Schlechtes Gewissen? Bertelsmann-Stiftung beklagt Hartz IV-Kinderarmut

Theodor Marloth Bertelsmann

Bekanntlich ist hauptverantwortlicher Drahtzieher von Hartz IV die Bertelsmann-Stiftung: Von dort kamen die Blaupausen, die Rotgrün unter Schröder umsetzte -mit Rückenwind durch lautstarkes Trommeln aus Bertelsmann-Medien (RTL, Spiegel, n-tv, Stern usw.). Nun plagt dort das schlechte Gewissen? Eigene Verantwortung zu bekennen fehlt leider die Ehrlichkeit beim Lobby-Think Tank Bertelsmann. Kein Wunder. Die Mainstream-Medien (auch wenn sie nicht zum Konzern gehören, sondern direkt von uns bezahlt werden: ARD & ZDF) verweigern weiterhin jede Aufklärung ihrer Nutzer über diese Hintergründe, wenn sie eifrigst die neueste „Studie“ der Bertelsmann-Stiftung zitieren. So zeigen die Bertelsmann-Finger überall hin, nur nicht auf die Haupt-Hartz-IV-Drahtzieher: Auf Konzern und Stiftung von Bertelsmann selbst.

Die Bertelsmann-Stiftung ist Besitzerin einer Mehrheit der Bertelsmann-Aktien. Der Multi-Milliarden-Medienkonzern gehört aber de facto dem Milliardärsclan der Mohns unter Führung der Patriarchen-Witwe Liz Mohn. Sie üben Kontrolle über ihre Stiftung und damit über das Medienimperium aus. In ihrer Stiftung haben sie die Pläne für eine Massenenteignung und Massenverarmung (Hartz IV usw.) ausbrüten lassen. Der von Bertelsmann geförderte „Medienkanzler“ Schröder (SPD) setzte den Sozialabbau durch -bis heute ein vertuschter Skandal in der einstigen Arbeiterpartei der Sozialdemokraten. Nun bejammert (?) Bertelsmann die selbstverschuldete Verelendung besonders von Kindern -als „Problem der Kommunen“:

„Die Ausgaben für Hartz-IV sind ein Spiegelbild der sozialen Lage. Sie kumulieren automatisch in den armen Kommunen. Ein Abbau dieser Ausgaben scheint nicht möglich. Die Verortung der Hartz IV Kosten bei den Städten und Kreisen bedeutet daher praktisch eine dauerhafte Benachteiligung schwacher und Bevorteilung starker Kommunen.“ sog. „Studie“ der Bertelsmann-Stiftung

cthulhu

Bertelsmann: Ein plutokratisches Monstrum

Irgendwo muss der schlimmste Verelendungsmist ja hängenbleiben und meist bei den Ärmsten. Ein Abbau dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit „scheint nicht möglich“ -es sei denn, man würde endlich die Reichen im Lande besteuern, z.B. Milliardärsfamilie Mohn. Die aber produziert solchen Propaganda-Bockmist, um von ihrer Schuld am Elend gerade von Millionen Kindern abzulenken -und spart damit noch Steuern in Millionenhöhe! Denn ihre Konzernstiftung ist als „gemeinnützig“ anerkannt, also ein Steuersparmodell. Damit finanziert sie ihre Lobbyisten wie Elmar Brok (CDU), trommelt für das neoliberale Konzern-Diktatur-Abkommen TTIP und weiteren Bildungsklau von oben: Ein plutokratisches Monstrum, dessen Tentakel überall hin reichen.

Die skandalöse Anerkennung der Gemeinnützigkeit stammt vom Finanzamt Gütersloh, dem Hauptsitz von Konzern und Stiftung, wo ein großer Teil der Bevölkerung -mithin auch der Familien von Finanzbeamten- von Bertelsmann abhängig ist. „Kinderarmut beeinträchtigt die Chancen für das ganze Leben“, sagte Stiftungsvorstand Jörg Dräger (ehemals Bildungssenator von Hamburg, wo er Bertelsmann-Pläne zur Bildungsprivatisierung und zu Studiengebühren durchboxte) im Bertelsmann-nahen Bruder-Mainstreammedium DIE ZEIT. „Der Staat habe dabei eine besondere Verantwortung“, meint der Chef-Lobbyist des Think Tanks, von eigener Verantwortung weiß er nichts.

Den Bertelsmann-Statistiken zufolge kletterte die Quote der unter 18-Jährigen in Hartz-IV-Haushalten in den westlichen Bundesländern von 12,4 Prozent 2011 auf 13,2 Prozent im Jahr 2015. Im Osten sank der Anteil armer Kinder zwar um 2,4 Prozentpunkte, blieb aber mit 21,6 Prozent vergleichsweise hoch. Damit wuchsen 2015 in Deutschland insgesamt mehr als 1,9 Millionen Kinder in Armut auf (14,7 Prozent), d.h. 52.000 Kinder mehr als noch 2014. Beklagenswert ist besonders, dass eine Mehrheit der betroffenen Kinder über „längere Zeit“ in der Armut feststeckt: Im Schnitt sind 57,2 Prozent der betroffenen Kinder zwischen 7 und 15 Jahren mehr als drei Jahre auf Hartz IV angewiesen: Sie verbringen ihre Kindheit in Armut, von Hetz-Shows auf Bertelsmanns Unterschichten-TV RTL noch vorgeführt und verächtlich gemacht. Denn die Schuld für ihr Schicksal gibt Bertelsmann natürlich den Hartz IV-Verelendeten allein, also den Eltern in diesem Fall. Nur bei Kindern verfängt diese billige Unterschichten-Bashing-Hetze weniger: Sie können nichts dafür, wo sie geboren werden, das wenigstens gibt die Bertelsmann-Stiftung mit ihrer „Studie“ zu.

Diese fatalen Folgen der H4-Sozialabbau-Politik hat natürlich nicht Bertelsmann entdeckt. Tausende von Lehrstühlen der Sozialwissenschaften an deutschen Universitäten publizieren seit Jahrzehnten darüber (leider zu wenige und zu wenig beachtet) und sind für die wissenschaftliche Analyse unserer Gesellschaft ein objektiverer Ansprechpartner, engagierter sind auch diverse Initiativen von Betroffenen wie etwa Gegen-Hartz. Aber die Medien (nicht nur die im Besitz der Mohn-Medienmogule) stürzen sich nur auf Bertelsmann-Studien und missachten alles, was ihnen nicht als von der Machtelite abgesegnet präsentiert wird -und eigene Recherche ist bei Mainstreamern meist unbeliebt.

Bertelsmann-Studien: Neoliberale Pseudowissenschaft

Ab der Jahrtausend-Wende ließ die Bertelsmann-Stiftung Studien zur angeblichen Notwendigkeit der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe (Hartz IV) anfertigen und publizieren; 2003 legte die Konzernstiftung ihr Grundkonzept für die Job-Center (Hartz III) vor; die Idee der Personal-Service-Agenturen (Hartz I) erarbeitete Bertelsmann gemeinsam mit und der Bundesanstalt für Arbeit und mit dem Beratermulti McKinsey (damals der externe Haus-Berater des Medienkonzerns). Doch die Durchsetzung der unsozialen Konzepte erforderte mediale Macht –ein Skandal musste her.

Medienmacht wirkte schon im Vorfeld der industrie-freundlichen Deformierung der deutschen Arbeitsmärkte: Der Whistleblower Erwin Bixler, der Übertreibungen bei den Vermittlungszahlen von Arbeitslosen ans Licht brachte, hatte im Gegensatz zu vielen anderen Whistleblowern keine Probleme, ein breites Medienecho zu finden. Sein aufgedeckter „Skandal“ war eher ein Skandälchen, das so zu Wasser auf Bertelsmanns Mühlen zur Durchsetzung der Hartz-„Reformen“ wurde.

Obwohl kaum einer je geglaubt hatte, die Bundesanstalt für Arbeit wäre jemals übertrieben selbstkritisch bei der Darstellung der eigenen Erfolge gewesen, wurde die Petitesse zu einem riesigen Ding aufgeblasen. Wochenlang durfte jeder noch so dümmliche Hinterbänkler in den Parlamenten auf die Arbeitsmarktpolitik von Schröder und das Arbeitsamt einprügeln, bis bei SPD und Grünen kein Widerstand gegen die Hartz-„Reform“ mehr zu sehen war. Auf Phoenix schwadronierte Müntefering noch zehn Jahre später breitmäulig über den angeblichen Skandal, der seine Hartz-Reformen rechtfertigen sollte, mit denen er Millionen Kinder (und deren Eltern und viele andere Menschen) ins Elend stieß. Zum Nutzen und Frommen der Reichen im Lande und vor allem der Arbeitgeber, die mit Hartz-IV im Rücken fröhlich eine Lohn-Drückerei-Runde nach der anderen durchsetzen konnten.

Aber die Blaupausen für Hartz I-IV wurden klammheimlich von der Bertelsmann-Stiftung entwickelt, einer der reichsten Stiftungen des Landes, der die Mehrheit der Konzernaktien gehört. Die Stiftung selbst gehört dabei jedoch praktisch der Milliardärsfamilie Mohn, so dass die offensichtlichste Kritik lauten muss: Die Stiftung ist ein „Steuerspar-Modell“. Doch dies ist in Wahrheit nur der kleinste Mangel –vor allem ist die Bertelsmann-Stiftung ein neoliberaler Think tank, vielleicht der mächtigste Drahtzieher im Berliner Polit-Zirkus. Die im politischen Hintergrund agierenden Think tanks sind eine zentrale Machtbasis des Neoliberalismus gegen die Demokratie. Von der Industrie finanziert, als neutrale Forschungsinstitute, Stiftungen oder NGOs getarnt, nutzen Think tanks Geld- und Medienmacht, um dafür empfängliche Parteien, Regierungen und die Öffentlichkeit zu manipulieren. Ihr mächtigster Vertreter in Deutschland und Europa ist vermutlich die  Bertelsmann Stiftung (Hauptsitz: Gütersloh).

Bertelsmann-Tentakel überall: Drahtzieher des Neoliberalismus

Ab Mitte der 90er Jahre pirschte sich die Bertelsmann-Stiftung an SPD, Gewerkschaften und Grüne heran, spendete, unterstützte und vergab Posten. Ein Personalkarussell mit den Parteien bahnte die spätere eindringliche Politikberatung der rotgrünen Regierung von Gerhard Schröder an. Auch andere Bereiche der Politik wurden von Beratung seitens des Medienkonzerns inspiriert: Von der Medienpolitik über die Kultur- und Bildungspolitik bis hin zum Außen- und Sicherheitsressort. Die Bertelsmann-Stiftung wurde zum Cheflobbyisten der deutschen Industrie, zur politischen Interessenvertretung der Besserverdienenden und zur wichtigsten PR-Agentur des Neoliberalismus. Eines der wichtigsten Felder war dabei die Abkopplung Deutschlands vor humanen, demokratischen und sozialen Marktwirtschaft nach skandinavischem Vorbild und die Anbiederung an das angelsächsische Modell des neoliberalen Raubkapitalismus. Sozialabbau und Dumpinglöhne wurden zur Chefsache der einstigen Arbeiterpartei SPD: Schröder, der „Genosse der Bosse“.

Ab der Jahrtausend-Wende ließ die Bertelsmann-Stiftung Studien zur angeblichen Notwendigkeit der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe (Hartz IV) anfertigen und publizieren; 2003 legte die Konzernstiftung ihr Grundkonzept für die Job-Center (Hartz III) vor; die Idee der Personal-Service-Agenturen (Hartz I) erarbeitete Bertelsmann gemeinsam mit und der Bundesanstalt für Arbeit und mit dem Beratermulti McKinsey (damals der externe Haus-Berater des Medienkonzerns). Doch die Durchsetzung der unsozialen Konzepte erforderte mediale Macht –ein Skandal musste her.

Bertelsmanns Medienmacht trommelte für Hartz IV

Medienmacht wirkte schon im Vorfeld der industrie-freundlichen Deformierung der deutschen Arbeitsmärkte: Der Whistleblower Erwin Bixler, der Übertreibungen bei den Vermittlungszahlen von Arbeitslosen ans Licht brachte, hatte im Gegensatz zu vielen anderen Whistleblowern keine Probleme, ein breites Medienecho zu finden. Sein aufgedeckter „Skandal“ war eher ein Skandälchen, das so zu Wasser auf Bertelsmanns Mühlen zur Durchsetzung der Hartz-„Reformen“ wurde.

Obwohl kaum einer je geglaubt hatte, die Bundesanstalt für Arbeit wäre jemals übertrieben selbstkritisch bei der Darstellung der eigenen Erfolge gewesen, wurde die Petitesse zu einem riesigen Ding aufgeblasen. Wochenlang durfte jeder noch so dümmliche Hinterbänkler in den Parlamenten auf die Arbeitsmarktpolitik von Schröder und das Arbeitsamt einprügeln, bis bei SPD und Grünen kein Widerstand gegen die Hartz-„Reform“ mehr zu sehen war.

Schröder wurde im Wahlkampf 1998 wohl kaum zufällig von Sendern und Blättern Bertelsmanns (RTL, n-tv, Stern, Spiegel) gehypt und zum „Medienkanzler“ geadelt. Die Idee dahinter könnte gewesen sein, dass ein neoliberal gewendeter Sozialdemokrat Angriffe auf den deutschen Sozialstaat und das Lohnniveau leichter vortragen kann als ein Kanzler aus der rechten Ecke. Und so wurde Deutschland ohne nennenswerten Widerstand der Gewerkschaften zum Billiglohnland gemacht, der Sozialstaat geschleift und die Umverteilung von Armen zu Reichen nicht gestoppt (wie viele rotgrüne Wähler gehofft hatten), sondern noch verschärft. Das (angeblich nicht erwünschte) Ergebnis des Sozialkahlschlags: Das Wuchern des deutschen Niedriglohnsektors auf 22 Prozent, die verdeckte Arbeitslosigkeit von fast einer Million „Aufstocker“, deren Billig-Sklavenarbeit, an der sich ausbeuterische Unternehmer eine goldene Nase verdienen, vom Staat subventioniert wird. Klar ist dabei der offensichtliche Zusammenhang mit dem boomenden Reichtum, der auf Kosten der prekär Schuftenden entsteht.

Die Fettlebe der Millionäre ohne Erbschafts-, Vermögens- oder nennenswerte Einkommenssteuern nahm ungeahnte Ausmaße an, die Merkel freilich noch zu steigern wusste. Die Löhne der Massen, die wirklich die Arbeit tun, wurden dabei soweit nach unten gedrückt, dass hämische Neoliberale heute schon darauf verweisen, die obersten zehn Prozent würden ja den Löwenanteil der Lohnsteuern zahlen. Die oberen Zehntausend schwimmen im Geld, aber Armut und Obdachlosigkeit breiten sich aus. Arbeitsplätze, die den Bedürfnissen der Bevölkerung dienen würden, werden vernichtet, die Aktienwerte der Luxusgüter-Industrie steigen. In teuren Privatkliniken blüht das Geschäft, aber immer mehr Menschen werden ungenügend medizinisch versorgt.

Vor allem Merkels schwarzgelbe Regierung hatte in ihren letzten Jahren das Hartz-Elend noch zu verschärfen getrachtet: Fordern statt fördern bei den Arbeitslosen, deren Langzeit-Wiedereingliederungshilfen um satte 40 Prozent gekürzt und qualitativ verschlechtert wurden –statt sinnvoller Maßnahmen nur noch „quick&dirty“ unnütze Bewerbungstrainings etc., an denen meist nur zwielichtige Anbieter-Agenturen mit gut verfilzten Beziehungen zum örtlichen Jobcenter verdienen. Schwarzrot unter Merkel hat daran wenig geändert, die SPD hängt auf ihrer Agenda 2010-New Labour-Ideologie fest (trotz einiger aktueller Verbal-Akrobatik, die anderes vorspiegeln soll). Der Mindestlohn ist zu mickrig um das Elend wirklich zu lindern, die Mietpreisbremse eine Mogelpackung und sollte besser Mietwucher-Genehmigungstrick heißen -wie jetzt endlich auch Mietervereine beweisen können. Die Misere ist komplett, die soziale Wirklichkeit unter Merkel und ihrer SPD ist heute eine Menschenrechtsverletzung.

Bertelsmann: Bedenklicher Lobbyismus

Bertelsmann-Medien wie RTL, n-tv, STERN oder SPIEGEL konsumieren die meisten Deutschen ein paar Stunden täglich. Weniger bekannt ist immer noch, dass der Medien-Multi über seine Think-tank-artige Konzernstiftung weitreichenden Einfluss auf die Politik ausübt.

Angeblich gemeinnützig, verfolgt die Bertelsmann-Stiftung hauptsächlich unternehmer-freundliche Projekte im Sinne des Neoliberalismus: Deregulieren, Kommerzialisieren, Privatisieren. Nicht nur die konzerneigenen Medien schweigen sich hierzu unkritisch aus bzw. fördern sogar die Lobbyarbeit, sondern auch ARD & Co. (der muntere Wechsel der Journaille von ÖffRecht zu Privat und zurück machts nötig).

Bedenklich ist vor allem, dass Bertelsmann stark im Bildungssektor interveniert und sich so doppelten Zugriff auf Menschen und Gesellschaft sichert: Den Alltag beherrschen seine Medien, die Sozialisation seine Eingriffe in Schule und Universitäten. Über die Zeitschriften-Sektion G+J ist der Konzern auch noch mit Bucerius „Zeit“ verbunden, die mit der Bertelsmann-Tarnorganisation CHE (Centrum für Hochschulentwicklung) ein umstrittenes „Hochschul-Ranking“ betreibt: Studierenden soll der Wettbewerb so früh wie möglich als Lebensprinzip eingepflanzt werden.

Kritik kommt von Studentengruppen im Kampf gegen die Privatisierung der Bildung (z.B. durch Studiengebühren) und zuweilen von Piraten- und Linkspartei. Piratenpartei Deutschland  –  Landesverband NRW-Wahlprogramm PDF-Download

S.40/75, Stiftungsrecht: „Die PIRATEN NRW fordern eine Revision des NRW-Stiftungsrechtes und die sofortige Rücknahme der Lex Bertelsmann.
Die PIRATEN NRW fordern als Sofortmaßnahme die Streichung der § 7, Abs. 1, Satz 2 und § 12, Abs. 5 des NRW-Stiftungsrechtes sowie die Aberkennung des steuerbefreienden Status der Gemeinnützigkeit der Bertelsmann Stiftung. Weitergehende Änderungen und eine umfassende Novellierung des Stiftungsrechtes bleiben davon unberührt.“

Seit dieser Positionsnahme ist die Berichterstattung über die Piraten deutlich negativer geworden -den Hecht im Medienteich reizt man nicht ungestraft. Weniger Kritik an Bertelsmann kam bislang von Netzpolitik und Datenschützern, obwohl die Bertelsmann-Firma Arvato im Netz durch exessives Datensammeln und Marketing-Profiling seiner Kunden auffiel. Bei Arvato arbeitet inzwischen  der größte Teil der 100.000 Bertelsmann-Beschäftigten. Nur wenige Autoren und Bücher befassen sich bislang kritisch mit  dem globalen Medienimperium aus Gütersloh. Wir dokumentieren hier als Hintergrund einen uns überlassenen Beitrag des Bertelsmann-Kritikers und Wissenssoziologen  Dr. Steffen Roski.

Die Bertelsmann Stiftung ist das heimliche Bildungsministerium

Steffen Roski 12.05.2013

Bekannt dürfte sein, dass Bertelsmann zu den größten Medien- und Dienstleistungskonzernen weltweit gehört. Die Aktiengesellschaft ist an keiner Börse notiert: Aktionäre sind die Bertelsmann Stiftung (76,9 Prozent) und die Familie Mohn (23,1 Prozent). Die Stiftung wirtschaftet, folgt man Studien des Soziologen Frank Adloff, der sich auf Stiftungen spezialisiert hat, de facto mit öffentlichem Geld, weil durch die Übertragung von drei Vierteln des Aktienkapitals auf die Stiftung gut zwei Milliarden Erbschafts- und Schenkungssteuer gespart werden konnten. Die jährliche Dividendenzahlung wird steuerfrei gestellt, was bedeutet, dass die Bertelsmann Stiftung mit ihrem Jahresetat von zirka 80 Millionen Euro nicht annähernd so viel ausgibt, wie sie dem Fiskus kostet. Dass diese Konstruktion mit dem Recht in diesem Lande in Einklang steht, zeigt einmal mehr, wer tatsächlich die „bürgerliche Gesellschaft“ orchestriert. So nennt es Adloff einen unhaltbaren Zustand, dass sich die Stiftung vor keinem Parlament oder Rechnungshof für den Einsatz dieser Gelder rechtfertigen muss.

Die Bertelsmann Stiftung – und mit ihr viele andere der Kapitalseite angehörende Akteure gleichen Typs – finden in der BRD ideale Arbeits- und Wachstumsbedingungen vor. Eine Besonderheit stellt die Stiftung aus dem ostwestfälischen Gütersloh nicht allein deshalb dar, weil sie über einen beachtlichen Jahresetat verfügt. Sie hat ein „Alleinstellungsmerkmal“ vor allem deshalb, weil sie eine operative Unternehmensstiftung ist und gleichsam die öffentlich subventionierte, jeder demokratischen Kontrolle entzogene „Forschungs- und Entwicklungsabteilung“ eines milliardenschweren Konzerns ist, der in der „Informationswirtschaft“ agiert und dort „Wertschöpfung“ generiert.

Konzepte für Uni und Schule

Wolfgang Lieb, einer der beiden Initiatoren von nachdenkseiten, und Kyrosch Alidusti vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) haben für den Hochschulbereich dargestellt, was es bedeutet, wenn Unternehmen wie Bertelsmann eine Stiftung instrumentalisieren.1 So benötigte das stiftungseigene Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) im Verein mit Hochschulrektoren und NRW-Landesregierung ein gutes Jahr, um das Hochschulfreiheitsgesetz, „die derzeit weitestgehende marktförmige Umstrukturierung der Hochschulen“ (Alidusti), durchzupauken. Im Dezember 2005 formulierte das CHE „Anforderungen“, die einen Monat später vom zuständigen Minister Andreas Pinkwart in „Eckpunkte“ reformuliert wurden. Im Mai 2006 erfolgte der entsprechende Beschluss des NRW-Kabinetts, einen Monat darauf die Erste Lesung, im Oktober 2006 dann die Verabschiedung im Landtag. Pünktlich zum 1. Januar 2007 trat das Gesetz in Kraft. Ähnliches lässt sich über die NRW-Schulpolitik sagen. Der kürzlich verstorbene Hamburger Pädagoge Horst Bethge hat präzise herausgearbeitet, wie die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit NRW-Landesregierung, Schulbehörden, aber auch der DGB-Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft das Projekt „Selbständige Schulen“ vorangetrieben hat. Das Ergebnis: Die Mitbestimmung an Schulen in NRW wird weiter eingeschränkt, wenn aus den Lehrerräten sogenannte Personalkommissionen geworden sind, die als verlängerter Arm der Schulleitung das schulische „Human Ressource Management“ exekutieren. Wie an den Hochschulen hält auch an den allgemeinbildenden Schulen ein Verbetriebswirtschaftlichungsprozess mit u. a. Sachmittelbewirtschaftung und Kennziffern für Leistungsbewertung Einzug, der nicht mehr zu stoppen sein dürfte.

Deutlich wird an diesen beiden prominenten Beispielen der NRW-Bildungspolitik, dass die Bertelsmann Stiftung sowie das von ihr finanzierte CHE (Jahresetat etwa zwei Millionen Euro) in einer wohldosierten Mischung aus Druck und Konsensstrategien in der Lage gewesen ist, Politik – und zwar sowohl CDU/FDP als auch Sozialdemokratie und Bündnisgrüne –, staatliche Bürokratie, quasistaatliche Standesgruppen wie die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Unternehmen, aber auch Gewerkschaften sowie andere zivilgesellschaftliche Akteure und Stiftungen als „Partner“ zu gewinnen. Wie konnte es dazu kommen?2

Die Rede von den „leeren Kassen“

Die Bertelsmann Stiftung findet unter den Bedingungen der systematischen Unterfinanzierung der staatlichen Haushalte, also auch der Bildungshaushalte, ideale Wirkungsmöglichkeiten. Mehrere Politikergenerationen in allen Parteien sehen sich in ihren Handlungsorientierungen unter Sparzwang: „Die Kassen sind leer“ lautet das Lamento. Ein Medien- und Dienstleistungskonzern wie Bertelsmann wittert hier seine Chance. Ruinierte öffentliche Haushalte bieten einen Ansatzpunkt für „schöpferische Zerstörung“, erkannte bereits der Volkswirtschaftler Joseph Schumpeter. Jede ökonomische Entwicklung baut darauf auf, dass alte Strukturen zerstört werden, um die Produktionsfaktoren immer wieder neu zu ordnen. Verschwiegen wird dabei sowohl von Politikern als auch den Anstiftern aus Gütersloh, dass das Herunterfahren der öffentlichen Haushalte und somit auch der Bildungsbudgets eine bewusste politische Entscheidung darstellt, um überall im Staatsbereich einen Rationalisierungsdruck zu erzeugen.

An alle im Bildungswesen Tätigen – von der Primarschullehrerin bis zur Universitätsprofessorin – werden scheinbar plausible Gründe für den Systemwechsel herangetragen, die zur Steigerung der Qualität angeblich alternativlos sein sollen. Jedoch ohne den Druck der Unterfinanzierung wäre es nicht möglich, zunehmend private Finanzierung ins Spiel zu bringen und privaten Geldgebern einen Einfluss zu ermöglichen. Denn die Finanzierungslücke könne ja nur mit Unterstützung von außerstaatlichen Geldgebern geschlossen werden. Öffentliche Bildungseinrichtungen von der Grundschule bis zur Universität geraten so unter Druck. Sie müssen sich auf auf dem Markt behaupten, eigene Stärken herausstellen und bewerben und selbständig nach Möglichkeiten der Kostensenkung suchen. Strategisch wird die Unterfinanzierung als Instrument zur Ausdifferenzierung von Schulen und Hochschulen unterschiedlicher Ausstattung eingesetzt, die sich zu diesem Zweck in die Abhängigkeit von außerschulischen Geldgebern in Public-Private-Partnerships (PPP) begeben müssen. So nimmt es denn auch nicht wunder, dass die erste PPP-Initiative nicht etwa von der Regierung, sondern von der 1999 gegründeten und wesentlich von der Bertelsmann Stiftung getragenen „Initiative D 21“ ausgegangen ist, wie der Kölner Journalist und Werner Rügemer herausgearbeitet hat. Gemeinsam mit der US-Kanzlei Clifford Chance veröffentlichte die Bertelsmann Stiftung einen entsprechenden Leitfaden, an dem sich dann die Regierung von SPD und Grünen mit dem am 30. Juni 2005 vom Bundestag beschlossenen Private-Public-Partnership-Beschleunigungsgesetz orientierte.

„Konkurrenz belebt das Geschäft“

Die Druck- und Drohkulisse chronisch unterfinanzierter öffentlicher Haushalte macht es zudem möglich, im Bildungsbereich den Mechanismus der marktlichen Konkurrenz gezielt einzusetzen, um Prozesse im Sinne von Bertelsmann zu steuern. Dabei gibt es zwei Strategien: Einmal könnte daran gedacht werden, dass Großkonzerne und Milliardäre einfach selbst Schulen und Hochschulen betreiben. Reinhard Mohn, der jüngst verstorbene Firmenpatriarch und Stifter aus Gütersloh, hat dies mit der Privatuniversität Witten-Herdecke versucht – und ist 1983 gescheitert! Viel geschickter ist es da doch, einfach auf die bestehenden staatlichen Hochschulen zuzugreifen und diese wie private Unternehmen in den Wettbewerb zu schicken. Mit dieser Methode hatte Mohn schließlich Erfolg, vor diesem Hintergrund wird das Centrum für Hochschulentwicklung gegründet.

Das in Wettbewerb setzen findet zur Zeit auf allen Ebenen statt. Die “ag du bist bertelsmann” bringt es auf den Punkt: „Nationale Bildungssysteme werden international verglichen, um Veränderungsdruck auf einzelne Unis aufzubauen. In Deutschland kämpfen die einzelnen Unis um die Anerkennung als ,Exzellenzuni’ im Rahmen des Wettbewerbs um Forschungsmittel des Bundes. Gleichzeitig müssen die Unis in diversen Hochschulrankings um die Gunst der StudentInnen werben. Fakultäten werden heute vor allem dadurch in Konkurrenz gesetzt, dass sie im Rahmen der neu gewonnenen Hochschulautonomie um die interne Verteilung der Finanzen konkurrieren, die der Uni im Rahmen eines Globalhaushaltes zugewiesen werden. Die Finanzmittel werden nicht mehr durch einen Haushaltsplan verteilt. Statt dessen bekommt jeder Fachbereich eine Grundfinanzierung die für den laufenden Betrieb nicht ausreicht. Weitere Mittel werden erst beim Erreichen bestimmter Kennziffern verteilt.“

Für den Schulbereich hat die Bertelsmann Stiftung mit dem Instrument „Selbstevaluation an Schulen“ (SEIS) ein analoges wettbewerbliches Steuerungsinstrument entwickelt. Die SEIS-Schulen werden in Rankings gegeneinander vergleichbar, Bildungsqualität wird reduziert auf Fragebogen gestützte Erhebungen. Bei der Bertelsmann Stiftung liest sich das so: „Durch den Qualitätsvergleich gründet sich Schulentwicklung nicht länger ausschließlich auf Intuition, Tradition oder pragmatische Entscheidungen, sondern auf Daten. Daten helfen bei fundierten Entscheidungen. Schulen gewinnen an Planungs- und Entscheidungssicherheit. Erfolge werden (endlich) messbar! Alle ins Boot holen, um die Qualität zu verbessern. Das Instrument ist auf Entwicklung ausgerichtet, und alle Beteiligten (Schülerschaft, Eltern, das Kollegium und sonstige Mitarbeiter) werden in den Prozess einbezogen. Die Daten und Impulse des Qualitätsvergleiches setzen Dialoge und Entwicklungen in Gang. Wichtige Dinge werden identifiziert und zum Gegenstand der Diskussion. Auch schwierige Themen werden objektivierbar und diskutierbar.“ Der Schulpraktiker Horst Bethge kommentiert: „Das ist die Konkretion von Wettbewerb, normsetzenden Vergleichen, ‘best practice’ und offener Koordinierung als Steuerungsinstrumente für Schulentwicklung. Die Lissabon-Strategie der EU lässt grüßen, die dieses ,new governance’ genannte System 2001 verbindlich gemacht hat. Nun hat Lissabon die Schule erreicht – und SEIS bricht diese Strategie klassisch auf die lokale Ebene herunter.“

Überall hindurchdringen

Halten wir bis hierhin fest: Einer der weltweit mächtigsten Medien- und Dienstleistungskonzerne „instrumentalisiert“ eine eigene Stiftung, die als „heimliches Bildungsministerium“ erscheint. Woher kommt dieser ungeheure Einfluss? Man darf nie vergessen, dass die Bertelsmann AG ein Mediengigant ist. Was die Bertelsmann Stiftung publiziert, findet seinen Niederschlag überall im Land, von den Alpen bis zur See. Nur ein Beispiel. Das Bocholter-Borkener Volksblatt vom 11. Oktober 2004 titelt: „Standort Deutschland fällt bei Experten durch“. Im Text heißt es: „Deutschland ist das erfolgloseste Land in einer Gruppe von 21 Industrienationen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Im ,Internationalen Standort-Ranking’, das alle zwei Jahre vorgelegt wird, ist Deutschland mit Abstand das Schlusslicht. (…) Dass derzeit alle untersuchten Länder besser dastehen als Deutschland, hat der Studie zufolge viele Gründe. Auf dem Arbeitsmarkt wird zwar für Jugendliche viel getan, die Chancen für Langzeitarbeitslose stehen dagegen schlecht. Auch die hohe Altersarbeitslosigkeit kostet Punkte. In Sachen Wirtschaftswachstum stört die Experten in Deutschland vor allem die umfangreiche Staatstätigkeit. Dazu gehören Investitionen in Bildung und Verkehr, aber auch in Hilfen für finanziell Schwächere. (…) ,Deutschland muss seine Reformbemühungen deutlich verstärken um nicht langfristig den Anschluss zu verlieren’, fordert denn auch Professor Heribert Meffert3.“ Das Bocholter-Borkener Volksblatt gehört mit Sicherheit nicht zur täglichen Zeitungslektüre. Woher stammt dann der Text? Aus einem Lehrerbegleitband eines Erdkundebuchs für die Sekundarstufe I (Klassen 9 und 10) in NRW. Es gäbe manches Textkritische zu sagen: Die vor Servilität gegenüber den „Expertenmeinungen“ triefende Darstellung im Lokalblatt, die unkommentierte Übernahme in die Lehrerbegleitmaterialien zum Schulbuch beispielsweise.

Eines aber ist gewiss: Die „Expertise“ der Bertelsmann Stiftung dringt vor bis nach Borken und Bocholt und von dort über den Umweg von Schulbuchautoren an die Tafeln Nordrhein-westfälischer Schulen. Hinzuweisen wäre zudem auf den Befund von Helga Spindler, Professorin für Sozialrecht an der Universität Duisburg-Essen, die der Frage nachgegangen ist, ob auch die Hartz-„Reformen“, ein Bertelmann-Projekt war. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass „die Arbeitsgruppen der Bertelsmann Stiftung (…) schon seit 1999 mit vielen Fachleuten an diesem Thema zielstrebig gearbeitet und durchgängig die Verschlechterung der Rechtspositionen von Arbeitslosen propagiert (haben – S. R.).“

Es gibt eigentlich kein gesellschaftlich relevantes Gebiet, keine politische Ebene, auf der sich die Gütersloher Konzernstiftung nicht „engagieren“ und ihre Beratungsdienstleistungen offerieren würde. Die Bevölkerungsentwicklung und die damit einhergehenden „Probleme“ nimmt sie genau so in den Fokus ihrer Projekte und Sinnbotschaften wie Gesundheit und Krankheit, religiöse Orientierungen, Migrations- und Arbeitsmarktpolitik, europäische Integration, aber auch die Militärpolitik.

Der Milliardenmarkt Bildung

Es gibt allerdings einen Bereich, der eine bedeutsame Scharnierstelle von Stiftungs- und Konzernhandeln darstellt, der also sowohl für die Bertelsmann Stiftung als auch für die Bertelsamnn AG von größter operativer Bedeutung ist. Der damalige Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann AG, Hartmut Ostrowski, sagte im Juli 2008 in einem Gespräch mit dem Spiegel ganz offen: „Bildung ist in unserer modernen Gesellschaft ein Megatrend. Wir wollen im Bereich Weiterbildung mehr machen. Wir haben ein Projekt für Online-Bildung gestartet und beschäftigen uns im angloamerikanischen Raum mit Anbietern, die Berufsausbildung etwa für Krankenschwestern oder Buchhalter anbieten.“ Auch der neue Vorstandsvorsitzende Aart de Geus knüpft hier an, wenn er die kontinuierliche Arbeit an der „Verbesserung des Bildungssystems“ zu einer Kernmaxime der Bertelsmann Stiftung macht. Ein gigantischer Milliardenmarkt harrt der Eroberung! Die Gütersloher Strategen in Konzern und Stiftung erheben bereits die entsprechenden Forderungen, um den Fuß in die Tür des Bildungsmarktes zu bekommen. Jochen Krautz, Professor für Bildungswissenschaft an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, nennt einige dieser Forderungen: „Englisch bereits im Kindergarten; Lehrer sollen nur befristet eingestellt und leistungsbezogen bezahlt werden; nicht nur das Abitur, sondern fächerspezifische Tests sollen die Eintrittskarte für die Hochschulen sein, mit dem besonderen Hinweis, dass diese Tests auch von privaten Testfirmen angeboten werden könnten. (…) Als weitere ,Rezepte’ sind auch folgende Vorschläge bekannt: Schulen und Hochschulen bräuchten mehr Wettbewerb und Effizienz, Eigenständigkeit und Selbstverantwortung, moderne Managementmethoden, Leistungsmessungen und Evaluationen, Bildungsstandards und zentrale Prüfungen, Sprachtests im Vorschulalter, Entrümpelung der Lehrpläne, Verkürzung der Schulzeit, Wirtschaftskenntnisse für alle, neue Lernformen und vor allem Laptops für jeden Schüler.“

Die Bertelsmann Stiftung kommt ihrer Rolle als Wegbereiterin des Medien- und Dienstleistungskonzerns Bertelsmann AG nach, in dem sie ein ökonomistisches Bildungsverständnis in der erziehungswissenschaftlichen Theorie und in der pädagogischen Praxis sowie in der bildungspolitischen Debatte gezielt an die Macht putscht. Bertelsmann macht Schule! Und dies auf zweierlei Weise: Einmal ganz unverblümt und direkt, wenn sie sich – im Verbund mit anderen Stiftungen wie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und dem Bundesverband der Banken – für die „ökonomische Bildung“ stark macht. Der Erziehungswissenschaftler Reinhold Hedtke berichtet beispielsweise, dass die Bertelsmann Stiftung eine Unterrichtsreihe ausgerechnet zum Thema Urheberrecht finanziert hat. Hier arbeitet sie direkt der Bertelsmann AG zu, die mit dem Rechtehandel viel Geld verdient.

Weit bedrohlicher erscheint mir allerdings die Tatsache, dass es der Bertelsmann Stiftung gelungen ist, über die Promotion von Unterrichtstechniken „mit Methode“ in den Schulunterricht vorzudringen. So wurde bereits im Jahre 1996 der kanadische Schulbezirk Durham in der Nähe von Toronto/Ontario mit dem Carl-Bertelsmann-Preis der Bertelsmann Stiftung ausgezeichnet als der „innovativste Schulbezirk der Welt.“ Geehrt wurde vor allem „der Motor hinter diesem ungeheuren Entwicklungsprozess“, Norm Green. Er strukturierte den Rahmen für ein umfassendes Ausbildungsprogramm aller Lehrer in diesem kanadischen Bezirk. Im „Schneeballsystem“ implementierte Green in den folgenden Jahren das kooperative Arbeiten (Cooperative Learning) sowohl in den Klassenzimmern wie auch in den Lehrerzimmern der Region Durham. 1996, nach der Verleihung des Carl- Bertelsmann-Preises, holte die Bertelsmann Stiftung Green mit seinen kanadischen Mitstreitern zu Vorträgen und Lehrgängen nach Deutschland. Seit dem Jahr 2000 gibt es wohl kein Studienseminar in diesem Land mehr, dass den angehenden Junglehrern nicht die Segnungen des kooperativen Lernens preist. Rainer Dollase, Pädagogikprofessor aus Bielefeld, beobachtet seit langem diese Entwicklung kritisch und merkt an: „Auch im Lande NRW hat man hin wieder den Eindruck, dass die Verbindung der Bertelsmann Stiftung mit dem Schulministerium (…) gegen kritische Bemerkungen inquisitorisch verteidigt werden und dass die Schulaufsicht hin und wieder renitenten Lehrkräften mit Konsequenzen droht, wenn sie sich nicht an den betreffenden Programmen beteiligen.“ Und Renitenz ist angebracht. Der „Witz“ des „kooperativen Lernens“ ist nämlich dieser – und wer weiß das schon? –, dass Norm Green einst in den 80er und 90er Jahren die Management- und Teambildungsmethoden des damals größten Arbeitgebers der Region, General Motors, in die Schulen seines Distrikts hineinkopiert, sie gleichsam „pädagogisiert“ hat. Der Effekt für GM: „Humankapital“ wurde an den Schulen herangebildet, das sich nahtlos in die Arbeitsstrukturen des Automobilbauers integrieren ließ. Geflissentlich ausgeblendet werden von den Protagonisten des „kooperativen Lernens“ die größten Lehrerstreiks der nordamerikanischen Geschichte, die sich in Ontario, Kanada, im Jahre 1997 gegen ebendiese neoliberale Schulreform richteten.

Fazit: Der Bildungsbegriff à la Bertelsmann ist funktionalistisch und auf die Bedürfnisse der modernen Industrie ausgerichtet. Dass ausgerechnet die GEW Handreichungen zum „kooperativen Lernen“ herausgibt, ist dabei eine Pointe, über die zu lächeln ich mich weigere.

Es ist von gesellschaftlich großer Bedeutung, dass die Bildungsstreiks weitergehen. Eine gute Bildung ist die Voraussetzung für die Partizipation an gesellschaftlichen Prozessen. Sie ist grundlegend für den Bestand und die Weiterentwicklung der Demokratie. Bildung ermöglicht Innovationen der Technologien, der Arbeits- und Lebensbedingungen. Sie schafft damit die Grundlage für die entscheidenden Wege aus der Krise durch ökologischen Umbau und eine gerechtere Verteilung von gesellschaftlichen Ressourcen. Dass ein milliardenschwerer Konzern wie Bertelsmann sich über seine öffentlich subventionierte Stiftung ihrer bemächtigen konnte, ist ein Skandal. Es ist höchste Zeit, politisch zu handeln!

Anmerkungen

1 Jens Wernicke, Torsten Bultmann (Hg.): Netzwerk der Macht – Bertelsmann. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh (Forum Wissenschaft Studien 54) Oktober 2007, 488 Seiten, 17,00 Euro (Ein Nachdruck ist für Mitte 2010 vorgesehen)

2 Grundlage der folgenden Ausführungen ist das profunde Material der Online-Broschüre der “ag du bist bertelsmann” (www.bertelsmannkritik.de)

3 Meffert war zu der Zeit Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung

Steffen Roski ist Soziologe und arbeitet als Gesamtschullehrer. Er ist Mitglied im BdWi, der Bildungsgemeinschaft SALZ e.V., Attac und der GEW. Abgesehen von einer Aktualisierung ist der Beitrag in der Tageszeitung junge welt (Nr. 160 vom 14. Juli 2010, S. 10-11) erschienen, übernommen von me-magazin, bei Jasminrevolution eingereicht von Steffen Roski.

Von Steffen Roski erschien auf Jasminrevolution auch der Artikel

Machtmaschine Bertelsmann