Ungarn: Kulturkampf und EU-Kompromisse

Gerd R. Rueger 02.02.2013

Die Zensur der staatlich finanzierten Hochkultur Ungarns macht derzeit Schlagzeilen im deutschen Feuilleton. Orban wolle dumpf-nationalistische Töne durchsetzen, seine Regierung habe wohl ein Problem damit, dass Künstler sich zu ihrer Homosexualität bekennen usw.  ABER: Die Integration des Rechtspopulisten in die Brüsseler EU-Plutokratie kommt voran. Doch im Parlament wird von rechtsextremen Jobbiks, einer Abspaltung von Orbans Fidesz-Partei, offen Antisemitismus proklamiert und gegen Roma hetzt man ebenfalls weiterhin in Budapester Medien.

Orban und Barroso

„Es war ein sehr gutes Treffen!”, sagte Minister­prä­sident Viktor Orbán, nachdem er am Mittwoch dieser Woche bei  EU-Kommis­si­ons­präsident José Manuel Barroso  in Brüssel vorstellig wurde. Nach seinem Gespräch mit Orbán erklärte Barroso bei einer gemeinsamen Presse­konferenz, er habe versucht, den ungarischen Regierungschef davon zu überzeugen, dass ein Beitritt zur entstehenden EU-Bankenunion nötig sei.

Orban und EZB-Chef Trichet

Nach seinem Vortrag im Brüsseler Think-Tank „Bruegel-Institut“, sagte Orbán, dass er den Namen des neuen ungarischen Notenbank­prä­si­denten dem ungarischen Staatsoberhaupt János Áder erst einen Tag vor Ablauf der Frist vorschlagen werde, berichtete die Budapester Zeitung. Der Premier habe betont, dass er der Unabhängigkeit der Notenbank verpflichtet sei, es sei aber auch sinnvoll zu überprüfen, wie in anderen Ländern die Zusammenarbeit zwischen Noten­bank und Regierung funktioniere. Ob etwa das in den USA bewährte System, wo die Nationalbank (Federal Reserve) aktiv helfe, die wirtschaftlichen Ziele der Regierung zu erreichen, nicht besser sei als die EZB in Europa. Orbán habe gesagt, dass sich die Frage ganz Europa stellen müsse: Ist denn nun die absolute Unabhängigkeit der Notenbank der richtige Weg oder das amerikanische System? Leider fragt  Budapester Zeitung nicht, ob Orban bewusst ist, wer bei der Fed in den USA das Sagen hat: Goldman Sachs, J.P.Morgan und andere Großbanken -denen gehört die privatisierte US-Notenbank. Doch was ist mit den europäischen Vorbehalten gegen Orban geschehen?

EU-Justizkommissarin Reding bemängelte 2012, dass Orban das Renteneintrittsalter für Richter, Staatsanwälte und Notare in Ungarn von 70 auf 62 Jahre abgesenkt hat. Reding sieht darin eine unzulässige Altersdiskriminierung und kritisiert, dass im Jahr 2012 alleine schon 236 Richter früher in Pension gehen müssen, also zehn Prozent der ungarischen Richterschaft. Dies weckte den Verdacht, dass die Justiz damit politisch “gesäubert” werden sollte –von Orban-Kritikern nämlich. Die EU-Kommissarin beantragte ein Eilverfahren beim EU-Gerichtshof und forderte Ungarn auf, das strittige Gesetz bis zum Urteil nicht in Kraft zu setzen -und gewann gegen Orban. Die EU-Kommission betonte damals, dass Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz in Ungarn bestehen. Brüssel behält sich hier die Eröffnung eines weiteren Vertragsverletzungsverfahrens vor, weil fragwürdig scheint, dass Orbans neuer Präsident des von den Rechtspopulisten installierten neuen Justizamtes den Gerichten Fälle zuweisen darf; ferner darf er Richter ohne deren Zustimmung versetzen, sollten sie nicht wie von Orban geplant funktionieren. Ein Rechtsstaat sieht anders aus. Am rechten Rand der Medien war seinerzeit schon ein Aufatmen zu vernehmen, denn am wichtigsten nimmt man dort das Geld. Und Orbans Notenbankgesetz fand nach zähen Verhandlungen doch die Gnade Brüssels -die EZB hatte nur Einwände gegen eine Gehaltskürzung des Notenbankgouverneurs. Jetzt herrscht an dieser Front eitel Sonnenschein. Für die Menschen in Ungarn sind das keine guten Nachrichten.

Schon nach den umstrittenen Mediengesetzen sahen viele ein Horrorszenario für Europa, wenn es Viktor Orban langfristig gelänge, in Budapest eine Mediendiktatur zu installieren – nach Vorbild Berlusconis, nur schlimmer. Sie zeichnet sich bereits ab, und das auch noch ohne große Scheu vor Anleihen bei neofaschistischen Bewegungen. Vorbereitet wurde Orbans Machtübernahme auch durch militante Rechtsextreme, Skinheads und die schwarz uniformierte “Ungarische Garde” im Stil von Ferenc Szálasis Pfeilkreuzlern. In Straßenschlachten mit der Polizei übte sich das neoliberale Gegenmodell zum Sozialstaat für den individualisierten, eigenverantwortlich geführten Krieg des Homo Ökonomikus.

Vorbereitet wurde Orbans Ungarn durch die “postkommunistischen” Sozialisten der MSZE in Budapest, die der Rechtspopulist beerben konnte. Die Donausozialisten standen in der Tradition des New Labour von Blair und Schröder – quasi nach Balkan-Art aber letztlich nicht so unterschiedlich. Die hemmungslose Bereicherung einer Machtelite, die Sozialabbau und Lohndumping mit hoher PR-Kompetenz als “Notwendigkeit im scharfen Wind des internationalen Wettbewerbs” verkauft (vergleiche Agenda2010). Der Clou dabei: Weil die verantwortlichen Akteure angeblich Sozialdemokraten oder Sozialisten sind, kann man den Zorn über die Sparprogramme auf den “Sozialismus”, sprich den Sozialstaat umlenken. Am Ende greifen die solcher Medien-Bearbeitung ausgesetzten Menschen auf überkommenen Nationalismus zurück, fallen auf Hetze gegen Minderheiten herein – in Ungarn vor allem die Roma – und rufen nach einer starken, wenn nicht autokratischen Führungspersönlichkeit.

Hier kann keine Entwarnung gegeben werden. Ein jüngst in der Tageszeitung Magyar Hírlap erschienene Meinungsartikel des Publizisten Zsolt Bayer etwa hat die „Zigeunerfrage” wieder auf die rassistische Agenda gesetzt. In seinem skandalösen Kommentar hat Bayer Roma und Sinti grob denunziert: „Diese Zigeuner sind Tiere, und sie verhalten sich auch wie Tiere”. In Bayers Text sollte offenbar auch der Eindruck erweckt werden, dass ein Großteil der Roma Verbrecher sei -ein übliches Vorurteil, das nicht auf Ungarn beschränkt ist.

Der Rechtspopulist Orban profilierte sich gegenüber der MSZE als angebliches Bollwerk gegen den “wilden Kapitalismus” und überschlug sich mit sozialen Versprechungen, etwa einer 14. Monatsrente. Er spielte aber auch die nationale und die rassistische Karte gegen eine prekarisierte Roma-Minderheit und mit der erwähnten Einführung einer Auslands-Ungarn-Staatsbürgerschaft, die vor allem in der Slowakei Besorgnis auslöste. Seine Fidesz schluckte neben den Christdemokraten auch die rechtsextreme MIEP, die Orbans erste Regierung schon 1998-2002 im Parlament toleriert hatte.

Rechtsextremer Ableger des Fidesz wurde die 2004 von Studenten gegründete Jobbik-Bewegung, die sich auch aus der MIEP speiste. Nach den Budapester Unruhen 2006 gründete Jobbik 2007 die militante “Ungarische Garde”, die 2009 verboten wurde. Jobbik-Chef Vona legte trotz Verbots (auch gerade des Tragens der schwarzen Uniform wegen) am 14.5.2010 seinen Eid vor dem Parlament in der Uniformweste der Ungarischen Garde ab, die der Tracht der Pfeilkreuzler-Faschisten des mit Hitler verbündeten Horthy-Regimes nachempfunden ist. In dieser schwarzen Uniform marschierten die Neofaschisten bis zum Verbot auch durch Roma-Dörfer, um die ins Abseits gedrängte Minderheit zu terrorisieren und zu verhöhnen. Vom neoliberalen Marktglauben über heuchlerische Pseudo-Sozialisten bzw. -Sozialdemokraten führt so ein direkter Weg zu neorassistischen und neofaschistischen Bewegungen. Das wäre ein Horrorszenario für ganz Europa: Ungarn unter Orban als neorassistisches Modell für ganz Europa -als Plan B des Neoliberalismus, falls Demokratie nicht mehr im Sinne der Finanzeliten funktioniert. Also falls die plutokratisch-korrupten Politiker abgewählt würden, die heute Finanzmafia-Interessen gegen ihre von korrupten Medien getäuschten Wähler durchsetzen.

Ein Gedanke zu “Ungarn: Kulturkampf und EU-Kompromisse

  1. Ungarn in Braun… hetzen auf die Ärmsten und die Leute rassistisch verblöden, mies.
    Der sollte lieber gegen die Banken vorgehen, die allen Reichtum nach London, Paris und frankfurt schaffen!

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