Orientierungslos: Theaterstück „Assassinate Assange“ gescheiter als der Mythos Assange

Zur Premiere am 27.09.2012 in Hamburg, Kampnagelfabrik, im Rahmen von #vernetzt – Zukunftscamp 2012

Theaterkritik von Nora Drenalin 28.09.2012 (cc-by-3.0)

Das Theaterstück von Angela Richter ist zugleich vielschichtig und schlicht. Es behandelt den Fall Assange als Mythos, dem es vielleicht ein wenig und sehr vorsichtig zu huldigen gilt, der aber zugleich entzaubert werden soll. Dieser Spagat gelingt leider nur unter großen Einbußen an Information über die Arbeit von Wikileaks –darüber erfährt das Publikum fast nichts. Stattdessen setzt die Inszenierung auf lakonische Monologe von und über Julian Assange sowie „seine beiden Schwedinnen“ –und auf kraftvolle Bilder aus dem Beamer.

Foto: Gerd R. Rueger cc-by-3.0

Vorgeschichte: Die erfolgreiche Dramatikerin Angela Richter („Fall Esra“, „Jeff Koons“; „Vive la Crise“) ersteigerte für 1600,- Euro ein Mittagessen mit Julian Assange und Slavoj Zizek. Ihr Ehemann, der erfolgreiche Maler Daniel Richter fertigte Assange-Portraits, die in der Kampnagel-Fabrikhalle vor dem Theatersaal auf T-Shirts feilgehalten werden. Nach der Flucht des Wikileaks-Gründers in die ecuadorianische Botschaft besuchte Angela Richter ihn dort achtmal und interviewte ihn. Ergebnis: 30 Stunden Audio-Mitschnitte, wovon sie einigen Text in ihr Stück einfließen ließ, inklusive Assange im O-Ton. Vorhang auf.

Albino-Affen auf Odyssee im Weltraum

Das Bühnenbild ist denkbar schlicht. Einzige Requisiten sind ein Pappkarton, die Wand hinter der Bühne als Fläche für  Beamer-Projektionen und ein paar Laptops (die evtl. aber nur der Steuerung der Beamer dienen). Elf Darsteller in Albino-Affen-Kostümen sind das Ensemble, nur wenige legen ihre Affenmaske zeitweise für Monologe und einige Dialoge ab: Konservativ-reaktionäre Feuilletonisten stürzen sich natürlich dankbar auf den hingeworfenen Knochen und jubeln: „Assange zum Affen gemacht!„, aber empören sich dann enttäuscht: „Am Ende doch ein Held„.

Den Auftakt entlehnt Angela Richter bei Kubricks „2001 –Odyssee im Weltall“: Elf Affen sitzen um ein Lagerfeuer, vom Beamer auf den Pappkarton in ihrer Mitte projiziert, hinter ihnen funkelt unsere Galaxis in der Dunkelheit (stellvertretend der Andromedanebel), am Rand läuft die Anonymous-Losung „Expect us“ durch.

Die Stimme von Assange räsoniert über intelligentes Leben, dessen Spuren man eigentlich anhand von Dyson-Sphären –gigantischen Solarpanelen, kugelförmig um bewohnte Sternsysteme gebaut– sehen müsste, wenn Intelligenz nicht sehr rar wäre oder aber technische Zivilisationen wie unsere zur Selbstvernichtung neigen würden. Einsamkeit oder Selbstzerstörung. Andromeda aus.

Zieloptik des Kampfhubschraubers aus „Collateral Murder“, es dröhnt der dazugehörige O-Ton: US-Soldaten belauern vermeintliche irakische Kämpfer, Rotorflattern, schnarrender Militärfunk; in der Zieloptik tauchen die elf Albinoaffen auf, stellen die Szene aus Bagdad nach, die durch Wikileaks 2010 um die Welt ging. Sie sterben im (nur akustischen) MG-Feuer, zugleich als Projektion und dramatisch auf der Bühne. Starke Bilder, bewegend, aber gebrochen mit einem kräftigen Schuss reflektierender Ironie –mit einem Schuss dramaturgischer Uranmunition.

Der Beamer projiziert –zunächst verwirrend– einen Tierfilm. Es geht um eine Meeresschildkröte, Schwarzweiß-Bilder, Kommentar im Grzimek-Stil der 70er: Das Tier quält sich, so erfährt man, durch den heißen Sand einer Insel, die für Atomwaffentests missbraucht wurde. Es hat wie gewohnt seine Eier abgelegt, aber die radioaktive Verseuchung hat sein Orientierungsvermögen zerstört. Die Schildkröte findet nicht zurück zum rettenden Ozean, strebt irrtümlich der tödlichen Trockenheit des Inselinneren zu, über ihr kreisen kreischende Raubmöwen, warten schon auf seinen qualvollen Tod. Ein Bild für unsere langsamen, verwirrten und nur unzureichend gepanzerten Hirne? Orientierungslos in der sensorischen Wüste der militärisch verseuchten digitalen Medienwelt? Kein schönes, aber ein kraftvolles und treffendes Bild, mit dem das unbedingt sehenswerte Stück beginnt –auch wenn es am Ende die geweckten Erwartungen nicht ganz einlösen kann.

Assange-Erlebnisse statt Wikileaks-Enthüllungen

Im Zentrum des Stücks steht die Person Julian Assange. Seine Figur wird von Angela Richter sorgsam, fast liebevoll gezeichnet. Am Ende weist sie gleichwohl daraufhin, dass es ganz falsch sei, zu psychologisieren. In die Tiefe geht sie bei der Frage nach der angeblichen Vergewaltigung zweier Schwedinnen und beim Report ihrer langen Gespräche mit Assange in dessen Londoner Asyl. Sie beschreibt die Situation in der Botschaft Ecuadors, die Gefängnisatmosphäre, den Geruch, die Britischen Polizeitruppen, die das Asyl umzingeln. Ihre Gespräche vor den Fenstern hat Angela Richter aufgezeichnet, sie werden im O-Ton angespielt, ihre banalen Inhalte berichtet –ein Beispiel für die unergiebige Leaks.

Über die Enthüllungen von Wikileaks erfährt man so viel oder so wenig wie ein durchschnittlicher gutbürgerlicher Theaterbesucher nach Lektüre deutscher Feuilletons vielleicht noch erinnern kann: „Collateral Murder“, Bradley Manning und dass bei den US-Depeschen nur Klatsch herauskam. Letzteres ist falsch, aber es ist die Version der Geschichte, die unsere Mainstream-Medien in den Köpfen durchgesetzt haben. Die frühen Leaks (Somalia, Giftmüll in Afrika, Bankskandal J.Baer, Toll Collect in Deutschland usw.) fallen weg, nur die Finanzkorruption in Island wird kurz erwähnt, neue Leaks wie Stratfor- oder Syria-Files vermisst man ebenso.

Angela Richter holt ihr Publikum da ab, wo es medial steht –und was Wikileaks angeht, lässt sie es da auch stehen. Für die Person Julian Assange jedoch dürfte das Stück ganz neue Einsichten liefern. Es formuliert die künstlerische Verteidigung eines politisch Verfolgten, der unter zweifelhaften Anschuldigungen, wenn nicht unter perfider Verleumdung von der westlichen Justiz drangsaliert wird. Dies ist eine mutige Sichtweise auf Assange, die im üblichen Journalismus zum Tabu geworden ist: In einem Journalismus, der sich in heuchlerischer Einseitigkeit der Anklage politischer Verfolgung vorzugsweise in Moskau und Kiew zuwendet („Pussy Riot“, „Femen“).

 

Penis, Condome und Sperma im Bett von Schwedinnen

Breiten Raum nehmen umfassende und gut recherchierte Beschreibungen der beiden Schwedinnen ein, die Assange sexueller Verfehlungen beschuldigt haben –woraus die Medien ihr verleumderisches „Vergewaltigung!“-Geschrei machten. Die Ich-Erzählerinnen werden mit Klarnamen und biographischen Details eingeführt, ihre Rolle bei der Assange-Veranstaltung in Stockholm genau beschrieben. In den monologischen Schilderungen zweier erotischer Begegnungen, emotional zwischen schmachtender Liebe und gekränkter Wut vorgetragen, erfährt man viel darüber, wo und wann Condom und Penis des Beschuldigten sich jeweils angeblich befunden haben sollen.

Dazwischen polizeiliche Befragungen des Verdächtigen. Assange beschreibt den Sex, leugnet aber den Vorwurf, ein

Entlastung? Foto soll Assange und eine Schwedin zeigen, Tage nach der angeblichen sexuellen Straftat, wegen der sie ihn später anzeigte

Condom absichtlich zerrissen zu haben. Dieses Auswalzen der Sex-and-Crime-Thematik spiegelt und entlarvt das mediale Muster der Assange- und Wikileaks-Berichterstattung. Es befriedigt aber auch auf schlichte Art die dadurch geprägte voyeuristische Erwartungshaltung des Publikums. Letztlich werden die Anschuldigungen als höchstwahrscheinlich haltlos, auf jeden Fall überzogen und in ihren Konsequenzen unglaubhaft vorgeführt.

Assange darf sich monologisch beklagen, schwedische Frauen, trotz all seiner Bemühungen, „can‘t not get no satisfaction“. Gesangseinlage: „women become wicked, when a man is wanted“. Ironisiert wird am Ende auch die mediale und polizeiliche Jagd auf „Assange den Sexualstraftäter“ durch einen bei der US-Feministin entliehenen satirischen Brief an „Dear Interpol“, worin sich eine sexuell unbefriedigte bzw. belästigte Frau für Interpols neues Engagement für Frauenrechte bedankt und zur Verhaftung von 1,5 Millionen weiterer bad boys auffordert. Foto: Assange und eine Schwedin

Theater ist besser als Film

Konterkariert wird dieser Erzählstrang durch Dialoge von Angela Richter mit Assange bzw. dessen Monologe über Individuen, Politik und die Medien. Assange beklagt wortreich die Gleichschaltung der Menschen durch Massenmedien –wobei acht wie Schatten hinter ihm aufgereihte Affen seine Gestikulation nachmachen– und den besseren Ansatz von Wikileaks, wo jeder sich aus den geleakten Daten seine eigene Meldung heraus filtern könne.

Theater sei auch besser als Film, weil Filme von viel mehr Leuten gesehen würden, Theater aber von wenigen und jede Aufführung dabei noch ein Unikat sei. Medienkritisch ist auch eine kleine Szene, in der die Assange-Interviewerin Angela Richter ihrerseits von einem Journalisten Terry (vom Guardian?) interviewt wird, der sich hauptsächlich dafür interessiert, ob sie Sex mit Assange hatte. Ein kleiner Hinweis auf den Konflikt des ehemals mit Wikileaks verbündeten Guardian? So soll die Medienhype zwar kritisch reflektiert werden, aber letztlich kreist doch alles um Julian, wie in den Medien. Die Reflexion scheint im Ergebnis am Mythos Assange zu scheitern, wobei sie bei einigen Zuschauern auch die mediengemachten Ressentiments gegen Assange mobilisiert.

Auch die Netzkultur erweist sich als schwer darstellbar, die Laptops und Beamer-Bilder überzeugen nicht wirklich. Auch Anonymous taucht nur andeutungsweise auf dem Schirm von >Assassinate Assange< auf: Projizierte Satzschnipsel „we will not forget“, „expect us“. Doch alles bleibt sehr resigniert und pessimistisch –übrigens ganz im Gegensatz zur Stimmung auf dem Netzkultur-Kongress in der Kampnagelfabrik, in dessen Rahmen gespielt wurde. Dort wurden Websites und Blogger im Dienste politischer Proteste gezeigt und organisiert –zur Abwehr der Angriffe von Finanzmächten auf die Völker und ihre Sozialsysteme, von Athen bis Tunis.

Vielleicht sind die neuen „Netizen“ des Internet doch nicht so orientierungslos, wie die strahlenkranke Meeresschildkröte aus der Eingangssequenz des Theaterstückes. Und viele Menschen entwickeln heute neue Hoffnungen und Utopien: Wenn sich 10.000 Schildkröten genau zum richtigen Zeitpunkt in das Ruder eines Atom-U-Bootes verbeißen –vielleicht können sie es auf einen Eisberg laufen lassen.   Nora Drenalin cc-by-3.0

Nachtrag: Inzwischen wurde das Stück (in variierter Version) in Wien aufgeführt. Angebliche „Feministinnen“ hatte die Medienhetze besinnungslos übernommen und „Vergewaltiger“ an die Theatertür gesprayt, der notorische Wiener Standard brachte eine maue WischiWaschi-Theaterkritik, na,  immerhin kein völliger Verriss. N.A.

Angela Richter, (Director, herself) Melanie Kretschman, (Anna Ardin, Julian Assange) and Iris Minich (Sophia Wilen) discuss their roles in the controversial play about hacktivism and Wikileaks, which includes a 6 minute sequence about the events which took place in Sweden taken from the police interrogations of all three individuals. The three women discuss their personal views on rape culture and feminism, as well as the choices they made in how that was implemented in the theater play. Unedited, raw video. The interview was shot in the cafe at Brut in Vienna, where ‚Assansinate Assange‘ played between October 20-23, 2012.ASSASSINATE ASSANGE is based on Angela Richter’s research on the subject of hacktivism as well as on meetings and interviews she carried out with Julian Assange in 2011 and 2012. Below is the full length video of the play in its first version as performed in Hamburg on the 29th of September. There will soon be a copy of the play as it was performed in Vienna online: http://artificialeyes.tv/node/994

Tiounine Kommersant (Moskwa)

6 Gedanken zu “Orientierungslos: Theaterstück „Assassinate Assange“ gescheiter als der Mythos Assange

  1. Wieso am Mythos Assange
    GESCHEITERT?
    Die Theaterkritik zeigt doch nur, dass darauf reagiert wurde und zwar ironisch, künstlerisch, dramatisch:
    Eben mit Hirn und Herz, wie es sich für das Theater geziemt!
    Wo krieg ich Karten für die nächste Vorstellung?????

  2. Stimmt eigentlich -ich dachte zu sehr an Wikileaks dabei (und wusste noch nicht, dass die Feuilletonischten-Meute über Angela Richter herfallen würde, weil denen das Stück zu weit gegen die Mainstream-Anti-Assange-Hetze verstoßen hat).
    Ich sehe mal, ob ich den Titel von „scheitert am Mythos“ in „gescheiter als der Mythos Assange“ umtiteln kann 😉

  3. Liebe Nora Drenalin,

    vielen dank für ihre ermutigenden worte! sie können sich gar nicht vorstellen, wie wichtig sowas für uns alle ist, diesem moment!
    ich habe mich von von anfang an auf das missfallen des feuilletons eigestellt, und doch bin nun ziemlich vernichtet angesichts der ignoranz und dem nicht hinschauenwollen das mir entgegenschlägt. ich habe die blogkritik gelesen und es hat mir gutgetan zu sehen, dass nicht alles umsonst war.
    ich habe das stück letztlich in zwei wochen auf die bühne gestemmt, da waren die 300 seiten gespräch mit assange noch nichtmal transkribiert geschweige denn übersetzt. die knappheit der zeit hatte direkt mit wikileaks zu tun, das leben richtet sich manchmal nicht nach theaterspielplänen. konsequenterweise hätte ich verschieben müssen,
    aber der druck war zu gross.
    ich habe am tag vor der premiere 1 stunde aus dem stück gestrichen, aufgrund von schlechter beratung seitens der theaterleute die drin waren. was ich nun bitter bereue, denn genau die sachen die noch wichtig waren, hatte ich eigentlich drin: eine ausführliche timeline über die wichtigsten leaks auf wikileaks, mehr über anonymous und eine ganze reihe gespräche mit assange sowie originaleinspielungen der gespräche. ich habe ein spagat versucht zwischen mainstream und den kennern. letzlich kann ich nun auch nur lernen daraus.
    ich werde all das in wien wieder einbauen, in der hoffnung, dass die vernichtenden kritiken aus deutschland nicht allzu viel schaden angerichtet haben.
    ich hatte übrigens mit meinem ensemble die Jasminrevolution-beiträge zu wikileaks und assange gelesen, während der proben.
    herzliche grüsse,
    angela richter

  4. Warum wird hier als „Ressentiment“ abgetan, was an Assanges im Stück zitierter doch arg naiver Zeitungskritik im Stil von Intellektuellen des 19. Jahrhunderts (da alle das Gleiche in der Zeitung lesen, denken sie folglich alle auch das Gleiche) zu kritisieren wäre, vor allem im Hinblick eben auf die großen Aufdeckungen wie Abu Ghraib, die es eben auch ohne Wikileaks gab?
    Ist es nicht umgekehrt so, dass hier das Ressentiment gegen jedwede konkrete Kritik an Assange gepflegt wird?

    Und soll im Ernst behauptet werden, dass Assange an der Stelle im Stück, an der er von den anderen Affen nachgeäfft wird, nicht auch eben als eitler Affe erscheint (ob einem das nun zusagt oder nicht)?

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