Zum Tod des politischen Ökonomen Herbert Schui (1940-2016)

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Herbert Schui (1940-2016)

Theodor Marloth

Am 15.August wurde sein Tod bekannt: Herbert Schui war Ökonomie-Professor und einer der bekanntesten Kämpfer gegen den Neoliberalismus in Deutschland. Als Mitgründer der WASG verließ er die SPD und zog für die Linkspartei in den Bundestag ein, wo er gegen die neoliberale Entwürdigung des Menschen durch FDP, Union, Grüne und New-Labour-SPD kämpfte. Sein Tod reißt eine Lücke in die linke politische Szene: Schui war 1975 Mitbegründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac.

Herbert Schui zu Armut und Menschenwürde

Wer Armut anderer Leute empörend findet, kann für sich in Anspruch nehmen, ein moralischer Mensch zu sein. Aber wenn Moral da stehen bleibt, wo sie eine Art Kritik ist, „welche die Gegenwart zu be- oder verurteilen, aber nicht zu begreifen vermag“, wird sie eher ein Motiv sein, der Armut mit Almosen zu begegnen. Erst das Begreifen öffnet den Weg dahin, über die Linderung der Armut hinauszugehen, das heißt, ihr Entstehen zu verhindern. Bleibt es dagegen beim Moralisieren, dann ist zu fragen, ob die Moral nicht deswegen in die Debatte eingeführt wird, um über Politik nicht reden zu müssen. Moralisieren bedeutet dann, einem Vorgang seinen konkreten Inhalt zu nehmen.  Und indem wir das Konkrete aus der Sicht verlieren, machen wir uns unfähig, so zu handeln, wie uns dies unsere Empörung eigentlich nahelegt.

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Herbert Schui, Attac

Armut verhindert ein Leben in Würde. Das löst unsere Empörung aus und veranlasst zum Handeln. Denn aus christlicher Sicht leitet sich die Würde des Menschen daraus her, dass er als Ebenbild Gottes geschaffen ist. Allein aus diesem Grund darf er nicht entwürdigt werden. Das kommunistische Manifest von 1848 entwickelt zur Frage der Menschenwürde eine recht unerbittliche Sicht vom Kapitalismus: Die Bourgeoisie „hat (…) kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse. (…) Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst (…).“ Aber ist es nicht tatsächlich so, dass die Wertschätzung gegenüber einem Menschen sehr häufig bestimmt wird von dessen Vermögen und Einkommen? In dieselbe Richtung zeigt der – von der Wirtschaftswissenschaft entwickelte – Begriff „Humankapital“. (Von dort ist es nicht weit zu Menschenmaterial.) Bildungsinvestition ist ähnlich abstoßend, weil dieser Begriff Bildung als rentables Wirtschaftsgut versteht. Bleibt es dagegen beim Moralisieren, dann ist zu fragen, ob die Moral nicht deswegen in die Debatte eingeführt wird, um über Politik nicht reden zu müssen. (Hier: voller, an die Kirchen gerichteter Text von Herbert Schui)

„Schon früh verstand er sich dabei als dezidiert politischer Wissenschaftler. Zusammen mit Jörg Huffschmid gründete er 1975 die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, die bis heute an ihrem Credo festhält, sich »der Entwicklung wirtschaftspolitischer Vorschläge und Perspektiven« zu widmen, »die sich an der Sicherung sinnvoller Arbeitsplätze, der Verbesserung des Lebensstandards und dem Ausbau des Systems der sozialen Sicherheit für die Arbeitnehmer sowie wirksamer Umweltsicherung in der Bundesrepublik orientieren«. Als Gewerkschaftsmitglied und oder im globalisierungskritischen Netzwerk Attac engagierte sich Schui auch in sozialen Bewegungen. Seine parteipolitische Heimat war zunächst die SPD, aus der er allerdings 2004 austrat.“ ND-Nachruf auf Herbert Schui

Biographie von Herbert Schui

Herbert Schui auf seiner Website: Abitur 1961 am St. Matthias-Gymnasium Gerolstein (Eifel). Wehrdienst 1961-1962, ab 1962 Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Köln, 1966/67 Studienaufenthalt an der Universität Paris I, Abschluss als Diplom-Volkswirt an der Universität Köln 1968, von 1969 bis 1973 Forschungsassistent im Forschungsprojekt Geldtheorie und Geldpolitik an der Universität Konstanz unter der Leitung von Karl Brunner, The University of Rochester, NY, USA. Studienaufenthalte an den Universitäten Clermont-Ferrand und Paris I im Sommer 1970, Studienaufenthalt an der University of Rochester 1971/1972. Promotion Dr. rer pol (summa cum laude) im Herbst 1972 in Konstanz mit der Arbeit „Geld- und Kreditpolitik in einer planifizierten Wirtschaft – das französische Beispiel“.

Ab Herbst 1974 Assistenzprofessor an der Universität Bremen, Gastprofessur an der Universität Bielefeld (Studienjahr 1976/77), ab 1980 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität für Wirtschaft und Politik (HWP) in Hamburg. Zahlreiche Gastprofessuren und Forschungsaufenthalte im Ausland. Pensioniert im Frühjahr 2005. Mitglied der Gewerkschaft ÖTV/verdi seit 1973, Zusammen mit Jörg Huffschmid Mitbegründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 1975, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates von Attac, Mitbegründer und Mitglied der WASG 2004, Austritt aus der SPD 2004, Mitglied der Partei DIE LINKE seit 2007. Mitglied des Deutschen Bundestages von 2005 bis 2010, Wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke.

Schui war lange Jahre Mitglied der SPD, weiß Wikipedia. 2004 zählte er zu den Mitbegründern der ASG, aus der später die WASG hervorging. Mit dem Zusammenschluss der WASG mit der PDS wurde er 2007 Mitglied der Partei Die Linke. Ab 2005 war Herbert Schui Mitglied des Deutschen Bundestages. 2005 zog er über die offene Landesliste der Linkspartei.PDS ein, 2009 über die Landesliste der Linken in Niedersachsen. Am 1. November 2010 schied er aus dem Bundestag aus. Für ihn folgte Johanna Voß.  Nach dem Abitur 1961 am St. Matthias-Gymnasium in Gerolstein leistete Schui zunächst den Wehrdienst ab und begann 1962 ein Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln, welches er 1968 als Diplom-Volkswirt beendete. Anschließend war er Forschungsassistent an der Universität Konstanz und verbrachte 1970 Studienaufenthalte in Clermont-Ferrand und Paris sowie 1971 und 1972 in Rochester. 1972 erfolgte seine Promotion zum Dr. rer. pol. an der Universität Konstanz mit der Arbeit Geld- und Kreditpolitik in einer planifizierten Wirtschaft – das französische Beispiel. 1974 wurde Schui als Assistenzprofessor an die Universität Bremen berufen. 1980 wechselte er als Professor für Volkswirtschaftslehre an die Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg. Er war 1975 Mitbegründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. 2005 beendete er seine Tätigkeit als Hochschullehrer. Er ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac. Schui ist verheiratet und hat ein Kind.

Hamburgwahl: Gewannen FDP und Grüne mit Campact-Hilfe?

Theodor Marloth

Die Hamburgwahl war ein überraschender Erfolg für FDP und Grüne. Teilweise verdanken sie ihn vermutlich einer teuren Massen-Flyer-Aktion der Clicktivismus-NOG „Campact“.  Vorl. Endergebnis: SPD 45,7% / CDU 15,9% / Grüne 12,2% / Linke 8,5% / FDP 7,4% / AfD 6,1% / Piraten 1,5% / Die Partei 0,9% / Liberale 0,5% / ÖDP 0,4% / NPD 0,3% / Rentner 0,3% / HHBL 0,2%

Im Hamburger Wahlkampf griff die NGO Campact mit ein, vorgeblich gegen TTIP. In einer nach Wahlomat-Muster versimpelten Tabelle konnte die Wählerschaft entnehmen, dass bezüglich TTIP die GRÜNEN genauso wählbar seien wie die LINKE. Aber nicht nur die Grünen wurden als gleichwertig mit der Linken dargestellt. Auch die FDP erhielt einen Ritterschlag: sie wurde mit der SPD auf eine Stufe gestellt, was ihre Affinität zum TTIP betrifft. Eine absurde Vorstellung, dass erzneoliberale FDP-Restfunktionäre plötzlich vernünftig geworden wären. Aber weder ist die FDP inzwischen auf dem (gemäßigteren) SPD-Niveau des Neoliberalismus angekommen, noch haben die Grünen das soziale Kritikvermögen der Linken erreicht, das sie 1998 -wie später mit ihrer Hartz-IV-Einführung bewiesen- am Eingang zur Regierungsmacht abgegeben hatten.

Die Grünen haben sich erst sehr spät gegen TTIP engagiert –die Linke kämpfte schon 1998 gegen den c0836-grueneneinTTIP-Vorläufer MAI (Multilateral Aggreement on Investments), damals noch als PDS. Die Grünen jammerten zunächst vorwiegend über Chlorhühnchen, während der Kern in den undemokratischen Schiedsgerichten und vor allem der sinkenden Lebens- und Arbeitsqualität für die Völker liegt: Dumpinglöhne und Verelendung wären die Folge. Dies wollen die Grünen nicht sehen, die Linke schon: Campact betreibt also „redwashing“ der Grünen.

Viele Hamburgerinnen und Hamburger wissen noch nicht, wie viel bei der Bürgerschaftswahl am 15. Februar auf dem Spiel steht: Hamburgs künftiger Senat wird im Bundesrat über die EU-Abkommen TTIP und CETA abstimmen. Campact

Das MAI wurde damals abgewehrt, durch Gewerkschaften, PDS (Linke) und Proteste im Internet, die damit erstmals einen großen Erfolg für kritische Enthüllung von geheimen Machenschaften der Herrschenden verbuchen konnten (siehe G.R.Ruegers Buch zu Wikileaks und Netzpolitik). Während das MAI in Deutschland medial unbeachtet blieb, sorgten die Proteste doch dafür, dass Paris die weiterhin geheimgehaltenen Verhandlungen verließ. Dann übernahmen die Globalisierungskritiker von Attac den Kampf gegen die Konzernlobbys, die man hinter MAI wie TTIP vermuten darf. Attac entwickelte sich graswurzelartig von unten, bis die Medien es nicht mehr ignorieren konnten dauerte es Jahre. Dann wurde Attac erst gehypt, dann mit Kampagnen niedergemacht. Ab 2004 kam Campact mit verdächtig schneller, gut organisierter und gutfinanzierter Wucht auf die Bühne.

Campact e.V. ist 2004 nach dem Vorbild der US-amerikanischen Online-Plattform MoveOn gegründet worden und bietet ein Internet-basiertes Beteiligungsforum, mit dem Protest-E-Mails gebündelt werden: Clicktivismus pur. Thematisch trat die NGO dabei allem mit der Graswurzel-Bewegung Attac in Konkurrenz. Campact ist ein eingetragener Verein, dessen Leitung zunächst einem geschäftsführenden Vorstand aus drei Personen (2013) oblag, der an zwölf Vollmitglieder berichtet -damit ist die Organisation in der Hand dieser 15 Personen. Das Gründungskapital stammte von Privatpersonen, deren Identität zunächst geheim gehalten wurde –erst nach Enthüllung dieser dubiosen Hintergründe hier auf Jasminrevolution, hat die NGO sich transparenter gestaltet (und in unserem Leserforum darauf hinweisen lassen).

Das Campact-Budget umfasste schon 2011 die sagenhaft hohe Summe von rund zwei Millionen Euro, die angeblich aus Spenden und Förderbeiträgen stammen sollen. Campact e.V. ist als juristische Person beim Registergericht in Hamburg eingetragen und vom Finanzamt Hamburg am 12.08.2004 als gemeinnützige Organisation anerkannt worden. Attac wurde inzwischen die Gemeinnützigkeit entzogen, während Campact Attac immer mehr Spendengelder abwarb. Noch macht Campact vorwiegend gute Kampagnen, besser finanziert und professioneller als Attac es jemals gelang –dazu warb Campact anderen NGOs fähige, aber finanziell bedürftige Leute ab, auch Attac.

Wenn in der Wirtschaft ein großes Unternehmen in einen Markt eindringen will, kommt es zunächst mit tollen Angeboten, die billiger und besser sind als alles was der Markt bis dahin zeigt. Wenn die kleine Konkurrenz totgemacht ist, ändert sich dies jedoch. Dann steigt der Preis für die Kunden und die Qualität lässt nach. Könnte nach diesem Muster auch die Zersetzung von Globalisierungskritik betrieben werden?

Hoffentlich nicht. Campact könnte diesen Verdacht ausräumen, in dem es von seinem Millionen-Euro-Geldregen einen nennenswerten Teil zur Unterstützung der in Not gekommenen Schwester- (oder doch Konkurrenz?) Organisation Attac abgibt.

 

 

Hamburger Wahlkampf: Campact wäscht Grüne

Theodor Marloth c0836-gruenenein

Im Hamburger Wahlkampf griff die NGO Campact mit einer teuren Massen-Flyer-Aktion ein, vorgeblich gegen TTIP. In einer nach Wahlomat-Muster versimpelten Tabelle konnte die Wählerschaft entnehmen, dass bezüglich TTIP die GRÜNEN genauso wählbar seien wie die LINKE. Aber stimmt das wirklich?

Wohl kaum. Die Grünen haben sich erst sehr spät gegen TTIP engagiert –die Linke kämpfte schon 1998 gegen den TTIP-Vorläufer MAI (Multilateral Aggreement on Investments), damals noch als PDS. Die Grünen jammerten zunächst vorwiegend über Chlorhühnchen, während der Kern in den undemokratischen Schiedsgerichten und vor allem der sinkenden Lebens- und Arbeitsqualität für die Völker liegt: Dumpinglöhne und Verelendung wären die Folge. Dies wollen die Grünen nicht sehen, die Linke schon: Campact betreibt also „redwashing“ der Grünen.

Viele Hamburgerinnen und Hamburger wissen noch nicht, wie viel bei der Bürgerschaftswahl am 15. Februar auf dem Spiel steht: Hamburgs künftiger Senat wird im Bundesrat über die EU-Abkommen TTIP und CETA abstimmen. Campact

Das MAI wurde damals abgewehrt, durch Gewerkschaften, PDS (Linke) und Proteste im Internet (siehe G.R.Ruegers Buch zu Wikileaks und Netzpolitik). Später übernahmen die Globalisierungskritiker von Attac diesen Kampf gegen die Konzernlobbys. Dann kam Campact mit schneller, gut organisierter und gutfinanzierter Wucht auf die Bühne.

Campact: Redwashing der Grünen

Warum will Campact die spätestens ab 1998 neoliberal gewordenen Grünen (mit ihnen setzte die SPD Hartz IV und andere soziale Ungerechtigkeiten durch) rotwaschen? Campact e.V. ist 2004 nach dem Vorbild der US-amerikanischen Online-Plattform MoveOn gegründet worden und bietet ein Internet-basiertes Beteiligungsforum, mit dem Protest-E-Mails gebündelt werden: Clicktivismus pur. Thematisch trat die NGO dabei allem mit der Graswurzel-Bewegung Attac in Konkurrenz. Campact ist ein eingetragener Verein, dessen Leitung zunächst einem geschäftsführenden Vorstand aus drei Personen (2013) oblag, der an zwölf Vollmitglieder berichtet -damit ist die Organisation in der Hand dieser 15 Personen. Das Gründungskapital stammte von Privatpersonen, deren Identität zunächst geheim gehalten wurde –nach Enthüllung dieser dubiosen Hintergründe hier auf Jasminrevolution, hat die NGO sich transparenter gestaltet (und in unserem Leserforum darauf hinweisen lassen).

Das Campact-Budget umfasste schon 2011 die sagenhaft hohe Summe von rund zwei Millionen Euro, die angeblich aus Spenden und Förderbeiträgen stammen sollen. Campact e.V. ist als juristische Person beim Registergericht in Hamburg eingetragen und vom Finanzamt Hamburg am 12.08.2004 als gemeinnützige Organisation anerkannt worden. Attac wurde inzwischen die Gemeinnützigkeit entzogen, während Campact Attac immer mehr Spendengelder abwarb.

Noch macht Campact gute Kampagnen

Noch macht Campact vorwiegend gute Kampagnen, besser finanziert und professioneller als Attac es jemals gelang –dazu warb Campact anderen NGOs fähige, aber finanziell bedürftige Leute ab, auch Attac.

Wenn in der Wirtschaft ein großes Unternehmen in einen Markt eindringen will, kommt es zunächst mit tollen Angeboten, die billiger und besser sind als alles was der Markt bis dahin zeigt. Wenn die kleine Konkurrenz totgemacht ist, ändert sich dies jedoch. Dann steigt der Preis für die Kunden und die Qualität lässt nach. Könnte nach diesem Muster auch die Zersetzung von Globalisierungskritik betrieben werden?

Hoffentlich nicht. Campact könnte diesen verdacht ausräumen, in dem es von seinem Millionen-Euro-Geldregen einen nennenswerten Teil zur Unterstützung der in Not gekommenen Schwester- (oder doch Konkurrenz?) Organisation Attac abgibt.

In der Hamburger Campact-TTIP-Aktion werden die Grünen nicht nur als gleichwertig mit der Linken dargestellt, auch die FDP bekommt einen Ritterschlag: sie wird mit der SPD auf eine Stufe gestellt, was ihre Affinität zum TTIP betrifft: Eine absurde Vorstellung, dass erzneoliberale Restfunktionäre plötzlich vernünftig geworden wären.