Medien Lateinamerikas unter Beschuss: Argentinien unter IWF-Kuratel

Galindo Gaznate

IWF und USA wissen, dass sie ihren Rollback-Feldzug gegen sozialistische oder sozialdemokratische Regierungen Lateinamerikas auch auf dem Feld der Medien flankieren müssen. Venezuela wurde getroffen als der mächtigste Medienkonzern der Welt, Facebook, den wichtigsten USA-kritischen Sender Südamerikas, Telesur, kaltstellte. Argentinien hatte unter seinem 2015 mit US-Hilfe ins Amt gebrachten Staatschef, den Multimillionär Mauricio Macri, den Sender Telesur bereits durch seinen Austritt geschwächt. Nun lieferte der IWF Macri den Vorwand, Argentiniens Staatssender Télam von kritischen Journalisten zu „säubern“. Per IWF-Spardiktat feuerte Macri 40 Prozent der Télam-Belegschaft, nachdem der Sender Kritik am IWF geäußert hatte. Es gehe nicht um Zensur, sondern um Kostensenkung, so der Neoliberale Macri.

Buenos Aires. Ende Juni 2018 kündigte die staatliche Nachrichtenagentur Télam (Telenoticiosa Americana) rund 40 Prozent der Belegschaft. Die Entlassung von 357 Mitarbeitern erfolge aufgrund einer »Entscheidung der Behörden« hieß es zu der skandalösen Säuberungsaktion. Die neoliberale Regierung begründete dies mit der vom IWF inspirierten Notwendigkeit, »Kosten zu senken«, dabei leidet das Land seit Langem unter neoliberalem Elend. Seit Amtsantritt des Präsidenten Mauricio Macri (Argentinien wird Manager-Diktatur) im Dezember 2015 werden in Argentinien kritisch-alternative Informationsprojekte und sogar etablierte staatliche Medien zugunsten der Macri-freundlichen privaten Medienkonzerne geschleift. Der neoliberal-rechtskonservative Multimillionär Macri hatte kurz nach seiner Machtübernahme den Unternehmer Hernán Lombardi in das von ihm neugeschaffene Amt eines Ministers für öffentliche Medien eingesetzt.

In Lateinamerika sind die Medien ca. zu 90 Prozent in Händen mächtiger Familien und dubioser Wirtschaftsgruppen, hinter denen man faschistische Strukturen vermuten kann, deren Fäden die CIA nach Schema „Operation Condor“ zieht. Viele dieser Medienkonzerne haben ihre marktbeherrschende Stellung im Schutze von Militärdiktaturen aufgebaut. Die einstigen Propagandisten der Militärdiktaturen und faschistoider Ausbeuterregime erteilen nun den demokratisch gewählten Linksregierungen angebliche Lektionen in Demokratie. Jeder Versuch, die Medien selbst endlich zu demokratisieren, stößt natürlich auf ihren besonders erbitterten Widerstand. Öffentliche Lizenzen werden von medialen Großgrundbesitzern wie ewiges feudales Erbrecht dargestellt, jeder demokratisch legitimierte und gesetzlich vollzogene Lizenzentzug wird als Attentat gegen die Pressefreiheit denunziert. G.Gaznate

Medien-Minister Lombardis erste Amtshandlung bestand darin, die Staatsbeteiligung am alternativen lateinamerikanischen Fernsehkanal Telesur zu »überprüfen« und dann auszusteigen -ein schwerer Schlag gegen Telesur, den Argentinien war nach Venezuela dessen wichtigster Teilhaber. Seitdem geht es nicht nur als links geltenden Medien an den Kragen, sondern allen Journalisten, die ihre Stimme gegen die neoliberale Plünderung des Landes durch IWF und Großkonzerne erheben. Tatsächlich steht die Entscheidung im Zusammenhang mit einem Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar (43 Milliarden Euro) an Macris Regierung. Der IWF hatte eine drastische Reduzierung des Haushaltsdefizits zur Bedingung gemacht, was zu Kürzungen und Entlassungen in mehreren öffentlichen Einrichtungen führte. Dabei ist die desolate Wirtschaftslage Argentiniens eine Langzeitfolge eines durch neoliberale und IWF-Maßnahmen ausgelösten völligen Zusammenbruchs des einst wohlhabenden Landes.

Télam und der Generalstreik gegen Macri und den IWF

Am 25. Juni protestierten die Gewerkschaften mit einem Generalstreik, der das gesamte Land 24 Stunden lang lahmlegte, gegen das IWF-Spardiktat und die Regierung Macri. Télam-Reporter hatten darüber ausführlich und zum Teil wohlwollend berichtet. Am folgenden Tag kamen die offenbar bereits vorbereiteten Kündigungen wegen „Kostensenkung“. Seit Ende Juni wehren sich die Télam-Mitarbeiter, von jenen angeblich neutral-ausgewogenen Westmedien (ARD, BBC, CNN usw.) fast unbemerkt, die bei Journalistenstreiks gegen von Westeliten als „Schurken“ ausgerufene Regierungschefs wie Erdogan oder Putin sonst sehr sensibel reagieren (natürlich „wegen der Pressefreiheit“ und nicht zu Propagandazwecken).

Die Télam-Beschäftigten reagierten mit Streik und Besetzung ihrer Agenturzentrale in Buenos Aires gegen die ideologisch motivierteen Massenentlassungen. Ein Vertreter der Mediengewerkschaft Sindicato de Prensa de Buenos Aires (Sipreba), bestätigte gegenüber der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina, dass die Streikenden und ihre Unterstützer sich ständig im Gebäude aufhalten. Wer die Télam-Homepage (http://www.telam.com.ar/) aufruft, erhält seit mehr als neun Wochen die Mitteilung: »Aufgrund gewerkschaftlicher Maßnahmen ist der Dienst vorübergehend eingeschränkt.«

Bevölkerung steht hinter Journalisten

Was deutsche Journalisten sich inzwischen nicht mehr vorstellen können: Der Arbeitskampf der Medienleute findet in Argentinien breite Unterstützung durch die Bevölkerung. Am 5. Juli waren Tausende Journalisten einem Aufruf zur Kundgebung in der Hauptstadt gefolgt. Der Protestmarsch war die bisher größte Demonstration von Beschäftigten der Medienbranche in Argentinien. Bereits Ende Juni hatte ein Gericht die Entlassungen für unrechtmäßig erklärt, doch die endgültige Entscheidung über eine Klage von fünf Betroffenen erging erst am vergangenen Donnerstag.

Die Richter begründeten ihr Urteil damit, dass das Unternehmen sich nicht an die Richtlinien für betriebsbedingte Kündigungen im Krisenfall gehalten habe. Der Umfang der geplanten Umstrukturierung überschreite zudem jede Zumutbarkeit. Macris »Medienminister« Lombardi verkündete, dass er dem Urteil folgen und man die fünf Mitarbeiter wieder einstellen werde. Dafür würden jedoch ebenso viele andere Angestellte gekündigt werden. Das Unternehmen müsse sparen, um weiterhin existieren zu können. »Heute hat der Journalismus gewonnen«, kommentierte Lombardi auf Facebook.

Télam-Auslandsredakteur Camil Straschnoy widersprach: »Der Journalismus in Argentinien hat verloren.« Im November 2016 hatte er der Aargauer Zeitung (Schweiz) noch erläutert, welche Bedeutung Télam für die Medien seines Landes und Lateinamerikas habe. »Die internationalen News in Argentinien kommen von den großen Nachrichtenagenturen wie Reuters, AP, AFP und Efe, weil sich die lokalen Medien keine oder fast keine Auslandskorrespondenten leisten können«, sagte er in einem Interview. »Ich arbeite in der wichtigsten Nachrichtenagentur meines Landes, und selbst wir haben nur in London, Barcelona, Vatikan-Stadt, Santiago de Chile und San Pablo eigene Leute.« Trotzdem sei die Agentur wichtig, denn »alle erwähnten internationalen Nachrichtenagenturen verfolgen eine redaktionelle Linie, die ihren politischen und finanziellen Interessen entspricht«. Anderthalb Jahre später äußerte Straschnoy sich gegenüber Telesur desillusioniert. »Während die Regierung Finanzspekulanten und Oligopole bevorzugt, hat Präsident Mauricio Macri beschlossen, (…) Journalisten zu entlassen«, kritisierte der Télam-Auslandsredakteur. Straschnoy wirft dem Staatschef vor, die kritische Berichterstattung mundtot machen zu wollen.

Kreuzzug gegen freie Berichterstattung

Neoliberale reden gern von Freiheit, meinen damit aber nur die Freiheit der Großkonzerne. Der Angriff auf Telesur war für Macri und Lombardi erst der Beginn ihres Kreuzzuges. Auch der multinationale Kanal Telesur versteht sich als Gegengewicht zu den US-Nachrichtengiganten CNN und Univision, der britischen BBC und den konservativen Konzernmedien des Kontinents. Ein Ausstieg Argentiniens aus dem Projekt wäre ein Erfolg für die privaten Medienunternehmen und die politische Rechte in Lateinamerikas, die den Sender seit dessen Gründung attackieren. Neben Telesur sind seit einiger Zeit auch die öffentlichen Medien im Visier.

Besonders betroffen sind staatliche Hörfunk- und TV-Sender. Ende 2017 wurden zunächst 16 Mitarbeiter des nationalen Radios gekündigt. Danach folgte die Entlassung von 180 Beschäftigten verschiedener Kanäle des öffentlichen digitalen Fernsehens: Als Erdogan in Ankara ähnliche Säuberungen durchführte standen die ARD-Berichterstatter Kopf vor Empörung, in Argentinien ist es ihnen offenbar gleichgültig -weil Macri ideologisch auf ihrer Linie liegt, d.h. auf der Washingtons, und Erdogan nicht? Sipreba-Sekretär Carlos Saglul fürchtet, dass der Kahlschlag weitergeht: »So wie alle neoliberalen Regierungen, die wir bisher erdulden mussten, haben auch sie es auf die öffentlichen Medien abgesehen.« So die Junge Welt.

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