Transgender, Isolationsfolter und die US-Army: Chelsea Manning

„5 bedenkliche Entwicklungen im Fall Chelsea Manning“: Was wissen wir darüber warum Chelsea Manning versuchte, sich umzubringen, und Manning-Protestwie ihre Haftbedingungen verschärft werden könnten

Samantha Michaels, MoJo (Mother Jones) 11.8.2016 (transl. by Gerd R. Rueger)

Chelsea Manning, transgender (Transgender hinter Gittern) Whistleblower im US-Army-Gefängnis für die Enthüllung von Verschlusssachen auf WikiLeaks, kämpft derzeit darum, eine weitere Zeit in Einzelhaft zu vermeiden -nachdem sie im letzten Monat versuchte, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Der ehemalige Soldat steht einer Reihe von neuen Anklagen im Zusammenhang mit dem Selbstmordversuch gegenüber, und wenn sie für schuldig befunden wird sie auf unbestimmte Zeit in Isolationshaft gehalten werden könnten. Letzte Woche präsentierten ihre Anhänger dem Secretary Of The Army, eine Petition mit mehr als 115.000 Unterschriften, die gegen die neuen Anklagen protestieren. Hier sind fünf Dinge, die wir über den eskalierenden Fall wissen:

Der Selbstmordversuch war wahrscheinlich Resulat einer psychischen Erkrankung Judge Denise Lind. Sketch by Clark Stoeckley, Bradley Manning Support Network.namens Geschlechtsdysphorie (gender dysphoria). Nach ihrer Verhaftung im Jahr 2010 wurde der Whistleblower, früher bekannt als Bradley Manning Geschlechtsdysphorie diagnostiziert, ein Zustand extremer Notlage, die entsteht, wenn bei einer Person die Geschlechtsidentität nicht mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt. Fünf Jahre später begann Bradley, die sich nun Chelsea nannte, eine Hormontherapie nach Klage gegen das Militär für diese medizinische Behandlung. Allerdings berichten ihre Anwälte, dass die US-Armee keine anderen Schritte unternahm, sie wie eine weibliche Gefangene zu behandeln: „Die laufenden Verschlechterung ihres psychischen Zustands beruht insbesondere auf der fortgesetzten Verweigerung, ihre Geschlechtsdysphorie als ein fortdauerndes Bedürfnis angemessen zu behandeln,“ sagte ihr Anwalt Chase Strangio Reportern auf einer Telefonkonferenz.

Manning wurde angeklagt, Widerstand gegen Gefängnisbeamte geleistet zu haben… WL_Logowährend sie bewusstlos war. Am 28. Juli kündigte die Armee drei administrative Anklagen in Verbindung mit dem Selbstmordversuch an, darunter die Behauptung, dass Manning dem „force cell move team“ während oder nach ihrem Selbstmordversuch Widerstand geleistet hätte, so die offizielle Anklageschrift (official charge sheet). Aber Chelsea Mannings Anwälte sagen, dass ihre Klientin keinen Widerstand habe leisten können, weil sie bewusstlos war als Beamte sie in ihrer Zelle in der Haftanstalt Fort Leavenworth in Kansas auffanden. Ihre Anwälte und die Armee gaben nicht bekannt, wie sie versuchte, sich umzubringen.

Die anderen zwei Anklagen beinhalten „verbotenes Eigentum“ und „bedrohliches Verhalten“. Manning wurde ermächtigt, die fragliche Habe zu besitzen, wie ihr Anwalt Strangio sagte, aber sie hätte es angeblich auf verbotene Weise verwendet -beim Versuch, sich ihr Leben zu nehmen. Es ist unklar, ob andere Gefangene in Fort Leavenworth nach einem Selbstmordversuch ähnlichen Anklagen gegenüberstehen, oder ob die „Art der Anklagen bzw. die Aggressivität, mit der sie können verfolgt werden, einzigartig ist,“ sagte Strangio. Ein Armeesprecher durfte den Fall nicht kommentieren.

Die Anklagen könnten auf eine zeitlich unbegrenzte Einzelhaft hinauslaufen. Obgleich free-bradley-manning1keine Verlängerung der Gefängnisstrafe droht, wie Anwalt Strangio sagte, könnte die Armee die Zeitspanne verlängern bis für Manning eine Bewährung in Betracht kommt. Trotz der potentiell schwerwiegenden Folgen werden ihre Anwälte dabei behindert, Manning verteidigen zu können. „Es handelt sich um Verwaltungs-Anklagen, die wahrscheinlich nicht durch das court marshal system verhandelt werden, wenn etwas ganz Ungewöhnliches passiert“, sagte Strangio. Und das bedeutet „sie hat keinen Anspruch auf Beratung oder andere Schutzmaßnahmen, die in einem nicht administrativen Verfahren gewährt werden könnten.“

Es wäre nicht das erste Mal, dass Chelsea Manning in Isolationshaft gehalten wurde. Nachdem sie im Jahr 2010 verhaftet wurde, verbrachte Manning fast ein Jahr in Einzelhaft. Eine UN-Untersuchung ihrer Isolationhaft fand heraus, dass sie gezwungen wurde sich jede Nacht nackt auszuziehen und kennzeichnete die Behandlung als „grausam, unmenschlich und erniedrigend.“ Im vergangenen Jahr wurde Manning erneut mit Einzelhaft bedroht, nachdem sie wegen Verletzung der Haftordnung angeklagt wurde, einschließlich, eine abgelaufene Tube Zahnpasta ( expired toothpaste) sowie eine Ausgabe der Zeitschrift Vanity Fair in ihrer Zelle zu haben. Mehr als 100.000 Menschen unterzeichneten eine Petition gegen diese Anklage. Manning wurde zwar für schuldig befunden, aber nicht in Einzelhaft genommen; Stattdessen beschränkte die US-Army drei Wochen lang ihren Zugang zu Fitnessraum, Bibliothek und Hofgang.

Sie kämpft immer noch um medizinische Versorgung. Manning führt Klage gegen die „anhaltende Verweigerung“ des Militärs, sie „im Einklang mit den Standards für andere weibliche Gefangene“ zu behandeln, sagte Strangio. Insbesondere wurde Manning gezwungen, regelmäßige Haarkürzungen zu dulden, wie sie im Gefängnis für männliche Häftlinge vorgeschrieben sind – eine regelmäßige Erinnerung an die unfairen Haftbedingungen. Strangio sagte, dass „sie wird wie ein Mann gesehen und behandelt, obwohl sie eine Frau ist.“ „Die Realität ist“, sagte Strangio, „dass sie wenig Raum bekommt, und sie bekommt nicht die Behandlung, die sie braucht.“

Mother_Jones

Mother Jones, Arbeiterkämpferin

Artikel aus der traditionellen Zeitschrift der US-Linken, MoJo, Mother Jones, benannt nach der legendären Arbeiter- und Frauenrechte-Kämpferin Mary Harris „Mother“ Jones (1837-1930).

Quelle:

5 Disturbing Developments in the Chelsea Manning Case

What we know about why she tried to kill herself and how it could affect her imprisonment.

Samantha Michaels, MoJo Aug. 11, 2016

Transgender hinter Gittern

USA: Recht auf Geschlechtsumwandlung

Nora Drenalin 11.Oktober 2012

Die PsychiatricTimes berichtete jüngst von einem „bizarren“ Fall einer Geschlechtumwandlung hinter Gittern. Ein Bezirksgericht in Massachusetts hat Robert K., einem verurteilten Mörder, ein Verfassungsrecht auf eine Geschlechtsumwandlung zu Lasten der Staatskasse zugesprochen.Von einem „empörenden Missbrauch von Steuergeldern“ bis zu einem großartigen Sieg für die Transgender-Bewegung reichen die Bewertungen des Falles von K.
Der Häftling K. verklagte das „Department of Corrections“ (DOC) wegen Verstoßes gegen seine verfassungsmäßigen Rechte, weil die Behörde sich verweigerte, ihm die Operation bezahlen. Aber US-Richter Mark Wolf entschied zu Gunsten des K. und erklärte: „Es ist die einzige Möglichkeit zur Behandlung von K. der  eine „serious medical need“ erleide. In seinem 128 Seiten umfassenden Urteil vom 4.September 2012 stellte Richter Wolf  fest, dass die DOC-eigenen medizinischen Experten bezeugt hatten, Chirurgie sei die einzige Behandlung, die K. gerecht würde: „The Defendant’s Stated Security Concerns are Pretextual and do not Justify Denying K. Sex Reassignment Surgery“. Sicher eine gute Nachricht für manchen US-Strafgefangenen. Aber was bedeutet „Transgender“ eigentlich?
Was ist Transgender?

Das Wort „Transgender“ ist einerseits eine Bezeichnung für Menschen, die sich mit der Geschlechterrolle falsch beschrieben sehen, die ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Andererseits, weiß Wikipedia,  ist es auch eine Selbstbezeichnung für Menschen, die sich mit ihren primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen nicht oder nicht vollständig identifizieren können. Manche Transgender lehnen auch jede Form der Geschlechtszuweisung bzw. -kategorisierung grundsätzlich ab – vergleiche auch den wissenschaftlichen Begriff Gender Identity Disorder (Geschlechtsidentitätsstörung). Transgender der Richtung Mann-zu-Frau werden häufig als Transfrau bezeichnet, Transgender der Richtung Frau-zu-Mann als Transmann.

Von den meisten Transgender-Aktivisten wird Transgender als ein Oberbegriff für all diejenigen Menschen verwendet, die sichtbar aus den klassischen Geschlechts-Rollenzuordnungen ausbrechen. Die bekanntesten damit verbundenen Termini sind die beiden für grundsätzlich unterschiedliche Zusammenhänge stehenden Begriffe Transsexualität und Transvestitismus. Doch auch noch einige andere nicht-transsexuelle Menschen, die ständig oder vorwiegend in einer anderen als der ursprünglich zugewiesenen Geschlechterrolle leben oder fühlen, sind Transgender: Dazu zählen auch Cross-Dresser, bewusst androgyne Menschen, Bigender, Drag Kings und Drag Queens, aber nur dann, wenn das Überschreiten der Geschlechterrolle für sie nicht nur als Travestie, einer öffentlich zur Schau gestellten Verkleidungskunst, anzusehen ist. Üblicherweise nicht eingeschlossen (obwohl im Einzelfall die Abgrenzung schwierig sein kann) ist transvestitischer Fetischismus, da der Geschlechterrollenwechsel hier nur zeitweise, und nur zur sexuellen Stimulation vollzogen wird.

Der Fall K.: Transgender hinter Gittern

Der Fall des K. vor dem Bezirksgericht in Massachusetts  hat in den USA einigen Staub aufgewirbelt. Wenig überraschend haben Interessengruppen der Transgender-Betroffenen die Entscheidung begrüßt, dass K. die  Operation bezahlt wurde. Der republikanische Senator, Scott Brown und die demokratische Kandidatin Elizabeth Warren haben auf der anderen Seite die Entscheidung abgelehnt. Senator Brown nannte die Entscheidung „einen unerhörten Missbrauch von Steuergeldern“ und Senats-Kandidatin Warren sagte sinngleich, aber gemäßigter ausgedrückt, dass sie nicht glaube, das Urteil wäre „eine gute Nutzung von Steuergeldern.“
Eine offenbar eher konservativ denkende Eileen McNamara vertrat in einem Leitartikel des Boston Globe wohl den Standpunkt der Moral Majority: Im Fall des (oder der) K. sei auch zu berücksichtigen, das er ein Mörder mit lebenslanger Haftstrafe sei. K. verdiene wie jeder Häftling ordnungsgemäße Versorgung, einschließlich Hormonbehandlung und kompetenter Therapie. Wenn er Selbstmord gefährdet sei, sollte er unter ständige Beobachtung gestellt werden. Aber das reiche dann auch -eine teure Geschlechtsumwandlung sei unnötig. Fragen wie die, ob er nun in ein Frauengefängnis kommen solle, wären so auch zu umgehen… Die übliche Sichtweise halt, die auch vor Problemen sexueller Gewalt in der US-Army zu lange die Augen verschlossen hatte.
Transexualität und Transidentität
Bleibt noch ein Wort zum Thema Transgender und Transsexualität zu verlieren:
Transsexuelle begrüßen den Begriff Transgender, weiß Wikipedia, weil er nicht den in der deutschen Sprache problematischen Wortbestandteil sex enthält, da hier, anders als im Englischen mit den beiden Ausdrücken sex für das körperliche und gender für das soziale Geschlecht, nur ein einziger Begriff existiert. Dieser Umstand führt sprachbedingt im Allgemeinen zu dem Missverständnis, dass Transsexualität primär ein sexuelles Problem sei. Aus diesem Grund, und dem Umstand, dass in der deutschen Sprache die Geschlechtszuordnung eben mit dem biologischen Geschlecht gleichgesetzt wird, wird Transsexualität auch durch den Begriff der Transidentität ersetzt. Wenn heute einige als Antwort auf PussyRiot gegen Putin einen PenisRiot gegen Merkel fordern, ist dies sicher auch im Sinne einer offeneren Gender-Debatte zu verstehen.