Madrid: Überleben im Finanzterror

Galindo Gaznate 11.10.2012

Anschlag auf Madrid. Die Ratingagentur Standard & Poor’s  schlug zu mit einer neuen Herabstufung der Kreditwürdigkeit. Die Bonität Spaniens wurde um gleich zwei Stufen schlechter als bisher beurteilt: „BBB-“ statt „BBB+“. Damit drückte die Finanzfirma die Kreditwürdigkeit der viertgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone auf nur noch eine Stufe über Ramschniveau. Die Sanierung des Haushaltes wird für Rajoy schwieriger, ESM-Hilfen rücken näher. Von einem „vollen Hilfsprogramm“ wie für Griechenland, Portugal oder Irland ist dagegen nicht mehr die Rede.

Der Fluch der Ratingagenturen

Die Rating-Agenturen sind bekanntlich über Hedgefonds mit der Finanzwelt eng verstrickt und daher keineswegs objektive Bewerter –obwohl die Propaganda des Finanzsystems ihnen diese Rolle zuschreibt und unsere Medien dies kaum je hinterfragen. BBB- für Madrid heißt, die Zinsen und Profite der Finanzfirmen steigen, Milliarden werden eingestrichen -die Spekulation gegen den Euro hat sich wieder einmal gelohnt.

Es ist  die gleiche Masche wie mit Athen -alle könnten es inzwischen Wissen, die Lösungen liegen seit 2009 auf dem Tisch: Banken verstaatlichen, Ratingagenturen entmachten, die 1% Geldelite zur Kasse bitten, die den Reibach aus dem Großbetrug eingestrichen hat. Aber die Medien haben es geschafft, die Menschen derartig besoffen zu quatschen, dass unsere nach der Lehman-Pleite gewonnenen Erkenntnisse von der Politik inzwischen wieder ignoriert werden können. Doch immer mehr Menschen lassen sich dies nicht mehr gefallen, z.B. die Bomberos in Madrid.

Die einfachen Menschen in Madrid und anderswo müssen dafür bluten: Finanznet meldet, die Verbraucherpreise seien für die Spanier im September deutlich gestiegen -vor dem Hintergrund drastisch gekürzter Löhne ein zusätzlicher Aderlass für die Bevölkerung. Der Verbraucherpreisindex habe von 2,7 Prozent im August auf 3,5 Prozent zugelegt, die höchste Rate seit April 2011, teilte die spanische Statistikbehörde mit.

Spanien verliert, so will die Ratingagentur S&P im Auftrag ihrer Besitzer glauben machen, weiter an Kreditwürdigkeit. Steigende Preise und die hohe Arbeitslosigkeit verschärfen die Spannungen im Land, was den Druck auf Ministerpräsident Mariano Rajoy erhöht, einen zweiten Antrag auf Kredithilfe der Europäischen Union zu stellen, meint die  FAZ.  Noch zögert Rajoymit Rücksicht auf die bevorstehenden  Regionalwahlen im Baskenland und in Galicien am 21. Oktober, aber auch weil Spanien von wichtigen Partnerländern widersprüchliche Signale erhält.

Während der deutsche Finanzminister wiederholt verlauten ließ, dass Spanien – nach der Hilfe für seine maroden  Banken – keine staatliche Rettungsaktion mehr benötigen sollte, legte der IWF  indirekt einen solchen Schritt nahe. Rajoy sucht derweil beim französischen Staatspräsidenten François Hollande Unterstützung, um mäßigend auf  die Regierung Merkel einzuwirken -so kürzlich auch auf dem 5+5-Mittelmeer-Gipfel auf Malta.

Spanien ist „too big to fail“

Rajoy hat mit seinem  Haushalt für 2013 schon Leistungen in Höhe von mehr als 13 Milliarden Euro gestrichen -vorzugsweise beim einfachen Volk. Aber  jetzt werden Staatsanleihen fällig, die zu zwei Prozent verzinst waren. Dank der neuen Bewertung der Ratingagenturen darf die Finanzbranche die jetzt fälligen neuen Anleihen mit sieben Prozent verzinsen. Die Finanzierungskosten trägt die spanische Bevölkerung, sie sind schon zum größten Haushaltsposten geworden.

Die öffentlichen Angestellten haben um 25 Prozent an Einkommen verloren, das Arbeitslosengeld ist reduziert worden. Nun sollen die Rentner an die Reihe kommen, sie machen 25 Prozent der Staatsausgaben aus. Die Finanzmärkte bleiben dennoch ruhig, anders als damals bei Griechenland, Irland und Portugal. Spanien ist zu groß, um es in die Pleite rutschen zu lassen -nicht nur bei Banken, auch bei Staaten gibt es ein „too big to fail“.

Die von Madrid angestrebte Lösung : Der ESM bürgt nur für 30 Prozent der für zwei Jahre vorgesehenen Kreditaufnahmen Spaniens, ca. für 50 Milliarden Euro. Die Europäische Zentralbank drückt mit Anleihekäufen auf dem Kapitalmarkt die Zinsen und Spanien kann seine Schulden auf Kosten der Bevölkerung weiter abtragen. Die „Geldelite“ lacht, die Menschen weinen, das ist der Terror der Ökonomie.

Der Terror der Ökonomie

Als Vivian Forrester 1996 ihren Bestseller “Der Terror der Ökonomie” schrieb, konnte sie von diesen Dimensionen der Unmenschlichkeit noch nichts ahnen, sie schrieb über “… das rauhe Klima der dreckigen Armenghettos … Grauen, das sich in anderen Körpern als den unseren ausbreitet … ‚kennen‘ wir nicht, wir ‚wissen‘ nur davon.” (S. 113).

Der deutsche Medienkonsument kennt nur die Propaganda-Phrasen der Finanzbranche, die ihre Schulden von korrupten Politikern den Völkern in die Tasche hat schieben lassen -uns allen. In korrupten Mainstream-Medien lässt unsere Geldelite nun über die “Schuldenkrise” lamentieren, man hetzt besinnungslos gegen „mediterranen Schlendrian“, vor allem gegen die unbeugsamen Griechen. Schuld an den Schulden sind wie durch ein Wunder nicht mehr die uns alle abzockenden Banken, sondern die Völker selber und ihre angeblichen “Privilegien”.

Und worin bestehen diese „Privilegien“? Meist nur darin, unverschämterweise nicht für immer weniger Geld als prekärer Billiglohn-Working-Poor malochen zu wollen, damit eine korrupte 1%-Klasse reicher Schmarotzer sich die Taschen immer mehr vollstopfen kann und sich eine 10%-Klasse williger Büttel in Staat und Medien hält, die uns das als alleinseligmachende Globalisierung verkaufen sollen. Vivian Forrester:

“Die privatwirtschaftlichen Führungsklassen haben zuweilen die Staatsgewalt verloren, die Macht jedoch nie… Jene Klassen (oder Kasten) haben immer agiert und andere verdrängt oder überwacht, haben verführt und verlockt. Ihre Privilegien sind nach wie vor Inhalt der Träume und Wunschvorstellungen der Mehrheit – auch der meisten von denen, die aufrichtig von sich behauptet haben, sie zu bekämpfen.”

Die Medien tun das Ihrige dazu, wenn sie die Schuldigen decken, die Verelendung rechtfertigen, und den Terror der Ökonomie exekutieren, indem sie ihre Leser mit Angst vor drohendem Elend drangsalieren. Zumal wenn sie perfide die Lockungen einer vermeintlich möglichen Teilhabe am abgepressten Reichtum der dabei Elend gemachten anderen vorgaukeln.

Die Träume und Wunschvorstellungen der Mehrheit der Jüngeren wurden von medialer Gehirnwäsche Marke “Deutschland sucht den Superstar” weitgehend geprägt – zurück blieben verflachte Geister, Duckmäuserei und Frustration. Lebenslange Anpasserei, hohler Konsum und am Ende die große Utopie einer Frühverrentung nach Burnout… In  Athen sehen wir, dass selbst dieser erbärmliche Lebensentwurf den heutigen Herrschaftseliten noch zu großzügig erscheint: Sie wollen alles von uns und ohne Rücksicht auf unsere Menschenrechte. Wählen wir ihre Büttel einfach ab! Spanish Revolution! Machen wir neue Regeln für die Finanzwelt! Unsere Regeln. Aber zuerst brauchen wir unser Geld von denen zurück, die es uns gestohlen haben -nachdem sie den Diebstahl durch „Deregulierung“ legalisieren ließen.

Zu Viviane Forrester:

Viviane Forrester (* 1927 in Paris) ist eine französische Schriftstellerin, Essayistin und Literaturkritikerin. Sie arbeitet in Paris als Literaturkritikerin für Le Monde, Le Nouvel Observateur und La Quinzaine littéraire. Als Kunst- und Literaturkritikerin ist sie vor allem mit Arbeiten über Vincent van Gogh und Virginia Woolf hervorgetreten. Viviane Forrester ist Mitglied bei Attac  (ursprünglich association pour une taxation des transactions financières pour l‘aide aux citoyens; seit 2009: association pour la taxation des transactions financières et pour l‘action citoyenne; dt. „Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen“) ist eine NGO, die gegen den Finanzterror ankämpft, der im Namen einer angeblichen „Globalisierung“ stattfindet.

International bekannt wurde Viviane Forrester durch ihr grandioses Buch Der Terror der Ökonomie (L’horreur économique) von 1996, das rasch zum Bestseller und bisher in 27 Sprachen übersetzt wurde. Darin schildert sie Missstände in den Banlieues der Großstädte und plädiert für eine Abkehr vom Neoliberalismus. Sie stellt grundlegende Fragen über die Bedeutung von Begriffen, die nach ihrer Ansicht zwar permanent benutzt, aber gemeinhin nicht hinterfragt werden, z. B. über die Bedeutung des Begriffs Wettbewerbsfähigkeit. Sie beklagt, dass Wirtschaftsunternehmen staatliche Leistungen zur Schaffung von Arbeitsplätzen erhalten, ohne dass dafür Gegenleistungen in Form von Arbeitsplatzgarantien erbracht werden müssen. (Wikipädia.dt)