Kulturindustrie: Starkult um WikiLeaks-Gründer Assange

Gerd R. Rueger 02.10.2012

Wie man hört, sind etliche Medienfirmen dabei, Filme über die Abenteuer des Wikileaks-Gründers Assange zu drehen. Jetzt hat eine alte Kunstgattung sie eingeholt: Das Bühnentheater. Mit „Assassinate Assange“ hat Angela Richter den Stoff Wikileaks in den Kulturbetrieb transferiert, sicher finanziell nicht so lukrativ wie es die Hollywood-Kulturindustrie plant, aber dafür vermutlich origineller und für Wikileaks weniger unangenehm. Wikileaks dringt damit erstmals in die sogenannte „Hochkultur“ ein, wo betuchte Herrschaften und die kulturellen Bohemiens (meist die rebellierenden Sprösslinge betuchter Herrschaften) gemeinsam die Real-Life-Eventkunst des Bühnentheaters genießen können. Für die Massen gibt es dagegen Kino und Fernsehen.

Der Assange-Thriller „Underground“ von Robert Connolly, der jetzt im Oktober in die Kinos kommt, vermarktet die Assange-Story dagegen a la Hollywood. “Underground” basiert auf einem gleichnamigen Buch, das Suelette Dreyfus 1997 schrieb.  Julian Assange hatte Dreyfus damals geholfen und ihr auch  Interviews mit weiteren Hackern vermittelt. Das Buch erzählt wie der spätere Wikileaks-Gründer, noch ein Teenager in Melbourne, in den späten 80ern als Mitglied der Hacker-Gruppe „International Subversives“ mit einigen großen Hacks ins Visier der australischen Polizei geriet. Den Text gibt es gedruckt auf deutsch, aber auch kostenlos als txt- und html-Version zum Download (Englisch/Russisch).

In Deutschland arbeitet die Berliner Filmfirma Port-au-Prince am Drehbuch „Leak“ (Michael Gaster), Regie soll Cyril Tuschi führen -mehr ist noch nicht bekannt. Interesse am Assange-Stoff zeigen auch die Produktionsfirmen Josephson Entertainment und Michelle Krumm Productions, die schon die Filmrechte für die Assange-Biografie „The Most Dangerous Man in the World“ des australischen Reporters Andrew Fowler gekauft haben.

Studios mit Wikileaks-Filmen in Planung sind laut Wallstreet Journal niemand geringerer als Time Warner HBO Films, DreamWorks Studios, Comcast Corp.’s Universal Pictures und Annapurna Pictures, die Firma von Megan Ellison, der Tochter von Oracle CEO Larry Ellison. Adornos Bewusstseinsindustrie  war ein billiger Jahrmarktsgaukler gegen die heutigen Medienriesen. Doch es wird wohl schwerlich ein Film so sehr gegen Julian Assange polemisieren können wie die sogenannte Dokumentation „Secrets and Lies“ des Guardian, des ehemals Verbündeten, jetzt aber Gegners von Wikileaks. Da sollte man lieber mal wieder ins Theater gehen.

Whistleblower-Preis für Anonymous (Bradley Manning?)

Gerd R.Rueger 30.Juli 2011

Whistleblower sind heute ein wichtige Gruppe bei der Verfolgung von Kriminalität der Mächtigen geworden. Die Justizbehörden sind wenig kompetent und vielleicht auch zu wenig motiviert, Kriminelle zu ahnden, die der Geld- und Machtelite entstammen. Das haben auch ein paar kritische Vereinigungen aus dem Bereich der Wissenschaften und der Jurisprudenz erkannt und lobten daher einen Whistleblower-Preis aus.

Im Juni 2011 wählte die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und die Deutsche Sektion der Juristenvereinigung (IALANA), die „Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemischen Waffen“, zwei Persönlichkeiten aus, an die ihr Whistleblower-Preis 2011 geht. Der deutsche Whistelblower-Preis wird seit 1999 alle zwei Jahre vergeben, die Verleihung findet in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften statt. Preisträger sind diesmal der Kernforscher Rainer Moormann für die Enthüllung verheimlichter Risiken der bislang als sicher dargestellten Kugelhaufen-Reaktoren  –und „Anonymous“. Bei „Anonymous“ handelt es sich um jene bislang unidentifizierte Person, die im April 2010 das Videomaterial geleakt hat, aus dem WikiLeaks „Collateral Murder“ machte. Es geht also um Dokumente über ein schweres Kriegsverbrechen, das im Irak von US-Soldaten verübt wurde, bei dem mindestens sieben Zivilisten von der Besatzung eines US-Kampfhubschraubers beschossen und gezielt getötet wurden. Bei „Anonymous“ könnte es sich um Bradley Manning handeln, der bestreitet jedoch die Anschuldigungen –er wird mit hoher Haftstrafe bedroht.

VDW und IALANA richten sich mit ihrer Preisverleihung direkt gegen die offizielle Politik der US-Regierung, welche die Enthüllung als Verrat von militärischen Geheimnissen skandalisiert bzw. kriminalisiert. Die Juroren begründen die Preisverleihung damit, dass „Anonymous“ nicht nur ethisch richtig, sondern auch juristisch korrekt gehandelt hat. Rechtlich sei unbestreitbar, dass militärische Kampfhandlungen sich nach geltendem Recht nur gegen die Streitkräfte des Gegners und andere militärische Ziele richten dürfen, nicht jedoch gegen die Zivilbevölkerung: Zivilpersonen, die nicht an Kampfhandlungen teilnehmen, sind von Soldaten auch in Kampfgebieten zu schützen. Jeder einzelne Soldat ist persönlich für die Einhaltung dieser Regeln des humanitären Völkerrechts verantwortlich. Wer die Regeln verletzt, begeht ein Kriegsverbrechen, das sowohl nach nationalem als auch nach internationalem Recht als schwere Straftat zu verfolgen ist. Es kann, so IALANA und VDW, dem „nationalen Interesse“ eines demokratischen Rechtsstaates niemals abträglich sein, gravierende gesetz-, verfassungs- oder völkerrechtswidrige Vorgänge bekannt zu machen. Jede rechtsstaatliche Demokratie ist auf die Kontrolle ihrer Amtsträger durch ihre Bürgerinnen und Bürger und die Medien existenziell angewiesen. Darum verleihen IALANA und VDW der bislang anonymen Persönlichkeit, die als Informant Wikileaks die Daten zum Video „Collateral Murder“ übermittelt hat, den Whistleblowerpreis 2011. Ein schöner Erfolg für Anonymous –evtl. sogar eine Stärkung der Position des bedauernswerten Bradley Manning: Wenn die ihm vorgeworfenen Taten nicht als kriminell gewertet werden können, ist seine Inhaftierung folglich rechtswidrig. Ein Erfolg für alle Whistleblower!

„It is an ironic state of affairs, since few things could be more patriotic than an elected official defending the individual freedoms
of the citizenry. After all, that is why the security and defence apparatus exists in a western democracy in the first place.

A citizenry armed with full information is far more powerful – and far less passive. Founders of government, such as the drafters
of the US Constitution and its amendments, indicated by their support of an unfettered press, that they believed an informed
democracy is a better one.“

Aus: Can we handle the truth?

Whistleblowing to the media in the digital era
Dr Suelette Dreyfus,

Dr Reeva Lederman,

Dr Rachelle Bosua,

Dr Simon Milton

(The University of Melbourne)