Big Brother mag kein Bargeld: Finanz-Angriff auf unsere Privatsphäre

Cap Ulcus

Plant Merkel die Abschaffung des Bargeldes? Barzahlungen über 10.000 Euro sind seit einem Jahr in Deutschland nicht mehr anonym möglich. Merkel setzte dafür eine EU-Richtlinie um und verhängte eine Bargeld-Obergrenze. Das neue Gesetz besagt, dass Zahlung ab einer Höhe von 10.000 Euro nur mit Vorlage eines Ausweises möglich sind. Ziel ist angeblich, Geldwäsche und die Finanzierung von Terrorismus zu bekämpfen. Gold- und Schmuckhändler, Autohäuser und Kunsthandel wurden durch das Anti-Bargeld-Gesetz betroffen, klagt die Wirtschaftspresse. Aber am Ende geht es eher um eine totale Überwachung der Bevölkerung. Viele europäische Länder haben schon eine Obergrenze und natürlich will auch die EU ein generelles Verbot von Barzahlungen über 5.000 Euro.

Bislang herrscht beim Geld Eurokraten-Chaos: In den EU-Staaten Frankreich und Portugal liegt der maximale Betrag, der mit Bargeld bezahlt werden darf, sogar bei nur mickrigen 1.000 Euro (dabei gilt die Obergrenze aber nur für Zahlungen zwischen Firmen oder Gewerbetreibenden, Privatpersonen sind ausgenommen). In Polen und Kroatien immerhin bei 15.000 Euro. Ab 2016 wollte auch Merkels Bundesregierung schon eine Barzahlungs-Obergrenze von nur 5000 Euro verordnen. Der Anfang vom Ende des Bargeldes? Auf jeden Fall ist es ein Angriff auf die Anonymität beim Bezahlen. Nach Forderungen aus der SPD geht es angeblich gegen den internationalen Terrorismus. Kritiker werfen den Banken selbst dagegen Finanz-Terrorismus vor, etwa gegen Wikileaks, und wehren sich mit Forderungen nach Freigeld, Kryptowährungen (es gibt nicht nur Bitcoin) und Aktionen wie Payback von Anonymous.

Terrorismus-Argument erwies sich als absurd

Das Argument, man könne mit dem Limit den Terrorismus bekämpfen, ist jedoch völlig haltlos, wie beispielsweise die Pariser Anschläge im November vergangenen Jahres zeigten: Die Anschläge wurden in Belgien vorbereitet und in Frankreich verübt -beide Staaten haben bereits eine Barzahlungs-Obergrenze. Ähnlich wie Frankreichs Vorratsdatenspeicherung konnte auch diese Überwachungsmaßnahme die Anschläge nicht verhindern. Zudem ist es fraglich, ob sich Terroristen von einer Obergrenze für Barzahlungen abschrecken ließen, wenn sie Beträge von mehr als 5000 Euro in bar bezahlen wollen würden. Statt sich um die Ursachen des Terrorismus zu kümmern (z.B. völkerrechtswidrige Angriffskriege der NATO in aller Welt, Hunger und Elend wegen brutaler Ausbeutung vieler Länder durch Westkonzerne), wird also wieder einmal mit vermeintlicher Sicherheitspolitik reagiert. Dabei kann man auch vom Bankenterror sprechen, wie er etwa gegen Griechenland eingesetzt wurde, siehe: Bankenterror- Warum scheiterte Varoufakis Plan einer Parallelwährung?  Außerdem wurde die tendenzielle und am Ende auch angepeilte Bargeld-Abschaffung auch schon -und das spricht nicht gerade für eine justiziable Ermittlungsmethode- als verfassungswidrig kritisiert:

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, kritisierte die Pläne der Bundesregierung für eine Bargeld-Obergrenze als verfassungswidrig. Papier bezeichnete die Pläne als einen zu großen Eingriff in die Freiheitsrechte und sprach von einem großen Schritt hin zur „Reglementierung, Erfassung und verdachtslosen Registrierung“, also von einem großen Schritt hin zur anlasslosen Massenüberwachung. Netzpol

Schwarzgeld-Steuerhinterzieher-Argument unglaubhaft

Weitere Argumente für ein Limit bei Barzahlungen sind Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Schwarzgeldgeschäfte. Diese ließen sich so vielleicht tatsächlich eindämmen und erschweren. Aber die Justiz hat hier viele andere Möglichkeiten, die sie aber nicht nutzt, weil reiche Steuerhinterzieher mafiösen Schutz von Staat und Politik genießen: Siehe Roland Koch (lehrt jetzt an der Frankfurt School of Finance & Management) und seine Psychiatrisierung effektiv arbeitender Steuerfahnder; Bayern wirbt unter der Hand um Zuzug von Millionären mit Garantie von Schutzpatenschaft vor dem Fiskus: Steuernzahlen ist nichts für Reiche. Daher ist auch dieses Ziel der Bargeld-Abschaffung unglaubhaft -ein effektiver Fiskus ließe sich anders organisieren.

Ergo: Überwachung bargeldloser Überweisungen spricht dagegen für uneingeschränkten Bargeldverkehr: Bei Überweisungen wird gespeichert, wer wem wieviel mit welchem Verwendungszweck überwiesen hat. Mit Bargeld lässt sich dagegen anonym bezahlen, eine Möglichkeit, die auch bei Beträgen über 5000 Euro erhalten bleiben sollte. Bargeld ist also deutlich unproblematischer im Datenschutz. Zudem ist Bargeld an keine technische Infrastruktur gebunden und auch nicht von technischen Ausfällen bedroht. Klar, als Terrorist zahl‘ ich bar

Brüssel, Weltbank, IWF mögen kein Bargeld

Im März 2017 veröffentlichte der IWF ein Arbeitspapier zur Beseitigung des Bargeldes (#de-cashing) und gab Hinweise, „wie Regierungen den Widerstand der Bevölkerung unterlaufen und sie über ihre wahren Absichten täuschen können“, meldete epochtimes. Darin würde vom IWF eine Strategie umrissen, mit welchen Schritten das Bargeld schleichend abgeschafft werden kann – ohne dass die Bevölkerung aufwacht. Einer der Tipps war es, Obergrenzen bei Bargeld-Transaktionen zu schaffen. IWF-Analyst Alexei Kireyev empfahl darin, das Bargeld schrittweise abzuschaffen, wie zum Beispiel durch „das Ausdünnen großer Geldscheine, die Platzierung von Grenzen bei Bargeldtransaktionen und die Kontrolle von Bargeldbewegungen über Grenzen hinweg.“ Internationale Konkurrenten des Finanzeliten-dominierten Westblocks aus USA, EU und Japan wie China, Russland und Venezuela versuchen auch mit Bitcoins aus der globalen Finanzherrschaft des Dollars auszubrechen.

Und wer könnte noch von einer Bargeld-Abschaffung profitieren? Nicht nur Griechenland, sondern die ganze Eurozone steht seit der Finanzkrise immer noch unter Druck. Viele Staaten hatten massive Probleme und mussten indirekt über die EZB finanziert werden. Die Notenbank startete dafür ein billionenschweres Anleihekaufprogramm, mit dem sie zunächst Staats- und später auch Unternehmensanleihen aufkaufte. Heute wird so getan als sei man aus dem Gröbsten raus und bei Mutti Merkel ist soweiso immer alles Gold. Doch das ist Augenwischerei. Alle Re-Regulierungsversuche des Finanzsektors sind im korruptiven Sumpf der Politik steckengeblieben. Wie könnte es auch anders sein, wenn die Polit-Experten, wie etwa Friedrich Merz (CDU) (dem Merkel unter anderem die Deregulierung der Steuergesetze anvertraute) aus den übelsten „Wirtschaftskanzleien“ (Mayer Brown LLP) usw. nebst Trilaterale und Atlantikbrücke kommen? Da bleiben nur Notmaßnahmen der EZB wie in der Eurokrise.

Sollte aber all das einmal nicht mehr helfen, könnten die Staaten die Finanzlücke theoretisch durch eine neu eingeführte Strafabgabe decken, die direkt vom Konto eingezogen wird. Die Bürger könnten sich davor nicht schützen, weil sie das Geld schließlich nicht in bar von der Bank holen können, um es in Sicherheit zu bringen. Damit hätten die Staatschefs volle Kontrolle über das Geld der Bürger. Dasselbe gilt für die Banken wie etwa Goldman Sachs und Deutsche Bank. Schon jetzt geben immer mehr Banken die Strafzinsen der EZB an die Privatkunden weiter. Die EZB verlangt von den Geschäftsbanken 0,4 Prozent Strafzinsen, wenn sie ihr Geld dort parken. Diverse Banken versuchen, mit allerlei dubiosen Gebühren Einnahmen aus uns herauszupressen, etwa indem sie kostenlose Girokonten abschaffen. Gäbe es kein Bargeld mehr, könnten die Banken problemlos Strafen verhängen, weil die Bürger nur tatenlos zusehen, aber ihr Geld nicht in Sicherheit bringen könnten, meint businessinsider.

Bei all den angesprochenen Problemen, die das Geld direkt betreffen, fehlt noch der Blick auf den Datenschutz. Jede noch so kleine Transaktion wäre online abrufbar. Diese Daten würden zum Milliardenmarkt für Unternehmen, die uns noch personalisierter Werbung anbieten könnten, schließlich wissen sie dann endlich über jeden unserer Einkäufe Bescheid. businessinsider

Hintergrund: Bargeld schützt Privacy

Die EU-Kommission will den baren Zahlungsverkehr immer weiter einschränken und das Bargeld in einem zweiten Schritt vermutlich ganz abschaffen. Die elektronische Bezahlung per Funkchip-Karte, per App auf einem Smartphone oder einem smarten Armband soll dann für alle alternativlos sein. Dänemark und Schweden sind Vorreiter dieser Entwicklung. Hier ist die Annahme von Bargeld für Teile des Einzelhandels keine Pflicht mehr. An vielen Geschäften findet sich ein Schild „Wir akzeptieren kein Bargeld.“ Nur jeder fünfte Einkauf wird hier noch bar gezahlt. Schweden will bis 2030 ganz ohne Bargeld auskommen.

Negativzinsen

Warum soll das Bargeld abgeschafft werden? Sicher nicht um vermeintliche Terrorfinanzquellen auszutrocknen. Über ein Verbot von Mobiltelefonen wird auch nicht debattiert, obwohl sich „der Terror“ über Mobiltelefone organisiert. Es geht vielmehr um den regulierenden Zugriff auf unsere Bereitschaft Geld auszugeben bzw. Schulden aufzunehmen: Negative Zinsen sollen in mittlerweile permanentisierten „Krisenzeiten“ die Wirtschaft stimulieren. Das ist aus Sicht der Europäischen Zentralbank die konsequente Fortführung ihrer Niedrigzinspolitik der letzten zehn Jahre. Der ehemalige Chef-Ökonom des Internationalen Währungsfonds Kenneth Rogoff hält derzeit sogar Negativzinsen von bis zu -4 % für ökonomisch angemessen!

Solche Strafzinsen für das Bunkern von Geld werden aktuell bereits bei Interbanken-Transfers und bei großen Spareinlagen erhoben, können aber nur eingeschränkt an die durchschnittliche Endverbraucher*in weitergereicht werden. Der Grund: Nur etwa 10% aller Bank-Kund*innen würden ihr Geld unter diesen Bedingungen auf der Bank lassen – alle anderen würden den billigeren Weg gehen und das Geld kostenfrei, bar zu Hause lagern und gegebenenfalls (deutlich günstiger) versichern lassen. Das Bargeld als Fluchtmöglichkeit vor Negativzinsen soll also verschwinden. Diese Profitchancen für die Bankenwelt hat Springers Rechtsgazette „Die Welt“ wohl übersehen als sie gut bäuerlich für Pferdezüchter gegen Bargeldverbote eintrat:

„Dennoch wird die Obergrenze gravierende Folgen haben. Sie trifft besonders Branchen, in denen Bargeld eine große Rolle spielt, wie Gebrauchtwagenhändler oder Pferdezüchter. Viele Bürger zahlen bei größeren, aber völlig legalen Geschäften zudem bewusst in bar, damit ihre Transaktionen nicht zurückverfolgt und anonym bleiben können.“ DIE WELT

Kontrolle, Verhaltensökonomie, Inwertsetzung

Was der Verlust des Bargelds bedeutet, sehen wir im US-Staat Kansas. Hier wird die Sozialhilfe nicht mehr überwiesen, oder bar ausgezahlt sondern in Form einer elektronischen Karte ausgegeben, die Benutzerabhängig in ihrer Reichweite und ihrer Anwendbarkeit beschränkt ist. In Repressiv-pädagogischer Manier können damit nicht mehr alle Produke gekauft werden. In Oberbayern führte die Kreisstadt Altöttingen 2015 die Refugee-Card ein, die Geflüchteten nur bestimmte Einkäufe räumlich begrenzt erlaubt – die moderne Form des Lebensmittelgutscheins, der elektronisch die Residenzpflicht umsetzt und zudem zum Monatsende verfällt. (Womit eine alte Idee aus dem Freigeld, die dort gegen Bankenherrschaft gedacht war, zur Unterdrückung der Bevölkerung missbraucht wird.)
Mit der Abschaffung von Bargeld sind alle Transaktionen und alle Einkäufe der Bevölkerung für die Herrschenden nachvollziehbar. Die großen Einzelhandelsketten wollen diese totale Erfassung nicht nur für hoch personalisierte Werbung nutzen, sondern bereiten die Umstellung auf individuelle Preise über smarte Preisschilder vor. Erfasst und berechnet werden soll, wieviel jede Kund*in individuell bereit ist, für ein bestimmtes Produkt zu zahlen. Vorbei die Zeit des einheitlichen Preises für alle. Einige kennen diesen Effekt bereits bei der Online-Bestellung auf diversen Portalen – hier liegt der Preis für Bestellungen, die von Apple-Endgeräten aus getätigt wurden, beträchtlich höher. (Kranken-)Versicherungen wollen Zugriff auf diese Daten haben. Aus unserem Einkaufsverhalten und weiteren Informationen über unser Leben soll unser Gesundheitsbewusstsein permanent bemessen werden. Der Versicherungstarif soll so für jeden individuell und kontinuierlich neu kalkuliert werden.

Fortschrittliche Verweigerung

Bargeld ist praktisch – es erfordert keine Registrierung. Bargeld ist universell – anders als bei elektronischen Bezahlsystemen gibt es keine Besitzerabhängigen oder räumlichen Einschränkungen. Bargeld „gehört uns“: Da kann niemand negative Zinsen berechnen. Wir können es in unbeschränkten Mengen unter die Matratze legen oder wieder ausgraben. Guthaben bei Banken unterliegen gerade in Krisenzeiten unzähligen Restriktionen. Wir erinnern an die Beschränkung der Auszahlung in Griechenland oder die vollständige Entwertung der Spareinlagen in Portugal. Auch die Auszahlung von bitcoins kann verwehrt werden. Zudem erfordert es weitergehende technische Kenntnisse, um mit bitcoins wirklich anonym zu zahlen. Bargeld hingegen ist von allen (anonym) nutzbar – egal wie alt, egal wie marginalisiert. Das elektronische Geld ist kompliziert, teuer, unsicher, überwach- und steuerbar. Für uns gibt es also keinerlei Gründe auf das Bargeld zu verzichten.

Jetzt mag es komisch klingen, dass sich neben bürgerlichen, teils konservativen und leider auch rechten Kreisen nun ausgerechnet Antikapitalist*innen für den Erhalt des Bargelds aussprechen. Tatsächlich erfordert dies eine Erklärung, die sich eindeutig von rechten Motiven abgrenzt: Unser Bezugspunkt ist nicht die Freiheit des Privateigentums. Unsere Freiheit basiert auf Selbstbestimmung, auf Autonomie. Das ist ein gravierender Unterschied. Wir behaupten, dass wir mit dem Verbleib beim Bargeld der Überwindung des Kapitalismus und der Abschaffung des Geldes näher sind als mit der für alle verbindlichen Nutzung elektronischer Bezahlsysteme.

Historisch gab es verschiedene Etappen, die darauf abzielten, Ökonomie flüssiger zu machen – quasi-instantane Geldtransfers spielen hier heute eine wichtige Rolle. Banken bewerben sich um Rechnerplätze möglichst nah am Börsenzentralrechner, um Vorteile bei der Abwicklung von Geldgeschäften im Zehntel- Millisekundenbereich zu haben. Zudem ist die Vorhersagbarkeit menschlichen Handelns die Basis für einen beträchtlichen Teil heutiger Wertschöpfung. Das Messen und Steuern sämtlicher Regungen in unseren alltäglichen „Regelkreisen“ ist dabei mehr und mehr von konstruktiver Selbsteinspeisung in das System geprägt. Die Übermittlung sämtlicher Einkäufe und Geldtransfers ist dabei ein bedeutender Schritt in Richtung permanenter Erfassung mit dem Ziel der Verhaltenssteuerung. Das ungehinderte Messen jeglicher Lebensregungen zur Optimierung dieser Verhaltensökonomie ist daher aus antikapitalistischer Sicht zurückzuweisen. Wir sind im Sinne von Jaques Fradin nicht auf der Suche nach einer alternativen Ökonomie, sondern nach einer Alternative zur Ökonomie. Wir müssen ihre Basis, das Messen und Steuern, die soziale Physik ihrer Technokrat*innen grundlegend in Frage stellen.

Fuck off – finanzielle Alphabetisierung

Das indische Regierungsprojekt cashless economy ist ausdrücklich als „Modernisierungsschock“ gedacht gewesen: Premierminister Modi hatte im November 2016 in einer beispiellosen Blitzaktion die 500- und 1000-Rupien-Noten aus dem Verkehr gezogen, die mehr als 85 Prozent der zirkulierenden Geldmenge ausmachten.

Seit dem werden die Inder*innen in staatlichen Werbekampagnen ermuntert, Bankkonten einzurichten, sich Kreditkarten zuzulegen oder ihre Einkäufe mit Smart­phone -Apps zu bezahlen. Das Fernseh-Programm fordert die Zuschauer*innen auf, ihren Hausangestellten einen Tag freizugeben, damit sie ein Konto eröffnen können. Wirtschaftsstudent*innen schwärmen aus und erklären Leuten an Geldautomaten, wie man Überweisungen durchführt. „Finanzielle Alphabetisierung“ nennt die indische Regierung das. Jetzt, wo sich das Mobiltelefon, in Indien in allen Schichten durchgesetzt hat, seien die Voraussetzungen für die Digitalökonomie gegeben. Auch Staatliche Wohlfahrtsleistungen werden jetzt nur noch überwiesen. Dasselbe gilt für Bauern, die bei wetterbedingten Ernteausfällen Entschädigungszahlungen erhalten. So soll der Umstieg auf Konten und digitale Bezahlsysteme erzwungen werden.

Eine Weltbank-Studie aus dem Jahr 2015 hat festgestellt, dass bloß 15 Prozent aller erwachsenen Inder über ein aktives, für Transaktionen verwendetes Konto verfügten. Im Rahmen einer Regierungsinitiative wurden in den vergangenen beiden Jahren mehr als 270 Millionen neue Konten eröffnet – gebührenfrei und ohne Mindesteinlage.

Und doch läuft die staatliche Erzwingung elektronischer Bezahlsysteme anders als erwartet: Ein Großteil der Menschen verbleibt mit oder ohne eröffnetem Konto außerhalb dieses Finanzsystems: Bauarbeiter, Hausangestellte, Rikscha-Fahrer, Nachtwächter, Straßenhändler und Erntehelfer bilden in Indien einen gigantischen Kosmos der „informellen Ökonomie“ : ohne festes Gehalt, ohne Bankdarlehen, ohne Einkommensteuern, ohne Rentenansprüche. Der Anteil der Beschäftigten in der informellen Ökonomie an der indischen Bevölkerung wird auf bis zu drei Viertel geschätzt!

Das, was auch „nicht organisiertes“ Arbeiten genannt wird, ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. In den Augen von Premierminister Modi ist diese anachronistische Wirtschaftsweise ein Ärgernis. Die Regierung in Neu-Delhi und die Mittelschicht, die ihr applaudiert, sind so fortschrittshungrig, dass sie die Realität dieser unangepassten „Rückständigkeit“ am liebsten ignorieren würden. Korbflechter oder Altstoffsammler sind im neuen Bild des Landes nicht mehr vorgesehen. Es gibt aber Hunderte Millionen von ihnen und sie sehen keinen Grund, ihre vertraute „Ökonomie der Straße“ aufzugeben… Quelle cash.blackbogs,org

 

 

Master in Korruption? Roland Koch lehrt an der Frankfurt School of Finance & Management

Roland Koch, Ex-CDU-Funkionär, Ministerpräsident Hessen, Bilfinger-Manager, Hochschul-Lehrer an Privat-Uni

Anton Abakus

Roland Koch lehrt heute an der privat betriebenen Frankfurt School of Finance & Management, obwohl (oder weil?) er als CDU-Politiker, Ministerpräsident und inzwischen auch Baukonzern-Manager in kriminelle, korrupte und oft einfach ekelhafte Affären verstrickt war. Raffgierig wurden in seinem Umfeld in Hessen Schwarze CDU-Kassen mit Schmiergeld gefüllt, das angeblich aus Erbschaften von „reichen Juden“ stammte. Aufrechte Steuerfahnder, die Steuern bei reichen Leuten eintreiben wollte, wurden schikaniert und mit widerlichen Methoden aus dem Amt gemobbt, ihre Existenz durch Psychiatrisierung zerstört. Auch beim Bauriesen Bilfinger leistete Koch miese Arbeit, trieb ihn an den Rand der Pleite und wg. Korruption will Bilfinger nun 120 Millionen Schadensersatz (weil die US-Behörden sie erwischt haben und natürlich wieder einmal nicht die deutsche Justiz).

Wie jeder schwierige Berufsstand braucht auch der Bankster seine Akademie. Sind dies bei Taschendieben und Einbrechern meist Institutionen mit dem Kürzel JVA (Justizvollzugsanstalt), so kann sich das von deutschen Gerichten milde behandeltes Bankgewerbe natürlich Besseres leisten: Die Frankfurt School of Finance & Management ist eine private, staatlich anerkannte Wirtschaftsuniversität und Business School. Träger ist die Frankfurt School of Finance & Management „gemeinnützige“ GmbH, die sich über tolle Bewertungen im CHE-Hochschulranking von Bertelsmann und der ZEIT freuen kann. Kein Wunder: die von diesen Medien propagierte Privatisierung ist seit jeher ein Eldorado für Korruption und eine Freude für raffgierige Konzerne, verschlagene Bankster und korrupte Politiker. Einer der prominentesten Hochschullehrer, der dort junge Nachwuchsbankster seine schmutzigsten Tricks lehrt, hat nun eine 120-Millionen-Dollar-Schadenersatz-Forderung (wegen? Korruption!) an der Backe. Merkelfans kennen ihn noch als „JungenWilden“ aus der CDU: Roland Koch, Träger des Großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland.

Roland Koch brachte es in der CDU bis zum Ministerpräsidenten von Hessen, wo die Bankster-Uni in der Bankenmetropole Frankfurt goldrichtig liegt. Koch war in Hessen tief in Parteienkorruption verstrickt, log sich mit seiner Spitzenheuchelei von der „brutalstmöglichen Aufklärung“  aus der Affäre und durfte am Ende glücklich in die Wirtschaft wechseln. So vertraute ihm der Bauriese Bilfinger den in der korruptionsverseuchten Baubranche besonders heiklen Bereich der Korruptionsbekämpfung an -was sonst?

Bis Ende letzten Jahrtausends galt Koch noch als künftiger Kanzler-Kronprinz der CDU, dann kamen immer mehr dreckige Dinge ans Licht: Im September 2000 wurde Ministerpräsident Koch unter vielem anderen auch vorgeworfen, 1998-1999 die CDU-nahe Stiftung Hessische Akademie für politische Bildung als Geldwaschanlage benutzt zu haben. Klar ist heute: Die Frankfurt School of Finance & Management konnte so ein Talent wie Roland Koch unmöglich ablehnen. Im Bankster-Bundesland Hessen fand unter der Knute von Koch eines der perversesten Verbrechen gegen den Steuerzahler statt, von dem man je gehört hat: die Steuerfahnder-Affäre.

Roland Koch und seine Steuerfahnder-Affäre

Die Steuerfahnder-Affäre (von widerlichen Demagogen wie den Wikipedianern auch beleidigend bezeichnet als Paranoia-Affäre) ist eine Korruptions-Affäre um die (laut Wikipedia natürlich nur „behauptete“) kriminell-korruptive Drangsalierung und Psychiatrisierung von nicht-korrumpierbaren Steuerfahndern. Die Regierung Koch wollte die untadeligen Beamten bei der erfolgreichen Ausübung ihrer Dienstpflichten behindern, denn sie hatten es gewagt, anders als duckmäusige Kollegen, bei reichen Leuten Steuern einzutreiben. Wer glaubt, dass besonders reiche Leute vermehrt Steuern hinterziehen, muss natürlich ein „Verschwörungstheoretiker“ sein, ein gefährlicher „Paranoider“, so dachte vielleicht Roland Koch. Nicht, dass arme Leute generell moralischer wären, aber die haben einfach nicht so viel zu hinterziehen, dennoch finden die meisten Steuerprüfungen bei ihnen statt, nicht bei denen, wo wirklich was zu holen ist. Zufall? Oder Korruption? Fragt man sich besonders in Hessen unter CDU-Herrschaft.

Koch und seine Bagage terrorisierten die wackeren Steuerfahnder, die seiner Staatskassen viele Millionen eintrieben, mithilfe von Dienstanweisungen, Versetzungen, organisatorischer Umstrukturierung, als das nichts half, gab es unter Beihilfe eines korrupten Psychiaters gefälschte psychiatrischen Gutachten mit denen eine Zwangspensionierung begründet wurde. Ob die von Steuerfahndung betroffenen Reichen Leute dieselben waren, die Kochs CDU die Schwarzen Kassen mit Schmiergeld füllten, ist nicht bekannt.

Dass Koch die ihm anvertraute Staatskasse weniger wichtig war als seine CDU-Schwarzkassen darf man wohl annehmen. Auch dies ist sicher etwas, was Bertelsmann, sein CHE-Hochschulranking und die Frankfurt School of Finance & Management sehr bewundernswert fanden als sie Dr.h.c. Roland Koch an die besagte Hochschule holten. Denn wie pervers kriminelle Korruption über die Leichen anständiger Bürger trampeln kann, ist selten deutlicher geworden als unter Koch in Hessen.

Die vier Helden der Steuereintreibung waren im Finanzamt Frankfurt V tätig. Den vier hessischen Steuerfahndern Rudolf Schmenger (der dafür, wie später Edward Snowden, den IALANA-Whistleblower-Preis erhielt), Marco Wehner sowie dem Steuerfahnder-Ehepaar Heiko und Tina Feser wurde in nahezu wortgleichen Gutachten angebliche „Paranoia“ attestiert.Ihr guter Ruf, ihre tadellose Beamtenkarriere, ihre soziale Existenz wurden dabei skrupellos zerstört, um ein paar korrupten Politikern und Beamten ihr schmieriges Geschäft zu erleichtern, weiterhin kriminelle Steuerhinterzieher im Bankenland Hessen zu decken.

Die vier anständigen Beamten wurden erst viele Jahre später, im Dezember 2015 in letzter Instanz rehabilitiert. Der Psychiater Thomas Holzmann, der auch nach dem Urteil des Gießener Gerichts von 2009 von weitgehend korrektem Verhalten seinerseits ausging, wurde in allen vier Fällen zu Schadensersatz verurteilt. Das Land Hessen hat die Wiedereinstellung angeboten, aber noch keine Entschuldigung und Übernahme etwaiger weiterer Entschädigungsleistungen zugesagt (Stand Januar 2017). Die Zwangspensionierung der Beamten fiel in die Amtszeit der ersten Landesregierung unter Roland Koch, dem Träger des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Insbesondere Kochs ehemaliger hessischer Finanzminister Karlheinz Weimar wurde eng mit den kriminellen Untaten in Verbindung gebracht.

Koch, Kanther, Korruption -was Bankster alles lernen können

Unter Roland Koch wurde auch eine Korruptions-Affäre der hessischen CDU bekannt. In der Vorgeschichte hatten der Ex-Innenminister Manfred Kanther und der frühere CDU-Landesschatzmeister Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein mehrere illegale Parteispenden als angebliches „Vermächtnis von verstorbenen Juden“ verbucht -komisch, dass ausgerechnte da kein Antideutscher Mob „Antisemitismus!“ grölte. Roland Koch erklärte, diese Vorgänge seien ihm nicht bekannt gewesen, und er versprach die „brutalstmögliche Aufklärung“. Auf einer Pressekonferenz am 10. Januar 2000 verschwieg er trotz mehrfacher Nachfrage die Rückdatierung eines Kreditvertrags über 2 Mio. D-Mark, der Geldflüsse in der Parteibuchhaltung rechtfertigen sollte. Brutal war dagegen seine rassistische Haltung gegen Asylsuchende, bei deren Drangsalierung er am rechten Rand Stimmen für die CDU fischen wollte. Ekelhafter als die Hessen-CDU kann man Korruption wohl kaum betreiben: Ihre Schmiergeld, äh, Parteispenden-Schwarzkassen deklarierte sie als Erbschaften von reichen Juden (mehr dazu weiter unten).

Beim Baukonzern Bilfinger konnte Koch derartige Korruption übrigens bislang nicht nachgewiesen werden: Dort geht es -juristisch- um relativ kleine Fische: Der Ex-CDU-Funktionär Koch hatte einfach seine Pflichten als Korruptionsbekämpfer schleifen lassen. Finanziell gesehen ging es dort aber um verglichen mit den hinterfotzigen Schwarzgeld-Machenschaften der CDU um große Brocken: 120 Millionen will Bilfinger von seinem prominenten Ex-Manager Koch.

Kochs Karriere als Vorstand und Konzernchef des Bau- und Dienstleistungskonzerns Bilfinger fand vor knapp vier Jahren ein jähes Ende. Nun aber wird Koch erneut von seiner Vergangenheit eingeholt: Ein Aufseher des US-Justizministeriums wirft Koch vor, während seiner Zeit an der Spitze von Bilfinger pflichtvergessen mit der Korruptionsbekämpfung umgegangen zu sein. Koch war von 2011 bis 2014 Vorstandsvorsitzender des Mannheimer Unternehmens.

Wie die Bertelsmann-Postille „Spiegel“ (auch bekannt als „BILD am Montag“) kleinlaut berichten musste, belastet der US-Anwalt Mark Livschitz Koch und seine einstigen Vorstandskollegen schwer. Der Spiegel erwähnt natürlich die Bertelsmann-CHE-Belobigung der Frankfurt School of Finance & Management nicht, an der Koch inzwischen jungen Bankstern sein schmutziges Handwerk beibringen darf.

Bilfinger: 120 Millionen Schadensersatz wegen Korruption

US-Jurist Livschitz wacht im Auftrag des amerikanischen Justizministeriums darüber, so die FR, dass sich Bilfinger an die Regeln einer sauberen Unternehmensführung hält. Koch und die anderen Vorstände hätten sich „an keine Regeln gebunden“ gefühlt und „strategische Entscheidungen in korruptionsempfindlichen Bereichen“ gefällt, „ohne die Korruptionsproblematik zu bedenken“, beklagt der Anwalt demnach in vertraulichen Berichten. Im Februar hatte der Bilfinger-Aufsichtsrat beschlossen, Schadenersatz von Ex-CDU-Funktionär Roland Koch und weiteren fragwürdigen Ex-Vorständen zu verlangen. Im Raum steht eine Forderung von nicht weniger als 120 Millionen Euro, dafür müssten schmierige Parteibonzen viele imaginäre reiche Juden sterben lassen, um mit Schwarzgeld ihre Kassen zu füllen. Aber im Baugewerbe fließt das Geld bekanntlich in Strömen.

Der Konzern wirft Koch „Pflichtverletzungen bei der Implementierung eines ordnungsgemäßen Compliance-Management-Systems“ vor. Unter Compliance wird die Einhaltung von Verhaltensmaßregeln, Gesetzen und Richtlinien innerhalb eines Unternehmens verstanden: Ohne Fachkauderwelsch gesagt: Es geht um Korruptionsbekämpfung, wo man ja wohl  nicht ganz zufällig den Koch bzw. Bock zum Gärtner gemacht hatte. Außerdem soll es Regelverstöße bei Fusionen und Zukäufen gegeben haben und einer muss ja den Kopf hinhalten, warum kein abgehalfterter CDU-Bonze?

Kochs Strategie war es, den traditionsreichen Baukonzern Bilfinger durch Zukäufe von Spezialfirmen zu einem weltweit operierenden Industrie-Dienstleister zu machen. Die Strategie war eine Pleite, stattdessen wurde Bilfinger zum Sanierungsfall. Die zwei Livschitz-Berichte, aus denen der „Spiegel“ zitiert, stammen den Angaben zufolge aus dem Jahr 2015. Sie wurden also im Jahr nach Kochs Ausscheiden verfasst. Der Anwalt stellt dem Unternehmen ein vernichtendes Zeugnis aus. Die Firma leide an einem „ernsten Problem mit ihrer Unternehmenskultur, offenbar verdorben durch das Erbe seiner früheren Spitzenmanager, die sich für Könige in ihren Schlössern hielten“.

Was hat Koch falsch gemacht? Er habe weltweit Unternehmen gekauft, ohne ausreichend zu prüfen, ob sie sauber arbeiteten – viele davon „in Ländern, in denen Korruption an der Tagesordnung“ ist (haha, da soll man an die berühmten, immer in Transparency International-Berichten verkläfften „Bananenrepubliken“ denken, aber wachsen in Hessen nicht eher Kartoffeln?). „Trotz evidenter Compliance-Risiken gibt es keinerlei Hinweise, dass derartige Themen im Vorstand in Erwägung gezogen wurden.“ Livschitz soll in seinen Berichten Dutzende von Korruptions-Verdachtsfällen auflisten.

Roland Koch weist natürlich wie gewohnt alle Vorwürfe zurück, die bewährte Mein-Name-ist-Hase-Taktik, die in Frankfurt viele Bankster beim Meister selbst lernen können. Der einstige Ministerpräsident hatte seinen Posten an der Bilfingen-Konzernspitze im August 2014 nach mehreren, durch seine miese Wirtschaftskompetenz verschuldeten Gewinnwarnungen aufgeben müssen, so die FR.

„Koch selbst besetzt weiterhin Spitzenposten in der deutschen Wirtschaft. Er wacht als Aufsichtsratschef über die Geschäfte der Bank UBS Europe und sitzt im Kontrollgremium des Telekommunikationsanbieters Vodafone Deutschland. Außerdem lehrt er seit vergangenem November als Professor an der Frankfurt School of Finance & Management die Studenten in Managementpraktiken in regulierten Umfeldern.“ meint die Frankfurter Rundschau, ohne diese „Hochschule“ dafür weiter zu kritisieren.

Die CDU-Juden-Fake-Erbe Affäre

Mitte Januar 2000 räumte der ehemalige hessische CDU-Vorsitzende Manfred Kanther ein, im Jahre 1983 insgesamt 8 Millionen DM der Landes-CDU ins Ausland transferiert zu haben und Rücküberweisungen als Vermächtnisse oder Kredite getarnt zu haben. Der hessische CDU-Chef Roland Koch berichtete allerdings am 27. Januar 2000, dass im Jahre 1983 nicht 8 Millionen DM, sondern 18 Millionen DM in die Schweiz transferiert worden seien. Während der Affäre sagte Roland Koch, er wolle die Spenden-Affäre „brutalstmöglich“ aufklären; später stellte sich heraus, dass Koch wohl selbst an der Tarnung der fraglichen Gelder als „Darlehen“ beteiligt war. Koch musste daher die sogenannte „Sternsingerlüge“ einräumen: Er hatte Journalisten trotz mehrfacher Nachfrage die Rückdatierung eines Kreditvertrags über 2 Millionen DM verschwiegen, der Geldflüsse in der Parteibuchhaltung rechtfertigen sollte. Dennoch blieb Koch trotz Entrüstung in Medien und Öffentlichkeit sowie Rücktrittsforderungen durch SPD und Grüne im Amt des Ministerpräsidenten, da ihn die Unterstützung durch seine Partei und durch den Koalitionspartner FDP vor einem Misstrauensvotum schützte. Die Opposition im hessischen Landtag kritisierte insbesondere, dass Kochs Wahlkampf 1998/1999 teilweise durch die schwarzen Kassen finanziert worden war, und versuchte, eine Annullierung der Wahl zu erreichen. Die hessische Landtagswahl wurde in der Folge vom Wahlprüfungsgericht untersucht. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Maßstäbe einer möglichen Wahlanfechtung festgelegt hatte, erklärte das Hessische Wahlprüfungsgericht die Wahl für gültig.

Koch und seine Schwarzgeldaffäre

Am 5. August 2000 erklärten die von der hessischen Union beauftragten Wirtschaftsprüfer, sie fühlten sich vom CDU-Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten Roland Koch „objektiv getäuscht“. Der Geschäftsführer der Wirtschaftsprüfer, Hans-Joachim Jacobi, erklärte außerdem vor dem Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags, er habe sich an die Wiesbadener Staatsanwaltschaft gewandt, um Einsicht in die beschlagnahmten CDU-Unterlagen zur Schwarzgeldaffäre nehmen zu können. Man hätte den Bericht zum korrigierten CDU-Rechenschaftsbericht 1998 nie unterschrieben, wenn bekannt gewesen wäre, dass die von Koch und seinem damaligen Generalsekretär Herbert Müller abgegebene Vollständigkeitserklärung zu den Unterlagen falsch war. Außerdem hätten die Wirtschaftsprüfer nicht gewusst, dass ein Darlehen in Höhe von 1 Million DM, das in dem ergänzenden Prüfvermerk von 1999 ausgewiesen war, erst wenige Tage zuvor zurückdatiert worden war. Koch und Müller hätten das bei Abgabe des Rechenschaftsberichts für 1998 gewusst.

Am 25. August 2000 wurde bekannt, dass es in dem unvollständigen Rechenschaftsbericht der Hessen-CDU von Ende 1999 noch mehr Unregelmäßigkeiten gab, als bis dahin bekannt war. Nach Aussagen des Rechnungsprüfers Karl-Heinz Barth waren in dem ohnehin schon korrigierten Bericht rund 190.000 DM falsch verbucht. Das Geld sei als „Sonstige Einnahme“ aufgeführt worden, obwohl in einem internen Vermerk Spenden als Quelle angegeben worden waren. Tatsächlich aber stammte das Geld aus Schwarzen Konten in der Schweiz. Auch gegen Roland Koch wurden weitere Vorwürfe erhoben: Er soll vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zur CDU-Finanzaffäre falsch ausgesagt haben. Zuvor hatte der Unionsabgeordnete Frank Lortz in einer Ausschusssitzung des Hessischen Landtages erklärt, über die Unterschlagung von Fraktionsgeldern zwischen 1988 und 1992 sei Anfang 1993 die gesamte CDU-Fraktion – also auch Koch – informiert worden. Koch selbst hatte dagegen vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss erklärt, er sei über diesen Vorfall erst im Sommer 1993 von Manfred Kanther unterrichtet worden.

Korruption mit Lügen Top: Bertelsmann CHE-Hochschulranking

Der zukünftige Hochschullehrer der Frankfurt School of Finance & Management, Roland Koch, blieb weiterhin bei seiner Mein-Name-ist-Hase-Darstellung: „Ich habe keinerlei Erinnerung an einen Rechnungsprüfungsbericht, in dem von Unterschlagungen in der CDU-Fraktion berichtet wurde.“ So macht man im privatisierten Universitätsbetrieb Karriere und wird von Bertelsmann und seinem CHE-Hochschulranking ganz nach oben katapultiert.

Der ehemalige CDU-Buchhalter Franz-Josef Reischmann hatte zwischen 1988 und 1992 bei der hessischen CDU rund 1,8 Millionen DM und bei der Fraktion der CDU weitere 336.000 DM unterschlagen; vermutlich glich die CDU diesen finanziellen Schaden aus den Schwarzen Kassen aus.

Anfang September 2000 gerieten die hessische CDU und Ministerpräsident Koch dann immer mehr unter Druck: Inzwischen wurde der CDU vorgeworfen, 1998 und 1999 die CDU-nahe Stiftung Hessische Akademie für politische Bildung als Geldwaschanlage benutzt zu haben. Der Haftpflichtverband der Deutschen Industrie, HDI, bestätigte im SPIEGEL, 1998 und 1999 insgesamt 450.000 DM an jene Stiftung gezahlt zu haben, um Koch zu unterstützen.

Nach Berichten der Nachrichtenagentur DPA habe die Hessen-CDU auch noch unter dem Parteivorsitzenden Roland Koch, der zu diesem Zeitpunkt seit Januar 1999 schon im Amt des hessischen Ministerpräsidenten war, schwarze Konten geführt. Obwohl Koch zu diesem Zeitpunkt bereits eine „brutalst mögliche Aufklärung“ der Affäre versprochen hatte, hatten CDU-Funktionäre „freien Mitarbeitern“ vorgefertigte Honorarverträge zur Unterschrift vorgelegt; diese freien Mitarbeiter der Parteizentrale seien aus einer geheimen Spendenkasse honoriert worden.

Weiterhin sei auch ein Kassenbuch für eine Schwarzkasse der CDU gefälscht worden. Das Buch soll nach der ersten Durchsuchung der CDU-Zentrale in Wiesbaden im Januar 2000 vernichtet worden sein; ein später aufgefundenes Kassenbuch soll im Nachhinein mit falschen Eintragungen angefertigt worden sein.

Auch an die CDU-Parteivorsitzende Petra Roth sollen im Jahre 1994 von Horst Weyrauch rund 20.000 Euro Schwarzgeld geflossen sein. Diese Erkenntnis beendete im Jahre 2000 die Zusammenarbeit zwischen SPD und CDU im Frankfurter Stadtparlament. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft im Zuge der Hausdurchsuchungen waren bei einem rheinland-pfälzischen Ortsverein (Grünstadt bei Worms) weitere Spenden in Höhe von ca. 230.000 DM auf Schwarzkonten aufgetaucht, die nicht im Rechenschaftsbericht angegeben waren.

Der tief in all diese dunklen Machenschaften verstrickte und für viele Schlampereien und Schweinereien auf höchster Ebene alleinverantwortliche Roland Koch erhielt für seine ruhmreichen Tätigkeiten folgende Auszeichnungen:

  • 2002: Großes Silbernes Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich
  • 2007: Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband
  • 2007: Europäischer Karlspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft
  • 2008: Goldene Ehrenstatue Hipolit Cegielski der Hipolit-Cegielski-Gesellschaft
  • 2011: Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
  • 2011: Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen
  • 2017: Wilhelm-Leuschner-Medaille
  • 2017: Ehrendoktorwürde der Rechtshochschule Hano

 

 

Wer steckt hinter Hartz IV? Ghostwriter der Hartz Kommission

Helga Spindler

Helga Spindler, (Prof. Dr. jur. Helga Spindler, Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, Fakultät für Bildungswissenschaften, Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik. Biographie, Publikationen und Vorträge.

Die Durchsetzung von Hartz IV wurde maßgeblich durch Lobbyisten des Medienkonzerns Bertelsmann vorbereitet und durchgesetzt. Der Grund dafür: Die Pläne für die „Reformen“ stammten aus der Bertelsmann-Konzernstiftung und von der damaligen Bertelsmann-Hausberatung McKinsey (später wechselte der Konzern zu Roland Berger). Heute schieben Bertelsmann-Medien die Schuld für das Hartz-IV-Desaster auf die SPD und ihren Altkanzler Schröder: Eine Strategie, um die Grünen, aber auch Union und FDP reinzuwaschen? Helga Spindler analysierte den Prozess der Durchsetzung von H4 in einem unveröffentlichten Papier, das hier in voller Länge dokumentiert wird und die Drahtzieherherrolle von Bertelsmann belegt (unautorisierte Dokumentation, Zwischenüberschriften, Verschlagwortung und kleinere Korrekturen von Jasminteam) …zu Bertelsmann als Drahtzieher der Hartz „Reformen“

Wenn heute an die Übergabe des Berichts: „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ im Französischen Dom in Berlin erinnert wird, dann denken viele spontan an Hartz IV, das neue Grundsicherungssystem, in das Millionen Menschen mit Partnern und Kindern ohne Rücksicht auf Qualifikation und Berufserfahrung hineingepresst werden und das Hunderttausende in unterwertige Arbeitsplätze gezwungen hat, ohne ihnen sozialen Schutz zu bieten.

In der Tat hat die Kommission einige Dämme zur Regulierung am deutschen Arbeitsmarkt eingerissen und eine Sozialbehörde zum datenfressenden Controlling- und IT- Monster pervertiert und sie hat mit Modul 6: „Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenführen“ und Modul 3 mit dem etwas zynischen Titel : „Neue Zumutbarkeit und Freiwilligkeit“ die Stichworte für Hartz IV gegeben, aber eben nur die Stichworte. Auch hat sie diese mit teilweise anderen Vorstellungen über die Umsetzung verbunden, was letztlich die Öffentlichkeit besonders raffiniert getäuscht hat in Bezug darauf, was mit Hartz IV und nicht zu vergessen auch mit der deutlichen Verschlechterung der Arbeitslosenversicherung in Hartz III auf sie zukommen sollte.

Hartz IV: Postdemokratie und korrupte Kungelei

Schon immer war auffällig, dass diejenigen, die die damaligen Vorgänge erforschen, weniger auf die Analyse von öffentlich zugänglichen Dokumenten zurückgreifen konnten, sondern auf die Auswertung von Insider-Informationen, meist anonymisierte Interviews mit Akteuren der damaligen Zeit, angewiesen waren. Diese Untersuchungen sind inzwischen ergänzt durch die Arbeit von Anke Hassel und Christof Schiller, die wiederum Insider interviewt haben, die mit zunehmendem zeitlichen Abstand auch immer unbefangener geplaudert haben.

Anke Hassel absolvierte 2003/2004 einen Forschungsaufenthalt in der Leitungs- und Planungsabteilung des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit von Minister Wolfgang Clement (SPD, später FDP), wo sie eigentlich an einer Analyse der Grenzen deutscher Reformkapazität arbeiten wollte. Ihre Beobachtungen zur Entstehung von Hartz IV haben sie jedoch von der „Reformfähigkeit“ des deutschen Sozialstaats und insbesondere der Ministerialbürokratie überzeugt. Sie betrachtet die Vorgänge allerdings weniger kritisch aus demokratischer, rechtsstaatlicher oder gar sozialer Sicht, sondern mit einer gewissen Faszination für das strategische Arbeiten der Bürokratie, wo sie einen neuen Typ politischer Unternehmer erkennt, also aus einer Elitenperspektive. Jetzt ist sie Professorin für Public Policy an der privaten Hertie School of Governance in Berlin und dort Kollegin von Jobst Fiedler, der 2004 zum Professor für Public and Financial Management ernannt wurde und als Mitglied der Hartz- Kommission noch in Diensten der Unternehmensberatung Roland Berger (Hausberater von Bertelsmann) stand.

Aus ihren Informationen ergibt sich kurz gesagt: Speziell Hartz IV und die verbliebene Rest- Arbeitslosenversicherung und Rest- Sozialhilfe haben wir nicht in erster Linie der Hartz Kommission oder gar dem Namensgeber Peter Hartz persönlich zu verdanken, sondern , einer geheimen Staatsaktion, einer recht undemokratischen, handstreichartigen Hintergrundarbeit aus dem Bundesarbeitsministerium (BMA) und dem Bundeskanzleramt, einverständlich koordiniert und gelenkt durch die Bertelsmann Stiftung .

Steinmeier und Gerd Andres holen Markus Klimmer von McKinsey

Hassel schreibt in dem Kapitel „Stunde der Reformer“, dass es Anfang 2002 bereits „einen Kern verantwortlicher Politiker und Beamter“ gegeben habe, „die die Probleme am Arbeitsmarkt in ähnlicher Weise interpretierten und den Vermittlungsskandal nutzen wollten, um ihre Reformvorschläge durchzusetzen“. „Tragende Akteure“ dieses Prozesses seien im Bundeskanzleramt Frank Walter Steinmeier und im BMA Staatssekretär Gerd Andres gewesen. Walter Riester erinnert sich nach dem Vermittlungsskandal an ein Gespräch mit Steinmeier: „Walter, wir müssen das eigentlich mit einem massiven eigenen Schlag lösen. Wir stehen jetzt vor der Bundestagswahl. Und seine [Steinmeiers] erste Vorstellung war, McKinsey einzusetzen.“ Vermutlich dachte Steinmeier schon damals an den befreundeten McKinsey Berater Markus Klimmer, verantwortlich für den Bereich „Public Sector“ und Promoter für technologiedominierte Verwaltung und Privatisierung, den er 2008 für sein Wahlkampfteam engagierte und der bis heute IZA Policy Fellow, Mitglied im Managerkreis der Ebert Stiftung und in der SPD und ihrem Wirtschaftsrat ist und neuerdings im gleichen Feld für das Beratungsunternehmen Accenture arbeitet.

Steinmeier teilte diese Vorliebe für die „Meckis“ mit Peter Hartz, der aber wegen gemeinsamer Projekte bei VW den McKinsey- Direktor Peter Kraljic für seine Kommission vorzog. Später stießen Florian Gerster (heute ebenfalls Mitglied im Managerkreis der Ebert Stiftung und in der SPD, IZA Policy Fellow, Präsident Arbeitgeberverband Briefdienste, Botschafter INSM und Unternehmensberater ; damals kurzzeitig Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit) und Wolfgang Clement ( heute konsequent bei der FDP) zu dieser Gruppe. Gerd Andres nutzte die Stunde unter dem noch unerfahren Minister Riester, der sich zudem mehr für die Alterssicherung interessierte, um die zuständige Abteilung mit jungen und einschlägig ausgewählten Mitarbeitern wie Abteilungsleiter Bernd Buchheit aus NRW und weiteren Referatsleitern neu zu besetzen. Buchheit sorgte dafür, dass die Zuständigkeit für Sozialhilfe vom Gesundheitsministerium schnell ins BMA verlegt wurde. Das alles ist für sich genommen noch nicht anstößig. Nur wurde die weitere Arbeit nach außen und von demokratischer Auseinandersetzung und Kontrolle abgeschottet.

Denn man baute nichtöffentlich mit der Bertelsmann Stiftung einen Arbeitskreis: „Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe“ auf, der dann an zentraler Stelle an der Politikformulierung beteiligt wurde.

Hartz-Konspiration: Bertelsmann bringt Workfare

Ich selbst (Helga Spindler) war dem breiten Akteursgeflecht, das die Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen hatte, nur mit viel Mühe auf der Spur gekommen, als ich den Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung und der von ihr beauftragten Mitarbeiter (Frank Frick, Werner Eichhorst, Helga Hackenberg) nachging: Deren Dokumente waren nur teilweise zugänglich und dann plötzlich auch im Netz verschwunden. Dies wurde verzahnt mit einem weiteren Bertelsmann Projekt: BiK – „Beschäftigungsförderung in den Kommunen“, wo schon in Sozialhilfezeiten kommunal mit Workfare Modellen experimentiert wurde und die Popularisierung von Workfare Entwicklungen in USA (Wisconsin), Großbritannien und Niederlande betrieben wurden – Experimente auf die auch Roland Koch von der CDU schon ein Auge geworfen hatte und die öffentlich zu diskutieren ein parteipolitisches Risiko geworden wäre.

Allerdings war über den Arbeitskreis kaum etwas in Erfahrung zu bringen. Vertreter des BMA und des Kanzleramtes waren darin, aber auch Vertreter aus Länderministerien, vor allem aus dem federführenden Bundesland NRW, Vertreter von Kommunalverwaltungen, Heinrich Alt von der BA , Martin Kannegießer von Gesamtmetall und sogar Wilhelm Adamy vom DGB. Die Arbeitsgruppe wurde bewusst nicht beim BMA angesiedelt, was ein Mitarbeiter so begründete: „Wenn wir als BMA einen Gesprächskreis institutionalisieren und dazu einladen…. dann kommen die alle mit ihren institutionellen Hüten und wir kriegen keine Debatte“. Anke Hassel schreibt mit Bezug auf von ihr interviewte Beteiligte:

„Die politischen Parteien und Bundestagsabgeordnete waren im Arbeitskreis nicht vertreten. Nach der Einschätzung eines Beteiligten, hatte sich in den Parteien in dieser Frage niemand profiliert. Wesentliche Spielregel des Arbeitskreises war, dass alle Mitglieder nur als Person und nicht als Vertreter einer Institution auftraten. Eine Voraussetzung dafür war, dass keine Einzelheiten und Ergebnisse publik werden sollten. Ein anderer Teilnehmer erinnert sich:“ Hier konnte man als Privatmann sprechen.“

Die Auswahlkriterien für den Teilnehmerkreis waren zum einen Kenntnis der Probleme der Arbeitsverwaltung, zum andern die individuelle Bereitschaft, über institutionelle Reformen nachzudenken…. Alle Teilnehmer waren dafür bekannt, offen für Kompromisse und neue Ideen zu sein. Da es sich bei dem Arbeitskreis um einen geschlossenen Kreis handelte, bei dem Sitzungen weder dokumentiert noch publik gemacht wurden, konnten Kompromisse über Parteigrenzen und institutionelle Restriktionen hinweg ermöglicht werden.

H4: Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe

Die Bertelsmann Stiftung stellte dafür die (finanziellen) Projektressourcen und die wissenschaftliche Expertise zur Verfügung und organisierte Studienreisen. Die Initiative sowie die Themensetzung kam jedoch aus dem BMA in Person von Bernd Buchheit, dem Abteilungsleiter der Abteilung II Arbeitsmarktpolitik. “

Der Arbeitskreis traf sich zu Workshops an abgelegenen Orten und führte dort offene Debatten über Bertelsmanndie Fehlentwicklungen der Arbeitsmarktpolitik….. Bald erschien die Zusammenlegung der beiden Systeme Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe als die „einzig gangbare Lösung in der Arbeitsmarktpolitik“ Der DGB Vertreter Wilhelm Adamy wehrte sich zwar dagegen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Spätestens dann hätte die Überlegung öffentlich gemacht werden müssen. Wurde es aber nicht, im Gegenteil: die Lösung wurde bereits als alternativlos gehandelt. Die Gruppe trat dann während der Arbeit der Hartz-Kommission mit einer Empfehlung an die Öffentlichkeit, aber getarnt als „Kommission von unabhängigen Sachverständigen“ eines Projekts der Bertelsmann Stiftung, nicht als das maßgebliche Geheimgremium des Ministeriums.

Zwangsarbeit statt Menschenwürde: Bertelsmann, Gerster und Clement

Schon im März 2002 preschten Gerster zusammen mit Clement mit der Forderung nach Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau und Einschnitten bei der Arbeitslosenversicherung nach vorne. Die beiden vertraten ihre Ideen wenigstens nach außen. Aber die Öffentlichkeit sollte noch nicht verschreckt werden, deshalb wurde der Plan zunächst wieder dementiert, nur um verdeckt weiterarbeiten zu können. Der zaudernde Riester wurde zurückgedrängt. Überstürzt und mit kurzem Zeitfenster wurde die Hartz Kommission einberufen.

Da man sich vor Beginn der Arbeit der Kommission im BMA bereits auf die Zusammenlegung der beiden Systeme geeinigt hatte, sollte dieser Punkt nicht im Vordergrund der Kommission stehen, sondern man verwies sie auf die Bertelsmann Arbeitsgruppe und deren Konsens:„Daher bestand dann unter den Mitgliedern der Kommission schnell Einigkeit darüber, dass es zu einer Zusammenlegung der Systeme keine Alternative gäbe.“ Klar, bei so viel Vorarbeit!

Fast alle Vorschläge, die in das Teilprojekt II der Kommission: Lohnersatzleistungen und Sozialhilfe (Mitglieder waren Isolde Kunkel Weber, Wolfgang Tiefensee, und Harald Schartau) eingespeist wurden, kamen aus dem BMA. Buchheit und Gerster wirkten in der Kommissionsgruppe mit ohne Mitglieder zu sein. Dabei wurde offenbar schon über die von einigen klar formulierte Abschaffung und Kürzung gestritten, denn es jagten sich zeitweise Pressemeldungen, Dementis und Beschwichtigungen nach dem Muster: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ Aber zumindest das allgemeine Konzept der Zusammenlegung möglichst noch ohne die Einzelheiten, musste unbedingt in den Abschlussbericht. Sonst “haben wir [das BMA; Anm.der Autoren] in der nächsten Legislaturperiode keine Chance. Das war schon Absicht“, zitieren Anke Hassel und Christof Schiller einen Mitarbeiter des BMA.

Der Berichtsentwurf der Teilgruppe der Kommission wurde praktischerweise gleich im BMA ausgearbeitet. Wie man jetzt erkennt, war es Kalkül, dass der Kommissionsbericht was die Zusammenlegung anging sehr vage blieb und sogar die Beibehaltung der Arbeitslosenhilfe vortäuschte. Hauptsache, einen Monat vor der Bundestagswahl 2002 war das heimlich vorbereitete Thema endgültig auf der Regierungsagenda. Auch die strategisch konformen Berichterstatter im Parlament, Brandner ( SPD) und Dückert (Grüne) behaupteten, eingeweiht gewesen zu sein und Laumann (CDU) und Niebel (FDP) waren sowieso der Meinung, sie hätten die konkreten Einschnitte schon lange gefordert.

Bertelsmann-Kuckucksei der Hartz-Kommission untergeschoben

So wirkte die Kommission als Legitimationsaufkleber für eine Gruppe, die längst alles vorbereitet hatte. Und jetzt kommt das wörtliche Zitat eines der Akteure aus dem BMA: “Wir haben das als Kuckucksei der Hartz-Kommission untergeschoben“ Die gleichen Personen haben dann unter Minister Clement alle angedachten Rechtspositionen für Arbeitslose aus den Entwürfen gestrichen, und parlamentarischen Widerstand mit willkommener Hilfe der Opposition ausgebootet.

Die „Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe“ war für sie von Anfang an die Chiffre für die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, erheblichen Leistungsabbau in der Arbeitslosenversicherung und ein neues System einer rechtloseren Sozialhilfe, die nicht mehr dem Ziel der Schaffung menschenwürdiger Lebens- und Arbeitsverhältnisse verpflichtet ist, – was letztlich auch einer Abschaffung der bisherigen Sozialhilfe gleichkam.

Die damals durchaus vorhandenen Schwachstellen bei der Verwaltung von Leistungen für Arbeitslose hätte man auch ohne eine Systemänderung beheben können. Konzeptionell zwingend war die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe nur für diejenigen, die den Druck auf arbeitserfahrene und deshalb oft selbstbewusstere und etwas teurere Arbeitslose verschärfen wollten.

Dass ausgerechnet die Servicewüste Jobcenter, in der Dokumente und Akten unauffindbar sind, in der Mitarbeiter verheizt werden und wechseln wie im Taubenschlag, sich ohne Telefonnummer im „Back-office verschanzen und unlesbare Bescheide verschicken müssen und wo aus den unterschiedlichsten Gründen inzwischen eigentlich auf beiden Seiten des Schreibtisches Begleitschutz organisiert werden muss- dass das vor 10 Jahren ausgerechnet unter dem Stichwort: “Moderne Dienstleistungen“ der staunenden Bevölkerung empfohlen wurde, das war schon ein Coup der Unternehmensberaterbranche, den man mit feinem Gespür für das Machbare auf wehrlose Arbeitslose konzentriert hat.

Hartz IV-Postdemokratie: Hinterzimmer statt Parlamentsdebatte

Offen und ehrlich ist über die Zusammenlegung, ihre Vor- und Nachteile, parlamentarisch nie richtig gestritten worden. Das muss nachgeholt werden. Und da reicht nicht ein einfaches: “ Hartz IV muss weg“, sondern es geht um eine Alternative, die dafür einen verlässlichen Rahmen setzt. Die ist jedoch schwer zu erkennen, wenn diese Gesetzgebung selbst in Gewerkschaftskreisen immer noch als „Vorwärtsreform“ und als sozialer Fortschritt bezeichnet wird. Wenn der linke Sozialdemokrat Heiner Lauterbach noch 2008 doziert:

„Links ist, für die zu kämpfen, denen es am schlechtesten geht. Und das sind in unserer Gesellschaft die Armen ohne Arbeit. Diese Menschen sind nicht organisiert, gehören keiner Gewerkschaft an. Sie haben kein Sprachrohr , keine Lobby. Diese Männer und Frauen waren vergessen. Für sie haben wir Arbeit geschaffen, keine perfekte Arbeit, keine gut bezahlte Arbeit, aber immerhin Arbeit. Diese Reformen waren ein linkes Projekt…“

So lange selbst in rot-rot geführten Bundesländern genauso bedenkenlos mit Sanktionen hantiert und Beratung und qualifizierte Förderung verweigert wird, wie im CDU geführten Hessen und die Zwangszuweisung in unterbezahlte geförderte Beschäftigung als Erlösung von Arbeitslosigkeit gefeiert wird.

Es besteht eher die Gefahr, dass Kurt Biedenkopf Recht behält, der schon im Januar 2005, keinen Monat nach der Einführung, Hartz IV als Erfolg feierte, der ihm zeige, „dass Widerstände organisierter Besitzstände weit weniger gefährlich sind , als es den Anschein hatte…“ „Wenn die Leute nur geführt und überzeugt werden, dann akzeptieren sie die Veränderung und richten sich ein.“ „Gefährliche organisierte Besitzstände“ das waren im Klartext für Biedenkopf: sozialversicherte Arbeitnehmer und Arbeitslosenhilfeberechtigte.

BGE oder Wiedereinführung der Arbeitslosenhilfe?

Manche wollen ein bedingungslose Grundeinkommen (BGE) einführen und glauben, die Probleme seien damit gelöst. Die Geschichte von Hartz IV zeigt, dass die entschlossenen Reformakteure sehr wohl in der Lage wären, diesen Wunsch aufzunehmen. Sie würden zunächst die Zusammenführung von Sozialversicherung und Grundsicherung als Projekt auflegen und die unzweifelhaften Ersparnisse durch den ersatzlosen Wegfall von Sozialbehörden und – versicherungsbeiträgen durchrechnen lassen und dann die Zusammenlegung von Verwaltungs- und Sozialgerichten und später mit den Finanzgerichten angehen, weil das Finanzamt ohne sozialstaatlichen Auftrag den dann nicht mehr an die Existenzsicherung und Menschenwürde gekoppelten Betrag mit der Steuer unters Volk bringen kann.

Der erwünschte Freiheitsgewinn würde allerdings deutlich getrübt, weil die noch massenhaft vorhandenen einfachen und unattraktiven Arbeiten noch billiger in Leiharbeits- und Beschäftigungsfirmen erledigt werden müssten und könnten und man den „vergessenen“ Arbeitskräften ein wenig Aktivität zum Erhalt ihrer Employability in ihrem wohlverstandenen Interesse aufnötigen muss. Erfahrungen mit dem Einschleusen solcher Kuckuckseier hat man ja genug.

Es ist, aller Propaganda zum Trotz, nicht rückwärtsgewandt, neben Mindestlohn und veränderter Zumutbarkeit, Erweiterung der Arbeitslosenversicherung und Reduzierung des Sperrzeitwildwuchses eine zumindest befristete Wiedereinführung der Arbeitslosenhilfe zu fordern. Sie war nie besonders hoch, eröffnete aber viele Gestaltungsmöglichkeiten und vermittelte eine gesichertere Rechtsposition. Auch geförderte Beschäftigung muss wieder versichert sein. Die Kommunen, die das als Verschiebebahnhof missbrauchen, müssen anderweitig zur Kasse gebeten werden, genauso wie andere, die befristet einstellen.

EKD & „DIE ZEIT“: Sozial ist, was Zwangsarbeit schafft

Apropos: Warum eigentlich im Französischen Dom? Der wird von der evangelischen Akademie bewirtschaftet und deren damaliger Akademiepräsident und EKD Ratsmitglied Robert Leicht hatte zur Präsentation vor 500 geladenen Gästen ausdrücklich eingeladen. Er sah eine tiefe Verwandtschaft der Arbeit der Kommission zur protestantischen Arbeitsethik und zu der Aufgabe der Akademie, „der Politik neues Gelände zu roden- vor allem dort wo sie sich im Unterholz der Interessen und Besitzstände ratlos, manchmal sogar rastlos und restlos festgefahren hat“ Das klingt ähnlich wie bei der Bertelsmann Stiftung, die ebenfalls großes Mitgefühl für die sozialpolitische Verpflichtung der armen Politiker hat. Sie spricht dann von der institutionell verkrusteten und lobbyistisch unterwanderten Republik und von der hemmungslosen Interessenpolitik, in der Parteiapparate und politische Stiftungen erstarren. Warum sagte der in seinem andern Berufsleben wirtschaftsliberal profilierte ZEIT-Journalist Robert Leicht nicht gleich: „im Unterholz des sozialen Rechtsstaates und des kollektiven Arbeitsrechts festgefahren“? Wo er doch 2004 bedauerte, dass Hartz IV nur den direkten Druck auf die Arbeitslosen aber nicht auch auf die Tarifpartner bewirke. Dann hätte man vielleicht schon bei diesem Festakt ahnen können, was kommen wird.

Quellen:

http://marlene.hilsenrath.de/blog/hinter-hartz-iv-steckt-die-milliardaersfamilie-mohn/

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1 Vergl. dazu: Stunde der Technokraten in Junge Welt vom 22.2.2012

2 Hassel/Schiller: Der Fall Hartz IV, 2010 auch im Netz: diess: Die politische Dynamik von Arbeitsmarktreformen in Deutschland am Beispiel der Hartz IV-Reform, Abschlussbericht für die Böckler Stiftung, 2010 (Autoren bekamen im Anschluss Professuren bei Privatuni Hertie)

3 Helga Spindler, War auch die Hartz-Kommission ein Bertelsmann Projekt? in: Wernicke/Bultmann, Bertelsmann- Netzwerk der Macht, 2007