Assange: Jagd auf einen Whistleblower

Gerd R. Rueger 18.08.2012

Die drohende Auslieferung des Wikileaks-Gründers Assange ist zu einer Staatsaffaire geworden. Die Briten drohten Ecuador mit der Stürmung seiner Botschaft in London, weil sie Assange Asyl gewährt. London lenkt ein, wie selbst zugegeben, nur aus Furcht, britische Botschaften in aller Welt könnten künftig ebenfalls Opfer solcher völkerrechtswidrigen Lynchjustiz werden.

Wikileaks fordert den Rücktritt des britischen Außenministers und die Regierung in Quito protestiert mit scharfen Worten, wirft den Briten Kolonialismus vor, mobilisiert die Weltöffentlichkeit, ruft internationale Gerichte an. Ecuador sieht Assange als politischen Flüchtling, der mit Auslieferung an die USA und dort mit der Todesstrafe bedroht wird. Assange hat Kriegs- und Staatsverbrechen der USA und anderer Machthaber aufgedeckt und wird deshalb wegen sogenannten „Geheimnisverrats“ verfolgt. Der angebliche Auslieferungsgrund nach Schweden ist als fadenscheinige Justizposse, die ursprünglich der Verleumdung von Assange dienen sollte, zu sehen.

Vergewaltigung!“ Journalisten als Lynchmob

Die hysterische Atmosphäre der des August 2012 wird in der Geschichte der westlichen Medien vermutlich als Tiefpunkt einer inhumanen Anti-Assange-Kampagne zu verzeichnen sein. In kaum einem deutschen Medienbeitrag über den Wikileaks-Gründer fehlte der Begriff „Vergewaltigung“ –obwohl lange bekannt ist, dass die dünnen Anklagepunkte der schwedischen Justiz sich maximal zwischen sexueller Belästigung und dem in Schweden sehr ausgedehnten Begriff des sexuellen Missbrauchs bewegen. Keine der beiden Schwedinnen, auf deren Anzeigen hin Assange von Interpol zur Fahndung ausgeschrieben wurde, hat je geleugnet, mit Assange einvernehmlichen Sex gehabt zu haben.

Assange hat sich in den letzten Jahren in unzähligen Verleumdungsklagen gegen britische Medien verschlissen, die dennoch stur auf ihrer Lüge von der „Vergewaltigung“, derer Assange angeblich verdächtigt würde, beharrten. Jeder Journalist kann heute wissen, dass es nicht um Vergewaltigung geht, sondern um ein geplatztes Kondom bzw. die Behauptung, es sei im Verlauf einer einvernehmlich durchvögelten Liebesnacht auch zu Sex ohne Kondom gekommen – angeblich entgegen dem Willen der Schwedin. Sie forderte von Assange einen Aidstest, was er verweigerte. Sie fand heraus, dass er noch mit einer anderen Schwedin einvernehmlichen Sex gehabt hatte und beide Frauen zeigten Assange an. Warum schreien die westlichen Journalisten dennoch fast unisono „Vergewaltigung!“ aus allen Medienkanälen? Die einzige Vergewaltigung, die hier vorzuliegen scheint, ist die Vergewaltigung der Menschenrechte des Julian Assange durch eine wildgewordene Journaille. Eine Journaille, die ihre Aufgabe nicht in der Verteidigung eines Whistleblowers sehen will, dem ein unfairer politischer Prozess gemacht wird.

Es ist aber nicht so, als ob unsere westlichen Journalisten Kritik an Machthabern nicht zu schätzen wüssten. Es dürfen nur nicht die Machthaber unseres eigenen, des westlichen Machtblocks sein, die kritisiert werden. Über „Pussy Riot“, die Punkband, die 30 Sekunden in Moskaus Hauptkirche einen Gottesdienst mit Putin-Schmähungen unterbrach, wird anders berichtet, da sieht z.B. die SZ den russischen Rechtsstaat in Gefahr. Minutenlang breitet sich die Tagesschau über den unfairen „politischen“ Prozess aus, spielt Bilder von weltweiten Unterstützern ein und Screenshots von Solidaritätsmails im Internet. Tags zuvor im Fall Assange gab es nichts dergleichen.

Dabei könnte wenigstens die deutsche TV-Leitsendung Tagesschau mitbekommen haben, dass auch die Internet-Plattform Wikileaks im Internet ein paar Unterstützer hat, deren unermüdlicher Kampf für Assange ein paar Screenshots wert gewesen wäre. Zur Motivation Schwedens hätten sie dort z.B. gefunden: „Sweden has frankly always been the United States‘ lapdog and it’s not a matter we’re particularly proud of.“ Assange supporter (im australischen OL-Magazin 4corners).

Stattdessen der dauernde verleumderische Verweis auf die angebliche „Vergewaltigung“, nicht relativiert oder hinterfragt – und kein Ton über die offensichtlichen Hintergründe der Auslieferungsfarce: die Kriegsverbrechen der USA und anderer westlicher Regierungen und deren aus politischer Motivation zum Verbrechen erklärte Enthüllung. Das totale Versagen der westlichen Medien im Krieg „gegen den Terror“ in Irak und Afghanistan setzt sich heute fort in Libyen, Syrien und bei Wikileaks. Leider fallen auch viele Medienkonsumenten dem dauernden Propagandafeuer zum Opfer, die es besser wissen könnten oder müssten, weil der Whistleblowerschutz ihr Metier ist -etwa das „Whistleblower-Network„, das sich von der Assange-feindlichen Stimmungsmache infiziert zeigt.

Die Verleumdung eines Whistleblowers

Was Julian Assange erleben muss, ist in seinem Arbeitsgebiet nichts prinzipiell Ungewöhnliches. Whistleblower werden regelmäßig Opfer von Rufmord-Kampagnen durch die Straftäter, deren Verbrechen oder Verfehlungen sie ans Licht gezerrt haben. Wikileaks hat grauenhafte Kriegsverbrechen der USA, der westlichen Besatzungstruppen in Irak und Afghanistan enthüllt. Mehr noch: Assange hat die Verbrechen einer abgestumpften, willfährigen westlichen Journaille so unmissverständlich unter die Nase gerieben, dass sich keiner mehr abwenden oder lapidar darüber hinweggehen konnte. „Collateral Murder“ hat das Selbstbild des Westens, vor allem der USA ins Mark getroffen und für immer verändert. Kein duckmäuserischer Redakteur, kein kriecherischer Reporter konnte ableugnen, was dort geschehen war: bestialischer, feiger Massenmord, das Abschlachten von kritischen Beobachtern, zufälligen Zeugen, helfenden Zivilisten, kleinen Kindern. Täter: unsere angeblich die Freiheit verteidigenden Truppen.

Assange hat dem Westen den Spiegel vorgehalten, was dort zu sehen war, war die Fratze eines mordlüsternen Killers – nicht der strahlende Kriegsheld und humanitäre Helfer, den unsere Medien uns Jahr für Jahr zeigten. Dafür hassen die westlichen Machthaber Assange, dafür hassen ihn auch die Heerscharen von Journalisten, deren verlogenes Wunschbild Wikileaks hat platzen lassen. Darum hetzen sie jetzt Assange mit den übelsten Verleumdungen, die sie sich nur aus den Fingern saugen können: „Vergewaltigung!“ Sogenannte Qualitätsjournalisten etwa von der Süddt.Zeitung können sich immerhin noch schwach erinnern: „Wikileaks publizierte Tausende geheimer Unterlagen, die das Vorgehen der USA in den Konflikten in Afghanistan und Irak beleuchten.“ -Das Vorgehen, aha, „beleuchten“ -da fragt man sich doch, wie dieser paranoide Assange wegen ein wenig Beleuchten von ein paar Vorgängen jetzt meint, die USA wollten ihn aus Schweden flugs in die Nachbarzelle von Bradley Manning expedieren…

Zitieren wir zum Schluss eine nüchterne, weibliche Stimme zum Thema des angeblichen Vergewaltigungsverdachtes: 2011 schrieb Antje Bultmann, Expertin für Whistleblower, in ihrem Beitrag „WikiLeaks und die Grenzwachen bürgerlicher Freiheitsrechte: wie die USA ihre demokratischen Ideale verraten“, in der kriminologischen Fachzeitschrift Big Business Crime:

„Zwei wehrlose Frauen? Beide Frauen sind Intellektuelle, keine ‚Hascherl‘ vom Land, Frauen, die sich später rächen wollten, weil Assange sich nicht mehr für sie interessierte. Jedenfalls ließ Anna Ardin sich im Internet darüber aus, wie man sich bei Männern rächen kann. Sie gingen zusammen zur Polizei. Die Beweislage war aber so dünn, dass die Klage fallengelassen wurde. Allerdings fanden sich ein paar Wochen später Argumente, die Verfolgung wieder aufzunehmen. Wie das? Über den Sinneswandel der Staatsanwaltschaft kann nur spekuliert werden. Auf was sich der Vorwurf der Vergewaltigung oder der sexuellen Belästigung bezieht, wurde dem Rechtsanwalt von Assange lange nicht gesagt. Amerika hat hier vermutlich mitgemischt. Es gibt ja wohl keinen zweiten Fall, der wie der von Assange wegen unterschiedlicher Ansichten um ein Kondom von Interpol zur Fahndung ausgeschrieben wurde. Der Gejagte stellte sich in London am 7. Dez. 2010 selbst der Polizei und wurde festgenommen.“ (Antje Bultmann, S.8)

Quellen

Bultmann, Antje: WikiLeaks und die Grenzwachen bürgerlicher Freiheitsrechte: Wie die USA ihre demokratischen Ideale verraten, in: Big Business Crime Nr.2, 2011, S.8-12.

Rueger, Gerd R., WikiLeaks, Whistleblower und Anonymous, in: Big Business Crime Nr.4, 2011, S.25f.

Rueger, Gerd R., Die Diskreditierung von Wikileaks basiert auf Lügen und Verdrehungen, in: The Intelligence, 19. 09. 2011, http://www.theintelligence.de/index.php/gesellschaft/volksverdummung/3263-die-diskreditierung-von-wikileaks-basiert-auf-luegen-und-verdrehungen.html

Rueger, Gerd R.: Kampagne gegen WikiLeaks? Die TV-Dokumentation “WikiLeaks – Geheimnisse und Lügen”, Berliner Gazette, 14.4.2012, http://berlinergazette.de/tv-doku-wikileaks-the-guardian/#more-29944

Rueger, Gerd R., Professorale Kampfdrohnen: Der Kampf für das Staatsgeheimnis und gegen WikiLeaks, in: Le Bohemien,18.10.11, http://le-bohemien.net/2011/10/26/professorale-kampfdrohnen/

Rueger, Gerd R.: Julian Assange –Die Zerstörung von Wikileaks, Hamburg 2011, S.63-82.

Zaschke, Christian: Nowhere Man: Julian Assange… SZ 17.08.2012, S.3.

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