Euro-Krise: Goldman Sachs vs. Griechenland

Gerd R. Rueger, 21.5.2012

„From tech stocks to high gas prices, Goldman Sachs has engineered every major market manipulation since the Great Depression -and they’re about to do it again…“ RollingStonePolitics 05.04.2010

Selbst die finanznahe Wirtschaftspresse sieht es teilweise ein: Die sog. Rettungsmaßnahmen für Griechenland bringen nichts, haben die Krise nur verschärft (siehe z.B. Handelsblatt). Verwicklungen von US-Finanzkreisen in die Euro-Krise sind ebenfalls kein Geheimnis, Goldman Sachs steht dafür besonders in der Kritik. Daher ist die Frage berechtigt:

Wurde der drohende Crash Griechenlands von langer Hand vorbereitet? Womöglich von oder zumindest mit viel Einsatz der US-Bank Goldman Sachs? Die mächtige Investment-Bank soll wegen ihres regen Personal-Karussells mit der US-Regierung auch den Spitznamen „Government Sachs“ tragen.

Schon bei der Ersetzung der Drachme durch den Euro hatte die Bank ihre Finger im Spiel, frisierte die Bilanzen, wichtige Akteure des griechischen Dramas kamen aus ihrem Stab. Athen wurde zur Sollbruchstelle im Euro-Raum. Es bedarf wenig Phantasie sich vorzustellen, dass viele Milliarden der aktuell gegen Athen laufenden Wetten durch ihre Finger laufen –oder durch jene der hinter ihr stehenden Hedgefonds. Der Normalbürger erfährt davon nichts, ihn erreichen nur die Trommeln und Trompeten der Mainstream-Medien.

Nebelschirm der Mainstream-Medien

Am 15.5.2012 polterte die sonst so nüchterne Tagesschau zur Hauptsendezeit ungewohnt polemisch  gegen Griechenlands zweitstärkste Parlamentsfraktion,  das Links-Bündnis Syriza. Deutschlands Nachrichtensendung Nr.1 unterstellte Syriza-Chef Alexis Tsipras ein „Gebaren als linksradikaler Erz-Flegel“. Ausgerechnet die Tagessschau, die Objektivität reklamierende, unterkühlte Domina des öffentlich-rechtlichen Mainstream-Journalismus, deren versteinerte Gesichtszüge sich nur selten hinreißen lassen, auch nur „Das Wetter“ mit mehr als einem norddeutsch-gefrorenen Lächeln zu präsentieren. Sie war für ihre Verhältnisse geradezu außer Rand und Band geraten. Und welcher „linksradikalen Erz-Flegelei“  hatte sich der ebenso elegante wie eloquente und alles andere als flegelhafte Grieche schuldig gemacht? Tsipras wollte nicht einsehen, dass griechische Arme, Alte und Kranke noch mehr geknechtet und ausgepresst werden sollen –zum Nutzen und Frommen einer Finanzindustrie, die immer mehr unter Führung von Goldman Sachs zu stehen scheint. Griechische Kinder wollen nicht hungern für die Millionen-Boni von Ackermann & Co.? Bei soviel sozialistischer Flegelei kann einem ARD-Korrespondenten schon mal der Kragen platzen.

Dabei ist die Deutsche Bank nicht einmal allererster Nutznießer der Finanzbrutalitäten, denn das scheint Goldman Sachs zu werden. Also jene Bank, die z.B. Athens korrupte Regierung beriet, wie man Bilanzen zu frisieren hätte, um den Euro zu bekommen. Loukas Papadimos, der sein Banker-Handwerk bei der US-Fed erlernte, hatte sich als Boss der Zentralbank in Athen dafür den Goldman Sachs-Banker Christodoulou geholt. Dann versenkte das korrupte Athen Milliarden harter Euros in dubiosen Aufrüstungsgeschäften, Goldman Sachs verdiente kräftig mit. Aber davon erfährt der ARD-Zuschauer nichts. Tenor der Tagessschau-Berichte: Selber schuld, ihr korrupten Griechen, hättet ihr eben andere Politiker gewählt! Nun haben die Griechen aber tatsächlich zumindest ein paar andere Politiker gewählt, doch oh Graus, die zeigen ein „Gebaren als linksradikale  Erz-Flegel“ (statt so korrupt weiter zu wursteln wie bisher). Am nächsten Morgen legte Phoenix empört nach: „Radikale in Europa“ seien das Problem, Tsipras Syriza wurde in eine Reihe mit Ungarns Jobbik-Faschisten, NL-Rassismus a la Wilders, Brit-Neonazis. Die Interessen des großen Finanzkapitals sollten offenbar gegen alle linken Alternativen zur Lösung der Krise verteidigt werden, mit platten Beleidigungen als „Erz-Flegel“ oder subtiler durch Vermengung von Faschisten und Linken. Angebliche „Qualitäts-Journalisten“ entblöden sich nicht, statt nach Ursachen der Krise zu fragen, denen nach dem Munde zu reden, die weiter machen wollen wie bisher, unter Führung der gleichen Leute, mit den gleichen Methoden plus etwas verlogenem Transparenz-Gefasel.

Verschwörungstheorien“ als Hauptproblem?

Problem der Radikalen sei ihre Neigung zu „Verschwörungstheorien“, so lautet das Fazit von Phoenix. Worin diese „Theorien“ bestehen? Das hat das gehobene TV-Publikum des Qualitäts-Kanals nicht zu interessieren. Griechenland ist Opfer der Finanzkrise: Wen interessiert in diesem Zusammenhang schon, dass US-Finanzminister Hank Paulson unter George W. Bush, ebenso wie sein Vorgänger unter Bill Clinton, Robert Rubin, aus dem Team von Goldman Sachs kamen? Barack Obamas Finanzminister Timothy Geithner konnte sich ebenso der Unterstützung von Goldman sicher sein, während in der EZB der Italiener Mario Dragi, der Chef der Italienischen Notenbank, das Banner von Goldman Sachs hochhielt, und auch der Weltbank-Präsident, Robert Zoellick, war einst Direktor bei Goldman Sachs, einer staatstragenden US-Bank, die auch zu den wichtigsten Spendern von Obama zählte. Nun wurde Griechenland von US-Ratingagenturen tiefer in die Schuldenkrise getrieben, die ebenfalls mit US-Banken und Hedgefonds verstrickt sind. Aber was zählen diese Zusammenhänge schon gegen die Erz-Flegeleien eines Linksradikalen im Athener Parlament: Alles nur Verschwörungstheorie.

Doch wie war der Flegel überhaupt ins Parlament gekommen? Das hatte etwas mit den wachsenden Zweifeln der Griechen an ihren etablierten Politikern zu tun. Ende 2009 begannen die Rating-Agenturen, Griechenland herunter zu stufen. Die Banken, die EZB mit ihrem Vizepräsidenten Papadimos, der IWF und die EU verlangten die Rückzahlung der Kredite und drakonische Sparmaßnahmen für die Bevölkerung. Im November 2011 musste die Regierung in Athen, die Kreditpistole auf der Brust, ihren Abschied nehmen. Zentralbankgouverneur Loukas Papadimos (anglisiert zu Lucas Papademos) wurde Ministerpräsident Griechenlands, die Medien faselten von „Regierungen der Technokraten“. Die Aufgaben der Technokraten: Entlassung von 30.000 öffentlich Beschäftigten, die Absenkung von Löhnen, Heraufsetzung des Rentenalters, Einführung von Studiengebühren, der Verkauf öffentlicher Einrichtungen, Steuernachlässe für Unternehmen –die üblich neoliberale „Agenda Ausbeutung“.

Ähnlich treibt es der Technokrat Mario Monti in Rom und kann dabei auf seine Erfahrungen als Wettbewerbskommissar der EU zurückgreifen. Dort hatte er an maßgeblicher Stelle die Deregulierungen des Finanzwesen durchgedrückt, mittels welcher die große Subprime-Abzocke eingeleitet wurde. Das damals auch unter Montis Ägide durchgepeitschte bis heute geltende EU-Recht führte eine strikte und umfassende Liberalisierungspflicht jeglichen Kapitalverkehrs ein –und die Freigabe des Kapitalverkehrs meinte ausdrücklich nicht nur Geldströme innerhalb der EU.  Vielmehr öffnete sie die Schleusen zu allen globalen Finanzmärkten, was mit den EU-Verträgen von Nizza und Lissabon massiv gefördert wurde, vorgeblich aus Gründen einer effizienten Marktgestaltung zum Wohle aller. Die von Roosevelt im New Deal vorgenommenen Regulierungen der Geldmacht wurden ausgehöhlt, Banken und andere Finanzfirmen tauchten unter im undurchsichtigen Sumpf der „Allfinanz“.

Ratingagenturen und Goldman Sachs

Dank solcher Marktgestaltungen konnte auch der griechische Staatshaushalt frisiert und Griechenland Teil der Eurozone werden. Der Korruptions-Spezialist Werner Rügemer erklärt in seinem neuen Buch über Ratingagenturen, wie dies geschah: Die Investmentbanken UBS, J.P.Morgan und Goldman Sachs gaben ab 2001 in Zusammenarbeit mit der griechischen Zentralbank und der Athener Regierung dem Staat Milliardenkredite, die aber im Staatshaushalt nicht auftauchten. Zukünftige Einnahmen aus der Staatslotterie sowie aus Autobahn- und Flughafenmaut wurden gegen die Kredite „weggetauscht“. Legalisiert wurde dies mit den eigens gegründeten sog. „Zweckgesellschaften“ Aeolos und Ariadne, wobei über die Londoner Briefkastenfirma Titlos Schulden des Staatshaushaltes auf die Zentralbank übertragen wurden. Schulden in Dollar und Yen wurden in langfristige Euro-Kredite umgewandelt, die erst heute fällig wurden –und nun Druckmittel gegen Athen sind. Goldman Sachs stellte Athen für die aktuell skandalisierten Bilanzmanipulationen damals 300 Millionen US-Dollar in Rechnung. Die Zusammenarbeit lief vermutlich reibungslos, da die griechische Zentralbank unter Papadimos 1998 mit Petros Christodoulou einen Manager von Goldman Sachs angeheuert hatte, der Erfahrung mit internationalen Märkten hatte.

Die Rating-Agenturen gaben Athen gute Noten, denn sie sind über Hedgefonds mit der Finanzwelt eng verstrickt und alles andere als objektive Bewerter –obwohl die Strukturen des Finanzsystems ihnen diese Rolle zuschreiben. Banken und Unternehmen frohlockten, denn nun konnte die Drachme nicht mehr einfach abgewertet werden. Ab 2002 verkaufte Goldman Sachs griechische Anleihen im Gesamtwert von 15 Mia. Euro, deutsche und französische Banken verdienten mit. Mit dem Geld konnten die Athener Regierungen Panzer und U-Boote kaufen, die Olympischen Spiele 2004 organisieren und dabei die Reichen im Lande ungeschoren lassen –die Zeche sollte später das Volk zahlen. Für soviel Vernunft wurden beide großen „demokratischen“ Parteien auch durch Schmiergelder z.B. von Siemens belohnt, rundet Rügemer das Bild ab. Später ließen die Ratingagenturen Athen fallen und wüten heute im Dienste der Dollarmächte gegen Europa.

Sogar gutbürgerliche Medien, die wie die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) eine linksliberale Tradition noch nicht völlig aufgegeben haben, kommen nicht umhin, die gröbsten Umrisse der Finanzmachtverhältnisse gelegentlich zu erwähnen:

„Der demokratische Kapitalismus ist in Gefahr, die Staaten sind nur noch Inkassoagenturen schwerreicher Investoren: Der Soziologe Wolfgang Streeck kritisiert, dass immer mehr Freunde und Mitarbeiter der Investmentbank Goldman Sachs auf einflussreichen politischen Posten sitzen. Was sie dazu befähigt? Vor allem finanztechnisches Wissen. Und Intrigenkompetenz. (…)

Verschwörungstheorien gelten als unfein. Aber es gibt doch, so Streeck, Verschwörungen. Wer die Krise verstehen will, muss die „geballte Präsenz“ der „Goldmänner“ in der amerikanischen Politik und inzwischen global ebenso zur Kenntnis nehmen wie die absurde Tatsache, dass man als Rettungssanitäter regelmäßig die ruft, die den Wagen an die Wand gefahren haben. Man muss von den Machttechniken der Experten reden.

Worin besteht deren Expertentum? Es gründet zunächst in Mystifizierung durch Verwissenschaftlichung. Da wird Wirtschaft nahezu ausschließlich mathematisch behandelt, aber wenn es kritisch wird, sprechen die Technokraten von den Märkten wie Psychotherapeuten von hilfebedürftigen Kindern: Da sind die Märkte dann „scheu“, „ängstlich“, neigen zu panischen Reaktionen. Intelligenz spricht Streeck den Experten nicht ab, aber ihr Wissen sei doch oft nur behauptet.“ Jens Bisky SZ 18.04.2012

Bilderberger und Bankenmacht

Die globalen Geldmächte unter Führung von Goldman Sachs haben die griechische Tragödie inszeniert. Ausgeheckt wurde der Plan vielleicht bei einem der jährlichen Bilderberger-Treffen. Diese Versammlungen der globalen Geld- und Machtelite werden vom Mainstream-Journalismus immer noch gescheut wie vom Teufel das Weihwasser, die Durchschnitts-Journaille hat noch nicht einmal von ihnen gehört obwohl seit kurzer Zeit die totale Nachrichtensperre durch spärliche Infos auf einer offiziellen Website abgelöst wurde -ein erster Erfolg der Kritiker. Die Creme de la Creme der Qualitäts-Schreiber nickt bei ihrer Erwähnung wissend, weiß aber in Wahrheit oft auch nicht viel mehr, als dass Bilderberger in die mediale Tabuzone „Verschwörungstheorie“ gehören. Gibt es sie? Sind sie nur Paranoia? Der Brockhaus zumindest weiß es inzwischen: Es gibt sie, sie stehen unter B für jeden nachschlagbar als jährliches Treffen führender Persönlichkeiten aus Politik, Medien und Wirtschaft.

Im Brockhaus steht freilich nicht, warum die Medien über die Bilderberger kaum berichten. Dort treffen sich heimlich, unter aufwändigem Geheimdienst- und Polizei-Schutz die globalen Kriegsgewinnler der sogenannten freien Märkte. Adam Smith, der Ahnherr der Idee besagter Märkte, warnte schon vor über 200 Jahren, dass nichts Gutes zu erwarten sei, wenn Wirtschaftsbosse sich heimlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit treffen. Wie die angeblich freien Medien begründen, nicht über eine Konferenz von Hunderten erlauchter Persönlichkeiten aus Politik, Medien und Wirtschaft zu berichten, ist schwer heraus zu finden: Sie tun es gar nicht, obwohl ansonsten schon Treffen nur zwei oder drei Prominenter dieses Kalibers mit hysterischer Aufmerksamkeit bedacht werden.

2009 trafen sich die Bilderberger in Griechenland im Luxushotel „Nafsik Astir Palace“ im Örtchen Vouliagmeni bei Athen. Aus Beobachtungen vor Ort war zu entnehmen, dass der griechische Staat aber nur schlecht für die Sicherheit und Bequemlichkeit der globalen Elite gesorgt hatte. Bilderberger-Konferenzen sind es nicht gewohnt, dass Busladungen von protestierenden Bürgern bis vor ihr Hotel vordringen und sie dort mit Sprechchören behelligen, im Stil von: „Imperialisten raus aus Griechenland!“ Die globale Geldaristokratie und ihre auf den Konferenzen jährlich gleichgeschaltete Medien- und Polit-Elite hatte solch Ungemach nicht erwartet und war vermutlich ‚not amused‘. Ein Schelm, wer zum derzeitigen gnadenlosen Umgang „der Öffentlichkeit“ (der Medien) und „der Märkte“ (der Geldaristokratie) mit Griechenland irgendwelche Verbindungen sehen wollte.

Gerd R. Rueger ist Autor des Buches

Julian Assange -Die Zerstörung von WikiLeaks? Anonymous Info-Piraten versus Scientology, Pentagon und Finanzmafia (7,90 Euro)

Quellen:

Rügemer, Werner Die Notengeber der Weltwirtschaft, jW 07.04.2012, S.10f.

 Rügemer Werner: Ratingagenturen – Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart, transcript Verlag, Bielefeld 2012

Siehe auch Gerd R. Rueger auf Le Bohemien

Die Wurzeln der Euro-Krise

Können die Piraten neue Wege eröffnen? Viele glauben das,

aber einige zweifeln schon wieder, wenn sich der deutsche Piratenchef Schlömer mal ganz naiv und unverbindlich mit Henry Kissinger trifft.

3 Gedanken zu “Euro-Krise: Goldman Sachs vs. Griechenland

  1. Erst quetschen sie Griechenland aus, dann den Rest Europas… und die BRD bekommt wieder einen Platz im Schaufenster, wie früher gegen den realsozialistischen Osten -Motto: Schaut mal, in unseren System lebt man besser! (Nur auf niedrigerem Niveau jetzt, wo der Kapitalismus durch den neodarwinistischen „Neoliberalismus“ vulgo Globalisierung ersetzt wurde; Sozialklimbim wie die Menschenrechte kann man sich sparen, wo kein Sozialismus mehr existiert, gegen den man sich ein besseres Image erhalten müsste…)

  2. Psychopathische Egoisten definieren sich selbst als Herrschaftselite -weil sie aus Habgier in Geld ersticken und sich alle Macht der Welt kaufen können. Enteignen!

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