Wer deutsche Medien konsumiert, hat ein verzerrtes Bild der Realität, besonders wenn es um Länder geht, die sich USA und EU nicht beugen wollen. Zeitweise hatten Deutsche daher den Eindruck, Venezuela sei das am meisten von Gewalt betroffene Land Lateinamerikas. Viele Naive ARD-Konsumenten machten lieber Urlaub im Nachbarland Kolumbien. Sie wurden böse überrascht. Denn dort gibt es eine unglaubliche Ballung von Bürgerkrieg, Drogenkrieg und Terror. Es geht um Kokain und Korruption.
Bei denen sitzt man in der ersten Reihe, bekommt nur leider ein verzerrtes Bild der Realität. Besonders wenn es um Länder geht, die sich der Dominanz von USA und EU nicht beugen wollen, sieht man auch mit dem Zweiten nicht besser. Venezuela ist ein typischer Fall. Andauernd bombardieren und ARD und ZDF mit berichten über Unruhen im Land des gemäßigten Sozialismus von Präsident Maduro. Der von den USA subventionierte oder initiierte Terror wird als angeblicher Protest oder staatliches Chaos hingestellt. Zeitweise hatten Deutsche daher den Eindruck, Venezuela sei das am meisten von Gewalt betroffene Land Lateinamerikas und machten lieber Urlaub im Nachbarland Kolumbien. Sie wurden böse von einer unglaublichen Ballung von Bürgerkrieg, Drogenkrieg und Terror überrascht. Hier ein Hintergrundbericht.
Der Mord an Jorge Gaitan
Ein politischer Mord leitete die Ära der Gewalt in Kolumbien ein: 1948 wurde der populäre Präsidentschaftskandidat Jorge Elicier Gaitán erschossen. Gaitán gehörte zum linken Flügel der Liberalen und so fürchteten konservative Großgrundbesitzer, er würde endlich Ernst mit einer Landreform machen. Es kam zur spontanen Revolte der Hauptstadtbevölkerung, Wohnviertel der Oberschicht wurden geplündert, das Militär schoss wahllos in die Menge. Der El Bogotazo genannte Aufstand griff auch auf andere Städte über, brach aber nach wenigen Tagen wieder zusammen, etwa 5.000 Menschen starben.
Die Macht ergriff in der Folge der reaktionäre Konservative Laureano Gómez, ein Verehrer Hitlers und der spanischen Franco-Diktatur, mutmaßlich in den Mord an dem Liberalen Gaitán verwickelt. Er rief mit Rückendeckung des Klerus zum „Heiligen Krieg“ gegen Liberale und Kommunisten auf. Das war der Auftakt zu landesweiten, staatlich organisierten Pogromen, die Kolumbien für Jahre „an den Rand eines Abgrundes“ führten. Klerikalfaschistische Gruppen und im Solde der Konservativen stehende Banden ermordeten oder vertrieben die Einwohner ganzer Dörfer, was von den Großgrundbesitzern zu kriminellem Landraub genutzt wurde. Das jahrelange Gemetzel ging als traumatisches Ereignis in die kolumbianische Geschichte ein und kostete ca. 300.000 Menschenleben.
1953, als die staatliche Ordnung völlig zu zerfallen drohte, putschte das Militär unter General Rojas Pinilla. Es kam zur Verfestigung eines Systems von Ämterpatronage und Korruption sowie zum Verlust jeder demokratischen Kontrollmöglichkeit. Die Landfrage als Auslöser der Gewaltorgie blieb natürlich ungelöst und so organisierte sich Widerstand. Kolumbien ist derzeit das einzige lateinamerikanische Land, in dem noch heute eine linke Guerilla militärisch aktiv ist, die über Rückhalt in der Bevölkerung verfügt. Ihr ursprüngliches Anliegen war der Schutz der Landbevölkerung vor den von Großgrundbesitzern bezahlten paramilitärischen Banden.
Befreite Zonen: FARC und ELN
Die quasi-staatliche Herrschaft der Guerilleros über verschiedene abgelegene Territorien Kolumbiens wird von der Mehrheit der Einwohner als gerechter empfunden, als die notorisch korrupte und repressive Staatsgewalt. 1966 schlossen sich die Selbstverteidigungsgruppen zur Fuerzas Armadas Revolucionarias da Colombia – Ejérito del Pueblo (FARC) zusammen und erklärten der Staatsgewalt den Krieg. Mit militärischer Rückendeckung der FARC und anderer Guerillagruppen kam es in den 1970er Jahre zu einer Welle von Sozialprotesten, Streiks und Landbesetzungen. 1982 unternahm die FARC mit Gründung der legalen Partei Union Pariotica (UP) einen Versuch, den militärischen Konflikt mit der Staatsmacht in den Rahmen einer politischen Auseinandersetzung zu überführen. Dieser Versuch wurde jedoch in Blut ertränkt. Zwei Präsidentschaftskandidaten der UP wurden von Paramilitärs ermordet, acht Abgeordnete und 70 Gemeinderäte, insgesamt starben bis zu 5000 UP-Mitglieder. Neben der Geschichte der FARC ist auch die der marxistischen ELN zu erwähnen sowie die ihrer reaktionären Gegenspieler, der Paramilitärs von MAS und AUC. Die Guerilla finanzierte sich durch Koka-Anbau, an die Seite alter kolumbianischer Geldelite gesellten sich immer mehr Drogenbarone.
1965 wurde die Existenz paramilitärischer Strukturen in Kolumbien per Gesetz legalisiert. Ab 1981 war der schmutzige Krieg gegen die kolumbianische Linke im vollen Gange. Fabio Ochoa, Boss des Medellin-Kartells, Amigo des späteren kolumbianischen Staatschefs Uribe, weigerte sich, von Lösegeld für seine Nichte an die Guerillagruppe M19 zu bezahlen und baute statt dessen die Terrortruppe „Muerte a Secuesstradores“ (MAS) auf. Einzige Aufgabe der MAS war, Unterstützer und Sympathisanten der Guerilla zu ermorden, wobei sie von Anfang an mit Armee, Polizei und Geheimdienst kooperierte. Bei einem organisierten Massenmord in der von der Linkspartei UP regierten Kleinstadt Sevogia am 11.11.1988, dem 44 unbewaffnete Zivilisten zum Opfer fielen, wurden die Mörder der MAS von Armee und Geheimdienst unterstützt. Im Fazit liefen die Aktivitäten der Paramilitärs auf einen „gewalttätigen Wiederaufbau der traditionellen Herrschaftsmechanismen“ hinaus. 1997 konstituierten sich als übergreifende Organisation der paramilitärischen Gruppen die Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC). Großkonzerne wie Coca Cola zahlten an die Paramilitärs und profitierten bei Massenmorden an Linken und Gewerkschaftern.
Das Cali- und das Medellin-Kartell (benannt nach kolumbianischen Städten) importierten den Grundstoff für Kokain aus Bolivien und Peru und schmuggelten das Endprodukt in die USA. 1983 legalisierte Präsident Betancur durch eine Steueramnestie die von den Narcos illegal erworbenen Vermögen, so dass die führenden Köpfe der Narco-Kartelle, etwa Pablo Escobar, in die Oberschicht aufstiegen. Als Folge kam es zu einer Verschmelzung zwischen Großgrundbesitz und Drogenbossen.
Zu einer massiven Steigerung des Anbaus von Kokasträuchern in Kolumbien kam es mit den neoliberalen Reformen des Präsidenten Virgilio Barco ab 1988, der Beseitigung der Arbeitsschutzgesetze, Zerstörung der Gewerkschaften und Kürzung von Sozialausgaben. Die Öffnung des Binnenmarktes überschwemmte Kolumbien mit auswärtigen Agrarprodukten, Bauern verarmten rapide und griffen zum Anbau von Kokasträuchern an, zumal er von den Drogenkartellen gefördert wurde. Bis Ende der 1990er Jahre verdreifachte sich der Kokaanbau Kolumbiens, überholte Bolivien und Peru.
USA greifen ein
Der seit 1988 tobende Krieg der Kartelle untereinander, die Aushöhlung des Staates als Folge krimineller Gewalt der Druck der USA, die sich der Crack-Welle gegenüber sahen, bewog die Regierung schließlich zu ernsthaftem Vorgehen gegen Kokain. Drogenboss Escobar wurde im Jahre 1993 von Sicherheitskräften exekutiert, das Medellin-Kartell war bereits unter Beteiligung des Cali-Kartells zerschlagen worden.
Der kolumbianische Drogenhandel war damit aber keineswegs unterbunden. Neugegründete Unternehmen begnügten sich als Zwischenhändler, den Transport übernahmen mexikanische Drogenkartelle. Die neuen Drogenbosse umgaben sich mit Rechtsanwälten und promovierten Betriebswirten, der Drogenhandel wandelte sich von krimineller Schattenwirtschaft zum normalen Zweig der kolumbianischen Wirtschaft.
Die USA unter Clinton gaben ab 1999 ca.1,6 Milliarden US-Dollar an die kolumbianische Regierung, davon 70 Prozent direkt an Polizei und Militär für die Zerstörung der Koka-Pflanzungen im Süden – also in den Gebieten der Guerilla. Der von den USA propagierte Antidrogenkrieg damit Aufstandsbekämpfung. Kolumbien wurde damit schlagartig zum drittgrößten Empfänger von US-Militärhilfe (nach Israel und Ägypten).
Hochgerüstete Militäreinheiten drangen in die Anbaugebiete ein, setzten großflächig Herbizide ein. 2002 wurden 100.000 Hektar besprüht und 30.000 Kokapflanzen vernichtet. Große Flächen des Regenwaldes und Felder wurden verseucht, auf denen die Bauern Nahrungsmittel angebaut hatten. Mit Herbiziden vergiftet wurden auch von internationalen Hilfsorganisationen geförderte Projekte, die den Bauern den Umstieg von Koka auf alternative Agrarprodukte ermöglichen sollten. Die ökologischen Folgen waren gravierend, für die Gesundheit katastrophal. Die Guerilleros stellten sich auf die Seite der betroffenen Dörfer und begannen, Sprühflugzeuge und Hubschrauber gezielt abzuschießen. Dies führte zu einer weiteren Eskalation des militärischen Konfliktes. 2004 wurden zwar die Kokaanbauflächen um 88.000 Hektar reduziert, die Kokabauern wichen aber auf andere Regionen aus und kehrten nach einigen Jahren zurück.
Die blutige Ära Uribe
Der Bürgerkrieg zwischen Regierung, Paramilitärs und Guerilla führte 2002 zum Wahlsieg von Álvaro Uribe, eines rechtsradikalen Hardliners, der versprach, die Paramilitärs zu demobilisieren und den Bürgerkrieg so zu beenden. Uribe selbst war aber in Drogensumpf und Verbrechen der Paramilitärs verwickelt. Paramilitärische Banden setzten unter neuen Namen ihren Krieg gegen linke Aktivisten fort. Uribe lieferte einige Drogenbosse an die USA aus, sorgte jedoch dafür, dass die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen der Paramilitärs nie vor US-Gerichte kamen. Die kolumbianische Armee wurde von den USA hochgerüstet, George W. Bush stellte unter Druck der Ölindustrie 2002 erneut 38 Millionen US-Dollar für den „Antiterrorkrieg“ in Kolumbien bereit.
Während der Ära Uribe stiegen in Kolumbien die Menschenrechtsverletzungen massiv an, im forcierten Krieg gegen FARC und ELN wurde die Bevölkerung terrorisiert. Man versprach Kopfprämien für getötete Guerilleros, Arbeitslose wurden durch falsche Versprechungen angeworben, um dann ermordet, in FARC-Uniformen gesteckt präsentiert zu werden. Der kriminelle Drogenhandel wurde unter Uribe hingegen kaum gestört. Erst sein Nachfolger Juan Manuel Santos, Uribes Ex-Verteidigungsminister, nahm 2010 Verhandlungen mit der FARC auf.
Nach Schätzungen unabhängiger Organisationen wurden in den letzten 30 Jahren in Kolumbien 600.000 Personen von bewaffneten Gruppen und staatlichen Sicherheitsorganen ermordet. Für 2012 gab das UN-Flüchtlingshilfswerk offiziell die Zahl von 4,9 Millionen Binnenflüchtlingen an, etwa ein Zehntel der Gesamtbevölkerung Kolumbiens. Die Guerilleros der FARC unterbreiteten bei den Friedensverhandlungen ein Reformprogramm, das als wichtigsten Punkt die Abschaffung unproduktiven Großgrundbesitzes sowie geschützte Zonen für kleinbäuerliches Wirtschaften sah. 2012 wurde zwar unter der Regierung Santos ein Gesetz zur Rückgabe geraubter Ländereien erlassen, aber ob dessen Umsetzung gelingt, ist derzeit unklar.
Hintergrund: Kolumbiens Kolonialgeschichte
Kolumbien ist geographisch gesehen ein Konglomerat… fruchtbare Urwälder im Norden und an den Küsten, Hochgebirge im Landesinneren, unfruchtbare Steppenlandschaft an der Grenze zu Venezuela und Brasilien… wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts von spanischen Konquistadoren erobert, die einheimische Bevölkerung dabei zum größten Teil ausgerottet… Minderheit sind die etwa 15 Prozent Afrokolumbianer, Nachkommen verschleppter Sklaven… Die Oberschicht setzt sich fast ausschließlich aus direkten Nachkommen europäischer Einwanderer zusammen. Die spanische Krone hatte das Gebiet nach der Eroberung an verdiente Konquistadoren verteilt –Keimzelle der ungleichen Besitzverhältnisse an Grund und Boden.
Über den Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien unter Simon Bolivar ab 1809, die folgende Herrschaft konservativer Großgrundbesitzer, den Bürgerkrieg 1899-1902 mit seiner massenhaften gewaltsamen Enteignung kleinbäuerlicher Wirtschaften, die wegen explodierenden Kaffeepreise zu einer gewaltsamen Ausweitung ihrer Plantagen drängten, die 1903 von den USA betriebenen Abtrennung der nördlichsten Provinz zwecks daraufhin gebauten Panamakanal führt die Geschichte zum begrenzten wirtschaftlichen Aufschwung der 1920er Jahre durch und damit zum sozialistischen Widerstand.
Die im Jahre 1926 gegründete Partido Socialista Revolucionario (PSR) vertrat dann schon klassische kommunistische Positionen. Ein von ihr unterstützter Streik der Bananenarbeiter im Jahre 1928 wurde auf Betreiben des US-Konzerns United Fruit Company (heute bekannt unter dem Namen Chiquita) jedoch durch das Militär zusammengeschossen; zwischen 1.000 bis 1.500 Arbeiter fielen dem Massaker zum Opfer. In der Folge schwappte eine Welle rechten Terrors durch das Land.