Tunis: Essid verliert Misstrauensvotum im Parlament

Gerd R. Rueger tunisia-flag-svg

Tunis. Regierungschef Habib Essid hat ein von ihm selbst angeregtes  Misstrauensvotum im Parlament verloren, meldete die französische Agentur AFP. Insgesamt stimmten 118 Abgeordnete gegen den Ministerpräsidenten, nur drei wollten ihn weiter im Amt sehen. 27 Parlamentarier enthielten sich bei dem Votum. Das Land leidet unter unter aus den prowestlichen Golfdiktaturen finanziertem Islamismus und islamistischen Grenzverletzungen und Terrorattacken von außen.

Ministerpräsident Habib Essid hat ein von ihm selbst angeregtes Misstrauensvotum im Parlament verloren und steht deshalb vor dem Ende seiner Amtszeit. Die große Mehrheit der Abgeordneten entzog ihm nach stundenlanger Debatte das Vertrauen. Nur drei Abgeordnete votierten mit Ja, aber Teile der Opposition boykottierten die Wahl und stimmten gar nicht ab. Essid hatte die Vertrauensfrage gestellt, nachdem er mehrfach von Präsident Béji Caïd Essebsi aufgefordert worden war, zurückzutreten und Platz für eine Regierung der Nationalen Einheit zu machen. Er war gut 18 Monate im Amt.

Parlamentspräsident Mohamed Ennaceur beklagte, Tunesien durchlebe eine schwierige Situation, die Opfer von allen erfordere. „Wir müssen jetzt in die Zukunft schauen, damit die Hoffnung zu allen Tunesiern zurückkehrt.“ Vor dem Votum hatte Essid angekündet, er werde im Falle einer Niederlage bei der Vertrauensfrage alles in seiner Macht Stehende tun, um einen reibungslosen Regierungswechsel vorzubereiten. Tunesiens Präsident will in Absprache mit den Fraktionen des Parlaments jetzt einen Nachfolger im Einklang mit der Verfassung ernennen.

Motor des Islamismus: Petrodollars prowestlicher Golfdiktaturen
Essids Rückendeckung ist wegen Wirtschaftsproblemen und von außen geförderten sozialen Unruhen in Tunesien geschwunden. Sowohl die aus vier Parteien bestehende Regierungskoalition als auch die Opposition hatten ihn kritisiert. Tunesien ist das einzige Land, dem nach den Aufständen des Arabischen Frühlings 2011 ein erfolgreicher Übergang zu einer parlamentarischen Demokratie gelungen ist. Allerdings ist die wirtschaftliche Situation im Land extrem angespannt. Tunesien hat mit politischer Instabilität, einer hohen Inflation und Arbeitslosigkeit zu kämpfen, die glücklicherweise von einer lebendigen Streikkultur ausgeglichen werden -so verhindern Tunesier ein bodenloses Abstürzen des Lohnniveaus. Doch dies passt den Multis nicht, den westlichen Großkonzernen und ihren Hintermännern -ein Drittweltland mit eigener Demokratie? Das darf nicht Schule machen!
Angriffe von wohl bewaffneten und gut finanzierten Islamisten, die über die Grenzen einsickern, sollen die Instabilitäten offenbar steigern. Die Waffen kommen aus dem Freien Westen bzw. von seinen Vasallen, den immer noch reichen Golfdiktaturen und den Saudis. Deren Petrodollar finanzieren auch zahllose Propagandagruppen in Tunesien, die viele orientierungslose Jugendliche und junge Männer auf die islamistische Seite ziehen. Terroranschläge sollen die Tourismus-Branche treffen, um eine wirtschaftliche Erholung der jungen Demokratie zu untergraben. Es passt einigen Leuten wohl nicht, dass Tunesien den Westen beim Wort nahm, als es den prowestlichen Diktator Ben Ali verjagte, und wirklich eine Herrschaft des tunesischen Volkes einführte.

Nizza: Tunesier tötet 84 Menschen

Gerd R. Rueger NizzaTerror

Mit einem LKW raste der 31jährige Tunesier Mohamed Lahouaiej Bouhlel in eine zum Nationalfeiertag versammelte Menschenmenge und tötete 84 unschuldige Zivilisten, darunter viele Kinder. Er starb anschließend beim Schusswechsel mit Polizisten. Bouhlel soll ein prekarisierter Kleinkrimineller mit Touristenvisum gewesen sein und aus Masākin مساك) stammen, einer Kleinstadt zwölf Kilometer südlich von Sousse und 140 Kilometer südlich von Tunis, im Nordosten Tunesiens. Der tunesische Präsident kondolierte dem Botschafter von Paris. Das abscheuliche Verbrechen wird Gewalt zwischen Moslems und Westmächten weiter anheizen und Rüstungs- und Sicherheitskonzerne ebenso jubeln lassen wie die Falken in allen Lagern.

Hollande wollte nur Stunden vor dem Nizza-Anschlag ein Zeichen der Normalisierung setzen und kündigte ein Auslaufen des Ausnahmezustandes für Ende Juli an. Nun stehen für Frankreichs Kabinett und Parlament Beratungen über die von Hollande angekündigte erneute Verlängerung des Ausnahmezustands an. Der Terror füttert sich selbst -auf allen Seiten. Nur die Freunde der sinnlosen Gewalt können sich darüber freuen. Nizza soll eine der Städte in Frankreich sein, die vom Phänomen des Dschihadismus am meisten berührt sei. Mehr als hundert Personen aus Nizza sollen nach Syrien gereist sein, doch Bouhlel scheint kein Islamist üblichen Zuschnitts gewesen zu sein.

Tunesiens Präsident Essid kondoliert
ESSID-Nizza

Essid und Botschafter Gouyette in Tunis

 

Bei François Gouyette, dem Botschafter Frankreichs in Tunis, kondolierte Präsident Habib Essid persönlich. Tunesien ist erschüttert, dass ausgerechnet ein Tunesier dieses Verbrechen beging. Tunesien selbst wurde bereits mehrfach Opfer islamistischer Gewalt. Beim Terrorangriff auf das Bardo Nationalmuseum wurden 2015 etwa 20 ausländische Touristen und drei Tunesier getötet. Drei Monate später wurden am Strand von Sousse 38 Touristen ermordet, unter ihnen 30 Briten und zwei Deutsche. Die Regierung von Habib Essid verstärkte nach dem Attentat die Sicherheitsvorkehrungen, die Einführung der Todesstrafe wurde diskutiert. Doch den Terror kann nur eine Politik des Friedens zurückdrängen.

Frankreich ist seit Monaten in einem Alarmzustand, der nun wieder auf die höchste Stufe gesetzt wurde; es herrschte Ausnahmezustand, dessen Verlängerung um weitere drei Monate Präsident Hollande gestern Nacht ankündigte. Das Parlament muss noch zustimmen. Es gab in den letzten Wochen wiederholt Warnungen, dass Frankreich weiter ein bevorzugtes Ziel von Anschlägen ist. Laut Hollande ist ganz Frankreich vom islamistischen Terrorismus bedroht. Bereits in einer ersten Reaktion in der Nacht auf Freitag kündigte der französische Präsident an, alles zu tun, „um gegen die Geißel des Terrorismus kämpfen zu können“.

Aus diesem Grund habe er beschlossen, den Einsatz „Sentinelle“ und damit den Ausnahmezustand fortzusetzen, der unter anderem die Mobilisierung von 10.000 Militärs zusätzlich zu Gendarmen und Polizisten ermöglicht. Zudem kündigte Hollande hier auch einen verstärkten Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak und in Syrien an. Die Spirale der Gewalt dreht sich weiter und Frankreich stürzt sich in immer neue militärische Abenteuer außerhalb seiner Grenzen, wozu auch die Einsätze in Syrien, im Irak oder in Mali gehören, und ist zusehends überfordert damit, wie Telepolis meint. Nach Ansicht französischer Militärs müssten daher die Mittel für die Truppen aufgestockt werden.

Aber wahrscheinlich beordert Hollande nun eher Truppen zurück, weil er sie im Heimatland braucht, um die überforderte Polizei zu entlasten. Neben der Terrorbekämpfung hatten die Franzosen gerade die Fußball-EM zu sichern, ebenso die Tour de France, die wie die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag Ziele für spektakuläre Anschläge bietet. Nicht zuletzt war die französische Polizei auch im Dauereinsatz gegen Streikende, die sich gegen die ausbeuterische Arbeitsmarktreform im Stil von „New Labour“ (Schröders Hartz IV) wehren, die Regierungschef Valls per Dekret dem Land aufgezwungen hat -gegen den Widerstand von Parteilinken linken Parteien und Gewerkschaften und nicht zuletzt der Jugend Frankreichs, die nicht so entpolitisiert-wurstig auftritt wie die deutschen Konsumkids. Vielleicht wird der Kampf gegen die eigene Bevölkerung, der sich in den Ausbeuter-Arbeitsgesetzen spiegelt, angesichts des äußeren Feindes von der Herrschafts- und Habgier-Elite der Franzosen etwas weniger aggressiv geführt -das wäre wenigstens ein guter Effekt.

Tunis im Terror

Gerd R. Rueger TunisiaDemonstrants

Tunis. Nach dem Terrorangriff auf das Nationalmuseum stehen dem Land der Jasminrevolution kritische Zeiten bevor. Vor  touristischen Einrichtungen wurden weitere Einsatzkräfte stationiert, die Terrorismusbekämpfung ist in Alarmbereitschaft. Die Kulturministerin kündigt tapfer die Wiedereröffnung des Museums schon für diese Woche an. Nationale und islamische Kräfte in der Regierung streiten über Verantwortung. Wer schickte die drei Terroristen, deren Jüngster erst 17 Jahre alt war?

Nach dem Terrorangriff auf das Bardo Nationalmuseum am Mittwoch, bei dem 20 ausländische Touristen und drei Tunesier getötet wurden, stehen dem Land der Jasminrevolution kritische Zeiten bevor. Die Regierung von Habib Essid verstärkte nach dem Attentat die Sicherheitsvorkehrungen, vor Regierungsgebäuden und touristischen Einrichtungen wurden weitere Einsatzkräfte stationiert, die der Terrorismusbekämpfung in Alarmbereitschaft versetzt. Die Frage, die alle bewegt, aber die noch keiner beantworten kann: Wer steckte hinter dem Anschlag?

Präsident Béji Caïd Al-Sebsi

Kulturministerin Latifa Lakhdhar kündigte tapfer die Wiedereröffnung des Museums unter strengen Sicherheitsvorkehrungen schon für diese Woche an. Dennoch scheint fraglich, ob die tunesische Regierung der nationalen Einheit Bestand haben wird. Die der 2011 gestürzten Diktatur von Ben Ali nahestehende Partei Nidaa Tounes (Ruf Tunesiens) hatte die Parlamentswahl im Herbst vergangenen Jahres zwar gewonnen, sich jedoch zu einer Koalition mit der Ennahda-Partei durchgerungen. Tunesiens Präsident Béji Caïd Al-Sebsi, Mitbegründer von Nidaa Tounes, warf der Ennahda vor, in der Phase vor den jüngsten Wahlen nicht entschieden genug gegen den islamistischen Extremismus im Land vorgegangen zu sein. Damals hatte die islamistische Ennahda Regierung und Parlament dominiert und Islamisten hatten in der Gesellschaft Rückenwind verspürt.

Identität der Geiselnehmer bestätigt

Die Behörden bestätigten inzwischen die Identität der beiden Geiselnehmer, die sich nach ihrem Angrifftunisia-flag-svg auf vor dem Bardo-Museeum stehende Touristenbusse im Inneren des Museums verschanzt hatten und bei der Stürmung des Gebäudes durch Spezialeinheiten der Polizei getötet wurden. Die Attentäter Yassine Abidi und Hatem Khachnaoui seien tunesische Staatsbürger, in tunesischen Moscheen von radikalislamistischen Gruppen für den Krieg im Nachbarland Libyen rekrutiert und dort in Lagern des libyschen Ablegers der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) ausgebildet worden.

Footage from security camera of three suspected gunmen, credit: Ministry of Interior

Dritter Attentäter? Die Amokläufer passieren ihn friedlich

Derzeit fahnden die Behörden immer noch nach einem möglichen dritten Attentäter, sichtbar auf einem Überwachungsvideo. Die beiden Amokschützen laufen friedlich an ihm vorbei. Ein Komplize? Ein alter Bekannter oder Freund, den sie verschonen wollten? Bislang seien laut Innenministerium mehr als zehn Verdächtige festgenommen worden, die direkt oder indirekt in den Anschlag verwickelt waren. In einem Interview hatte Al-Sebsi am Samstag Defizite eingeräumt. Polizei und Geheimdienste seien »nicht systematisch genug« vorgegangen, um die Sicherheit des Museums zu gewährleisten.

IS bekannte sich

Der IS bekannte sich am Donnerstag zu dem Anschlag -kann man das ernst nehmen? Tunesiens Regierungschef Habib Essid sagte, Abidi sei vom Geheimdienst nach seiner Rückkehr nach Tunesien überwacht worden. Aber konkrete Anhaltspunkte für eine von ihm ausgehende Gefahr habe es  nicht gegeben. Eine der größten in Tunesien und Libyen operierenden Terrorgruppen, Ansar Al-Scharia, hatte sich im Herbst dem IS angeschlossen. Die Gruppe sendete zuletzt jedoch widersprüchliche Signale bezüglich ihres Bündnisses mit der hauptsächlich im Irak und in Syrien wütenden Terrormiliz.

Bereits zwei Tage vor dem Anschlag war das tunesische Innenministerium am Montag gegen mehrere angebliche Terrorzellen im Land vorgegangen und hatten mindestens 22 Menschen verhaftet. Nach offiziellen Angaben seien zudem weitere zehn Tunesier bei dem Versuch festgesetzt worden nach Libyen auszureisen, um sich islamistischen Milizen anzuschließen. In einer Stellungnahme des Ministeriums hieß es, libysche Terrornetzwerke würden eng mit tunesischen Terroristen kooperieren und mehrere Ausbildungscamps in Libyen unterhalten. In den Medien kursieren erschreckende Angaben über die Anzahl der Tunesier, die sich dem IS angeschlossen haben sollen. Insgesamt 3.000 sollen es sein. Tunesische Behörden gehen aktuell von rund 500 Rückkehrern aus.

Tunisia Mutterland der Jasminrevolution

Bislang konzentrierten sich die Anschläge von Ansar Al-Scharia in Tunesien jedoch auf staatliche Einrichtungen im Süden des Landes. Anschläge auf Touristen sind für derartige Gruppen allerdings nicht neu, sie beabsichtigen damit, Regierungen politisch und wirtschaftlich zu destabilisieren und in der Folge ihre Rekrutierungsmöglichkeiten zu erweitern. Tunesien ist stark vom Tourismus abhängig, der mit rund zwölf Prozent zur Wirtschaftsleistung des Landes beiträgt. Zudem könnte der Konkurrenzkampf zwischen dem IS und dem Terrornetzwerk Al-Qaida bei dem Anschlag am Mittwoch eine Rolle gespielt haben. Nachdem er jüngst seinen Einfluss in Libyen gesteigert hat, kann der IS nun auch einen öffentlichkeitswirksamen Anschlag im Herzen Tunesien für sich verbuchen – und kommt damit seinem Ziel, Al-Qaida in Nordafrika den Rang abzulaufen, einen Schritt näher.

Neue Regierung in Tunesien: Ausreisesteuer und alte Seilschaften

Gerd R. Rueger tunisia-flag-svg

Tunesiens neuer Staatschef Essid kündigte an, die politisch motivierten Morde in der Vergangenheit, insbesondere an Lotfi Nagdh, Chokri Belaid und Mohamed Brahmi, lückenlos aufzuklären. Generalstreiks und Unruhen flackern dennoch wieder auf -auch wegen einer „Ausreisesteuer“.

Nach den Wahlen die schwierige Regierungsbildung: In Tunesien hatten sich die Parteien auf eine Koalition geeinigt. Sie ernannten das neue Kabinett unter Ministerpräsident Habib Essid aus säkularen Politikern und Mitgliedern der gemäßigten Islamisten-Partei Ennahda. Doch eine „Ausreisesteuer“ entfachte Unruhen: Generalstreik in Tataouine, die Sicherheitskräfte schockieren mit Horrormeldungen: Islamistische Terroristen sickern aus Syrien ein.

In Tataouine, dem größten Verwaltungsbezirk Tunesiens, hatten mehrere Gewerkschaften zu einem Generalstreik aufgerufen. Sie protestierten damit gegen eine sogenannte Ausreisesteuer und die Tötung eines Demonstranten bei Protesten gegen diese Abgabe. Am Wochenende war es dann in der Stadt Dahibah zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen. Die Ausreisesteuer, die vor allem einfache Bürger belastet, hatte den Handel in der Grenzregion zu Libyen fast zum Erliegen gebracht.

“Wir sind uns bewusst, dass diese Regionen lange Zeit an den Rand gedrängt wurden”, so der Gouverneur von Tataouine, Saber Mednini. “Und dass die Menschen in Dahibah besonders vom Handel mit Libyen leben. Als diese verstanden, dass das Gesetz für sie gilt, waren sie sehr verunsichert wegen der Steuer.” Die letzte Woche eingesetzte neue tunesische Regierung versprach, sich um die Menschen in der betroffenen Region kümmern zu wollen. So soll die Ausreisesteuer noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden, eine Kommission soll den Tod des Demonstranten untersuchen.

Bedrohung von außen

Dazu kommt die Bedrohung von außen: Sogenannte „Islamisten“ wollten angeblich Anschläge auf Regierungsgebäude und Sicherheitseinrichtungen unter anderem in Tunis verüben. 32 Verdächtige wurden festgenommen, viele kehrten angeblich kürzlich aus Syrien zurück. Die tunesischen Sicherheitsbehörden behaupten, eine Reihe von schweren Anschlägen auf Regierungsgebäude und zivile Ziele in dem nordafrikanischen Land verhindert zu haben. Ein Sprecher des Innenministeriums erklärte am letzten Samstag, es seien 32 radikale Islamisten festgenommen worden, die „spektakuläre Angriffe“ in der Hauptstadt Tunis und anderen Städten des Landes geplant hätten.

Unter anderem hätten das Innenministerium, Einrichtungen der Sicherheitskräfte und zivile Gebäude angegriffen werden sollen. Ein Teil der Festgenommenen seien Rückkehrer aus Syrien, die sich zuvor dort auf Seiten der Islamisten am Bürgerkrieg beteiligt hätten. Der Kampf gegen den Terrorismus und die öffentliche Sicherheit stehen mit an oberster Stelle für die neue Führung. Essid versprach eine Verstärkung des Zolls, den Kampf gegen die organisierte Kriminalität und eine bessere Zusammenarbeit bei der Grenzsicherung mit den Nachbarländern.

Regierungsbildung mit Schwierigkeiten

Mit großer Mehrheit hatte das tunesische Parlament der Regierung von Habib Essid das Vertrauen ausgesprochen. 166 Parlamentarier stimmten mit Ja, 30 mit Nein, acht enthielten sich der Stimme. Damit ist vier Jahre nach der Jasminrevolution von 2011 der Weg frei für eine stabile demokratische Regierung. Zur Regierungsmehrheit des parteilosen Ökonomen Habib Essid tragen die säkulare Partei Nidaa Tounes mit 86 Sitzen, die gemäßigt islamistische Partei Ennahda mit 69 Sitzen sowie die Union Patriotique Libre (UPL) mit 16 Sitzen und die liberale Partei Afek Tounes mit acht Sitzen bei. Essid kündigte an, die politisch motivierten Morde in der Vergangenheit, insbesondere an Lotfi Nagdh, Chokri Belaid und Mohamed Brahmi, lückenlos aufzuklären.

Nach der Regierungsbildung in Tunesien waren neben Erleichterung auch kritische Stimmen unüberhörbar. Vor allem die Einbeziehung der islamistischen Ennahda-Partei stößt im säkularen Lager auf Unverständnis, Nidaa-Wähler fühlten sich um ihre Stimme betrogen. Den Wahlsieg verdankte die säkular-konservative Nidaa Tounes Partei der Unzufriedenheit der Tunesier mit der Regierungsarbeit von Ennahda. Durch die Vergabe von Regierungsämtern genießt die neue Regierung zwar breite parlamentarische Unterstützung, doch fehlt ihr die für eine junge Demokratie so wichtige Opposition, so Emna Menif, der Präsidentin der Bürgerbewegung „Kolna Tounes“ („Wir alle sind Tunesien“). Dabei vergisst sie jedoch die Front Populaire: Die Front Populaire ist ein Zusammenschluss mehrerer Parteien und Organisationen, die sich im August 2012 gegründet hat. Ihre Ziele sind insbesondere

  • Demokratie und Menschenrechte;
  • die Trennung von Religion und Politik;
  • der Aufbau einer nationalen, unabhängigen, ausgewogenen Wirtschaft, die die Souveränität der Bevölkerung über die Reichtümer des Landes sicherstellt, ein effektives Wachstum für alle Regionen gewährleistet und auf einer gerechten Verteilung der Reichtümer beruht, sodass die grundlegenden Bedürfnisse der Bevölkerung in materieller und geistiger Hinsicht befriedigt werden;
  • die Annullierung öffentlicher Schulden auf der Grundlage einer sorgfältigen Überprüfung der von früheren Regierungen eingegangenen Kreditverträge sowie
  • der Aufbau eines demokratischen und einheitlichen Schulsystems für alle.
Strukturreformen??

Der neue Staatschef Essid kündigte dagegen „Strukturreformen“ an, was hoffentlich nicht dem Wortschatz des IWF entliehen ist. Essid will vielmehr den Bedürfnissen der Jugendlichen gerecht werden, gegen den unkontrollierten Anstieg der Preise und den Schwarzhandel vorgehen. Weit oben auf der Liste stehen auch das Müllproblem und die Umweltverschmutzung. Zudem soll die monatliche Unterstützung für 230000 bedürftige Familien um 30 Dinar (15 Euro) auf 150 Dinar angehoben werden.

Die Regierung hat sich ohnehin viel vorgenommen angesichts des Vakuums, das durch die diversen Übergangsregierungen seit der Revolution 2011 entstanden ist. Im Prinzip muss alles reformiert werden – das Unterrichtswesen, die Investitionsgesetze, das Justizwesen, die regionale Entwicklung, um vor allem das Nord-Süd-Gefälle im Lande auszugleichen. Auch Künstlern und Kunsthandwerkern sagte der Ministerpräsident Unterstützung zu. „Die Verwaltung darf kein Hindernis sein“, sagte Essid in seiner Rede, sie müsse die Dinge vielmehr erleichtern.