Ungarn: Homophobie in der Verfassung

Gerd R. Rueger 12.03.2013

Viktor Orban und seine rechtspopulistische Fidesz-Regierung haben jetzt festgelegt, was für den Ungarn eine “richtige” Familie zu sein hat: Ein heterosexuelles verheiratetes Paar mit Kindern -nur dieses wird künftig den Schutz des Staates erhalten. Rechtspopulismus leidet unter Homophobie -wäre es nicht schwulenfeindlich, müsste man jetzt Witze über die abgeleugnete Homosexualität von männerbündelnden Fidesz-Rabauken machen. Die EU tut pikiert, arrangiert sich aber insgeheim gern mit Orban.

Bekennender Homosexueller:
Außenminister Westerwelle

Viktor Orban und seine rechtspopulistische Fidesz-Regierung machten nach ihrem Erdrutsch-Wahlsieg 2010 hierzulande zunächst durch ihre rigide Beschränkung der Medienfreiheit von sich reden. Nun hat Orban festgelegt, was für den Fidesz-Ungarn eine „richtige“ Familie zu sein hat: Ein heterosexuelles verheiratetes Paar mit Kindern -nur dieses wird künftig den Schutz des Staates erhalten. Rechtspopulismus leidet unter Homophobie… wird unser Außenminister Westerwelle jetzt einmal hart gegen sexistische Diskriminierung durchgreifen? Aber Rechtspopulismus leidet nicht nur unter Homophobie, er hat auch was gegen andere Religionen, Obdachlose, Studenten…

Viktor Orban mag keine Homosexualität

So sieht die Gesellschaft aus, die sich ein Rechtspopulist erträumt: Religionsfreiheit? Welche Religionsgemeinschaft eine Kirche ist, ist ab jetzt eine politische Entscheidung und zwar die der Regierung. Bildungsfreiheit? Studenten, die ein staatliches Stipendium erhalten, müssen nach ihrem Abschluss mehrere Jahre in Ungarn bleiben -oder rückwirkende Studiengebühren zahlen. Freiheit der Bewegung? Der Staat darf Obdachlose oder Menschen, die er dafür hält, künftig verhaften, nur weil sie auf der Straße übernachten. Und das werden bald immer mehr sein, denn die neoliberale Armutswalze, die Bulgarien ins Elend stürzt, rollt auch über Ungarn. Rassistische, ethnische, sexistische Diskriminierungen hetzen die Menschen gegeneinander auf -und verhindern damit eine Solidarisierung gegen die Finanzmafia. Das ist das Rezept des Neoliberalismus: Freiheit für das Geld (und die, die es haben), aber Diktatur für die Menschen.

Orban kämpft gegen Ungarns Verfassung

Damit drückte Orban bereits seine vierte Verfassungsänderung im Parlament durch, spielt den bösen Buben in Europa, der seine Grenzen austesten muss. Begleitet wurde die Verstümmelung der Freiheitsrechte von Protesten der Bevölkerung. Die Richter können nach den Änderungen an der Verfassung künftig nicht mehr inhaltlich prüfen, sondern nur noch verfahrensrechtlich -der ungarische Rechtsstaat wird immer zweifelhafter. Weiter soll das Verfassungsgericht keine Entscheidungen mehr überprüfen dürfen, die schon vor dieser „gesetzlichen“  Selbst-Freisprechung in Kraft war. Eine von der Regierung eingesetzte Koordinationsstelle, das “Justizamt”, das vermutlich mit eigenen Fidesz-Funktionären besetzt wird, soll künftig entscheiden, welches Gericht bestimmte Fälle zu überprüfen hat.

Im letzten Frühjahr klagte die EU-Kommission bereits einmal gegen Ungarns Regierung, denn es gab Bedenken gegen Eingriffe der Fidesz-Rechtspopulisten in den Rechtsstaat (nachdem Ungarns Medien bereits weitgehend auf Orbans Kurs gebracht wurden). EU-Justizkommissarin Reding bemängelte, dass Orban das Renteneintrittsalter für Richter, Staatsanwälte und Notare in Ungarn von 70 auf 62 Jahre abgesenkt hatte -eine schleichende „Säuberung“, die Platz für Orban-Treue bei Juristen schaffen sollte. Es ist die Treue zu einer Demokratur, zu einer Regierung, die sich selbst immer mehr Vollmachten in die Verfassung schreibt.

Ungarn: Von der Vorzeige-Demokratie zur Diktatur

Ungarn nahm als neoliberaler Vorzeige-Staat Osteuropas die heutige Krisen-Technokratie in Griechenland, Italien und Spanien vorweg. Nach deren Versagen kippte Budapest in Rechtspopulismus und Neofaschismus ab: Führerkult, Neorassismus, Medienknebelung. Ist das eine wahrscheinliche oder gar eine strategisch erwünschte Entwicklung für die neuen neoliberalen Krisenprogramme? Ist dies die braune Hardcore-Variante der plutokratischen “Postdemokratie” (Colin Crouch)?

Ist das eine wahrscheinliche oder gar eine strategisch erwünschte Entwicklung für die neuen neoliberalen Krisenprogramme? Aus rechten Ecken der deutschen Medienlandschaft kommen immer wieder gedämpfte Pro-Orban Töne, man traut sich nicht so recht selber „Hurra!“ zu schreien, etwa beim Deutschlandfunk, aber holt gerne moderate Beobachter ans Mikrofon.

Ungarns postkommunistische „Sozialisten“ verkörpern vieles, wofür New Labour letztlich steht: Die hemmungslose Bereicherung einer Machtelite, die Sozialabbau und Lohndumping mit hoher PR-Kompetenz als “Notwendigkeit im scharfen Wind des internationalen Wettbewerbs” verkauft. Der Clou dabei: Weil die verantwortlichen Akteure angeblich Sozialdemokraten oder Sozialisten sind, kann man den Zorn über die Sparprogramme auf den Sozialstaat lenken. Am Ende bleibt der Rückgriff auf überkommenen Nationalismus, Hetze gegen Minderheiten – in Ungarn vor allem die Roma – und der Ruf nach einer starken, wenn nicht autokratischen Führungspersönlichkeit.

Orbans Fidesz-Bewegung schluckte neben den Christdemokraten auch die rechtsextreme MIEP, die Orbans erste Regierung schon 1998-2002 im Parlament toleriert hatte. Rechtsextremer Ableger des Fidesz ist die 2004 von Studenten gegründete Jobbik-Bewegung, die sich auch aus der MIEP speiste. Nach den Budapester Unruhen 2006 gründete Jobbik 2007 die militante „Ungarische Garde“, die 2009 verboten wurde. Jobbik-Chef Vona legte trotz Verbots (auch gerade des Tragens der schwarzen Uniform) am 14.5.2010 seinen Eid vor dem Parlament in der Uniformweste der Ungarischen Garde ab –die der Tracht der Pfeilkreuzler-Faschisten des mit Hitler verbündeten Horthy-Regimes nachempfunden ist. In dieser schwarzen Uniform marschierten die Neofaschisten bis zum Verbot auch durch Roma-Dörfer, um die ins Abseits gedrängte Minderheit zu terrorisieren und in ihrem Elend zu verhöhnen. Orbans neuesten Verfassungsänderungen gießen diese dumpfen Rassismen in Gesetzesform und rechtfertigen unter der Hand Menschenrechtsverletzungen.

Wird die EU strukturell rassistisch?

Indymedia

Die von Finanzkrise und diktatorischen Sparmaßnahmen gebeutelten Ungarn ließen sich gegen die Minderheit aufhetzen und wählten auch aus diesem Grund 2010 überwiegend rechtsextrem und rechtspopulistisch. Die EU tut zwar beleidigt über Missachtungen europäischer Freiheitsrechte, argwöhnt in Wahrheit aber nur, Orban könnte ausländische Kapitalinteressen wirklich hie und da zugunsten der Bevölkerung seines Landes beschneiden.

Ansonsten arrangiert man sich gerne mit dem Rechtpopulismus und Rechtsextremismus aus Budapest -ist Ungarn wirklich rassistischer als die EU-Politik an der Mittelmeer-Außengrenze, die von Frontex & Co. gegen Migranten dichtgemacht wird? Alle deutschen Reaktionäre jaulen bis heute über die „Mauertoten“, die von der sozialistischen DDR am Eisernen Vorhang getötet wurden -ca. 200 Menschen: Soviel lassen Frontex-Schergen an einem Nachmittag im Meer ertrinken.