Stockende Demokratisierung in Tunesien

Sofian Philip Naceur

Die menschenrechtspolitische Lage in Tunesien gilt im Vergleich zu Marokko und Algerien als am wenigsten problematisch. Seit dem Massenaufstand von 2011 hat sich eine lebendige und pluralistische Zivilgesellschaft herausgebildet, die die Einhaltung von Freiheits- und Grundrechten einfordert und die Reste des 2011 gestürzten Regimes von Zine El-Abidine Ben Ali herausfordert und in Schach hält. Dennoch sind auch in Tunesien Aktivist*innen, Menschenrechtler*innen und Journalist*innen bis heute mit umfassender Behörden- und Polizeiwillkür und Folterpraktiken der Sicherheitskräfte konfrontiert. Mangelnde Rechtsstaatlichkeit und politisch motivierte Strafverfolgung führten vor allem in den Provinzen des Südens in den letzten Jahren immer wieder zu rechtskräftigen Verurteilungen von Streikenden und politischen Aktivist*innen.

Der Staats- und Kontrollapparat des alten Regimes sei zwar teilweise zusammengebrochen, doch dessen berüchtigte Praktiken existieren immer noch, meint der Nordafrikakenner Dietrich. „Der springende Punkt im Moment ist, dass der Staatsapparat angesichts seines Kontrollverlustes zu heftigen Verfolgungsschlägen gegen Einzelne wie zum Beispiel Journalist*innen oder Menschenrechtler*innen, aber auch mit Militarisierung bestimmter Regionen, antwortet“, erklärt er.

Auch in Sachen Pressefreiheit werden die positiven Entwicklungen der letzten Jahre immer wieder durch zweifelhafte Urteile der Justiz konterkariert. Seit 2017 wurden mehrere Blogger*innen und Journalist*innen wegen Beleidigung staatlicher Funktionäre oder der Polizei zu Haft- oder Geldstrafen verurteilt. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte Tunesiens Regierung dafür, Sicherheitskräften für die im Kontext von Sicherheits- und Antiterrormaßnahmen angewandte Folter in Polizeigewahrsam oder bei anderen Menschenrechtsverstößen Straffreiheit zu gewähren.

In Tunesien gilt seit den Terroranschlägen in Tunis und Sousse 2015 der Ausnahmezustand, der den Sicherheitsbehörden weitreichende Befugnisse einräumt. Angesichts der anhaltenden staatlichen Verfolgung Homosexueller und regelmäßiger Berichte über Menschenrechtsverstöße und Folter durch tunesische Sicherheitskräfte wäre die Einstufung als „sicheres Herkunftsland“ ein fatales Signal. Ein erneutes Abdriften Tunesiens in autoritäre Verhältnisse kann auch weiterhin nicht ausgeschlossen werden.

Dieser Text zu Tunesien erschien als Teil des Artikels: Naceur, Sofian Philip: Politische Verfolgung und staatliche Repression im Maghreb: Marokko, Algerien und Tunesien sind keine sicheren Herkunftsländer (Rosa Luxemburg Stiftung 8/2018)

Red.: Wir bitten die nervige Ach-wie-bin-ich-Gender-Sternch*innen-Schreibung aus der Originalquelle zu entschuldigen.

Siehe unseren Sternch*innen-freien Kommentar zu diesem Artikel:

CIA, Geheimkriege & Jihadisten: Rosa Luxemburg Stiftung hat Lage in Tunesien nur ungenügend dargestellt von Gerd R. Rueger

 

Big Brother mag kein Bargeld: Finanz-Angriff auf unsere Privatsphäre

Cap Ulcus

Plant Merkel die Abschaffung des Bargeldes? Barzahlungen über 10.000 Euro sind seit einem Jahr in Deutschland nicht mehr anonym möglich. Merkel setzte dafür eine EU-Richtlinie um und verhängte eine Bargeld-Obergrenze. Das neue Gesetz besagt, dass Zahlung ab einer Höhe von 10.000 Euro nur mit Vorlage eines Ausweises möglich sind. Ziel ist angeblich, Geldwäsche und die Finanzierung von Terrorismus zu bekämpfen. Gold- und Schmuckhändler, Autohäuser und Kunsthandel wurden durch das Anti-Bargeld-Gesetz betroffen, klagt die Wirtschaftspresse. Aber am Ende geht es eher um eine totale Überwachung der Bevölkerung. Viele europäische Länder haben schon eine Obergrenze und natürlich will auch die EU ein generelles Verbot von Barzahlungen über 5.000 Euro.

Bislang herrscht beim Geld Eurokraten-Chaos: In den EU-Staaten Frankreich und Portugal liegt der maximale Betrag, der mit Bargeld bezahlt werden darf, sogar bei nur mickrigen 1.000 Euro (dabei gilt die Obergrenze aber nur für Zahlungen zwischen Firmen oder Gewerbetreibenden, Privatpersonen sind ausgenommen). In Polen und Kroatien immerhin bei 15.000 Euro. Ab 2016 wollte auch Merkels Bundesregierung schon eine Barzahlungs-Obergrenze von nur 5000 Euro verordnen. Der Anfang vom Ende des Bargeldes? Auf jeden Fall ist es ein Angriff auf die Anonymität beim Bezahlen. Nach Forderungen aus der SPD geht es angeblich gegen den internationalen Terrorismus. Kritiker werfen den Banken selbst dagegen Finanz-Terrorismus vor, etwa gegen Wikileaks, und wehren sich mit Forderungen nach Freigeld, Kryptowährungen (es gibt nicht nur Bitcoin) und Aktionen wie Payback von Anonymous.

Terrorismus-Argument erwies sich als absurd

Das Argument, man könne mit dem Limit den Terrorismus bekämpfen, ist jedoch völlig haltlos, wie beispielsweise die Pariser Anschläge im November vergangenen Jahres zeigten: Die Anschläge wurden in Belgien vorbereitet und in Frankreich verübt -beide Staaten haben bereits eine Barzahlungs-Obergrenze. Ähnlich wie Frankreichs Vorratsdatenspeicherung konnte auch diese Überwachungsmaßnahme die Anschläge nicht verhindern. Zudem ist es fraglich, ob sich Terroristen von einer Obergrenze für Barzahlungen abschrecken ließen, wenn sie Beträge von mehr als 5000 Euro in bar bezahlen wollen würden. Statt sich um die Ursachen des Terrorismus zu kümmern (z.B. völkerrechtswidrige Angriffskriege der NATO in aller Welt, Hunger und Elend wegen brutaler Ausbeutung vieler Länder durch Westkonzerne), wird also wieder einmal mit vermeintlicher Sicherheitspolitik reagiert. Dabei kann man auch vom Bankenterror sprechen, wie er etwa gegen Griechenland eingesetzt wurde, siehe: Bankenterror- Warum scheiterte Varoufakis Plan einer Parallelwährung?  Außerdem wurde die tendenzielle und am Ende auch angepeilte Bargeld-Abschaffung auch schon -und das spricht nicht gerade für eine justiziable Ermittlungsmethode- als verfassungswidrig kritisiert:

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, kritisierte die Pläne der Bundesregierung für eine Bargeld-Obergrenze als verfassungswidrig. Papier bezeichnete die Pläne als einen zu großen Eingriff in die Freiheitsrechte und sprach von einem großen Schritt hin zur „Reglementierung, Erfassung und verdachtslosen Registrierung“, also von einem großen Schritt hin zur anlasslosen Massenüberwachung. Netzpol

Schwarzgeld-Steuerhinterzieher-Argument unglaubhaft

Weitere Argumente für ein Limit bei Barzahlungen sind Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Schwarzgeldgeschäfte. Diese ließen sich so vielleicht tatsächlich eindämmen und erschweren. Aber die Justiz hat hier viele andere Möglichkeiten, die sie aber nicht nutzt, weil reiche Steuerhinterzieher mafiösen Schutz von Staat und Politik genießen: Siehe Roland Koch (lehrt jetzt an der Frankfurt School of Finance & Management) und seine Psychiatrisierung effektiv arbeitender Steuerfahnder; Bayern wirbt unter der Hand um Zuzug von Millionären mit Garantie von Schutzpatenschaft vor dem Fiskus: Steuernzahlen ist nichts für Reiche. Daher ist auch dieses Ziel der Bargeld-Abschaffung unglaubhaft -ein effektiver Fiskus ließe sich anders organisieren.

Ergo: Überwachung bargeldloser Überweisungen spricht dagegen für uneingeschränkten Bargeldverkehr: Bei Überweisungen wird gespeichert, wer wem wieviel mit welchem Verwendungszweck überwiesen hat. Mit Bargeld lässt sich dagegen anonym bezahlen, eine Möglichkeit, die auch bei Beträgen über 5000 Euro erhalten bleiben sollte. Bargeld ist also deutlich unproblematischer im Datenschutz. Zudem ist Bargeld an keine technische Infrastruktur gebunden und auch nicht von technischen Ausfällen bedroht. Klar, als Terrorist zahl‘ ich bar

Brüssel, Weltbank, IWF mögen kein Bargeld

Im März 2017 veröffentlichte der IWF ein Arbeitspapier zur Beseitigung des Bargeldes (#de-cashing) und gab Hinweise, „wie Regierungen den Widerstand der Bevölkerung unterlaufen und sie über ihre wahren Absichten täuschen können“, meldete epochtimes. Darin würde vom IWF eine Strategie umrissen, mit welchen Schritten das Bargeld schleichend abgeschafft werden kann – ohne dass die Bevölkerung aufwacht. Einer der Tipps war es, Obergrenzen bei Bargeld-Transaktionen zu schaffen. IWF-Analyst Alexei Kireyev empfahl darin, das Bargeld schrittweise abzuschaffen, wie zum Beispiel durch „das Ausdünnen großer Geldscheine, die Platzierung von Grenzen bei Bargeldtransaktionen und die Kontrolle von Bargeldbewegungen über Grenzen hinweg.“ Internationale Konkurrenten des Finanzeliten-dominierten Westblocks aus USA, EU und Japan wie China, Russland und Venezuela versuchen auch mit Bitcoins aus der globalen Finanzherrschaft des Dollars auszubrechen.

Und wer könnte noch von einer Bargeld-Abschaffung profitieren? Nicht nur Griechenland, sondern die ganze Eurozone steht seit der Finanzkrise immer noch unter Druck. Viele Staaten hatten massive Probleme und mussten indirekt über die EZB finanziert werden. Die Notenbank startete dafür ein billionenschweres Anleihekaufprogramm, mit dem sie zunächst Staats- und später auch Unternehmensanleihen aufkaufte. Heute wird so getan als sei man aus dem Gröbsten raus und bei Mutti Merkel ist soweiso immer alles Gold. Doch das ist Augenwischerei. Alle Re-Regulierungsversuche des Finanzsektors sind im korruptiven Sumpf der Politik steckengeblieben. Wie könnte es auch anders sein, wenn die Polit-Experten, wie etwa Friedrich Merz (CDU) (dem Merkel unter anderem die Deregulierung der Steuergesetze anvertraute) aus den übelsten „Wirtschaftskanzleien“ (Mayer Brown LLP) usw. nebst Trilaterale und Atlantikbrücke kommen? Da bleiben nur Notmaßnahmen der EZB wie in der Eurokrise.

Sollte aber all das einmal nicht mehr helfen, könnten die Staaten die Finanzlücke theoretisch durch eine neu eingeführte Strafabgabe decken, die direkt vom Konto eingezogen wird. Die Bürger könnten sich davor nicht schützen, weil sie das Geld schließlich nicht in bar von der Bank holen können, um es in Sicherheit zu bringen. Damit hätten die Staatschefs volle Kontrolle über das Geld der Bürger. Dasselbe gilt für die Banken wie etwa Goldman Sachs und Deutsche Bank. Schon jetzt geben immer mehr Banken die Strafzinsen der EZB an die Privatkunden weiter. Die EZB verlangt von den Geschäftsbanken 0,4 Prozent Strafzinsen, wenn sie ihr Geld dort parken. Diverse Banken versuchen, mit allerlei dubiosen Gebühren Einnahmen aus uns herauszupressen, etwa indem sie kostenlose Girokonten abschaffen. Gäbe es kein Bargeld mehr, könnten die Banken problemlos Strafen verhängen, weil die Bürger nur tatenlos zusehen, aber ihr Geld nicht in Sicherheit bringen könnten, meint businessinsider.

Bei all den angesprochenen Problemen, die das Geld direkt betreffen, fehlt noch der Blick auf den Datenschutz. Jede noch so kleine Transaktion wäre online abrufbar. Diese Daten würden zum Milliardenmarkt für Unternehmen, die uns noch personalisierter Werbung anbieten könnten, schließlich wissen sie dann endlich über jeden unserer Einkäufe Bescheid. businessinsider

Hintergrund: Bargeld schützt Privacy

Die EU-Kommission will den baren Zahlungsverkehr immer weiter einschränken und das Bargeld in einem zweiten Schritt vermutlich ganz abschaffen. Die elektronische Bezahlung per Funkchip-Karte, per App auf einem Smartphone oder einem smarten Armband soll dann für alle alternativlos sein. Dänemark und Schweden sind Vorreiter dieser Entwicklung. Hier ist die Annahme von Bargeld für Teile des Einzelhandels keine Pflicht mehr. An vielen Geschäften findet sich ein Schild „Wir akzeptieren kein Bargeld.“ Nur jeder fünfte Einkauf wird hier noch bar gezahlt. Schweden will bis 2030 ganz ohne Bargeld auskommen.

Negativzinsen

Warum soll das Bargeld abgeschafft werden? Sicher nicht um vermeintliche Terrorfinanzquellen auszutrocknen. Über ein Verbot von Mobiltelefonen wird auch nicht debattiert, obwohl sich „der Terror“ über Mobiltelefone organisiert. Es geht vielmehr um den regulierenden Zugriff auf unsere Bereitschaft Geld auszugeben bzw. Schulden aufzunehmen: Negative Zinsen sollen in mittlerweile permanentisierten „Krisenzeiten“ die Wirtschaft stimulieren. Das ist aus Sicht der Europäischen Zentralbank die konsequente Fortführung ihrer Niedrigzinspolitik der letzten zehn Jahre. Der ehemalige Chef-Ökonom des Internationalen Währungsfonds Kenneth Rogoff hält derzeit sogar Negativzinsen von bis zu -4 % für ökonomisch angemessen!

Solche Strafzinsen für das Bunkern von Geld werden aktuell bereits bei Interbanken-Transfers und bei großen Spareinlagen erhoben, können aber nur eingeschränkt an die durchschnittliche Endverbraucher*in weitergereicht werden. Der Grund: Nur etwa 10% aller Bank-Kund*innen würden ihr Geld unter diesen Bedingungen auf der Bank lassen – alle anderen würden den billigeren Weg gehen und das Geld kostenfrei, bar zu Hause lagern und gegebenenfalls (deutlich günstiger) versichern lassen. Das Bargeld als Fluchtmöglichkeit vor Negativzinsen soll also verschwinden. Diese Profitchancen für die Bankenwelt hat Springers Rechtsgazette „Die Welt“ wohl übersehen als sie gut bäuerlich für Pferdezüchter gegen Bargeldverbote eintrat:

„Dennoch wird die Obergrenze gravierende Folgen haben. Sie trifft besonders Branchen, in denen Bargeld eine große Rolle spielt, wie Gebrauchtwagenhändler oder Pferdezüchter. Viele Bürger zahlen bei größeren, aber völlig legalen Geschäften zudem bewusst in bar, damit ihre Transaktionen nicht zurückverfolgt und anonym bleiben können.“ DIE WELT

Kontrolle, Verhaltensökonomie, Inwertsetzung

Was der Verlust des Bargelds bedeutet, sehen wir im US-Staat Kansas. Hier wird die Sozialhilfe nicht mehr überwiesen, oder bar ausgezahlt sondern in Form einer elektronischen Karte ausgegeben, die Benutzerabhängig in ihrer Reichweite und ihrer Anwendbarkeit beschränkt ist. In Repressiv-pädagogischer Manier können damit nicht mehr alle Produke gekauft werden. In Oberbayern führte die Kreisstadt Altöttingen 2015 die Refugee-Card ein, die Geflüchteten nur bestimmte Einkäufe räumlich begrenzt erlaubt – die moderne Form des Lebensmittelgutscheins, der elektronisch die Residenzpflicht umsetzt und zudem zum Monatsende verfällt. (Womit eine alte Idee aus dem Freigeld, die dort gegen Bankenherrschaft gedacht war, zur Unterdrückung der Bevölkerung missbraucht wird.)
Mit der Abschaffung von Bargeld sind alle Transaktionen und alle Einkäufe der Bevölkerung für die Herrschenden nachvollziehbar. Die großen Einzelhandelsketten wollen diese totale Erfassung nicht nur für hoch personalisierte Werbung nutzen, sondern bereiten die Umstellung auf individuelle Preise über smarte Preisschilder vor. Erfasst und berechnet werden soll, wieviel jede Kund*in individuell bereit ist, für ein bestimmtes Produkt zu zahlen. Vorbei die Zeit des einheitlichen Preises für alle. Einige kennen diesen Effekt bereits bei der Online-Bestellung auf diversen Portalen – hier liegt der Preis für Bestellungen, die von Apple-Endgeräten aus getätigt wurden, beträchtlich höher. (Kranken-)Versicherungen wollen Zugriff auf diese Daten haben. Aus unserem Einkaufsverhalten und weiteren Informationen über unser Leben soll unser Gesundheitsbewusstsein permanent bemessen werden. Der Versicherungstarif soll so für jeden individuell und kontinuierlich neu kalkuliert werden.

Fortschrittliche Verweigerung

Bargeld ist praktisch – es erfordert keine Registrierung. Bargeld ist universell – anders als bei elektronischen Bezahlsystemen gibt es keine Besitzerabhängigen oder räumlichen Einschränkungen. Bargeld „gehört uns“: Da kann niemand negative Zinsen berechnen. Wir können es in unbeschränkten Mengen unter die Matratze legen oder wieder ausgraben. Guthaben bei Banken unterliegen gerade in Krisenzeiten unzähligen Restriktionen. Wir erinnern an die Beschränkung der Auszahlung in Griechenland oder die vollständige Entwertung der Spareinlagen in Portugal. Auch die Auszahlung von bitcoins kann verwehrt werden. Zudem erfordert es weitergehende technische Kenntnisse, um mit bitcoins wirklich anonym zu zahlen. Bargeld hingegen ist von allen (anonym) nutzbar – egal wie alt, egal wie marginalisiert. Das elektronische Geld ist kompliziert, teuer, unsicher, überwach- und steuerbar. Für uns gibt es also keinerlei Gründe auf das Bargeld zu verzichten.

Jetzt mag es komisch klingen, dass sich neben bürgerlichen, teils konservativen und leider auch rechten Kreisen nun ausgerechnet Antikapitalist*innen für den Erhalt des Bargelds aussprechen. Tatsächlich erfordert dies eine Erklärung, die sich eindeutig von rechten Motiven abgrenzt: Unser Bezugspunkt ist nicht die Freiheit des Privateigentums. Unsere Freiheit basiert auf Selbstbestimmung, auf Autonomie. Das ist ein gravierender Unterschied. Wir behaupten, dass wir mit dem Verbleib beim Bargeld der Überwindung des Kapitalismus und der Abschaffung des Geldes näher sind als mit der für alle verbindlichen Nutzung elektronischer Bezahlsysteme.

Historisch gab es verschiedene Etappen, die darauf abzielten, Ökonomie flüssiger zu machen – quasi-instantane Geldtransfers spielen hier heute eine wichtige Rolle. Banken bewerben sich um Rechnerplätze möglichst nah am Börsenzentralrechner, um Vorteile bei der Abwicklung von Geldgeschäften im Zehntel- Millisekundenbereich zu haben. Zudem ist die Vorhersagbarkeit menschlichen Handelns die Basis für einen beträchtlichen Teil heutiger Wertschöpfung. Das Messen und Steuern sämtlicher Regungen in unseren alltäglichen „Regelkreisen“ ist dabei mehr und mehr von konstruktiver Selbsteinspeisung in das System geprägt. Die Übermittlung sämtlicher Einkäufe und Geldtransfers ist dabei ein bedeutender Schritt in Richtung permanenter Erfassung mit dem Ziel der Verhaltenssteuerung. Das ungehinderte Messen jeglicher Lebensregungen zur Optimierung dieser Verhaltensökonomie ist daher aus antikapitalistischer Sicht zurückzuweisen. Wir sind im Sinne von Jaques Fradin nicht auf der Suche nach einer alternativen Ökonomie, sondern nach einer Alternative zur Ökonomie. Wir müssen ihre Basis, das Messen und Steuern, die soziale Physik ihrer Technokrat*innen grundlegend in Frage stellen.

Fuck off – finanzielle Alphabetisierung

Das indische Regierungsprojekt cashless economy ist ausdrücklich als „Modernisierungsschock“ gedacht gewesen: Premierminister Modi hatte im November 2016 in einer beispiellosen Blitzaktion die 500- und 1000-Rupien-Noten aus dem Verkehr gezogen, die mehr als 85 Prozent der zirkulierenden Geldmenge ausmachten.

Seit dem werden die Inder*innen in staatlichen Werbekampagnen ermuntert, Bankkonten einzurichten, sich Kreditkarten zuzulegen oder ihre Einkäufe mit Smart­phone -Apps zu bezahlen. Das Fernseh-Programm fordert die Zuschauer*innen auf, ihren Hausangestellten einen Tag freizugeben, damit sie ein Konto eröffnen können. Wirtschaftsstudent*innen schwärmen aus und erklären Leuten an Geldautomaten, wie man Überweisungen durchführt. „Finanzielle Alphabetisierung“ nennt die indische Regierung das. Jetzt, wo sich das Mobiltelefon, in Indien in allen Schichten durchgesetzt hat, seien die Voraussetzungen für die Digitalökonomie gegeben. Auch Staatliche Wohlfahrtsleistungen werden jetzt nur noch überwiesen. Dasselbe gilt für Bauern, die bei wetterbedingten Ernteausfällen Entschädigungszahlungen erhalten. So soll der Umstieg auf Konten und digitale Bezahlsysteme erzwungen werden.

Eine Weltbank-Studie aus dem Jahr 2015 hat festgestellt, dass bloß 15 Prozent aller erwachsenen Inder über ein aktives, für Transaktionen verwendetes Konto verfügten. Im Rahmen einer Regierungsinitiative wurden in den vergangenen beiden Jahren mehr als 270 Millionen neue Konten eröffnet – gebührenfrei und ohne Mindesteinlage.

Und doch läuft die staatliche Erzwingung elektronischer Bezahlsysteme anders als erwartet: Ein Großteil der Menschen verbleibt mit oder ohne eröffnetem Konto außerhalb dieses Finanzsystems: Bauarbeiter, Hausangestellte, Rikscha-Fahrer, Nachtwächter, Straßenhändler und Erntehelfer bilden in Indien einen gigantischen Kosmos der „informellen Ökonomie“ : ohne festes Gehalt, ohne Bankdarlehen, ohne Einkommensteuern, ohne Rentenansprüche. Der Anteil der Beschäftigten in der informellen Ökonomie an der indischen Bevölkerung wird auf bis zu drei Viertel geschätzt!

Das, was auch „nicht organisiertes“ Arbeiten genannt wird, ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. In den Augen von Premierminister Modi ist diese anachronistische Wirtschaftsweise ein Ärgernis. Die Regierung in Neu-Delhi und die Mittelschicht, die ihr applaudiert, sind so fortschrittshungrig, dass sie die Realität dieser unangepassten „Rückständigkeit“ am liebsten ignorieren würden. Korbflechter oder Altstoffsammler sind im neuen Bild des Landes nicht mehr vorgesehen. Es gibt aber Hunderte Millionen von ihnen und sie sehen keinen Grund, ihre vertraute „Ökonomie der Straße“ aufzugeben… Quelle cash.blackbogs,org

 

 

Bertelsmann propagiert Faception: Digitale Schädelkunde gegen Terroristen

Satire auf Phrenologen

Daniela Lobmueh

Der Bertelsmann-Propagandasender n-tv hat in seinem Wochenend-Frühstücks-TV die Firma Faception entdeckt. Die Israelis behaupten mit ihrer Anti-Terror-Software Gewalttäter am Gesicht erkennen zu können, weil die Neigung zu Terrorismus schon in den Genen steckt. Das glaubten die Phrenologen (Schädelkundler) des späten Mittelalters auch schon. Funktioniert hat es nie, aber Tausende Unschuldige zu Verbrechern abgestempelt und den Boden für rassistische Massenmorde bereitet.

Hier erkennt Faception angeblich neun der elf Attentäter von Paris als potenzielle Terroristen

FACEPTION heißt die Firma, die das Programm zu angeblicher „Persönlichkeits-Profilierung“ über Gesichtserkennung in Echtzeit anbietet und ihren Kunden das Blaue vom Himmel verspricht, „wie Unternehmen, Organisationen und sogar Roboter Menschen verstehen und dramatisch die öffentliche Sicherheit… verbessern können“. Objektivität wird angepriesen, weil die Klassifizierung ohne Grundannahmen und Regeln auskomme, da das maschinelle Lernen nur datengestützt sei. Wird man also mittels des Programms aus Aufnahmen von Kameras oder Fotos schnell sehen, wer Terrorist, Gauner oder überhaupt ein Böser ist, um ihn gleich außen vor zu lassen oder mit ihm nichts zu tun zu haben oder ihn desto gründlicher zu überwachen und prüfen? Oder ist, wie in den Medien nur selten erwähnte Kritiker befürchten, alles nur mit pseudotechnologischer Big-Data-Staffage aufgeblasener Mumpitz? Auf nebenstehender Abbildung erkennt Faception angeblich neun der elf Attentäter von Paris als potenzielle Terroristen, aber erst im Nachhinein -und solche post hoc-Analysen sind leider oft nur  pseudowissenschaftliche Taschenspielerei.

Statisken lügen -Big Data lügt besser

Hier erkannten Phrenologen vor 300 Jahren angeblich Verbrecher an der Schädelform

Steckt man in Datenauswertungen seine Vorurteile hinein, kommen sie bekanntlich als Statistiken wieder heraus. Nur weil selbige Statistiken jetzt mit dem neuesten Computer produziert werden, ändert das nichts an diesem Prinzip. Außerdem ist der „Faception“-Ansatz alles andere als neu: Es handelt sich um einen Irrweg aus der Frühzeit des Rassismus. Die Phrenologie ist zu unterscheiden von der daraus hervorgegangenen Kraniometrie („Lehre von der Schädelvermessung“) als Werkzeug der Rassenkunde. Diese Lehre wurde vor allem Anfang des 20. Jahrhunderts, besonders im Zusammenhang mit rassistischen Theorien, populär. Kraniometrische Vermessungen waren in der Anthropologie und Ethnologie noch weit verbreitet, heutzutage finden sie außer bei der Vermessung von tierischen Schädelknochen noch Anwendung in der Archäologie, um Erkenntnisse über die Evolution der menschlichen Spezies zu gewinnen -und neuerdings wieder bei Faception.

Neorassismus powered by Bertelsmann
faception

Digitale Phrenologie von Faception

Eine fröhlich-dumm daherplappernde n-tv-Reporterin interviewt Faception-Leute und begeisterte Israelis auf den Straßen von Tel Aviv: „Ich glaube daran!“, „Ich habe nichts zu verbergen!“ usw. Bei israelischen Kontrollen werde schon lange das Aussehen von Reisenden zur Terroristen-Erkennung genutzt, hat n-tv recherchiert, man nenne das Rassen-Screening. Der lobhudelnde Bericht von Bertelsmann ist eine Beleidigung jedes halbwegs kritischen Verstandes und zielt offensichtlich auf rassistische Verdummung der Zuschauer ab, die nebenbei in Terrorangst gehalten werden sollen. In den USA grassiert die staatlich geförderte Angst seit 9/11, Bush-Regime und Obama-Administration nutzten sie weidlich aus, um ihre Bevölkerung zu kontrollieren -nicht nur über die NSA. Die von Bush geschaffene Blockwart-Sicherheitsbehörde „Homeland Security“ soll bekanntlich zu quasi magischem Abwehrzauber mit Pseudotechnologie neigen.

Damals beeindruckte der Phrenologe mit solchen Hirn- und Schädelkarten, heute staunen schlichte Gemüter vor den neuesten Computer-Gadgets, die ihnen den gleichen Mumpitz wie vor 300 Jahren als neu verkaufen.

„Unsere Persönlichkeit wird durch unsere DNA definiert und spiegelt sich in unseren Gesichtern“, behauptet Shai Gilboa, Chef der Big-Data-Phrenologie-Firma Faception. Eine durch „Machine Learning“ trainierte „Künstliche Intelligenz“ (so das aufgeblasene PR-Gefasel zu neuen Statistik-Methoden) soll aus dem Gesicht spezielle Facetten ablesen, die beispielsweise auf Pessimismus oder Selbstsicherheit schließen ließen -meine Oma kann das auch: Aus hochgerecktem Kinn z.B.  oder hängenden Schultern. Dabei, fährt Gilboa fort -und hier wird es rassistisch-, soll der Scan jedoch genetisch programmierte Veranlagungen ausmachen, die Trefferrate dabei liege bei 80 Prozent, jubelt das leicht debile, aber hippe Techie-Nerdmagazin WIRED, wo man noch nie etwas von Phrenologie gehört hat und nur ganz am Ende des Artikels, der atemlos die PR der Firma nachplappert, auf „Kritiker“ kommt, von denen man in der Zeitung gelesen hat (in der nicht gerade für kritisches Denken bekannten Washington Post).

Nur Schwindelei? Oder High-Tech-Rassismus?

Zur Frage, wie genau die Software die Bilder auswertet, dazu schweigt Faception sich natürlich aus. Als Grundlage benennt die Firma angebliche Forschungen „im Bereich Sozial- und Biowissenschaften“ (ob die Schädelkunde dazugehört?). Außerdem spiele das maschinelle Lernen und die „Extraktion bestimmter Merkmale aus dem Gesicht“ eine Rolle -mit der auch klassische Rassisten arbeiteten. Nach eigener Angabe arbeitet Faception bereits jetzt mit einer der “führenden Heimatschutzbehörde” zusammen -was man bei deren Hysterie, sprudelnden Geldzuflüssen und debiler Weltsicht auch gut glauben kann. Weitere Anwendungsgebiete für die Software seien das Versicherungswesen oder Partnerbörsen, denn Dumme finden sich überall.

Kriminelle oder auch nur böse Menschen schon am Gesicht bzw. an ihrer Schädelform zu erkennen, klingt ganz nach dem, was einst der Anatom Franz Joseph Gall betrieb. Er war der Ansicht, dass sich Charaktereigenschaften am Gehirn und sogar von außen am Schädel erkennen lassen sollen. Denn das Zusammenspiel der verschiedenen „Organe“ des Gehirns (an solche glaubte man damals) kann nach Gall den Schädel räumlich formen und somit von außen sichtbar werden. Die damals als Stand der medizinischen Wissenschaft geltende Phrenologie wurde tatsächlich zur Erkennung von Kriminellen verwendet, etwa vom italienischen Psychiater Cesare Lombroso. Phrenologie ist heute als Vorläuferin der Rassentheorie gänzlich in Misskredit geraten -zu Recht, denn sie beruht auf wissenschaftlich verbrämten Vorurteilen gegen anders aussehende Menschengruppen. Ähnliche Lehren erfreuen sich heutezutage aber großer Beliebtheit bei Neoliberalen, zu deren Markt-Darwinismus die perversen Rassentheorien perfekt passen und noch mit Hetze gegen sogenannte „Gutmenschen“ vermengt werden („Gutmenschen“ behaupten, sie wären nicht ausschließlich von Habgier gesteuert, sondern würden sich auch ethisch verhalten; nach neoliberalem Menschenbild können das nur Heuchler sein).

So setzt sich die Phrenologie insofern in den modischen „Neuro“-Wissenschaften fort als man auch dort von Hirnarealen mit bestimmten Funktionen ausgeht, die Schädellehre ist aber als Scheinwissenschaft längst ad acta gelegt worden. Dennoch knüpft Faception dreist wieder an und macht sich anheischig, aus Gesichtern „mit hoher Genauigkeit“ Charakterzüge herauslesen zu können, um 15 Persönlichkeitstypen mit ihren Charaktereigenschaften zu erkennen -Pseudowissenschaft, die man mit ihren rassistischen Auswüchsen überwunden glaubte.

Die Basis von Faception ist also die angestaubte Behauptung, dass die Persönlichkeit genetisch determiniert sei, was sich wiederum im Gesicht spiegele. So erkenne man angeblich Menschen mit einem hohen IQ, den der Faception-PR-Hansel der n-tv-Reporterin auch prompt attestierte -die dümmlich plappernde junge Dame war intellektuell natürlich meilenweit davon entfernt, darin die platte Werbetechnik zu erkennen, ihr Honig ums Journalistenmaul zu schmieren. Ebenso erkennen will Faception professionelle Pokerspieler, Pädophile oder eben (und damit lässt sich vermutlich am leichtesten Geld machen): Terroristen. Und wer wird den Neo-Phrenologen ihr hirnloses High-Tech-Brimborium teuer bezahlen müssen? Wir, die Allgemeinheit, natürlich, wenn es dann bei Krankenhäusern, Schulen und Kindergärten wieder eingespart wird. Merkels Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will mehr Geld für die Bundeswehr. Viel mehr Geld. Den Wehretat will sie im kommenden Jahr um 2,3 Milliarden Euro auf dann 36,6 Milliarden Euro erhöhen. Das wäre die größte Steigerung seit einem Vierteljahrhundert -da fällt für Faception oder ähnliche Verkäufer von „Sicherheit“ bestimmt etwas ab.

Gladio2.0? Belgische Polizei wusste seit 2014 von Anschlagsplänen

Ali Menteher blackwater
Brüssel.Ein vernichtender Bericht über die belgische Reaktion auf die Angriffe von Paris zeigt scheinbar gravierende Schlamperei bzw. Mangel an Ressourcen. Aber ein Hauch von Gladio liegt in der Luft. Die belgische Polizei hatte seit Mitte 2014 Informationen darüber, dass die Paris-Attentäter Salah und Brahim Abdeslam „einen irreversiblen Akt planten. So legt ein geheimer Bericht der Polizei nahe, der Reaktionen der Behörden auf die ParisAngriffe bewertet. Brahim Abdeslam sprengte sich in Paris im November während jener Angriffe in die Luft, die 130 Personen das Leben kosteten. Sein Bruder Salah floh und konnte in Brüssel im vergangenen Monat festgenommen werden, nur vier Tage vor den Terroranschlägen in Brüssel.
Die Schlussfolgerungen des Berichts, von dem ein Exemplar an POLITICO geleakt wurde, beschreibt die Radikalisierung der Brüder Abdeslam. Sie hatten Verbindungen zum Mastermind der Paris-Attacken, Abdelhamid Abaaoud, und ihre Absicht, ähnliche Verbrechen zu begehen, war den belgischen Sicherheitskräften lange vor den Anschlägen bekannt. Die Anti-TerrorEinheit der Polizei argumentiert, dass man keinen Bericht über die Brüder in der zentralen Polizeidatenbank speichern konnte, weil nicht mit Sicherheit nachgewiesen war, dass der eine Bruder beteiligt war.
Aber es scheint eher so zu sein, dass die Namen der beiden Brüder Abdeslam, die beide im Problem-Stadtteil Molenbeek in Brüssel lebten, bereits in der Datenbank vorhanden waren. Der Bericht hebt individuelle Schlamperei von Einzelpersonen, begrenzte Ressourcen und mangelnde verfahrenstechnische Anleitungen für Beamte im Umgang mit streng vertraulichen Informationen als Ursachen der Panne hervor: „Nichts geschah mit den Unterlagen nach der Abfassung der Niederschrift (mit Informationen über die Gebrüder),“ heißt es im Bericht, und weiter, dass die Dossiers aufgrund von „Kapazitätsproblemen“ nicht bearbeitet wurden, folglich sei bis zu den Anschlägen in Paris nichts geschehen.
Computer, USB-Sticks, Telefondaten wurden nicht ausgewertet
Die Behörden waren ferner im Besitz von Computern, USBSticks und Telefondaten in Bezug auf die Abdeslam Brüder -und das schon seit Februar 2015, aber hätten diese Informationen nicht verwenden können: „nicht einmal nach Paris, oder vor Kurzem.“ Anträge belgischer Staatsanwälte, die Telefongespräche und e-Mails der Brüder Abdeslam abzuhören bzw. auszuspähen, wurden aufgrund mangelnder Ressourcen von der Polizei abgelehnt, so Le Soir.
Die Anforderung wurde an die Anti-TerrorEinheit weitergeleitet, nachdem die Brüder von Behörden Anfang 2015 unter dem Verdacht der Planung einer Reise nach Syrien befragt wurden. Die ermittelnden Staatsanwälte suchten dann Unterstützung für die TelefonÜberwachung bei anderen Einheiten der Polizei, was aber wiederum abgelehnt wurde. Am 21. April 2015 hatte die Polizei schließlich entschieden, dass man den Abdeslam-Fall nicht weiter verfolgen wolle.
Von Gladio zu Comité P

Der Bericht wurde von einem „Comité P“ verfasst , einer Prüfstelle, die potenzielle Mängel der Polizeiarbeit untersuchen sollte,  aber sich offenbar nicht der politischen Führung und erst recht nicht der Öffentlichkeit offenbaren wollte. Das von POLITICO enthüllte Dokument wurde als „streng vertraulich“ eingestuft –von mehreren staatlichen Quellen, die POLITICO kontaktierten. Oben auf jeder Seite waren die Worte „Eyes Only“ vermerkt, es sollte nur von einer ausgewählten Gruppe von Parlamentariern eingesehen werden, denen sogar Notizen verboten wurden. Keine Kopie des Berichts sollte das Zimmer verlassen. Doch im Zeitalter der Whistleblower blieb dies eine Illusion.

Welche Folgerungen zu ziehen sind ist unklar -an Überwachungsdaten über die Attentäter hat es zumindest nicht gefehlt, so dass die von Hardlinern stereotyp nach jedem Anschlag geforderte Ausweitung von Überwachung und Einschränkung der Bürgerrechte fehl am Platze erscheint. Ob nur Schlamperei oder ein System hinter dem Polizeiversagen steckt, ist nicht absehbar. In der Vergangenheit hat es jedoch genug Fälle gegeben, wo nach Terroranschlägen im Nachhinein eine Verwicklung offizieller Organe ans Licht kam: In Belgien gab es in den 1980er-Jahren eine Reihe brutalster Überfälle mit zahlreichen Toten, die Jahre später als Teil der „Stay Behind“ (Gladio)-Connection eingeordnet werden musste. Im Nachbarland Luxemburg kam ebenfalls erst Jahrzehnte später eine Bombenserie von Gladio ans Licht -nach dem die damaligen (meist Linksterroristen angelasteten) Anschläge ebenfalls durch eine verdächtige Verkettung von Ermittlungspannen niemals aufgeklärt werden konnten. Deep state -Dunkelmänner in Staat, Militär und Geheimdiensten lassen grüßen.

Entgegen NSA-Panikmache: Snowden-Leaks halfen Terroristen nicht

Gerd R. Rueger Snowden

Hohe NSA-Beamte schürten seit den NSA-Leaks von Edward Snowden im Juni 2013 Panik: Angeblich wäre nun ihr „Krieg gegen den Terror“ in Gefahr, weil Islamisten jetzt Krypto-Tools nutzen würden. The Intercept präsentiert nun eine Studie von Flashpoint Global Partners, einer privaten Sicherheitsfirma. Die Untersuchung belegt, dass die NSA-Panikmache Unsinn ist. Die Moslems waren gar nicht so dumm, wie die NSA uns glauben machen wollte: Sie verschlüsselten ihre mails schon lange.

Haben Edward Snowdens Enthüllungen über die globale NSA-Überwachung die Fähigkeit der Nachrichtendienste torpediert, terroristische Gruppen zu überwachen? Anfang September hatte der Ex-NSA-Boss Michael Hayden dies behauptet: „Die veränderte Kommunikation, und Vorgehensweisen terroristischer Gruppen nach den Snowden-Enthüllungen haben unsere Fähigkeit reduziert, diese Gruppen zu verfolgen und zu überwachen“. Matthew Olsen vom National Counterterrorism Center fügte hinzu: „Nach der Publikation der gestohlenen NSA-Dokumente änderten Terroristen ihr Kommunikationsverhalten, um Überwachung zu vermeiden.“

NSA-Panikmache entlarvt

Entgegen reißerischen Behauptung von US-Beamten verneint dies eine neue unabhängige Analyse, wie  Murtaza Hussain auf Glenn Greenwalds Site The Intercept berichtet. Der US-Sender NBC hatte enthüllte:

Flashpoint Global Partners, eine private Sicherheitsfirma, untersucht die Häufigkeit der Versionswechsel und Updates von Verschlüsselungssoftware bei dschihadistischen Gruppen… Flashpoint fand keine Korrelation beider Maßnahme zu den Snowden-Leaks bezüglich der NSA Überwachungstechniken, die am 5.6.2013 an die Öffentlichkeit gelangten.“

Der Flashpoint-Bericht „Measuring the Impact of the Snowden Leaks on the Use of Encryption by Online Jihadists“ weist ferner darauf hin, dass “ Online-Dschihadisten schon vor Edward Snowden wussten, dass PRISM_logoStrafverfolgung und Geheimdienste versuchten, sie zu überwachen.“ Dieser Punkt ist angesichts der Tatsache offensichtlich, dass Terrorgruppen sich schon jahrelang mit Taktiken beschäftigt haben, die dazu dienen der digitalen Überwachung auszuweichen. In der Tat, Bedenken über die Nutzung hochentwickelter Verschlüsselungstechnologie datieren zurück zu 9/11. Im Gegensatz zur Behauptung, dass solche Gruppen ihre Praktiken aufgrund von Informationen aus den NSA-Leaks grundlegend verändert haben, schließt der Bericht. „Die zugrunde liegende Verschlüsselung mit öffentlichen Methoden von online-Dschihadisten scheinen sich seit dem Aufkommen von Edward Snowden nicht wesentlich verändert zu haben.“ The Intercept

The report itself goes on to make the point that, “Well prior to Edward Snowden, online jihadists were already aware that law enforcement and intelligence agencies were attempting to monitor them.” This point would seem obvious in light of the fact that terrorist groups have been employing tactics to evade digital surveillance for years. Indeed, such concerns about their use of sophisticated encryption technology predate even 9/11. Contrary to claims that such groups have fundamentally altered their practices due to information gleaned from these revelations, the report concludes. “The underlying public encryption methods employed by online jihadists do not appear to have significantly changed since the emergence of Edward Snowden.”

The Intercept author Murtaza Hussain is a journalist and political commentator. His work focuses on human rights, foreign policy, and cultural affairs. Murtaza’s work has appeared in The New York Times, The Guardian, The Globe and Mail, Salon,and elsewhere.

Flashpoint Global Partners ist eine Sicherheitsfirma, die sich damit brüstet, das Darknet ans Licht zu zerren und potentielle Gefahren zu ergründen “ to assist corporations, governments, and individuals“:

Flashpoint Partners is dedicated to meeting the challenge of providing its customers with the data and expertise necessary to demystify the „Dark Web“ – the areas on the internet where mainstream search engines are unable to penetrate – and turn the unknown and unseeable into actionable intelligence to assist corporations, governments, and individuals in protecting their interests and obligations. flashpoint