Wikileaks/Anonymous: Urteil gegen jungen Hacker

Gerd R. Rueger 03.02.2013 Anonymous_Flag.svg

London. Der britische Anonymous-Aktivist Jake Birchall (18) wurde am 01.02.2013 verurteilt, weil er vor zwei Jahren Wikileaks im Rahmen von “ Payback“ zu Hilfe eilte. Unter dem Namen Anonymous verteidigten Hacktivisten Wikileaks gegen die Finanzmafia (Operation Payback).

Damals hatten US-Finanzfirmen auf Drängen der US-Regierung Wikileaks rechtswidrig Konten gesperrt, um die Plattform finanziell zu töten. Die Rechtswidrigkeit wurde später von einem isländischen Gericht bestätigt, leider erst in einem Fall und nach langwieriger Verhandlung. Die britische Justiz war keine große Hilfe für Assange gegen den illegalen Boykott-Terror der Finanzfirmen. Wohl aber für die Finanzfirmen gegen Anonymous, wobei die Frage nach der Verhältnismäßigkeit den Richtern ihrer Majestät der Königin von England wohl nicht in den Sinn kam. Ist eine nicht erreichbare Website wirklich schlimmer als das kriminelle Zurückhalten von Geld, für das die Finanzfirmen treuhänderisch verantwortlich waren? Die Finanzfirmen waren in ihrer Existenz nicht bedroht, Wikileaks schon.

Der Hacktivist Jake Birchall wurde jetzt  im Namen der Königin wegen seiner Beteiligung an DDoS-Angriffen und Defacements gegen PayPal und andere Internet-Dienstleister verurteilt. Anders als seine Mittäter entging Birchall einer Haftstrafe, wegen Strafunmündigkeit und vom Gutachter festgestellter psychosozialer Probleme (mutmaßliches Asperger-Syndrom).

Der britische Anonymous-Aktivist Jake Birchall ist im Web als „Fennic“ bekannt. Er wurde für Aktivitäten zwischen dem 01.08.2010 und dem 22.01.2011 verurteilt. Jake war also zum Tatzeitpunkt erst zarte 16 Jahre alt. Von einem Londoner Gericht wurde er nun zum Besuch eines 18-monatigen Jugend-Rehabilitations-Projekts und zu 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit verknackt.

Richter Peter Testar erklärte, angesichts von Birchalls Taten hätte er eigentlich eine „substanzielle“ Haftstrafe für angemessener erachtet, sei aber gezwungen Milde walten zu lassen. Neben der Jugendlichkeit von Jake habe er psychologische Gutachten berücksichtigen müssen, in denen der Hacker als sozial „zutiefst isoliert“ beschrieben wurde (Asperger-Symptom?).

Jake habe aber bei den Aktionen von Anonymous eine wichtige Aufgabe erfüllt, erklärte Richter Testar: „Er spielte in diesen Dingen eine prominente und wichtige Rolle und ich denke, er muss lernen, morgens aufzustehen und unbezahlte Arbeit zu leisten,“ berichtet gulli.com. Der ehrenwerte Richter wusste wohl nicht, dass bei Anonymous grundsätzlich nur freiwillig unbezahlte Arbeit geleistet wird, oft auch früh morgens -wenn auch nicht unbedingt früh morgens aufgestanden wird.

Jake Birchall begann nach eigenen Angaben schon im Alter von acht Jahren das Internet zu nutzen, aha ein echter Hacker! Er sei also höchst erfahren im Umgang mit Computern und spielte eine einflussreiche Rolle in der Gruppe „AnonOps“, der von Anonymous verwendeten Infrastruktur zu verdanken sei. Jake beschrieb sich selbst in Befragungen als „Netzwerk-Administrator“, nahm aber nach Einschätzung der Justizbehörden auch selbst an DDoS-Angriffen teil.

paybackZu Details des psychologischen Gutachtens durfte sich Richter Testar nicht weiter auslassen. Er sagte lediglich, dass Kriterien für „bestimmte Krankheiten“ erfüllt seien,  etwa sei ein „merklicher Mangel an nonverbalen Fähigkeiten“ festgestellt worden. Sag doch gleich Asperger, oder? Bedenke: Dies ist eine anerkannte psychische Behinderung und kein Grund sich zu schämen (und wenn man es vortäuschen kann, eine tolle Sache, um das Strafmaß zu mildern). Nieder mit der Diskriminierung von Aspergern und anderen psychisch beeinträchtigten Menschen! Der berühmte Anti-Psychiater Thomas S. Szasz hielt sogenannte Geisteskrankheiten für Erfindungen der Psychiater, um unangepassten Menschen ein Stigma anzuhängen und sie zu entrechten. Wenn hier ein Stigma (Hacker) mit einem anderen (Asperger) etwas in den justiziellen Folgen entschärft werden konnte, ist dies vielleicht nicht so übel…

Assange-Asyl: Ecuador-Eintrag manipuliert bei Wikipedia?

Bolivar, Jan.2013ecuador-flag-svg1

Assange im Asyl Ecuadors: Wenn man da weiter recherchiert kommen interessante Dinge heraus -unser Bild von Correas Ecuador ist recht verzerrt, auch und GERADE BEI WIKIPEDIA! Das ist schlimm, denn für viele Netizens beginnt und endet dort ihr Wissen über die Welt.

Da wird verschwiegen, wie die Linksregierung von Ecuador wirklich in den letzten Jahren vorging, wie die USA und der IWF sie unter Druck setzten und wie die Solidarität der Staaten Südamerikas Ecuador gegen die Angriffe schützte.
Man vergleiche Wikipedia zu Ecuador mit der italienischen Quelle Politea.org:
Zitat (Auszug)

>>…Am 3. August in New York wurde Ecuador zum ersten Land in den Amerikas und dem einzigen Land in der Westlichen Welt seit 1948, das das Konzept der „immoralischen Schuld“oder die politische und technische Weigerung, eine ausländische Schuld zurückzuzahlen, anwandte, da diese Schulden durch frühere Regierungen durch Korruption, Verletzung von Verfassungsrechten und –vorgaben gemacht wurden.
Am 12. Dezember 2008 verkündete Rafael Correa, der neue Präsident Ecuadors (dessen BIP etwa 50 Milliarden Euros, oder 30 Mal weniger als jenes Italiens beträgt), im Fernsehen, dass er sich entschlossen hat, die nationale Schuld zu streichen, da er sie als illegal betrachtet, denn sie verletze die Verfassung, um so das Volk zu unterdrücken. Heute gilt in Ecuador das neue verfassungsmäßige Prinzip, dass rechtlich ist, was richtig ist für die Gemeinschaft.
Betrag der Schuld: 11 Milliarden Euros. Der IWF löschte Ecuador buchstäblich von der Liste der zivilisierten Länder. „Das Land ist isoliert“, erklärte Dominique Strauß-Kahn, der damalige IWF-Generaldirektor.
Ecuador_relief_location_mapGenau am nächsten Tag kündete Hugo Chavez an, dass Venezuela während zehn Jahren gratis Öl und Gas an Ecuador liefern werde. Vier Stunden später kündete Präsident Lula an, dass Brasilien 100 Tonnen/Tag an Korn, Reis, Soja und Früchten gratis geben werde, um die Bevölkerung zu ernähren, so lange das Land brauche, um sich zu erholen. Am Abend kündete Argentinien an, es werde 3% seiner Rindfleischproduktion gratis an Ecuador abgeben, um eine angemessene Proteinversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Am nächsten Morgen kündete Evo Morales von Bolivien die Legalisierung von Kokain für das einheimische Produzieren und Einsammeln an, dazu Gratislieferung von Cocablättern an Ecuador, zusammen mit einem zinsfreien Kredit von 5 Milliarden, rückzahlbar innert zehn Jahren in 120 Raten.
Zwei Tage später klagte Ecuador die United Fruit Company und Delmonte & Associates der „Sklaverei und Verbrechen gegen die Menschheit“ an, nationalisierte die landwirtschaftliche Bananenindustrie (Ecuador ist der Welt größter Bananenexporteur) und führte eine nationale Biomarke ein. Zehn Tage später waren Bavarian Green von Schleswig-Holstein, Conad in Italien und Dänemark und Hägen Dasz bereit, auf der Basis von „fairem Handel“ mit der neuen Gesellschaft Verträge abzuschließen. Da er die Proteste der United Fruit Company zur Kenntnis nahm, verurteilte Präsident George Bush (noch im Amt bis zum 17. Januar 2009) am 20. Dezember 2008 die „verbrecherische Entscheidung“ Ecuadors und rief dazu auf, es aus der UNO auszuschließen.
Bush sagte, dass die USA sogar bereit wären für eine „militärische Option, um US-Interessen zu schützen“. Am nächsten Morgen brachte die einflussreiche New Yorker Anwaltsfirma Goldberg & Goldberg vor, dass es für Ecuadors Vorgehen einen legalen Präzedenzfall gäbe. Sechs Stunden später gaben die USA auf und riefen die internationale Gemeinschaft dazu auf, die Legitimität des Konzepts der „immoralischen Schuld“ in Frage zu stellen.
Die United Fruit Company hat einen Rekord in systematischer politischer Korruption; sie wurde zur Zahlung von 6 Milliarden USD verurteilt.
Interessanterweise war der Präzedenzfall mit dem 4. Januar 2003 datiert und von George Bush unterschrieben. Autsch! Dies geschah im Irak, der damals „technisch“ gesehen in amerikanischem Besitz war, da er durch die US-Truppen besetzt und die Übergangsregierung von der UNO noch nicht anerkannt war. Saddam Hussein hinterließ Schulden von 250 Milliarden Euros (40 Milliarden bei Italien, dank der von Tarek Aziz, Vize von Hussein und einem Verbündeten des vatikanischen Opus Dei abgeschlossenen Transaktionen), welche die USA unter Anwendung des Konzepts der „immoralischen Schuld“ löschten und dadurch den kürzlichen historischen Präzedenzfall schufen.
Die New Yorker Anwälte der Regierung von Ecuador boten Washington folgende Wahl: Entweder akzeptieren und schweigen, oder wenn Sie die Entscheidung Ecuadors anfechten, dann müssen Sie auch die Ihre für den Irak auflösen und das US-Schatzamt anweisen, unverzüglich die 250 Milliarden Euros auszuzahlen, einschließlich der Zinsen für vier Jahre. Obama, zwar noch nicht im Amt, aber bereits gewählt, bat Bush, das Handtuch zu werfen. Die New Yorker Anwälte wurden von der brasilianischen Regierung bezahlt.
Rafael Correa, Ecuadors gewählter Präsident, ist kein Bauer wie Morales oder ein Gewerkschafter wie Lula oder ein Armeeoffizier wie Chavez. Er stammt aus einer Oberklassefamilie und ist ein Intellektueller. Er ist Absolvent von Harvard und hat Wirtschaft und Wirtschaftsplanung studiert. Er bezeichnet sich selbst als ein „christlicher Sozialist“. Seine erste Amtshandlung war es gewesen, alle Bankkonten der Vatikanbank (IOR = Istituto per le Opere di Religione) in den Banken von Quito einzufrieren und das Geld in ein Wohlfahrtsprogramm für die wirtschaftlich Benachteiligten zu überweisen. Er stellte die gesamte politische Klasse der vorherigen Regierung vor Gericht, von denen die meisten mit durchschnittlichen Strafen von zehn Jahren ins Gefängnis geschickt wurden, konfiszierte ihren Besitz, nationalisierte ihn und verteilte ihn weite r in ökologische landwirtschaftliche Kooperativen… <<

(Zitatende)
Von all dem findet sich nichts bei Wikipedia, nicht mal die United Fruit Company, nicht mal Correas Verstaatlichungsaktionen… seltsam, oder?
Wie korrupt sind die sog. >Wikipedianer< eigentlich?  Bolivar

Anm.d.Red. Der alte Konflikt WikiLeaks versus Wikipedia geht schon auf die Namensfindung von WikiLeaks zurück, bei der sich Wikipedia kopiert fühlte. Gerade die deutsche Wikipedia steht mit Assange-feindlicher und WikiLeaks nicht allzu wohlgesonnener Haltung recht übel da. Die dt. Wikipedianer gelten international sowieso als notorische Löschtrolle, beim Thema WikiLeaks verstärkt sich das. So wurde im dt. Wikipedia-Eintrag zu Wikileaks verbissen das laut Wikileaks-Twitter einzige gute Buch zu Wikileaks immer wieder gelöscht (Assange -Die Zerstörung von Wikileaks? von Gerd R. Rueger) -und nur die Bücher großer Verlage (Bertelsmann) dem Publikum präsentiert: Spiegel-Buch, Domscheit-Berg usw. Bertelsmann kooperiert inzwischen mit dem dt. Wikipedia -keine große Überraschung.

Jasminrevolution? „A Tunisian Girl“ in Hamburg

Foto: Gerd R. Rueger cc-by-3.0

Blogger und Netzaktivisten gelten als Vorreiter des Arabischen Frühlings

Gerd R. Rueger 30.09.2012

Tunsesiens „mutigste Bloggerin“, die Linguistik-Dozentin und Übersetzerin Lina Ben Mhenni, stellte sich auf der „#vernetzt“ in Hamburg am 29.September den Fragen der taz-Journalistin Doris Akrap und eines wohlmeinenden Publikums. Die junge Frau reist seit der erfolgreichen Revolution gegen den Diktator Ben Ali durch Tunesien und berichtet auf ihrem Videoblog A Tunisian Girl von Krisen, Protesten und Polizeigewalt –deren Opfer auch sie selbst schon mehrfach wurde.

Neben dem Bändchen „Empört Euch!“ des Franzosen Stephane Hessel (der vier Stunden zuvor auf der Tagung sprach), stammt das Buch „Vernetzt euch!“ von Lina Ben Mhenni, die für eine neue Demokratie auf Basis der Netz-, Bild- und Telemedien eintritt: In ihrer Streitschrift fordert Lina Ben Mhenni die Leser auf, sich politisch zu engagieren und zu vernetzen. Die Veranstaltung ist angekündigt als „Arabischer Herbst –kann das Netz den Frühling retten?“ Es drohe nicht nur in Ägypten ein „Arabischer Herbst“, die Frage sei: „Was denkt die junge Generation der Blogger und Aktivisten, die für Freiheit und Demokratisierung gekämpft haben (und weiter kämpfen) heute?“ Den Beitrag von Wikileaks zur tunesischen Revolution erwähnte man ebenso wenig wie jenen von Anonymous, obwohl A Tunisian Girl ihn schon zu würdigen wusste.

Foto: Gerd R. Rueger cc-by-3.0

Der Terminus „Jasminrevolution“, so stellt Nina Ben Mhenni nach den ersten Fragen klar, wird so in Tunesien nicht gebraucht, ist eine Erfindung ausländischer Medien. „Jasmin“, das klinge ihr zu blumig, zu sanft, die Revolution in Tunesien sei eine gewalttätige Sache gewesen, es habe viele Tote gegeben, die blutige Unterdrückung der Bevölkerung durch Ben Ali setze sich heute unter dem islamistischen Ennada-Regime fort. Sie erinnerte auch an die Selbstverbrennung des 26-jährigen Gemüsehändlers und posthumen Sacharow-Preisträgers Mohamed Bouazizi vor einem öffentlichen Gebäude in Sidi Bouzid, 250 Kilometer südlich von Tunis am 17. Dezember 2010, die als Auslöser der Proteste gilt.

Die Ablehnung des Wortes „Jasminrevolution“ ist verständlich, stammt der Begriff doch vom gerade gestürzten Diktator. Nach der Absetzung des vorherigen Diktors Bourguibas übernahm Ben Ali am 7. November 1987 das Amt des Staatspräsidenten und bezeichnete seinen unblutigen Putsch als Jasminrevolution. In den ersten Jahren seiner Amtszeit trieb Ben Ali tatsächlich die Modernisierung Tunesiens voran: Sozialsystem, Frauenrechte, Bildungswesen machten Fortschritte. Doch ohne demokratische Kontrolle durch Medien und Bevölkerung versank das Regime immer tiefer in Korruption, Nepotismus und Unterdrückung der Menschenrechte, bis zur zweiten Jasminrevolution. Nach den Wahlen, die von der islamistischen Ennada gewonnen wurden, geraten die Bürgerrechte erneut in Gefahr -zumal Fortschritte bei Polizei und Justiz nicht zu verzeichnen sind.

Genau wie unter Ben Ali  schickt die Regierung heute, so Lina Ben Mhenni, wenn die Menschen gegen Wassermangel protestieren, kein Wasser, sondern Polizei. Sie selbst sei wiederholt beim Filmen geschlagen worden, man habe sie inhaftiert und ihre Kamera konfisziert. So gehe es vielen Tunesiern und Tunesierinnen heute, die öffentlich für ihre Rechte demonstrieren wollten.

Besonders drastisch sei der Fall einer in Haft auf einer Polizeistation von den Ordnungskräften vergewaltigten Aktivistin gewesen, der in den Medien hohe Wellen bis nach Deutschland schlug. Das Opfer bekam statt Gerechtigkeit eine Anklage an den Hals. Überhaupt kenne sie niemanden, der bei Beschwerden oder Strafanzeigen gegen gewalttätige Polizeikräfte in Tunesien je Erfolg bei der Justiz gehabt hätte. Doris Akrap forderte Lina Ben Mhenni auf, ihr Sweatshirt vorzuzeigen, auf dem in großen Lettern stand „Rape is legal in Tunesia“.

Viele Zuschauer hatten bei ihren Fragen zunächst das Bedürfnis, der Bloggerin ihre Hochachtung und ihren Respekt für ihr mutiges Eintreten für Demokratie und Menschenrechte gegenüber einer islamistischen Regierung auszusprechen. Aber es gebe wohl eine demokratisch gewählte Mehrheit für islamistische Politiker in Tunesien, da müsse der Protest erst einmal Bildungsarbeit bei den Bauern in der Provinz leisten.

Nina Ben Mhenni hatte demgegenüber das Bedürfnis, darauf hinzuweisen, dass Islamisten und Ennada-Partei massive Unterstützung aus dem Ausland erhalten würden. Die USA, namentlich Obamas Außenministerin Hilary Clinton, und Qatar hätten Geld und Propaganda-Material nach Tunis geschickt, um die Wahl zu beeinflussen. Auch Saudi Arabien wäre darin verwickelt, vor allem aber Qatar sei wie ein Krebsgeschwür in der arabischen Welt, dass die Demokratie krank mache.

Sie selbst könne eine noch so demokratisch gewählte Regierung nicht anerkennen, die zuließe, dass Polizisten ungestraft Frauen und auch Männer vergewaltigen dürfen. Der Westen dürfe nicht die heutige Regierung in ihren Menschenrechtsverletzungen ebenso tolerieren oder sogar unterstützen, wie man es jahrzehntelang mit der Diktatur Ben Alis getan habe. Sie bekam zum Abschluss großen Applaus.

Anzumerken wäre noch, dass Saudi Arabien die Demokratiebewegung in der Nachbardiktatur Qatar mit deutschen Waffen nieder gewalzt hatte. Deutsche Journalisten haben sich angewöhnt im Fall solcher westorientierten Gewaltregime immer wieder stumpfsinnig zu wiederholen, aber sie seien doch „Anker der Stabilität in einer unruhigen Region“. Äußerst merkwürdig, dass keinem dieser Freunde und Freundinnen der Stabilität dabei je aufgefallen ist, dass dies seit vielen Jahrzehnten wohl eher für Kuba in der „unruhigen Region“ Lateinamerika gilt.

Bericht von #vernetzt – Zukunftscamp 2012, Kampnagelfabrik, 26.-30.09.2012 in Hamburg.

Biographie: Lina Ben Mhenni ist Dozentin für Linguistik und Übersetzerin an der Universität Tunis. Sie ist eine politische Bloggerin und Internetaktivistin, die sich für Menschenrechte und gegen Zensur einsetzt. Lina Ben Mhenni stammt aus einer für tunesische Verhältnisse wohlhabenden Familie. Ihr Vater, Sadok Ben Mhenni, arbeitet in der Verwaltung des Transportministeriums. Er verbrachte ab 1974 als Mitglied der politischen Linken sechs Jahre in tunesischen Gefängnissen und wurde gefoltert. Nach ihrem Abitur studierte Lina Ben Mhenni im Rahmen des Fulbright-Programms 2008/2009 auch in den Vereinigten Staaten und unterrichtete Arabisch an der Tufts University bei Boston. Lina Ben Mhenni, deren Blog während der Revolution in Tunesien 2010/2011 weltweite Bekanntheit erreichte und die, wenn sie auch betont, nur für sich selbst zu sprechen, als „Stimme des tunesischen Aufstands“ bezeichnet wurde, gehörte im Mai 2011 zu den Teilnehmern des Oslo Freedom Forum. In ihrem Buch Vernetzt Euch! hatte sie angekündigt, im Komitee zur Reform der tunesischen Medien mitzuarbeiten, stellte dort ihre Mitarbeit im Juni 2011 jedoch aus Enttäuschung über mangelnde Veränderung bei den Strukturen der Medien wieder ein. Im September 2011 war sie Teilnehmerin eines Symposions über die gesellschaftliche Rolle sozialer Netzwerke auf der Linzer Ars Electronica. Wikipedia über Lina Ben Mhenni

Zum Kulturzentrum Kampnagel -es wolle sich „neu erfinden“ berichtete die konservative WELT im Vorfeld der „#vernetzt 2012“ entsetzt:

>“Vernetzt – Das Zukunftscamp – So wollen wir leben!“. „Ein Festival der Ideen, das alle Hamburger kostenfrei einlädt, mit Experten und Künstlern zu diskutieren“, beschreibt es Daniel Opper von der „Zeit“-Stiftung, die in Kooperation mit Kampnagel namhafte Gesprächspartner wie Stéphane Hessel oder den griechischen Oppositionsführer Alexis Tsipras zu Gast hat. ..  Uraufführung „Assassinate Assange“ der Berliner Regisseurin Angela Richter. Sie hat den Wikileaks-Gründer Julian Assange mit Filmteam in der ecuadorianischen Botschaft besucht.<

Uraufführung „Assassinate Assange“ -Jasminrevolution wird berichten!

FoWL -Friends of WikiLeaks

Netzaktivismus: WikiLeaks, Hacktivisten und Anonymous

Gerd R. Rueger 24.12.2011

Die Freunde von WikiLeaks wollen den Mainstream-Web2.0- „Sozialen“ Netzwerken eine Alternative entgegen setzen und  ein großes globales Netzwerk aufbauen. Im Gegensatz zum traditionellen Web2.0 soll das FoWL-Netz gegen Überwachung und Attacken gestärkt werden und warnt vor privaten und staatlichen Geheimdiensten, die FaceBoob&Co.  überwachen.  Informationen sollen dort verschlüsselt zirkulieren und nicht einmal FoWL-Macher können auf sie zugreifen. Die Freunde von WikiLeaks können so (relativ) sicher kommunizieren, undurchsichtig für Beobachter -so das Ziel. Auf jeden Fall kann sich hier eine neue Plattform für Netzaktivismus und RL-Aktionen entwickeln, die für Solidaritätsbekundungen, Demonstrationen usw. nutzbar wird. Wikileaks und Julian Assange werden sie gut gebrauchen können.

Leider werden Geschäftspartner gerade im harten Mediengewerbe manchmal zu Feinden, etwa der „Guardian“… WikiLeaks braucht daher sehr viele Freunde, um gegen einige sehr mächtige Feinde bestehen zu können.

Das FoWL-Manifest

FoWL-Manifest

Wir, Freunde von WikiLeaks, unterstützen WikiLeaks, seine Mitarbeiter, Prinzipien und seine Ziele.

Wir haben uns diesen Idealen verschrieben:

  1. Das Recht zu kommunizieren, eingeschlossen darin das Recht zu sprechen, und das Recht zuzuhören, die Freiheit der Gedanken, das Recht, privat zu kommunizieren, und das Recht, anonym zu kommunizieren.
  2. Die Unantastbarkeit von Geschichte.
  3. Datenschutz für die Schwachen.
  4. Transparenz der Mächtigen.
  5. Das Streben nach Wahrheit, als wichtigste Vorraussetzung für eine gerechtere Zivilisation.

Die Freunde von WikiLeaks wollen folgendes tun:

  1. WikiLeaks verteidigen durch
    • informiert sein und einander informieren,
    • ein öffentliches Bewusstsein in der weiteren Bevölkerung fördern,
    • gegen Falschinformation vorgehen, online und offline,
    • dabei helfen, finanzielle Unterstützung zu organisieren,
    • neue und unvorhersehbare Bedrohungen gegen die weitere Funktionsfähigkeit von WikiLeaks bekanntmachen.
  2. Die Quellen von WikiLeaks, wer immer sie sind, zu verteidigen durch:
    • die Verteidigung des guten Namens eines jeden, der womöglich sein Leben und seine Sicherheit durch das Informieren der Öffentlichkeit riskiert, mittels Sprache,
    • Stärkung von WikiLeaks, damit WikiLeaks seine Quellen verteidigen kann,
    • Sicherstellen mittels Fürsprache, dass die Informationen, die diese der Welt zugänglich machen wollen, nicht auf taube Ohren treffen.
  3. Die mutmaßlichen Quellen von WikiLeaks zu verteidigen,
    • indem Geldmittel für juristische Betreuung sowie Unterstützergruppen organisiert werden,
    • indem die Gründe der Whistleblower verteidigt werden,
    • indem darauf geachtet wird, dass keine Beeinträchtigungen ihrer Rechte durch die Annahme rechtlicher Strafbarkeit der Taten, derer sie bezichtigt werden, entstehen.
  4. Organisationen und Individuen zu helfen, die die Prinzipien und Ziele von WikiLeaks teilen.

Warum ist FoWL anders?

FoWL stellt Dir neue Freunde vor, um ein großes globales Netzwerk aufzubauen. Im Gegensatz zu traditionellen sozialen Netzwerken ist FoWL gegen Überwachung und Attacken gestärkt. Die wichtigsten Orte für Onlineaktivismus werden von privaten und staatlichen Geheimdiensten überwacht. FoWL wurde gebaut, um diesen entgegenzutreten.

Von Anfang an sind Deine Informationen verschlüsselt und vor jedem außer Deiner direkten Kontakte versteckt. Nicht einmal wir können auf sie zugreifen.

Verbunden durch FoWL werden die Freunde von WikiLeaks so kommunizieren, wie sie es wollen, unter Einbeziehung von sicheren Person-zu-Person Methoden. Wenn das Netzwerk über die Infrastruktur der Seite hinauswächst, dann wird es autonom und dezentralisiert, undurchsichtig für Beobachter und unmöglich zu kompromitieren.

FoWL

Unsere Angreifer sind reiche und mächtige Organisationen und Regierungen. Ihre Attacken – juristisch, finanziell und durch üble Nachrede – sind raffiniert und gut ausgestattet. Zum Beispiel:

  • Ende 2010 hat ein informelles Konsortium von Bankinggesellschaften, unter anderem VISA, Mastercard, Bank of America, Paypal und Western Union, illegal Spenden, die WikiLeaks von seinen Unterstützern bekam, blockiert. Diese Blockade hält an.  Mehr…
  • 2011 hat eine private Sicherheitsfirma, HBGary Federal, einen Vertrag mit US Regierungsbehörden abgeschlossen, um WikiLeaks zu Fall zu bringen, indem sie Unterstützer ausspioniert und den Ruf von unterstützenden Journalisten, wie zum Beispiel Glenn Greenwald, angegriffen haben. Mehr… 

Die Jasmin-Revolution im Web2.0

Die Jasmin-Revolution im Web2.0:

Wikileaks und Al Jazeera oder Twitter und Facebook?

Gerd R. Rueger 28.April 2011

Nach dem Sturz des tunesischen Diktators, Zine El Abidine Ben Ali, scheint sich heute die islamischen Partei ‘Ennahda’ unter Führung der des langjährigen Oppositionsführers Rashid Ghannoushi in Tunis durchzusetzen.  Der Westen unter Führung der USA hatte den Diktator bis zuletzt gestützt, will aber nun durch das Web2.0 die Jasminrevolution erst möglich gemacht haben. Doch welche Medien waren es wirklich, die in Tunis den Ausschlag gaben?

Die großen Erfolge von Wikileaks bei der Aufdeckung von kriminellen Machenschaften der Herrschaftseliten auf aller Welt stehen der gigantischen Verbreitung und finanziellen Macht der US-Firma Facebook gegenüber mit Twitter als kleinem schnelleren Anhängsel. Julian Assange selbst äußerte sich im März 2011 vor einer Studentenvereinigung in Cambridge über die Revolutionen in Nordafrika so: Nicht primär Facebook und Twitter hätten die Jasmin-Revolution möglich gemacht, sondern eher Wikileaks und Al Jazeera. Damit  reagierte Assange auf Behauptungen von Barak Obama und seiner Außenministerin Hilary Clinton, die beide die Rolle der US-Dienste von Facebook und Twitter für den „arabischen Frühling“  im Nahen Osten hervorgehoben hatten. Assange bemerkte, die beiden Firmen hätten zwar eine gewisse Rolle gespielt, aber der Fernsehsender Al Jazeera sei mit seiner Live-Berichterstattung entscheidend gewesen. Auch Wikileaks hätte eine wichtige Rolle gespielt, weil dort aufgezeigt werden konnte, wie westliche Regierungen mit arabischen Staaten bzw. deren korrupten Führern kungelten. Warnend  merkte Assange zur allgemeinen Rolle des Internets an: „Es ist keine Technologie, die die Freiheit der Rede befördert, sondern die größte Spionage-Maschine, die jemals gebaut wurde.“

Auch einige US-Beobachter sind nicht von der Dominanz von Facebook im arabischen Frühling überzeugt. Im Interview mit Amy Goodman, Moderatorin von ‘Democracy Now!‘, sagte z.B. Juan Cole, Professor für Geschichte der Universität Michigan: “Dies ist die erste Revolution des Volkes seit 1979 (in Tunesien). Bislang stehen die Gewerkschaften, Landarbeiter und Internet-Aktivisten an der Spitze der Revolution. (…) Al Dschasierahs Berichterstattung über das Thema (Tunesien) war einfach großartig. Allerdings ist anzumerken, dass viele Tunesier sauer auf Al Dschasierah sind, weil Al Dschasierah den muslimischen Aktivisten angeblich zuviel Sendezeit eingeräumt habe. Schließlich verträten diese nicht die Bewegung, heißt es. Al Dschasierah sei ein wenig voreingenommen, zugunsten islamischer Bewegungen.“ So informiert uns  ‘Democracy Now!‘,  ein TV- und Radioprogramm, das aus rund 500 Stationen in Nordamerika stündlich internationale Nachrichten sendet.

Ein anonymer YoussefG meinte dagegen in seinem  Beitrag “Tweeting your revolution” auf     “tomboktoo  تومبكتو  –  deviant african soul” am 15.01.2011, Wikileaks hätte den Ärger der Demonstranten befeuert (“wikileaks played a major role in fueling the anger… of Tunisians”), aber hätte nichts wirklich Neues aufgedeckt. Twitter und Facebook  wären dagegen wichtige Werkzeuge des Widerstands gewesen:

“However, the wikileaks reports only put further light on what we already knew. They confirmed our doubts and detailed the different events. Twitter and Facebook played a very important role in our revolution, and I am confident that if we were not using social media we wouldn’t have accomplished our goals. Social media empowered our communication infrastructure. It countered the traditional media, the propaganda machine of our government.”

http://tomboktoo.wordpress.com/tag/jasmin-revolution/

Fest halten lässt sich wohl, dass im Web2.0 ein neues und von den dortigen Machthabern unkontrolliertes Medium zur Verfügung stand, was die Jasminrevolution mit ermöglicht haben dürfte. Doch auch Wikileaks und Al Dschasierah haben ihren Beitrag geleistet und nicht zuletzt gilt es, auf die Warnungen von Julian Assange hinzuweisen: Facebook und Twitter dürften, wenn sie den Machthabern dienlich sind, zum Spionagenetzwerk werden.

In Tunesien war das nicht der Fall. Warum? Vielleicht wollte man in den USA ein paar lästig oder zu teuer gewordene „alte Freunde“ loswerden? Aber vor allem das Erdöl Libyens lockte vermutlich, drohte in „falsche“ Richtungen zu fließen, womöglich nach China.

Es wäre leichtfertig, wollte man auf Basis dieser Erfahrung Facebook und Twitter generell zu revolutionären Medien stilisieren. Eine vorsichtige Nutzung ist jedoch kaum abzulehnen, auch wenn die Arroganz der US-Eliten sich damit bestätigt sehen mag und etwaige Erfolge einer Gefahr der Vereinnahmung ausgesetzt sind. Die schlaue Maus entkommt mit dem Käse des Web2.0 -wenigstens manchmal.

Die subjektlose Weltgesellschaft der Technokraten

Parsons

Gerd R. Rueger, 23.Januar 2009

Technokratische Systementwerfer wie Talcott Parsons und Niklas Luhmann haben in den Sozialwissenschaften einen Begriff von Weltgesellschaft vorbereitet, wie er subjektloser und indifferenter nicht sein könnte. Dieser Begriff erlaubt Handlungsorientierungen allenfalls noch denjenigen, die das System praktisch beherrschen –Technokraten, CEOs und Experten.

Reaktionäre Systemtheorie

N.Luhmann

Diese reaktionäre Systemtheorie wird von all jenen begierig aufgegriffen, die sich den Machteliten als ‚Experten‘ andienen wollen, um am Reichtum bzw. seiner immer ungerechteren Verteilung zu partizipieren. Wobei gelegentlich mit der einen oder anderen Rechtfertigung moralischer Art kokettiert wird, zunehmend aber ohne eine solche, was sich als Ehrlichkeit glorifizierend von der, soweit keine Heuchelei zu Unrecht, gescholtenen ‚political correctness‘ abgrenzt.

Die Widersprüche sind enorm, unsere Internet- und Medien-dominierte Realität spiegelt sie und multipliziert sie noch. Viel soziologische Imagination (Mills 1959) ist nötig, die ‚Realitätsbrüche‘, die uns täglich umgeben –und die den lebensweltlichen Alltagsperspektiven eine disziplinierte und normierte Mainstream-Mediensicht geradezu aufnötigen– zu überbrücken und ‚den Daten Sinn abzuringen‘. Cholera und Kommunikation –haben sie wirklich nichts miteinander zu tun? ‚Virales Marketing‘ setzt heute auf die der Selbstunterwerfung vorangehende Selbstmanipulation der Massen, deren medial geförderter Hedonismus sie sich gegenseitig mit Botschaften der Mächtigen berieseln lässt: Power Structure als Pandemie, die etwa über vermeintlich sensationelle oder auch nur lustige Videoclips ihre virale Ausbreitung den Medienkonsumenten und deren via Tk-Infrastruktur enorm gesteigerten Kommunikativität überlässt. Luhmann sah die sozialen Systeme als Karteikästen der Mächtigen, die er als schlauer Technokrat für sie systematisieren wollte. Heute systematisieren sich die Netzuser selbst, stürzen sich scheinbar freiwillig in ihre Karteischuber -aber sie gewinnen auch an Aktionsradius: Eine Schwachstelle der Netz-Technokratie?

Digitale Netz-Seuchen

Die Technologie schafft neue informationale Seuchen, wird selbst zur Seuche, die den Menschen befällt –freilich nicht ohne ihm Genuss zu verschaffen. Das Biopolitische, vom Standpunkt des Begehrens aus betrachtet, ist nichts anderes als konkrete Produktion, ist menschliche Kollektivität in Aktion in konkreten Politikfeldern. Begehren, auch etwa das Begehren nach Gesundheit im Angesicht einer schrecklichen Seuche, erscheint hier als produktiver Raum, als die Aktualisierung menschlicher Kooperation bei der Gestaltung der Geschichte. Bezeichnend ist, dass die Macht der Erzeugung und des Begehrens (Foucault) unter dem Regime der privaten Enteignung eine Beute der systemischen Korruption wird.

Wo Korruption in der Antike und in der Moderne immer wieder, da moralisch verwerflich, Anlass für Reformen war, kann Korruption heute bei der Transformation von Regierungsformen gar keine Rolle spielen, weil sie selbst ja Substanz und Totalität des Politikfeldes ist. Ablenkung und Angstkulisse schaffen dabei Bedrohungsszenarien, Seuchen sind ebenso willkommen wie Wirtschaftskrisen, die dem Globalisierungsdiskurs wieder durchschlagende Wirkung verleihen sollen. Angst vor Marginalisierung, vor Niederlagen im Standortwettbewerb, tritt neben Angst vor natur- und menschengemachten Katastrophen sowie vor dem Anderen, derzeit vorwiegend den Kopftuch-, Bart- und Turbanträgern.

Web2.0 als Zuckerbrot

Doch zur Peitsche von Terrorkrieg und Überwachung gibt es auch das Zuckerbrot: Geködert wird die Masse mit beschränkter Teilhabe am zumeist nur virtuellen Bereich gesellschaftlichen Reichtums. Angesprochen ist dabei durchaus das einzelne Individuum und seine Neigung, den Angstnachrichten im privaten Eskapismus zu entfliehen –Telekommunikation direkt von den PR- und Kulturpropaganda-Agenturen der Machteliten zum einfachen Untertanen als Form entsubjektivierter Machtausübung. Seit dem 17. Jh. hatten sich neue Formen der Macht auf die Disziplinierung des Körpers gerichtet, um seine Kräfte im Sinne der Produktion und Profitabilität zugleich effektiv zu nutzen und optimal zu kontrollieren (Foucault 1976). Die Reaktion staatlicher Akteure auf Seuchen wie Pest oder Lepra war dabei stets bedeutsam und richtungsweisend. Diese neuen politischen Technologien der Disziplin förderten nicht nur staatliche Institutionen wie das Krankenhaus, die Psychiatrie und das Gefängniswesen, sondern trugen in sich auch das Potential privater, privatisierter Herrschaftstechniken. Die sichtbar gemachte Delinquenz der Unterschichten lenkte nicht nur von den lukrativen, aber unsichtbaren Gesetzwidrigkeiten der Herrschenden ab (Waffenhandel, Prostitution, Drogenhandel usw.); sie ermöglichte auch die ‚Moralisierung des Proletariats‘ (Foucault) und damit private, individuelle Zwangsformen in den Betrieben, in Dienstverhältnissen usw. Auf Seiten der Herrschenden befördert die scheinbare Unsichtbarkeit ihrer Handlungen einerseits zunächst das Entstehen korporativer Akteure, die nur in einem fiktiven, juristischen Sinne ‘Personen’ sind und in Wirklichkeit unpersönliche, z.T. zentral geleitete Organisationen darstellen.

Indem so die Anstrengungen vieler einander fremder Personen ‘gepoolt’ werden, beginnt eine Verschiebung der Rechtschancen zugunsten korporativer Akteure. Die Machtchancen derjenigen, die solche Organisationen leiten, steigt. Auf der anderen Seite wirkt in diesem Korporatismus immer auch das Prinzip der Privatisierung und speist Gegentendenzen der Steigerung subjektiver bzw. personaler Macht und Geldmacht. Dies bleibt allerdings einem kleinen Kreis von Privilegierten vorbehalten. So sind etwa die Reproduktionsbedingungen personal geregelter Sozialsysteme (z.B. Familien und ihr Vermögen) nur im Bereich des Superreichtums gewährleistet. Zudem entstehen, geeicht auf das korporative System, neue Gruppen Herrschaftshandelnder wie power broker, fixer, superlawyer –unabdingbar für die Dynamik von interorganisationellen Beziehungen–, welche ‘anonymer Herrschaft’ ein Gesicht geben (Krysmanski 2004, S.88ff.). Soweit die pessimistische Sichtweise Krysmanskis, bleibt zu hoffen, dass der Kampf auch nicht superreicher Individuen und Familien usw. weiterhin erfolgreich bleibt. Das Web2.0 kann dabei nützlich sein –man darf nur nicht vergessen, dass dort alles direkt unter den wachsamen Augen der Machteliten geschieht. Und vor allem nicht, dass sie dort ihr Potential an Lügen, Intrigen und subtiler Desinformation immer leichter unters Volk bringen können. Dabei dient die Beobachtung der Web2.0-Kommunikation vermutlich in erster Linie einer Feinabstimmung der Propagandakanäle, die den Input liefern: Umso mehr gilt es, die Mainstream-Massenmedien wachsam zu beobachten, denn sie sind immer noch das Haupteinfallstor der Machteliten in die Köpfe der Menschen.

Systemleckage WikiLeaks

Die Whistleblower-Plattform Wikileaks mit ihrem charismatischen Begründer Julian Assange weist vielleicht einen Weg in eine Netzkultur, die so einfach nicht in Kontrollmechanismen der Herrschaftseliten integriert werden kann. Die Leaks (Enthüllungen) von Skandalen, Wirtschafts- und Kriegsverbrechen der Herrschenden lassen sich nicht so leicht verschweigen oder medial durch die Mühle drehen wie andere Netzaktivitäten. Es bleibt uns nur, vorsichtig, aber optimistisch abzuwarten, wie sich diese neue Hacktivistengruppe weiterentwickeln wird.