte, wer einen aktuellen Bericht über eine „Leibniz Lecture NYCbedenkt („Der Star, den alle im German House in New York hören wollten, war Günter M. Ziegler, Professor für Mathematik an der FU Berlin, Leibniz-Preisträger 2001 und Communicator-Preisträger 2008. Das New Yorker DFG-Büro hatte den 48-jährigen Mathematiker eingeladen, den Auftakt der „Leibniz Lecture Series 2012“ zu übernehmen“[21]), auch als Illustration einer Leithypothese zur ganzdeutsch-staatsfinanzierten „big science“ durch die DFG nehmen – unterliegt dieser doch wie dem Weber´schen Einkommensdogma die „rat race“- oder Konkurrenzideologie mit der Unterstellung, Wettbewerb sei „eine der Triebfedern der Wissenschaft“[22] als Ausdruck des Gesetzes des Dschungels. Dem freilich steht das namentlich in wissenschaftlichen Zusammenhängen geltende Cooperationsgebot der zivilisatorischen Zusammenarbeit entgegen:

Konkurrenz ist das Gesetz des Dschungels, und Kooperation ist das Gesetz der Zivilisation.“[23]

VIII. Es bedarf keinerlei prophetischer Gabe, um erstens vorauszusagen, daß Patrik Bahners sarkastisches Diktum: „Vom sachlichen Gehalt des Gesagten lebt in der wissenschaftlichen Republik nur der Privatgelehrte“[24] nächstens von der Praxis ganzdeutscher und mit öffentlichen Mitteln geförderter Forschung einge- und überholt werden wird; daß zweitens dieser Bereich bald(er als bald) eine Festung postfaschistisch-grandioser Submediokrität [grandiose mediocrity; submediocridad grandiosa; grandiose submédiocrité] in der „Wissenschaft“ werden wird; daß drittens wissenschaftliche Forschung, die diesen Namen verdient und die kreative Außenseiter wie produktive Begabungen[25] nicht nur nicht ausschließt, sondern bewußt einbezieht, noch weitergehender als bisher schon in „private“ Einrichtungen verlagert wird; und daß viertens speziell in allen niedrigapparativ-„unterkapitalisierten“ Wissenschafts- und Forschungsbereichen, insbesondere in geistes-, sprach- und sozialwissenschaftlichen Feldern, die Bedeutung aller in Form von „gratis“ erbrachter „Privatarbeit“ (Karl Marx) [gratuitous private work; labor gratis privado; travail gratuit en privé] als Forschungsleistungen zunehmen wird – weshalb die oberflächlich-neudeutsch «Vernetzung» genannte Selbstorganisation dieser Forscher beiderlei Geschlechts zunehmend und auch als subjektive Produktivkraftentwicklung wichtiger wird.

Aber wie auch immer: Ohne moralische Verantwortung und ohne ethisch begründete Forschungspraxis gehören Wissenschaftler – so schon Bertolt Brecht 1938/1955 im Leben des Galilei[26] – zum „Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können.“

Fußnoten

[1] http://www.dfg.de/dfg_profil/aufgaben/index.html forschung. Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 4/2010: 36 [Impressum];

http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_magazin/wissenschaft_oeffentlichkeit/forschung_magazin/forschung_2010_04.pdf

[2] http://www.duckhome.de/tb/archives/8561-ANSPRUCHSVOLLE-WISSENSCHAFTLICHE-FACHLITERATUR.html

[3] forschung, 2/2007: 26; zum open-acces-Publizieren http://www.dfg.de/download/formulare/12_20/12_20.pdf

[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Forschungsgemeinschaft mit Verweisen auf die Diss. iur. von Stefanie Salaw-Hanslmaier, Die Rechtsnatur der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Auswirkungen auf den Rechtsschutz des Antragstellers. Hamburg: Dr. Kovac, 2003 [= Studien zur Rechtswissenschaft 129] und das von Dr. Daniel Lübbert erarbeitete Gutachten WD 8 179/06 der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags

http://www.bundestag.de/dokumente/analysen/2006/Die_Deutsche_Forschungsgemeinschaft__DFG.pdf

[5] Carl Djerassi, Cantors Dilemma. A Novel [1989]. Harmondsworth ²1991: 229; deutsch etwa: „Wissenschaft bedeutet sowohl selbstloses Streben nach Wahrheit als auch eine Gemeinschaft mit ihren eigenen Sitten und Gebräuchen, Vorstellungen und Gesetzen.“ – Mein allgemeines Wissenschaftsverständnis folgt Werner Hofmann, Wissenschaft und Ideologie; in: ders., Universität, Ideologie, Gesellschaft. Beiträge zur Wissenschaftssoziologie. Frankfurt/Main ²1968: 49-66, mein spezielles Sozialwissenschaftsverständnis Theodor Geiger, Über Soziometrik und ihre Grenzen; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1 [1948/49]: 292-302; und mein 1979 Jahren veröffentlichter Text über (sozial)wissenschaftliche Forschung(sethik) erscheint heute (fast schon beängstigend) aktuell: Richard Albrecht, Empirische Sozialforschung, Methodenprobleme und Forschungsethik; in: BdWi-Forum, 37.1979: 34-39

[6] http://www.dfg.de/dfg_profil/reden_stellungnahmen/2011/110225_stellungnahme_plagiate_fehlverhalten/index.html

[7] http://www.duckhome.de/tb/archives/8773-MOEGLICHKEITSSINN.html

http://ricalb.files.wordpress.com/2009/08/eindimensionalitaet.pdf

http://www.saarbreaker.com/2009/09/kritik-des-eindimensionalen-denkens

[8] Siegfried Kracauer, Das Ornament der Masse; in: Frankfurter Zeitung: 9. [und] 10.6.1927; hier zit. nach ders., Das Ornament der Masse. Essays. Nachwort Karsten Witte. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1977 [= st 371]: 502

[9] Dokumentation [als Beilage in]: forschung 1/2010: I-IV

[10] http://www.dfg.de/download/programme/forschungsstipendien/antragstellung/1_04/1_04.pdf

[11] Richard Albrecht, Ferdinand Tönnies (1855-1936). Zum 75. Todestag eines soziologischen Klassikers; in: soziologie heute, 3 (2011) 16: 30-33

[12] Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft [1922), hier zit. nach der 2001-Ausgabe: Frankfurt/Main 2005: 260/261

[13] Richard Albrecht, GUTT-BYE BUY-GUTT oder das vorläufige Ende freiherrlicher Dienstflüge; in: ders. [Ed.] FLASCHEN POST. Beiträge zur reflexivhistorischen Sozialforschung. Bad Münstereifel: VerKaaT 2011: 55-64

[14] Richard Albrecht, Leidverhütung und Leidensschutz: Sigmund Freuds „Unbehagen  i n  der Kultur“; in: Kultursoziologie, 6 (1997) I: 56-72; ders., Freuds Skeptizismus – Leidverhütung, in: Schweizer Monatshefte, 77 (1997) 7/8: 45-48

[15] Franz Kafka, Der Prozeß [1915]. Neuntes Kapitel: Im Dom [Dialog K. – Geistlicher]; hier zit. nach: Romane und Erzählungen. Frankfurt/Main 2004: 362; auch http://de.wikisource.org/wiki/Der_Process/9._Kapitel

[16] Walter Schenker, Professor Gifter. Roman. Reinbek: Rowohlt, 1979, 219 p.; Walter E. Richartz, Reiters Westliche Wissenschaft. Roman. Zürich: Diogenes,  1980: 215 p.; Dietrich Schwanitz, Der Zirkel. Eine romantische Komödie. Roman. Frankfurt/Main: Eichborn, 1998, 447 p.

[17] Richard Albrecht, Von den Selbstheilungskräften zu den Selbstabschaffungstendenzen des Marktes. Zur Kritik des real-existierenden Kapitalismus; in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 42 (1991) 8: 508-515; erweitert im Netz http://www.duckhome.de/tb/archives/9301-KRITIK-DES-REAL-EXISTIERENDEN-KAPITALISMUS.html

[18] Richard Albrecht, Über Phantom-Elite/n und mehr aus dem Neuen Deutschland: Elemente einer alternativen sozialpsychologischen Zeitdiagnose. München: GRIN, 2004, 29 p.; http://www.grin.com/e-book/25371/ueber-phantom-elite-n-und-mehr-aus-dem-neuen-deutschland-elemente-einer; zuletzt ders. [2010], Elitelumpenpack:

http://ricalb.files.wordpress.com/2010/06/elitelumpenpack.pdf

http://www.binsenbrenner.de/wordpress/2010/06/03/elitelumpenpack/#more-10250

[19] GoetheFaust I: 1334-1344; mehr bei Richard Albrecht, Der Matthäus-Effekt; in: soziologie heute, 4 (2011) 17: 28-31

[20] C. Wright Mills, The Cultural Apparatus [1959]; The Politics of Truth. Selected Writings. Ed. John H. Summers (Oxford University Press 2008, 203 ff.)

[21] forschung. Hg. DFG [Bonn], 2/2012: 35;

http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_magazin/wissenschaft_oeffentlichkeit/forschung_magazin/forschung_2012_02.pdf

[22] ebenda: 31; für Max Weber ist „das Streben nach Einkommen die unvermeidlich letzte Triebfeder allen wirtschaftlichen Handelns“ (Wirtschaft & Gesellschaft [1920]. Studienausgabe; Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1964: 153)

[23] Eldridge Cleaver, SOUL ON ICE (A Ramparts Book; New York: McGraw-Hill 1968, 210 p.); deutsch(sprachig)e Ausgabe SEELE AUF EIS (München: dtv 710, 4. Auflage 1971, hier 96-97)

[24] Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) 07.11.2007: 4

[25] Richard Albrecht, Begabtenforschung und Begabtenförderung als gesellschaftliche Aufgabe; in: liberal, 44 (2002) 4: 22-26; http://medienbibliothek.fnst.de/uploads/medienbibliothek/Albrecht.pdf

[26] Bertolt Brecht, Gesammelte Werke 3; Stücke 3. Frankfurt/Main: werkausgabe edition suhrkamp 3, ²1968: 1341 [14. Bild]

Erstveröffentlichung im justizkritischen Netzblog mops-block, s. http://www.mops-block.de/, Hg. Prof. Dr.iur. Rainer Maria Kiesow, 25. Mai 2012, Beitrag No. 157; gekürzter Nachdruck in der Marburger  Vierteljahreszeit-schrift FORUM WISSENSCHAFT 4/2012: 49-52, s.  http://www.bdwi.de/suchen/6570947.html?searchshow=richard%20albrecht – Der Text  hier entspricht der Erstpublikation, reblogged von scharf-links.

Dr.rer.pol.habil. Richard Albrecht, Kultur- und Sozialwissenschaftler. Leitkonzept The Utopian Paradigm (1991). Kolumnist des Linzer Fachmagazin soziologie heute. Aktuelle Forschung 2018: The Hillsborough Drama and its Consequences. Narratives on cultural breaks within European metropolises to overcome capitalist basics.

 

63.Bilderberg-Konferenz: Zeit für Analysen

Gerd R. Rueger

Tirol. Heute treffen die Bilderberger zu ihrer jährlichen Konferenz zusammen. Für vier Tage beraten sich dort ca. 140 Vertreter aus den Bereichen Sicherheit, Hochfinanz, Industrie, Politik, Medien, Wissenschaft sowie Funktionäre von meist den Konzernen gehörenden Think Tanks und Stiftungen. Derzeit wird auch endlich analytischen Ansätzen der Bilderberger-Forschung wie jenem von Björn Wendt etwas Aufmerksamkeit zuteil, die in der Tradition der Machtstrukturanalyse stehen (Power Structure Research). Die Bilderberger gleiten aus dem Dunkel des Geheimen langsam ins Licht der Öffentlichkeit, zuerst beleuchtet von marginalisierten Aktivisten, doch jetzt mehr und mehr auch vom Mainstream -siehe ORF-Interview mit dem diesjährigen Bilderberg-Organisator.

Der Sozialwissenschaftler Björn Wendt veröffentlichte zu diesem Anlass seine soziologische  Studie „Die Bilderberg-Gruppe – Wissen über die Macht gesellschaftlicher Eliten“, die sich den Mythen über die Bilderberger wie auch den Konferenzen widmet und derzeit in vielen Alternativmedien erwähnt wird. Sie ist jedoch keineswegs die erste Studie zu diesem Thema, die neben den „üblichen Verdächtigen“ der Bilderberger-Kritikerszene an diesem Thema arbeitet vielmher widmet sich die Forschungsrichtung der Machtstrukturanalyse (Power Structure Research, PSR) seit Jahrzehnten den heimlichen Umtrieben der Geld- und Machteliten der westlichen Welt. Ihre politischen Machenschaften und Intrigen bewegen sich zwischen Lobbyismus, Korruption und Verschwörungen.

Doch nur selten wurde der PSR Aufmerksamkeit zuteil, d.h. abseits des wohlfeilen Herziehens über „Verschwörungstheorie“ bzw. deren Pathologisierung als paranoide Form heutigen Hexenwahns. Prof. H.J. Krysmanski, der seit langem -wie jetzt auch Wendt- von Privatisierung der Macht spricht, kann als traditioneller Vertreter der PSR im deutschsprachigen Raum gelten, die den Spuren des Klassikers C.W.Mills folgt (siehe unten), auch Globalisierungskritiker wie Elmar Altvater, die zusammen mit Krysmanski publizierten, sahen in diesem Umfeld die vom Neoliberalismus bejubelte Privatisierung als Hauptproblem und Einfallstor für globale Korruption. Die Bilderberger-Treffen sind heimliche Zentrale zur Koordinierung und Korrumpierung der Politik im transatlantischen Raum

PSR nach H.J.Krysmanski

Power Structure Research erforscht Machtformen in unserer westlichen Plutokratie. Diese Plutokratie, die heimliche Herrschaft der Reichen, beinhaltet zunehmend eine Privatisierung der Politik (vgl. die PSR-Klassiker C.W.Mills, Veblen, Lundberg, Mannheim). Politik wird so zur ‚Privatangelegenheit’ einer kleinen Gruppe von Superreichen und ihrer Netzwerke, legitimiert oft durch Mythen über deren angebliche Leistungen für das Allgemeinwohl, über angeblich titanenhafte Herkuleswerke oder genialischen Erfindergeist. Politikwissenschaftler sprechen jedoch auch vom ‚verblassenden Mythos der Meritokratie’, also der mythischen Leistungsgesellschaft, und sogar vom ‚Superreichtum als Gefahr für die Demokratie’ (vgl. Krysmanski 2004: 10-12). Aktueller ist der Begriff der “Postdemokratie” von Colin Crouch, der die Aufweichung der westlichen Demokratien durch Machteliten beschreibt, die “Privatisierung der Macht”, wie H.J.Krysmanski es nennt.

Krysmanski regt an, dass wir uns die neuen planetarischen Herrschaftsstrukturen als eine Ringburg vorstellen sollten (siehe Grafik). Das Zentrum bilden überall die 0,01 Prozent Superreichen, eine völlig losgelöste und zu allem fähige soziale Schicht, welcher die Wissens- und Informationsgesellschaft alle Mittel in die Hände legt, um sich als eine neue gesellschaftliche Mitte zu etablieren. Um sie herum und ihr am nächsten gruppieren sich als zweiter Ring die Konzern- und Finanzeliten als Spezialisten der Verwertung und Sicherung des Reichtums. Den nächsten Funktionsring bilden die politischen Eliten, die zumindest aus der Sicht des Imperiums der Milliardäre für die möglichst unauffällige Verteilung des Reichtums von unten nach oben zu sorgen haben.

Die größte Gruppe bevölkert laut Krysmanski den Außenring der „sozioökonomischen Festung“: die Funktions- und Wissenseliten aller Art, von Wissenschaftlern über Techno- und Bürokraten bis zu den Wohlfühleliten in Medien, Kultur und Sport. Der Welt und den politischen Bewegungen wurde demnach, beginnend mit dem Irak-Krieg, eine brutale westliche Geopolitik aufgezwungen. Die Spielregeln einer vernünftigen Weltinnenpolitik galten auch für die verbleibende Supermacht nicht mehr. Die soziale Ungleichheit in der entwickelten Welt wuchs dramatisch. Die Reichen wurden immer reicher. Und der »Globalkapitalismus« war von undurchsichtigen, staatsfernen Herrschaftsstrukturen durchzogen.

Angstkulisse: Krieg gegen den Terror

Ablenkung und Angstkulisse schaffen dabei Bedrohungsszenarien, Seuchen sind ebenso willkommen wie Wirtschaftskrisen, die dem Globalisierungsdiskurs wieder durchschlagende Wirkung verleihen sollen. Angst vor Marginalisierung, vor Niederlagen im Standortwettbewerb, tritt neben Angst vor natur- und menschengemachten Katastrophen sowie vor dem Anderen, derzeit vorwiegend den Kopftuch-, Bart- und Turbanträgern. Zur Peitsche von Terrorkrieg und Überwachung gibt es auch das Zuckerbrot: Geködert wird die Masse mit beschränkter Teilhabe am zumeist nur virtuellen Bereich gesellschaftlichen Reichtums. Angesprochen ist dabei durchaus das einzelne Individuum und seine Neigung, den Angstnachrichten im privaten Eskapismus zu entfliehen –Telekommunikation direkt von den PR- und Kulturpropaganda-Agenturen der Machteliten zum einfachen Untertanen als Form entsubjektivierter Machtausübung.

Seit dem 17. Jh. hatten sich neue Formen der Macht auf die Disziplinierung des Körpers gerichtet, um seine Kräfte im Sinne der Produktion und Profitabilität zugleich effektiv zu nutzen und optimal zu kontrollieren (Foucault 1976). Die neuen politischen Technologien der Disziplin förderten nicht nur staatliche Institutionen wie das Krankenhaus, die Psychiatrie und das Gefängniswesen, sondern trugen in sich auch das Potential privater, privatisierter Herrschaftstechniken. Die sichtbar gemachte Delinquenz der Unterschichten lenkte nicht nur von den lukrativen, aber unsichtbaren Gesetzwidrigkeiten der Herrschenden ab (Waffenhandel, Prostitution, Drogenhandel usw.); sie ermöglichte auch die ‚Moralisierung des Proletariats‘ (Foucault) und damit private, individuelle Zwangsformen in den Betrieben, in Dienstverhältnissen usw.

Auf Seiten der Herrschenden befördert die scheinbare Unsichtbarkeit ihrer Handlungen einerseits zunächst das Entstehen korporativer Akteure, die nur in einem fiktiven, juristischen Sinne ‘Personen’ sind und in Wirklichkeit unpersönliche, z.T. zentral geleitete Organisationen darstellen. Die Bilderberger-Geheimtreffen waren immer ein Knotenpunkt dieser plutokratischen Machtstrukturen, der westliche Geld- undMachteliten zusammenschweißte und ihnen Zusammenhalt und geheime Informationsvorsprünge vor konkurrierenden Machteliten sicherte. Mit Krysmanski kann man im Großen und Ganzen Wendts Schlussfolgerungen unterstreichen: Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit sollten die bisher nur unzureichend untersuchten Konferenzen genauer unter die Lupe nehmen, sofern die Idee der Demokratie ihnen etwas bedeutet.

Der Klassiker der PSR: C. Wright Mills

Charles Wright Mills (als Autor C. Wright Mills, geb. 1916 in Waco im US-Bundesstaat Texas; † 20. März 1962 in Nyack, New York) war ein US-amerikanischer Soziologe. Er beschäftigte sich insbesondere mit den Machtstrukturen moderner Gesellschaften sowie der Rolle der Intellektuellen in der US-amerikanischen Gesellschaft der Nachkriegszeit.Mills erlangte 1939 seinen Bachelor-Abschluss an der Universität von Texas in Austin und promovierte an der Universität von Wisconsin, wo er sein Doktorat 1941 absolvierte. Ab 1946 arbeitete er an der Columbia-Universität. Trotz vieler Kontroversen blieb er dort bis zu seinem Tod.Mills unternahm zahlreiche ausgedehnte Reisen, die ihn unter anderem nach Deutschland und in die Sowjetunion führten. Zu Beginn der 1960er Jahre besuchte er Kuba, als einer der ersten US-Amerikaner nach der Revolution.Eine engagiert kritisch-praktische Auffassung von Soziologie war charakteristisch für seine wissenschaftliche Karriere wie für seinen gesamten Lebenslauf. Man kann dreierlei Phasen unterscheiden: 1. Studium der Sozialphilosophie und Rezeption der soziologischen Klassiker (Karl Marx, Max Weber, Gaetano Mosca, Vilfredo Pareto); 2. eine Periode intensiver empirischer Arbeiten; 3. eine Vereinigung beider Interessensrichtungen zu einer bestimmten Arbeitsweise soziologischer Reflexion. Hieraus erwuchs sein Beitrag Two Styles of Social Science Research; später wurden diese Ideen ausgearbeitet zu The Sociological Imagination. Berühmt geworden ist Mills mit seiner Trilogie über die Untersuchung der Machtverhältnisse in den USA, in denen er 1948 zuerst die Arbeiterschicht (“The New Men of Power”), dann 1951 die amerikanische Mittelklasse (“White Collar: The American Middle Classes”) und schließlich 1956 die amerikanische Machtelite (“The Power Elite”) genauer analysiert.

In seinem 1951 veröffentlichten Buch White Collar: The American Middle Classes (New York: Oxford University Press, 1951; dt.: Menschen im Büro: Ein Beitrag zur Soziologie der Angestellten (übers. v. Bernt Engelmann, Vorwort von Heinz Maus), Köln-Deutz: Bund Verlag 1955) behauptet Mill, Beschäftigte großer Firmen seien konservativ, weil sie sich mit ihren Arbeitgebern identifizierten. Zugleich tendierten sie zur “Statuspanik”, wenn ihre Arbeit durch Neuerungen in Frage gestellt werde. Beides führe zur Ablehnung von Innovationen.

The Power Elite (New York: Oxford University Press 1956; dt:. Die amerikanische Elite: Gesellschaft und Macht in den Vereinigten Staaten, Hamburg: Holsten-Verlag 1962) beschreibt die Machtstruktur der zeitgenössischen amerikanischen Gesellschaft als Machtelite, d.h. ein Netzwerk eng verflochtener Beziehungen zwischen den obersten Führern von Militär, Politik und Wirtschaft. Mills beobachtete, dass diese Menschen meist eine Eliteuniversität besuchten, dass sie in den gleichen exklusiven Klubs verkehrten und dass sie häufig innerhalb ihres engen Kreises heirateten.

The Sociological Imagination (dt.: Kritik der soziologischen Denkweise. Neuwied: Luchthand, 1963) ist eine wegweisende Bilanz der soziologischen Disziplin in den Vereinigten Staaten der 1950er Jahre. Mills schlägt hier einen dritten Weg zwischen dem “geistlosem Empirismus” der amerikanischen Sozialforscher und der “großen Theorie” eines Talcott Parsons ein. Mills’ Ansicht nach bedarf es einer kritischen Soziologie, die sich weder oberflächlich instrumentalisieren lässt, noch abgehoben “theoretisiert”, sondern eine Verbindung zwischen aktuellen Lebensumständen und historischer Sozialstruktur bietet. Das, so Mills, sei die Aufgabe und die “Verheißung” der Soziologie. The Sociological Imagination (TSI) ist damit auch heute noch eine der wichtigsten Selbstkritiken der Soziologie.

PSR-Literatur

Krysmanski, Hans Jürgen: Entwicklung und Stand der klassentheoretischen Diskussion, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1989, Nr.41, 149-167

Krysmanski, Hans Jürgen: Popular Science. Medien, Wissenschaft und Macht in der Postmoderne; Münster 2001

Krysmanski, Hans Jürgen: Hirten und Wölfe. Wie Geld- und Machteliten sich die Welt aneignen oder Einladung zum Power Structure Research; Münster 2004 Onlineversion gratis

Lundberg, Ferdinand: Die Reichen und die Superreichen; Frankfurt 1971

Mannheim, Karl: Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus; Frankfurt 1983

Mills, C.Wright: White Collar: The American Middle Classes; New York 1951

Mills, C.Wright: The Power Elite; New York 1956

Veblen, Thorstein: The Theory of the Leisure Class: An Economic Study of Institutions; Ontario 1953